ZUR BESINNUNG
-- UNVERGESSENES:VOR DEM 80. JAHRESTAG DER BEFREIUNGLeseproben ausdem Buch„DER TRAUMvomMORGENROT“SEITE 28Ohrfeige für Henry
Kindheits- und Jugenderinnerungen der Mutter Tamara, und nicht nur ihre ... Henry erinnert sich: Ja, da war jenes Dorf Stemmnitz in Pommern, von dem seine Mutter schrieb. Es war ein kleines Dorf an der Wipper, nördlich von Schlawe, heute Slavno, das Henry und seine Geschwister Sophia, Axel und Berno in den Jahren 1942/43 kennenlernen sollten. Sie wohnten in Berlin-Schöneberg in der Wartburgstraße. Berlin lag wohl schon zunehmend unter dem Bombenhagel der Allierten. Jedenfalls wurden Frauen mit Kindern evakuiert. Die Eltern wählten Stemmnitz, da dort Verwandte des Vaters lebten. Eines Nachts mussten die Kinder sehr früh aus den Betten. Etwa um zwei Uhr. Knapp drei Stunden später sollte der Zug nach Stettin fahren. Ein Taxi brachte die Familie, auch Oma Emma, zum Stettiner Bahnhof: Regennässe. Kopfsteinpflaster. Ein verdunkeltes Bahnhofsgebäude. Zugqualm. Pfeiftöne. Müdigkeit. Man fror. Endlich Abfahrt. Umsteigen in Stettin. Wie lange waren sie unterwegs? Henry weiß es nicht mehr. Nur soviel, dass sie auf einem sehr abgelegenen kleinen Bahnhof ausstiegen. Soweit er sich erinnern kann, stand mitten im Dorf eine weiße Kirche mit einem hohen und schlanken Turm, die Straße führte rechts und links vorbei. Bauernhäuser mit riesigen Gehöften, mit Stallungen und großen Misthaufen. In der Nähe eine alte Windmühle. Die Familie kam auf einem Bauernhof in den oberen zwei Zimmern unter. Kopfsteinpflaster auf dem großen Hof, Kuhgebrüll, Schweinegekreische und Hühnergegacker. Auf der anderen Straßenseite haben Verwandte ihren Hof, ebenfalls Ziebells. Deren Tochter heißt Ruht und der Sohn Herrmann, der etwa siebzehn Jahre alt ist. Der nimmt den oft verträumten aber neugierigen Jungen mit zum Angeln an die Wipper. Einmal soll der Siebenjährige die Fische zum Hof bringen. Der spürt die Wichtigkeit dieses Auftrages und hofft, bald einen Abnehmer zu finden, um sich der Verantwortung zu entledigen. Aber im Hause des Onkels rührt sich nichts. Was tun? Henry kommt ein rettender Gedanke. Er legt die Fische auf ein umgedrehtes Holzfass. Er sieht nur seine Aufgabe, übersieht aber die in der Nähe schnatternden und aufgeregten Gänse. Sein Fehler? Nein, seine erste Erfahrung. Nämlich umsichtig sein. Für alle Fälle! Denn kaum kehrt der Stadtjunge ihnen den Rücken, fallen sie auch schon über die reiche Beute her. Sein großer Freund Herrmann hat später geschimpft, und der Kleine bekommt zur Strafe abends keinen Fisch ab. Überhaupt, Henry und seine Geschwister – sie fühlen sich als Stadtkinder sehr wohl auf dem Dorf, denn da riecht es – laut Henry - so gut nach Dung und Heu. Sehr wohl fühlt sich auch seine Schwester Sophia, denn sie wandert oft und gerne und man muss sie manchmal suchen. Wo treibt sie sich herum? Das hört Henry seine Mutter fragen. Man findet das eigenwillige Mädchen auf dem Friedhof, da hat sie sich die Blümchen auf den Grabstellen angesehen. Was sich besonders eingeprägt hat – das herrliche Vesper am Feldrand während der Ernte. Da gibt es immer Kaffee und Kuchen, meist Streuselkuchen.
Martin M., ebenfalls damaliger Schüler, schoss dieses Foto
der Dorfschule nachträglich zur Erinnerung im Jahre 1993
Im September muss Henry zur Schule, wie unangenehm. Eine
Schiefertafel wurde besorgt und mehrere Griffel zum Schreiben. Der
Gänsekiel, mit dem Henry so gerne geschrieben hätte, war nur für die
größeren Kinder vorgesehen. Der Lehrer ist klein und dicklich, ein Herr
Pommerening. Gelbe Uniform und Hakenkreuz am Ärmel, ein
Ortsgruppenführer, wie aus den Reden der Eltern zu hören ist, und es
klingt nicht gut. Eines Tages im Unterricht fragt er den Henry-Knirps,
wer Hitler sei. Der erschrickt. Er weiß es so genau nicht. Das war kein
Thema zu Hause. Und rund heraus gesteht er seine Unwissenheit. Da hat er
plötzlich eine Ohrfeige im Gesicht, dann noch eine zweite auf die
andere Wange. „Raus!“, brüllt der Dicke. Der gedemütigte Junge muss den
Unterricht verlassen. Mama und eine Bekannte – Papa arbeitet in einem
anderen Ort und ist selten zu Hause - schauen sich bedeutungsvoll an,
sagen, dass es nicht so schlimm sei, den Namen dieses Hitler nicht zu
wissen, und der Schuljunge, der tief beleidigte, denn Schläge sind den
Ziebellkindern eine unbekannte Größe, atmet erleichtert auf. Irgendwann
taucht der kleine Hakenkreuzmensch – es ist bereits abends - bei den
Ziebells zu Hause auf. „Frau Ziebell, ich habe keine Nachricht von
meinem Sohn an der Ostfront, haben sie keine Verbindung mit ihren
Landsleuten ...?“ Mama ist schlau und auf der Hut. Sie zuckt mit den
Schultern, sagt nichts. Wie auch, das wäre lebensgefährlich für sie
gewesen, weiß Henry später.
Umschlaggestaltung: © Copyright by Harry Popow, 465 Seiten
Selbstverlag, ISBN:
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Format: 12 x 19 cm, Seitenanzahl: 484, ISBN: 111-2-0000-0001-6, Erscheinungsdatum: 23.09.2024
EUR 36,95 als Buch (https://www.united-pc.eu/home.html)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen