13. WAPE-Forum: In Berlin trafen sich marxistische Politökonomen aus aller Welt zu einer Konferenz
Von Arnold Schölzel
Wer imperialistischen Krieg unterstützt, sich aber links oder liberal geben möchte, tritt heute antinational und kosmopolitisch auf. Da kämpfen dann, so die neuste Masche, »Demokraten« gegen sogenannte Autoritäre. In jüngerer Zeit waren es Irak, Libyen und Syrien, deren nationale Wirtschaftsstruktur der Westen nicht mochte und militärisch angriff. Ähnliches wird mit ähnlicher Begründung gegen Venezuela und Russland inszeniert.
Thesen dieser Art, im zitierten Fall von der im kanadischen Winnipeg lehrenden Politikwissenschaftlerin Radhika Desai, waren in Berlin an den vergangenen Tagen öfter zu hören: Von Montag bis Mittwoch tagte im Campus Lichtenberg der Hochschule für Wirtschaft und Recht das 13. Forum der »World Association for Political Economy« (WAPE), der Weltvereinigung für Politische Ökonomie. Die 2006 von marxistischen Wirtschaftswissenschaftlern gegründete und in Hongkong ansässige Gesellschaft hielt ihr jährliches Treffen zum ersten Mal in der Bundesrepublik ab. Unterstützt wurde sie von der Marx-Engels-Stiftung Wuppertal und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Anlässe waren der 200. Geburtstag von Karl Marx sowie der bevorstehende 100. Jahrestag der Ermordung Rosa Luxemburgs am 15. Januar 2019. Das Thema der Konferenz: »Karl Marx und Rosa Luxemburg: Geistiges Erbe und heutiger Wert«. Etwa 150 Wissenschaftler waren angereist, darunter zahlreiche Ökonomen aus China und Indien.
Sie prägten die Konferenz durch ihre Analysen vor allem des heutigen Imperialismus und der Wiederkehr kolonialistischer Kriege. Der Vortrag Radhika Desais, der »Marx' geopolitische Ökonomie« zum Thema hatte, war insofern repräsentativ. WAPE-Präsident Cheng Enfu, Direktor des Zentrums für wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Chinesischen Akademie für Gesellschaftswissenschaften, hatte bereits in seiner Eröffnungsrede als Diskussionsgegenstand des Forums u. a. »wirtschaftliche Globalisierung und Antiglobalisierung, neuer Imperialismus und Handelsstreit« benannt. Cheng selbst formulierte bemerkenswerte Gedanken zur Rolle Chinas in der heutigen Welt. Dem »ersten (Wirtschafts-)wunder« in der VR China nach deren Gründung 1949 folge durch die Reformpolitik seit 1979 nun ein zweites. Die USA und die anderen G-7-Staaten seien das »Zentrum der heutigen Weltwirtschaft«, aber China besetze »die wichtige Position eines ›Quasi-Zentrums‹«. Zu feindseligen Kommentaren westlicher Medien, China würde durch seine Zusammenarbeit Lateinamerika und Afrika einen neuen Typ von »Zentrum-Peripherie«-Abhängigkeit auf, meinte Cheng: China sollte klarmachen, dass sein Weg nicht bedeute, »den Spuren des neuen und des alten imperialistischen Nationalismus und Kolonialismus westlicher ›Zentrums‹länder zu folgen«, und auch nicht, die Arbeit anderer Länder auszubeuten.
Gegenstand zahlreicher Referate des WAPE-Forums waren daher der Aufstieg Chinas und seine Folgen für das globale Kräfteverhältnis. So befasste sich z. B. He Zili (Nankai-Universität, China) mit der u. a. vom früheren US-Finanzminister Lawrence »Larry« Summers vertretenen These einer »säkularen Stagnation« des Kapitalismus. He nannte als eine ihrer Ursachen die Deindustrialisierung in zahlreichen westlichen Industriestaaten, etwa in den Branchen Textil, Schiffbau, Stahl, Bauwesen und Autoproduktion von 1970 bis heute. Der Erhalt des Sozialstaates sei damit schwierig geworden, es komme zu einer »Überfinanzierung der Realökonomie«, einem Anstieg der Staatsverschuldung, die Sozialstruktur nehme wegen wachsender Ungleichheit die Form einer Pyramide an. Privateigentum, Trennung von Kapital und Arbeit als Folge der Deindustrialisierung, niedrige Effizienz der Staatsapparate und Hegemonie der neoliberalen Ideologie hätten zur »Normalisierung der Stagnation« geführt. Sie werde begleitet von sozialen Turbulenzen, von Migrationskrisen und dem Aufstieg von Nationalismus, Populismus und Rechtsextremismus. He sieht – beginnend 1990 – einen »Internet- und Künstliche-Intelligenz-Kapitalismus« entstehen. Die Zukunft werde zwischen diesem und einem Sozialismus entschieden, der beides beherrsche. Dessen Ära werde kommen.
Ähnlich, aber auf anderem Weg, untersuchte Uri Zilbersheid (Universität Haifa, Israel) die Erosion des westlichen »Wohlfahrtsstaates« durch die Herrschaft der Finanzindustrie. Marx sei dessen geistiger Miturheber durch die im »Manifest« genannten zehn ersten »Maßregeln« nach einer proletarischen Revolution (Enteignung des Grundeigentums, starke Progressivsteuer, Zentralisation des Kredits in einer Nationalbank etc.). Die letztere Forderung ziele auf die Beseitigung des Finanzkapitals, die auch andere Theoretiker wie der Brite John Maynard Keynes oder der US-Ökonom Michael Hudson verlangten: Nach ihnen ist der Sozialstaat ein Kompromiss zwischen produktivem Kapital und Arbeit, das Finanzkapital der »gemeinsame Feind«.
An Klarheit war kein Mangel. WAPE-Generalseketär Allen Ding (Finanz- und Wirtschaftsuniversität Shanghai, Gast der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2018) konnte zum Abschluss mit Recht eine positive Bilanz des Forums ziehen. 2019 trifft sich WAPE im kanadischen Winnipeg an der gastgebenden Universität von Radhika Desai.
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