Freitag, 25. Oktober 2024

ENDE DER HEGEMONIALHERRSCHAFT - LZ

 Entnommen: https://linkezeitung.de/2024/10/25/global-change/

Global Change
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 25. OKTOBER 2024 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR


von Wolfram Elsner – https://apolut.net

Wie die Welt sich vor unseren Augen verändert. BRICS, SCO, RCEP, Neue Seidenstraßen …

Die bleierne Zeit der Hegemonialherrschaft ist beendet


Die Feststellung ist inzwischen fast Gemeingut: Wir leben in einer Zeit, in der man „Geschichte“ tagtäglich fühlen, erleben, „greifen“ kann. Während seit dem 2. Weltkrieg lange Perioden von „bleiernen Zeiten“ vorherrschten, verändert sich die Welt zurzeit in einer selten erlebten Tiefe und Geschwindigkeit. Nach dem „bleiernen“ Ersten Kalten Krieg, nachdem die Sowjetunion aufgrund der unendlich höheren Ressourcen des  westlichen Imperialsystems militärisch niederkonkurriert werden konnte, wurde sogar  ein bleiernes „Ende der Geschichte“ (Fukuyama, 1992) verkündet, die totale Herrschaft des westlichen Hegemons, der einzigen Macht, die jemals einen unbeschränkten Weltherrschaftsanspruch praktizierte.

Wie kindlich-naiv diese Vorstellung natürlich war! Aber von den medialen, politischen und militärischen Eliten des Westblocks wird sie bis heute ernsthaft durchzusetzen versucht Deren intellektuelles und strategisches Niveau sank allerdings mit steigender Überheblichkeit im Zuge „grandioser Siege“ in ihren neokolonialen Kriegen (meist gegen nur leicht bewaffnete Sandalenträger) ins Bodenlose. Es wäre heute weniger erschreckend, wenn sie uns wie einst bewusst über die Welt belügen würden, als  erkennen zu müssen, dass sie ihre Überlegenheitsfantasien selbst glauben! Und daher auch für nichts mehr einen Plan B oder irgendeine Verhandlungsbereitschaft glauben haben zu müssen. Ein Kind, das keinen Ausweg mehr sieht, fängt an, um sich zu schlagen.

Warum z.B. hätte sich Russland sehenden Auges in ein Dutzend Kleinstaaten zerlegen lassen sollen, und seine Ressourcen den US-Konzernen zum Ausplündern überschreiben sollen, wie es in Washington, Brüssel und Berlin seit Gorbatschow bis heute fantasiert wird? Warum hätte sich China am Wiederaufstieg zu einer Nation hindern lassen sollen, die wieder ihren historisch normalen Platz als eine der größten und technologisch fortgeschrittensten Nationen einnimmt, den es Tausende Jahre lang innehatte? Diese Fragen hätte man sich auch 1992 schon stellen können.

Aber die Welt komplett in Brand zu setzen, war damals noch keine Option. Die Planungen für einen Vernichtungskrieg gegen Russland und China (vom US-Militär nun  für 2027 angekündigt) wurden als Ultima Ratio der Hegemoniesicherung erst in den letzten Jahren wieder mobilisiert (die konkreten Vorbereitungen der atomaren Vernichtung der UdSSR waren erst durch J.F. Kennedy eingestellt worden). Jetzt, wo es für den Westblock eindeutig zu spät ist, diesen großen Krieg noch gewinnen zu können.

Die Welt hat sich im 21. Jahrhundert nämlich massiv und beschleunigt verändert. Und zwar keineswegs nur zum Schlechteren. Zivilisation, Diplomatie, Austausch und Kooperation greifen weltweit wieder um sich. Der Globale Süden ist aufgewacht und macht sich auf in eine selbständige Entwicklung. Auch wenn wir unter unserer westlichen medialen Käseglocke von den wichtigsten Informationen darüber abgeschottet werden.

Süd-Süd-Kooperation, Friedliche Koexistenz, Diplomatie und Globale Initiativen

Chinas Außenpolitik z.B. ist (wenn man seine Geschichte betrachtet, klar nachvollziehbar) seit 1949 anti-hegemonial, multipolar und multilateral. Daher wurden praktisch alle Initiativen, Programme, Entwicklungsprojekte und Förderfonds im Rahmen der UN verankert, und die offizielle UN-Süd-Süd-Kooperation bildet seit langem den mit Abstand größten UN-Aktivitätsbereich. Die außenpolitischen Prinzipien der Friedlichen Koexistenz, Chinas „5 Prinzipien“, seit 1954 festgeschrieben und praktiziert: Territoriale Integrität, Nationale Souveränität, Nichteinmischung, Nicht-Erstangriff und Entwicklung von Win-Win-Kooperationen, sind z.B. Grundlage für Kooperationen mit  inzwischen mehr als 150 Staaten (von insgesamt gut 200) und über 40 Internationalen (UN) Partner-Organisationen der Neuen Seidenstraßen (Belt&Road-Initiative, BRI). Die jüngste 9. Ministerkonferenz (seit 2000) des Forum for China-Africa Cooperation (FOCAC) im September sah nicht nur praktisch alle (nämlich 53) afrikanischen Staats oder Ministerpräsidenten in Beijing sondern auch UN-Generalsekretär Guterres und die Präsidenten zahlreicher internationaler und UN-Organisationen. Die Prinzipien von Nichteinmischung, Augenhöhe, Kooperation und internationaler Projekt-Transparenz gelten auch für die Kooperation mit Lateinamerika und die Karibik (die CELAC, 33 Mitglieder), für die China-Arabien-Kooperation, das Zentralasien-Format (C+C5) oder die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU, 5 Länder, einige Assoziierte, Beobachter und Kandidaten). Sie sind auch integriert in die Grundladendokumente der Shanghai  Cooperation Organization (SCO, 10 Mitglieder, zahlreiche Gäste, Beobachter, Partner),  z.B. kein Erstangriff, kein Ersteinsatz von Atomwaffen (siehe dazu das  Kontrastprogramm NATO!) oder der BRICS (dazu unten).

Die UN-Abstimmungen über westliche Resolutionen, z.B. gegen China, sind dementsprechend, immer ca. 30 zu 100+. Entsprechend umgekehrt z.B. für globale Faschismus-Bekämpfung oder Atomwaffen-Verbot (GV 2020). Gelegentlich werden die USA, Ukraine und Israel bei Abstimmungen auch schon mal alleine gelassen von ihren westlichen Vasallen, dann gibt es nur 2 oder 3 Stimmen gegen globale Problemlösungen.

Chinesische Initiativen z.B. helfen inzwischen, die Welt zu organisieren, von der Initiative Global Energy Development and Cooperation (2015) über den chinesisch ausgestatteten Süd-Süd-Kooperations-Fonds (2020), den chinesischen Klimafonds für die ärmsten Länder (2021) und den Kunming (Bio-)Diversitätsfonds (nach COP 15, 2021) bis zum Shanghai-Swap-Modell (chinesischer Schuldenerlass gegen Umweltinvestitionen für die Länder des Globalen Südens). Den aktuellen Globalen Initiativen Chinas, Globale Entwicklungsinitiative (GDI, 2021), Globale Sicherheitsinitiative (GSI, 2022), Globale Zivilisationsinitiative (GCI, 2023) (daneben  noch Globale Governance Initiative (GGI, 2023) und Globale KI-Initiative (GKI, 2023)), haben sich jeweils 100+ Länder angeschlossen (z.B. jW 22.2.23), und man arbeitet an Konkretisierungen und Umsetzungsprojekten.

Diplomatie und Kooperation sind wieder möglich und haben die Welt ergriffen. Die „C+C5“-Afghanistan-Aufbaukonferenz der Nachbarländer (einschl. Pakistan) z.B. hat, nachdem der Westen ein Land im posthumanen Albtraum zurückgelassen hatte, schnell mit Nothilfen reagiert und die afghanische Hungersnot abgewendet, die der Krieg des Westen generiert hatte. (Der „feministischen“ Außenpolitikerin Baerbock allerdings waren verhungernde afghanische Mütter gleich.) Nach dem Devisendiebstahl der 9 Mrd.$ afghanischen Zentralbankreserven durch USA und EU wurde auch eine erste Rekapitalisierung vorgenommen, um nach dem westlichen Armageddon humane Mindeststandards wiederherzustellen. Mindestvoraussetzungen für eine künftige Rückführung Afghanistans in die internationale Gemeinschaft. Die Versöhnungsinitiative  Iran—Saudi-Arabien oder die nationale Einigung der 14 palästinischen politischen Organisationen, beide in Beijing abgeschlossen, haben sogar im westlichen Medienkartell einige Aufmerksamkeit erlangt.

Das übergreifende Ziel der meisten dieser diversen Bewegungen in Richtung globaler multipolarer Kooperation, auch inzwischen in Dutzenden internationaler Vereinbarungen festgeschrieben, ist so elementar wie es sich in unseren, mit Sprechblassen überfütterten Ohren zunächst trivial anhört: „Aufbau einer internationalen Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit als Ganzes“ (oder auch „Schicksalsgemeinschaft“). Man hört die Grünen der frühen 80er. Aber statt jahrzehntelanger grüner Sprechblasen und Trockenschwimmens im Politzirkus des Westens, der soeben alle seine Klimaziele 2030/5 beerdigt, bewegt die Idee der „globalen Commons“ heute tatsächlich den „Rest“ der Welt. Eine Welt im Aufbruch.

BRICS+, SCO+, RCEP

BRICS+ (mit Kolumbien nun aktuell 10 Mitglieder) und SCO+ (aktuell 9 Mitglieder) werden absehbar in den nächsten Jahren auf jeweils 20, 30 oder 40 Mitglieder kommen, gemessen an der Zahl der Kandidaten, Antragsteller, Interessierten und Beobachterstaaten. Die globale BRICS+ wird damit absehbar ca. 60% der Weltbevölkerung und ca. 50% des Weltsozialprodukts repräsentieren. Es ist schon jetzt größer als die G7, die immer noch glauben, die Welt kommandieren zu können. Sogar das NATO-Mitglied Türkei hat Aufnahmeantrag in die BRICS gestellt und dabei geäußert, seine Wartezeit für eine Mitgliedschaft in der EU sei abgelaufen.

BRICS verfügt auch bereits über 80% der Welt-Getreideernte, die man sukzessive den  Spekulations-Swaps der Wall Street aus den Händen nehmen wird, die das als reale Deckung ihrer Billiarden an fiktivem Geldkapital braucht für den Fall der nächsten  größeren Überspekulationskrise. BRICS hat nun eine eigene Getreide-Börse geschaffen  gegen die Wall-Street-Ressourcen-Aneignung. Und 160 Länder führen ihr Agrarmonitoring nun mit chinesischer open-access-Software für bessere Saat- und Ernte-Steuerung durch, während die US- und EU-Software den Drittländern den Zugang  zu ihren eigenen Agrardaten verweigert hatten. <1>

Die regionale südostasiatische Freihandelszone Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), gegr. 2020 mit zentraler Beteiligung Chinas, hat Südostasien endgültig zur wirtschaftlich dynamischsten Region der Welt gemacht, sehr zur Überraschung des westlichen Politpersonals, das von seinen Medien wieder nicht richtig informiert worden war. Sie umfasst sogar die traditionellen politisch-militärischen Trabanten der USA im westpazifischen Raum: Japan, Australien, Neuseeland und Philippinen, insgesamt 15 Staaten, darunter die 10 ASEAN-Staaten. Sie repräsentieren 2,2 Mrd. Einwohner, 28% der Weltbevölkerung sowie 30% der Weltwirtschaftsleistung und des Welthandels, die größte Freihandelszone der Welt. RCEP hat die WTO Handelsregeln der Fairness, Rechtssicherheit, Gleichbehandlung, Transparenz und Multilateralität für sich übernommen. Handelsströme werden nun v.a. zu Lasten der EU nach Südostasien umgelenkt. Gegenseitige Währungsanerkennungen, eine Integration mit der BRI und die Nutzung der Asiatischen Infrastruktur-Investitions-Bank AIIB gehören  dazu.

Wirtschafts- und finanzpolitische Vorschriften werden dabei nicht gemacht, und das Bündnis kommt anscheinend gut mit den unterschiedlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemen zurecht, ohne lächerliche gegenseitige Belehrungen.

Handel, Auslandsinvestitionen, Wertschöpfungsketten: Decoupling scheitert

Kein Wunder, dass der Außenhandel, v.a. Chinas, mit dem Westblock tendenziell, und die westliche Wettbewerbsfähigkeit insgesamt, zurückgehen. Zu den Umleitungen der Handelsströme zu Lasten des Westens sind nun aber die westlichen politischen Entkopplungen hinzugekommen, die Sanktionen, Schutzzölle und anderen ausgefeilten („technischen“) Handelshemmnisse, durch die der Westen seine letzten wirtschaftlichen Karten erpresserisch, aber verzweifelt, auszuspielen versucht. Der Handel im „Rest der Welt“ aber steigt.

Allerdings lassen sich die globalen Wertschöpfungsketten nicht einfach durch westliche Politbürokratien verdrehen. Importe Chinas aus dem Westen werden angesichts westlicher sanktionsbedingter Exportbeschränkungen ersetzt durch westliche Produktion in China („Aus China für China“). Westliche Unternehmen produzieren in China nun aber auch für die westlichen Märkte, und für Drittmärkte, wo sie mit originär westlichen Produkten konkurrieren. Auch deutsche Joint Ventures mit chinesischen Firmen machen Sanktionen gegen China unwirksam. <2>

Der Globale Süden wird erstmals in der Geschichte ernsthaft industrialisiert (natürlich nicht durch den Westen) und exportiert nun auch Endprodukte in den Westen. Dazu gehören auch die Länder, in die der Westen seine Unternehmen zum „Friendshoring“ (Investitionsverlagerungen aus China heraus) zwingen will und deren Exporte noch nicht mit westlichen Schutzzöllen belegt sind. Die wiederum decken sich nun mit Zulieferkomponenten aus China ein. <3> Die Abhängigkeit von chinesischen Zulieferprodukten insgesamt steigt unverändert in allen westlichen Ländern, während  die chinesische Abhängigkeit vom Westen sinkt. <4> Auch verlagert China selbst Produktion  in Drittländer, Länder des Globalen Südens, die keinen Sanktionen oder Schutzzöllen unterliegen, aber auch in die EU (Ungarn, Türkei mit EU-Freihandelsabkommen). Das alles macht Sanktionen und Schutzzölle für den Westen zum letzten großen  handelspolitischen Schuss in den Ofen.

Deutsche Auslandinvestitionen in China sind auf Rekordniveau. Sie unterlaufen Sanktionen und politische Entkopplung und nehmen ihre Top-Zulieferer mit, die dort in Produktion und Forschung investieren, und nutzen im weiteren chinesische Zulieferer, bauen komplette Wertschöpfungsketten in China auf und koppeln sich so vom Westen ab. Es entsteht eine autarke deutsche Wirtschaft in China. Und ein Brandbrief von 300 deutschen Unternehmen an die deutsche Regierung (Baerbock) verlangt, die Tätigkeit chinesischer Mitarbeiter in Projekten nicht weiter durch Visaverweigerungen und -verzögerungen zu behindern. <6> Ähnlich machen es Apple, Nvidia und andere, entgegen  den politischen Forderungen aus Washington.

Ent-Dollarisierung

Der nächste BRICS-Gipfel in einigen Tagen im russischen Kasan, an dem wiederum der UN-Generalsekretär teilnimmt, wird die nächsten Stufen der Entthronung des ehemaligen Weltbeherrschers forcieren: Mittelfristig wird es ein BRICS Währungssystem geben, mit einer e-Währung (namens „SUR“ = „Süden“). Vom politisierten SWIFT-Zahlungssystem des Westens hat man sich bereits verabschiedet, das alternative CIPS-Zahlungssystem funktioniert. Die Zentralbanken von BRICS und  anderen nutzen das e-Verrechnungssystem mBridge, Dutzende bilateraler Währungs Swap-Abkommen zwischen den Mitgliedern von BRICS und darüber hinaus anerkennen ihre Währungen gegenseitig. Das gesamte neue Währungssystem ist abgesichert über die Blockchain-Technologie, also nicht mehr hackbar, nicht mehr politisch von außen störbar.

Als Transaktionseinheit für den Handel verliert der Dollar allmählich an Bedeutung. Zunehmende Teile des Welthandels werden in nationalen/regionalen Währungen fakturiert (Yuan, Rubel, Rupie, Riyal, Rial, Real …). Spektakulärstes Ereignis war in diesem Zusammenhang das Ende des Petrodollar Mitte dieses Jahres: Saudi-Arabien hat das Agreement mit den USA nach 50 Jahren nicht mehr verlängert.

Als Reserve-(Spekulations-)Einheit, trotz der langanhaltenden Zins-Rallye der Fed, um alles vagabundierende Kapital der Welt an die Wall Street zu ziehen, dankt der Dollar ebenfalls allmählich ab: Nur noch ca. 55% der Weltreserven (2023) werden in Dollar gehalten (2001 waren es noch 73%). <7> Das Vertrauen in den Dollar ist gleich mehrfach zerstört worden, z.B. durch den Diebstahl durch USA und EU von ca. 300 Mrd.$ russischer und der 9 Mrd.$ afghanischer Zentralbankreserven, durch die allmählich beängstigende US-Staatsverschuldung (36 Bio.$). Die Zentralbanken weltweit legen ihre Reserven nun verstärkt in Gold an oder eben in gegenseitigen Vertrauenswährungen. China, das lange Zeit fast 2 Bio.$ an US-Staatsbonds gehalten hat, geht langsam aber sicher auch aus den US-Staatsanleihen raus und halbierte den Bestand zwischen 2013 und 2024. Schließlich wird berechnet, dass die US-Banken als indirekten Effekt der Entdollarisierung Wertverluste von 500 Mrd.$ zu verbuchen haben. <8>

Neue Seidenstraßen

Die BRI-Programme, -Planungen und -Projekte werden nicht nur für die beteiligten regionalen Ländergruppen in regelmäßigen internationalen Foren transparent begleitet sondern international unter Beteiligung auch US-amerikanischer Universitäten und Forschungsinstitute analysiert und evaluiert, der größte, umfassendste und bestanalysierte und begleitete Projektverbund der Welt. Das Finanzierungspotential  beträgt 15-20 Bio.$, über mehr als einem Dutzend Entwicklungsbanken „gehebelt“. Seit 2000 wurden insgesamt über 840 Mrd.$ in 165 Ländern und insgesamt 13.400  Infrastruktur-Projekten investiert. <9> Mit Fondsbeständen sind insgesamt mehr als 5 Bio.$ investiert oder investierbar bereitgestellt worden. Große BRI-Projekte sind in UN Unterorganisationen integriert. Man leistet sich auch einen Internationalen Beirat, der u.a. aus westlichen Ex-Ministerpräsidenten besteht und jährlich tagt. Ziel ist gemeinsame Entwicklung und gemeinsamer Wohlstand. Die Formen sind Staatsverträge, wovon bereits über 230 mit 150 Ländern abgeschlossen wurden (die  75% der Weltbevölkerung repräsentieren), bei der UN hinterlegt. Inhaltlicher Schwerpunkt sind Infrastruktur-Investitionen, heute v.a. in der Perspektive der „Grünen Seidenstraßen“, mit Ökofonds-Begleitung und dem Transport-Schwerpunkt Bahn.

Die Alternativ-Banken zu IWF/WB sind v.a. die AIIB (mit westlicher Beteiligung), die BRICS-Bank, Ex-Im-Bank und die China-Development Bank. Sie geben günstigere und flexiblere Kredite als IWF/WB, und zwar ohne politische Bedingungen, bieten dem  Globalen Süden daher heute eine Wahlmöglichkeit und somit eine neue Souveränität.

Schuldenerlasse und Umschuldungen hat China allein wegen „Corona“ 2020 mit 70 Ländern abgeschlossen, und allein 2021 Rettungskredite i.H.v. 250 Mrd.$ für 22 Länder vergeben. Die BRI hat damit einen höheren Schuldenerlass geboten als G7 und G20. Die BRI stellt heute die „größte Quelle der internationalen Entwicklungsfinanzierung“ dar. <10> Und: „Den Schulden stehen höhere geschaffene Vermögenswerte der Zielländer gegenüber. <11> Und die „erbauten Infrastruktur-Werte werden unterschätzt“. <12> Es gibt  „keine Schuldenfallen“ <13>, und China gab mehr Schuldenerlass als die USA und die WB. “China has not taken draconian action against countries unable to repay their Chinese  debt.“ <14> Lateinamerika insbesondere hat übrigens mehr Schulden beim Westen als bei  China. <15>

Der Handel China-Afrika stieg von 11,7 Mrd.$ in 2000 auf 258 Mrd.$ in 2022. 80+% der Beschäftigten in chinesischen Unternehmen und Projekten in Afrika sind lokale Arbeitskräfte. 2/3 machen Aus- und Weiterbildung für Afrikaner, das Führungspersonal ist zu 44% afrikanisch. <16> McKinsey spricht z.B. von der „erstmaligen grundlegenden Industrialisierung Afrikas“ mit „neuen, angepassten Technologien“, die „lokales Kapital entwickeln“. Es werden z.B. günstige Handys in Afrika für afrikanische Bedürfnisse produziert oder günstige E-Dreiräder für Frauen in der Landwirtschaft. <17> Es wird nun generell mit kleineren Projekten gearbeitet, ein „Small is beautiful approach“. <18> Ca. 500.000 Afrikaner studieren in China, und mehr als 200.000 haben schon einen chinesischen Studienabschluss. Chinesische medizinische Teams arbeiten in fast allen afrikanischen Ländern, dazu 2.000 chinesische Agrarexperten, und 100.000 Berufsausbildungen sollen in Afrika bis 2030 durchgeführt werden. <19>

Eine große Mehrheit der Afrikaner sieht einen positiven Einfluss Chinas in Afrika, z.B. weil man „auf Augenhöhe“ miteinander umgeht. <20> A.-W. Asserate (der Neffe v. Haile Selassie) sagt: „China stellt die territoriale Einheit der afrikanischen Länder nicht  infrage, hat nie Soldaten sondern medizinisches Personal geschickt und Befreiungsbewegungen unterstützt … Sie haben das Leben der Afrikaner verbessert, bauen Straßen, Flugplätze, Wasserkraftwerke, Häfen, Mobilfunkanlagen …“ <21>. Oder: „Die Investitionen der Volksrepublik haben es ermöglicht, dass Projekte rechtzeitig und ohne die schwerfällige Bürokratie, die westliche Investitionen in Afrika oft kennzeichnet,  abgeschlossen werden können.“ <22>

McKinsey bezeichnet die BRI insgesamt als die „nächste Phase der Globalisierung“. <23> Es  handle sich um die „ … ambitionierteste Infrastruktur-Investitions-Anstrengung in der Geschichte …“ sagt das World Resources Institute. <24> Der UN-BRI-Report 6-21 sagt: „Die BRI ist eine Säule von Entwicklung, Umweltschutz, Integration und Gerechtigkeit.“

Neue Konnektivitäten: Die Landverbindung

Auf den Zugverbindungen von China nach Westeuropa, einem Teil der BRI, dem hierzulande besonderes Interesse gewidmet wird, sind seit 2008 60.000 Züge gefahren, auf heute 84 Zugstrecken in heute 217 Städte in 25 europäischen Ländern, aus 100 chinesischen Städten kommend. Gut 30% aller dieser Güter kommen im Duisburger Hafen an zur Weiterverteilung über den Rhein. <A>

2011 fuhren erst 17 Züge, 2022 schon 17.000, 2024 über 20.000. Das sind 57 Züge pro Tag, 2,4 Züge pro Stunde. 2014 wurden 25.000 TEU-Container transportiert, 2017 145.000, 2022 schon 1,86 Mio., und der Zuwachs in 2023 beträgt noch einmal über 30%, auf über 2,4 Mio. Die Bahn ersetzt Flugzeug und Dieselschiff und ist überwiegend elektrifiziert. Inzwischen fahren die Züge auch fast voll wieder zurück: Die deutsche Industrie hat sich an die neuen Möglichkeiten angepasst. <25>

Reaktionen des hegemonialen Blocks

Die internationale Hegemonie des Westblocks kollabiert also an vielen Stellen. In den Staaten des Blocks selber wird das angeblich einzig wahre Demokratiemodell von den Eliten selbst zu autoritär-bürokratischen Überwachungs-, Zensur- und Polizeistaaten einer neuartigen Postdemokratie, viele Analytiker sprechen von Protofaschismus, umfunktioniert. Das ruft weiteren Widerstand hervor, hat aber zugleich eine Dimension von Verzweiflung: erkennbarer Hegemonieverlust auch im Innern.

Unter dem Hegemonialsystem hatte es seit den 1980ern keinen relevanten Aufstieg von Nationen mehr gegeben, dafür viele Abstiege (Lateinamerika, Mittel- und Osteuropa, Japan …), v.a. von Entwicklungsländern, die in die „Middle-Income Trap“ geführt wurden: Hegemon-hörige korrupte Eliten, v.a. in Lateinamerika, hatten nach den ersten Wohlstandssteigerungen den ersten Reichtum nach oben umverteilt, an die Wall Street verbracht, Realinvestitionen und Produktivitätssteigerungen im eigenen Land vergessen und beim zwangsläufigen Rückfall des Landes das Entwicklungskonzept wieder auf Abstieg und verschärfte Rohstoffausbeutung zurückgedreht. <26> Einzige Ausnahme war im Wesentlichen China und Teile Südostasiens („kleine Tigerstaaten“).

Die Reaktion des Hegemonialsystems auf Chinas Aufstieg und den eigenen Abstieg und Hegemonieverlust, auch in der Technologie, bei diplomatischer Initiative, Kultur und Reputation, sowie auf den Kontrollverlust über Eurasien, war nicht, was sie in ihren Lehrbüchern des „freien Wettbewerbs“ schreiben: Die eigene Strategie überdenken und anpassen. Sie gehen offenbar lieber mit ihren Maschinengewehren rüber zum  Headquarter der Konkurrenz, die Marktanteile gewonnen hat, und wollen es zusammenschießen.

In den letzten Jahren wurde ein hierarchischer Westblock zusammengeschweißt mit klarer Unterordnung unter die USA und die NATO. 49 von 200 Ländern der Welt sind in der NATO organisiert, die allerdings nur noch ca. 20% der Weltbevölkerung und noch ca. 35% des Weltsozialprodukts repräsentieren, mit sinkender Tendenz.

Die letzten nicht-militärischen Potenziale und Pfunde sind eingesetzt worden und verpuffen: Wirtschaft und Handel, Währung und Finanzsektor sowie Technologie. Der Halbleiter-Krieg geht soeben verloren. Wirtschaft, Finanzen und Technologie sind im Hybriden Krieg der Dominanz einer Medienoligarchie und eines Parteien-Politkartells unterworfen und als Waffen politisiert worden, was Bloomberg eine „protektionistische Katastrophe“, nennt. <27>

Die Weltwirtschaft wurde in eine „Win-Lose-Globalisierung“ <28> pervertiert. Im Ergebnis soll die Welt in 2 separate Blöcke aufgespalten werden, in der unfassbar unrealistischen Hoffnung, noch der stärkere Block zu sein. Der globale Kooperationsindex sinkt. <29> Zu den Ergebnissen gehören Wachstumsverlust, eine weiterhin unkontrollierte Umwelt- und Klimakrise, Sicherheitsverlust usw. Internationale Auslandsinvestitionen, Wissenschaftsaustausch usw. sinken.

Das Hegemonialsystem besitzt allerdings noch eine gewisse militärische Dominanz in der Welt, zumindest 80-90% aller Militärstützpunkte und noch immer 70-80% aller Militärausgaben. Seine Reaktion ist daher „naturgemäß“ eine militärische. Dies selbst aber ist wiederum ein anderer Ausdruck von Hegemonieverlust: Es „zeigt an, dass sie die kulturell-zivilisatorische Hegemonie bereits verloren haben“. <30>

Kriege werden wohl auch nicht zuletzt entlang der Korridore der Neuen Seidenstraßen geführt: Die eurasische Konnektivität, Integration, Kooperation, gemeinsame  Entwicklung und Infrastrukturverbindungen sollen durch einen Eisernen Vorhang 2.0 verhindert werden. Beispiele sind die Kriege und Farbrevolten in der Kaukasus-Region, in Tschetschenien, Georgien, Armenien, Aserbaidschan. Hier geht es um die Unterbrechung des mittleren Seidenstraßen-Korridors (über Kaspisches und Schwarzes  Meer; s. Grafik oben). <31> Sodann geht es um die Ukraine, um Moldau und Transnistrien, die Verhinderung der ursprünglich geplanten Nord-Süd-Spange Moskau—Budapest, die durch die Ukraine gelaufen wäre (s. Grafik unten). Der Unterbrechung des Süd-Korridors dienten die Farbenrevolutionen in Kasachstan und Georgien und der Krieg um Aserbaidschan und Armenien. Auch der Krieg im Nahen Osten zerstört die traditionelle  südliche Trasse der Seidenstraßen, die schon in der Antike in den syrischen  Mittelmeerhäfen endete und dann übers Meer nach Europa weiterführte. Der Eiserne Vorhang 2.0 in Osteuropa dürfte die Nord-Route über Polen in die EU zerstören. <32>

Die Zerstörung der eurasischen Kooperation für viele Generationen durch einen Eisernen Vorhang 2.0 ist Washington mit seinen Helfershelfern in Berlin und Brüssel bereits gelungen. Sie folgt konsequent der angelsächsischen Heartland-Konzeption (J. McKinder, 1904): Wer Eurasien beherrscht, beherrscht die Welt. Da UK/US als maritime Mächte Eurasien nicht beherrschen können, ist jegliche eurasische Kooperation zu zerstören. Namentlich der kapitalistische Hauptkonkurrent Deutschland und der systemische und rassische Erzfeind Russland sind voneinander abzuspalten, da ihre komplementäre Kooperation für die angelsächsischen Mächte eine unüberwindbare ökonomische Stärke bedeuten würde. Seitdem ist die angelsächsische geostrategische Richtlinie Nr. 1: Verhindere jegliche Deutsch-Russische Kooperation. Wie der erste NATO-Generalsekretär Lord Ismay 1949 sagte: „NATO-Ziel ist es, die USA drin zu halten, Russland rauszuhalten, und Deutschland unten zu halten.“ 2024: Mission Completed!

Next stop is … Taiwan. Und damit China und das Südchinesische Meer. Regionale Konflikte um Inseln und Atolle (Nansha/Spratly, Xisha/Paracel u.a.), sollen ausgenutzt und eskaliert werden. Neben der Taiwan-Straße stehen die Malakka-Straße und im Weiteren die Straße von Hormus, die Jemen-Straße und der Suez-Kanal im Fadenkreuz. Durch die Malakka-Straße allein gehen 80% des chinesischen Meereshandels, aber nur 2% des US-Meereshandels. Die USA reklamieren für die permanenten ganzjährigen US und NATO+-Manöver vor den chinesischen Küsten, die „Freiheit d. Navigation“, die allerdings nicht eine Freiheit für Marinemanöver vor fremden Küsten beinhaltet. Die USA  haben zudem die Internationale Seerechtskonvention, auf die sie sich verbal beziehen, nie unterzeichnet.

Regionale Konfliktlösungen gegen Einmischungen von außen sind vielfältig auf dem Weg, etwa bilaterale Verhandlungen zwischen China und Indien über ihren Grenzkonflikt. China und Vietnam sind eine neue strategische Partnerschaft eingegangen. China und Indonesien kooperieren, China und Thailand führen gemeinsame Militärübungen durch, Myanmar, Laos, Thailand, Singapur, Kambodscha, Malaysia oder Brunei sind Kooperationspartner der BRI mit neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken. Mit Pazifik-Inselstaaten (Salomonen, Nauru …) hat China Abkommen geschlossen. Der ASEAN-Generalsekretär hat jüngst klar gemacht, dass ASEAN regional, multilateral und neutral bleiben und seine Konflikte in der Region  aushandeln will. <33>

Aber 10km vor der festlandchinesischen Küste haben die USA jüngst auf einem weit entfernt gelegenen Außenposten Taiwans Green-Berets Elitetruppen und Raketen stationiert, eine neue maximale Provokation Chinas. Auf den Philippinen wurden aktuell 4 neue US-Militärbasen mit neuen Mittelstreckenraketen errichtet. 250 US-Militärbasen existieren bereits um China herum, auf der sogenannten „ersten Inselkette“, 120 in Japan, 75 in Südkorea usw. <34>

Die ehemalige einzige Weltmacht hat es im Hegemonialsystem gut eingerichtet: Sie hat Eurasien langfristig gespalten und ihren Vasallen in der EU die Risiken und Kostenübernahmen (Finanzierung des Ukrainekrieges, Aufnahme von Kriegsflüchtlingen) sowie die Rolle als Schauplatz des Dritten Weltkrieges zugewiesen. Und auf diese Rolle als Zentrum des nächsten Atomkriegs sind die Berliner und  Brüsseler Diener Washingtons stolz!

Wird der Weg in eine produktive Multipolarität, in eine neue Souveränität der Länder des Globalen Südens, in ein neues friedlicheres Verhältnis der Länder der Erde, untergehen  in immer mehr regionalen Kriegen (next stop Iran), in dem großen Krieg gegen China und Russland, alle mit dem Potential zum atomaren Weltkrieg? Wir müssen auf die Reste  menschlicher Empfindungen bei den Eliten des Imperialsystems setzen, auf deren Angst vor dem eigenen Untergang (der allerdings durch neue Todeskulte überwunden werden  soll) sowie auf eine Restrationalität bei Kapitalbossen und Top-Militärs, die lieber leben, einige Macht behalten und einige Profite machen wollen, als auf die Gefahr des  Untergangs die Nummer eins zu sein. Die Welt würde eine lebendigere werden können. Bis dahin müssen friedliebende Menschen auf den Straßen dominieren.

Quellen
<1> Z.B. South China Morning Post 28.11.23.

<2> Z.B. G. Steingart, Pioneer Briefing 8.7.24.

<3> Z.B. Global Development Policy Center GDPC, Boston University (BU), Report 11.6.24.

<4> Z.B. National Bureau of Economic Research 4/24.

<5> Z.B. Merics Report 6/24.

<6> Z.B. Merkur 16.9.24.

<7> Z.B. Bloomberg 4/23.

<8> J. Gaines, BRICS US Banks Face $500B in Losses as De-Dollarization Grows, 5.10.24, https://watcher.guru/news/brics-us-banks-face-500b-in-losses-as-de-dollarization-grows.

<9> Z.B. W&E, Info-Brief 11-12/21.

<10> GDPC/BU 3-22.

<11> GDPC/BU 17.10.23.

<12> GDPC/BU 5.7.23.

<13> GDPC/BU 20.6.23.

<14> GDPC/BU, China-LA Financial Data Base, 29.3.22.

<15> GDPC/BU 1.8.24.

<16> Ofosu/Sarpong, JEI 1/22.

<17> Y. Jia in The East is Red 29.8.24.

<18> GDPC/BU Policy Brief 19.9.23 und 29.8.24.

<19> Chinah Sondernewsletter 11-23.

<20> Z.B. Afrobarometer 2019-2024.

<21> ChinaHirn 18.4.23.

<22> B.N. Omole, Die VR China und Afrika …, uz 1.3.24.

<23> McKinsey 9-19.

<24> Newsletter 22.3.22.

<25> Chinah Newsletter 2-2022 und 5-2023, S. 6; C. Hinne, Duisburg, Interview in ChinaHirn 14.5.22; M. Whitney, War Fever: Why China Should Prepare for the Worst, GlobalResearch 6.10.23.

<26> A.A. Marquetti, A. Miebach, H. Morrone, Unequal Development and Capitalism. Catching Up and Falling Behind in the Global Economy, London, NY, Routledge, 2024; M. Roberts, Catching up and falling behind, Brave New Europe 17.7.24.

<27> Bloomberg 8.4.24.

<28> S. Mariotti, Win-lose globalization and the weaponization of economic policies by nation-states, Critical Perspectives on International Business 16.7.24.

<29> McKinsey/WEF 2/24.

<30> S. Kebir, Die globale Hegemonie des Westens wackelt, uz 10.4.24, S.13.

<31> SCMP 24.11.23.

<32> M. Whitney, War Fever: Why China Should Prepare for the Worst, GlobalResearch 6.10.23.

<33> Die Multipolare Welt, Substack 5.8.24.

<34> Aljazeera.com/ 10.9.21.

<A> https://www.newsilkroaddiscovery.com/china-europe-freight-trains-in-2022-16000-trips-and-1-6-million teus-a-year-on-year-increase-of-9-and-10/

https://apolut.net/global-change-von-wolfram-elsner/


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