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RotFuchs
Tribüne für Kommunisten, Sozialisten und andere Linke
Ein Leitstern
Am 2. Dezember 1914 stimmte Karl Liebknecht als einziger Abgeordneter des Deutschen Reichstages gegen die Kriegskredite. In der „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ von 1966 heißt es dazu: „Mit seinem mutigen Nein gegen den imperialistischen Völkermord gab Karl Liebknecht den Millionen Arbeitern in Deutschland und darüber hinaus allen friedliebenden Kräften ein leuchtendes Beispiel und ein weithin sichtbares Signal zum Kampf gegen Imperialismus, Militarismus und Krieg.“
Liebknecht erhielt nach dem 2. Dezember zwar viele Zustimmungserklärungen von SPD-Organisationen, von Arbeitern, Soldaten und bürgerlichen Kriegsgegnern, das konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen: Er stand in der SPD für eine Minderheit und hatte in der nationalistisch verhetzten Gesellschaft des Kaiserreichs mächtige Kräfte gegen sich. In heutiger Zeitungssprache war er ein „Zarenversteher“, also ein Landesverräter. Auch die 13 Genossen in der SPD-Reichstagsfraktion, an die er im November 1914 seine Begründung für sein Abstimmungsverhalten verschickt hatte, ließen ihn in letzter Minute im Stich. Ihnen hatte er geschrieben: „Einen Wesenszug des Imperialismus, dessen Hauptträger auf dem europäischen Festland Deutschland ist, bildet das wirtschaftliche und politische Expansionsstreben, das immer stärkere politische Spannungen erzeugt … Kleinasien und Syrien, Brennpunkte der internationalen Kapitalkonkurrenz, gehören zu den bedeutsamsten Siedlungsgebieten für das stürmisch vordringende deutsche Finanzkapital. 1 Hier liegt das Zentrum des imperialistischen Gegensatzes zwischen Deutschland und Rußland, hinter dem der englisch-russische Widerstreit zeitweilig zurücktritt.“ Das stammt aus dem Jahr 1914, könnte aber bei Austausch einiger Ländernamen auch heute geschrieben sein.
International wurde Karl Liebknecht damals von einem Tag zum anderen bekannt. Zustimmung kam aus Holland und Dänemark, die französische „l’Humanité“ und die italienische „Avanti“ würdigten seine Haltung. In der bürgerlichen und sozialdemokratischen Geschichtsschreibung wird Liebknechts Nein dagegen bis heute verschwiegen, heruntergespielt oder als antinational verleumdet. Für die stets kriegsbereite Bundesrepublik, die versuchte, Rosa Luxemburg wegen ihrer vermeintlichen Kritik an den Bolschewiki zur SPD-Säulenheiligen zu machen, war Liebknecht nie von Interesse. Die wildeste Kampagne gegen Liebknecht veranstalteten die Kriegsbefürworter in der SPD. Anfang Februar 1915 versuchte Gewerkschaftschef Carl Legien auf einer Tagung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion sogar, Liebknecht aus der Fraktion ausschließen zu lassen. Das gelang ihm zwar nicht, aber die Fraktion verurteilte mit 65 gegen 26 Stimmen sein Abstimmungsverhalten vom 2. Dezember 1914 und bezeichnete seine Begründung als „unvereinbar mit den Interessen der deutschen Sozialdemokratie“. Gesagt, getan. Am 7. Februar zogen die Militärbehörden Liebknecht ein und zwangen ihn als sogenannten Armierungssoldaten zum Kriegsdienst. Er erhielt zwar zu Sitzungen des Reichstags und des preußischen Landtags Urlaub, durfte dann aber Berlin ohne Erlaubnis nicht verlassen, an keinen Versammlungen teilnehmen und keine mündliche oder schriftliche Agitation betreiben. Am 18. Februar 1915 mußte schließlich Rosa Luxemburg eine einjährige Gefängnisstrafe antreten, die im Februar 1914 wegen ihres Auftretens gegen die Kriegsvorbereitung verhängt worden war. Vergangene Zeiten? Das ist insofern richtig, als sich innerhalb der SPD kein Karl Liebknecht mehr findet. Die Partei strebt schon Ein Leitstern lange nicht mehr nach Überwindung der herrschenden Gesellschaftsordnung, vielmehr stellte sie von Gustav Noske, der am 15. Januar 1919 die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs anwies, bis Boris Pistorius immer wieder besonders reaktionäre Kriegsminister und führte 1999 die Bundesrepublik in den ersten Angriffskrieg in Europa seit 1945. Die Stimmen innerhalb der SPD, die sich für Diplomatie statt Krieg einsetzen, sind schwach und fast so isoliert wie vor 110 Jahren Liebknecht, Luxemburg und ihr kleiner Kreis. 2 Das kann nur bedeuten: Nichts darf unversucht bleiben, diese Stimmen zu stärken. Für eine starke Friedensbewegung sind sie unverzichtbar. Der Mut Karl Liebknechts am 2. Dezember 1914 in scheinbar aussichtsloser, isolierter Situation ist ein Leitstern. Arnold Schölzel
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