Entnommen: https://linkezeitung.de/2022/05/18/der-krieg-in-der-ukraine-und-wir/
Der Krieg in
der Ukraine und wir
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 18. MAI 2022
von
Klaus Hartmann – http://www.freidenker.org
Von Anbeginn ist die Freidenkerbewegung für ihre
entschiedene Kriegsgegnerschaft bekannt, und wir sind stolz auf die
Friedensnobelpreisträgerin aus unseren Reihen, Bertha von
Suttner, mit dem Vermächtnis „Die Waffen nieder!“, Titel ihres
1889 erschienenen Romans. Die Ablehnung des imperialistischen
Krieges kennzeichnet die Aktivitäten der Freidenker während
des 1. Weltkriegs, in der Novemberrevolution und der Weimarer
Republik, im Kampf gegen die Gefahr des Hitler-Faschismus und im
antifaschistischen Widerstand. Nach der Befreiung vom Faschismus
und bis heute ist für uns die Losung „Nie wieder Krieg, nie wieder
Faschismus“ Verpflichtung und Richtschnur unserer
Aktivitäten.
Diese Losungen und Handlungsmaximen waren und
sind für uns nie abstrakte moralische Postulate, die über der
konkreten geschichtlichen Realität schweben, sondern sie müssen und
können nur in der jeweils gegeben gesellschaftlichen Wirklichkeit,
im Klassenkampf, wirksam werden.
Wir wären niemals auf die
Idee gekommen, „Die Waffen nieder!“ den Verteidigern von
Leningrad oder den Sowjetsoldaten in der Schlacht um Stalingrad
zuzurufen, weil dies nichts weniger als eine Sabotage des
antifaschistischen Befreiungskampfes bedeutet hätte.
Gleichermaßen waren wir solidarisch mit dem Vietcong im Kampf gegen
die US-Invasoren, mit den Kämpfern gegen die NATO-Aggression gegen
Jugoslawien, dem palästinensischen und dem irakischen Widerstand
und mit den Verteidigern des freien Syriens.
Wann
begann dieser Krieg?
Die Antwort klingt aus den
„Qualtitätsmedien“, den Reden von Politikern und selbst von
Stimmen aus der Friedensbewegung so übereinstimmend, dass die Frage
zu stellen allein schon vielen befremdlich vorkommt. „Der von
Russland am 24.2.2022 begonnene völkerrechtwidrige Krieg gegen die
Ukraine weitet sich aus.“[1] Das scheint Konsens und wird selten
hinterfragt. Aber so einfach die Antwort klingt – es ist die
Unwahrheit.
Warum in aller Welt spricht der Freidenkerverband
seit Jahren über den Krieg in der Ukraine, protestiert gegen ihn,
unterstützt die Solidarität mit der betroffenen Bevölkerung?
Der neugewählte Vorsitzende Sebastian Bahlo sprach im Juni 2021
im Interview über die „die gesteigerte Aggressivität der
Imperialisten (…), die dem Schwinden ihrer Einflusssphären nicht
kampflos zusehen wollen. NATO-Osterweiterung, Krieg in der
Ukraine, Sanktionen gegen Russland und Weißrussland, Provokationen
im Südchinesischen Meer zeigen die Richtung an.“
In
seinem Rechenschaftsbericht an den Verbandstag sagte Sebastian: „Wie
wir heute klar sehen können, hatte die NATO nie einen anderen
Daseinszweck als den Krieg gegen Rußland vorzubereiten. Als der
vorgebliche Feind in Gestalt der Kommunisten abgetreten war, ging es
für die NATO erst richtig los. Angriffskrieg gegen Jugoslawien,
Osterweiterung. Die Länder an der sowjetischen Westgrenze, die
in der Operation Barbarossa mit Deutschland verbündet waren, sind
heute (mit der wichtigen Ausnahme Finnlands) NATO-Mitglieder. Die
Grenze zwischen dem NATO-Mitglied Polen und Weißrußland entspricht
fast exakt der Demarkationslinie, welche die deutsche Heeresgruppe
Mitte vor achtzig Jahren bei ihrer Invasion übertrat. In der Ukraine
ist der Krieg schon heiß.
Schuld sind weder Rußland noch so
genannte ‚prorussische Separatisten‘. Das
Auseinanderbrechen der Ukraine wurde ohne Not durch den Kiewer
Staatsstreich vom Februar 2014 in Kauf genommen, instruiert,
finanziert, politisch-diplomatisch unterstützt von den
NATO-Ländern. Das Donezkbecken wird mit NATO-Waffen angegriffen,
diese Woche provozierte ein britisches Kriegsschiff im Schwarzen
Meer.“[2]
Bei einer Veranstaltung der Türkischen
Kommunistischen Partei sagte ich am 09.05.2015 in Berlin: „70 Jahre
nach der Befreiung erleben wir, wie der Imperialismus wieder ein
faschistisch durchsetztes Regime, diesmal in Kiew, an die Macht
bringt und sich mit ihm militärisch verbündet. ‚Krieg gegen das
eigene Volk‘, in anderen Ländern ein Kriegsgrund für den
Imperialismus, wird gegen die Bevölkerung des Donbass
akzeptiert, mit Waffenlieferungen, Militärausbildern und Söldnern
unterstützt. Ob brennende Gewerkschaftshäuser oder
Menschenjagden, politische Morde in Serie und die Verfolgung
kommunistischer und antifaschistischer Organisationen –
alles scheint den verbündeten Faschisten in Kiew durch die
‚westliche Wertegemeinschaft‘ erlaubt.“
2015, vor
sieben Jahren, beschloss der Vorstand des Freidenkerverbandes
eine Resolution zum Tag des Sieges: „Nie wieder Faschismus,
nie wieder Krieg! Dies bedeutet 2015 vor allem:
Schluss mit
den Sanktionen, Verständigung statt Konfrontation mit
Russland!
Keine Unterstützung, Steuergelder und Waffen für die
profaschistischen Machthaber in Kiew!
Solidarität mit den
Antifaschistinnen und Antifaschisten in der Ukraine!“
Bei
unserer Konferenz „1914/2014 – Der ‚Westen‘ und Russland“
im September 2014 in Berlin zitierte ich den Altkanzler Helmut
Schmidt: Der „Versuch der EU-Kommission, die Ukraine anzugliedern
(ist) Größenwahn, wir haben dort nichts zu suchen. (…) Aber die
Gefahr, dass sich die Situation verschärft wie im August 1914,
wächst von Tag zu Tag.“[3]
Im Kontrast dazu den damaligen
US-Präsidenten Barack Obama: „Wir werden Russlands Besetzung und
Annexion der Krim oder anderer Teile der Ukraine niemals
akzeptieren.“[4]
Am 06. April 2014 haben wir in hoher
Auflage ein Flugblatt (Bild n.Seite) mit dem Titel „Der Aggressor
heißt NATO“ verteilt, das mit den Worten beginnt:
„Seit
dem Staatsstreich in der Ukraine vom 22. Februar 2014 und
insbesondere im Zuge der Entwicklungen auf der Schwarzmeerhalbinsel
Krim hat in den USA, den NATO- und EU-Ländern eine politisch-mediale
Kampagne Fahrt aufgenommen, die Russland und insbesondere den
russischen Präsidenten Wladimir Putin hysterisch der rücksichtslosen
Großmachtpolitik und des völkerrechtswidrigen ‚Landraubs‘
bezichtigt. Seitens der führenden NATO-Regierungen wird die
Eingliederung der Krim in die Russische Föderation als
‚völkerrechtswidrige Annexion‘ gebrandmarkt.
Mit
dieser Kampagne soll der tatsächliche Charakter der Krise um die
Ukraine als eines anti-russischen Manövers verschleiert und weitere
feindliche Akte gegenüber der Russischen Föderation
psychologisch vorbereitet werden.“
Da die aktuellen Vorwürfe
den von vor acht Jahren entsprechen, zitiere ich etwas ausführlicher
aus unserer Erklärung. Zur behaupteten Völkerrechtswidrigkeit
schrieben wir:
„Souveränität der Ukraine
durch NATO-inspirierten Putsch verletzt
Die Argumente,
mit denen Russland Völkerrechtsbruch nachgewiesen werden soll,
gehen abstrakt von der Prämisse aus, dass Russland aus heiterem
Himmel ein Stück eines souveränen Staats abgetrennt hätte. Was
dagegen wirklich in der Ukraine geschehen war: durch einen
gewalttätigen Putsch wurde die rechtmäßig gebildete und
international anerkannte Regierung in Kiew gestürzt. NATO-treue
Kräfte unterstützten diesen Gewaltakt über verschiedene
Kanäle.
Der so genannte ‚Übergangs-Regierungschef‘
Arsenij Jazenjuk ist ein notorischer NATO-Kollaborateur.
Dies
stellte eine verdeckte NATO-Aggression gegen die Ukraine dar.
Sofort zeigte sich, dass die Putschregierung über große Teile des
Landes keine Kontrolle hat. Trotzdem wurde sie im Eilverfahren von
den USA, den NATO- und EU-Staaten als legitime Vertretung der
Ukraine anerkannt. Die Souveränität und territoriale Integrität
der Ukraine wurde durch die NATO-Regierungen verletzt.
Denn es
waren die USA, die NATO und die EU, die dadurch faktisch einen Teil
der Ukraine unter ihren Einfluss brachten, unter Bruch des
Völkerrechts und der ukrainischen Verfassung. Die sogenannte
‚Übergangsregierung‘ in Kiew wurde von niemandem gewählt,
sondern mit ungesetzlichen gewalttätigen Mitteln an die Stelle
der alten Staatsführung gesetzt. Schon schließt die EU mit den
Putschisten den ersten Teil eines Assoziierungsabkommens, einen
völkerrechtlichen Vertrag, der sogar die ‚Integration‘ der
Ukraine in die militärischen EU-Strukturen beinhaltet.
Und
das, obwohl andere Landesteile noch von den bisherigen legitimen
Staatsorganen kontrolliert werden. Dies ist nichts anderes als eine
faktische Abtrennung der Westukraine durch die genannten westlichen
Länder. Sie sind es, die in Wahrheit ‚Fakten schaffen‘, ein
Vorwurf, den sie unentwegt an Russland richten.
Unter diesen
Umständen kann man bei der Eingliederung der Krim in die Russische
Föderation nicht von einer Annexion sprechen. Sie stellt den
freiwilligen Beitritt des verbliebenen souveränen Teils der Ukraine
zu Russland dar. Denn die Krim war der einzige Landesteil, in dem
nach dem Putsch noch unumschränkt die verfassungsmäßige Ordnung
herrschte. Da sowohl die Bevölkerung der Krim als auch die
strategischen Interessen Russlands im schwarzen Meer durch die Kiewer
Ereignisse bedroht wurden, war schnelles Handeln geboten.“
In
den Jahren seit 2014 sind im Freidenker und auf unserer Webseite
ungezählte Beiträge zum Krieg in der Ukraine erschienen, wir haben
Petionen gegen die antirussischen Sanktionen unterstützt, Interviews
gegeben, einen Offenen Brief an Kanzlerin Merkel geschrieben,
veranstalteten Konferenzen zum Thema und waren an vielen
Antikriegsprotesten beteiligt.
Da wir uns nicht gegen
eine Fata Morgana engagiert, nicht ein Phantom bekämpft haben,
bleibt nur ein realistischer Schluss: Der Krieg in der Ukraine dauert
seit 2014 an!
Daraus folgen freilich weitere Fragen: Warum
steht der Krieg erst seit Februar 2022 im Mittelpunkt aller
Medien-Berichte und Politiker-Erklärungen? Gab es in dem schon
acht Jahre dauernden Krieg keine Opfer? Als Randbemerkung, meist im
letzten Satz, konnte man in den vergangenen Jahren immer wieder
lesen: „UN-Schätzungen zufolge kamen in dem Konflikt bereits mehr
als 13.000 Menschen ums Leben.“ (ard-tagesschau,
27.10.2021)[5]
Doch in die Schlagzeilen oder gar
Sondersendungen brachten es diese Toten nie. Waren es die
„falschen Opfer“? Weil sie es mit dem „Feind“ hielten, statt
mit „uns“, der NATO, dem „Wertewesten“? Das wäre, das ist
eine heuchlerische Doppelmoral und das Gegenteil von Humanität.
Wie
steht es um das Völkerrecht?
Art. 2 Nr. 4 der
UN-Charta verbietet den Gebrauch und die Androhung militärischer
Gewalt: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen
Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die
politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit
den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder
Anwendung von Gewalt.“
Die Ausnahme von der Regel steht in
Artikel 51: „Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines
bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen
keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven
Selbstverteidigung, bis der Sichereitsrat die zur Wahrung des
Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen
Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung
dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat
sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf
dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen
zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des
Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für
erforderlich hält.“
Man kann das auch so zusammenfassen:
„Es gibt eben nach dem Völkerrecht keine guten und bösen Kriege,
sondern nur verbotene Angriffs- und erlaubte Verteidigungskriege.“
„Es gibt eben generell ein Selbstverteidigungsrecht
überfallener Länder.“ Das sind die Worte von – Gregor Gysi![6]
Allerdings stehen sie in seinem Brief, in dem er die Kritik einiger
linkerer Linken an der Erklärung der Partei- und Fraktionsspitze zu
ihrem Abstimmungsverhalten im Bundestag zu Waffenlieferungen an
die Ukraine kritisiert.
Aber die Parteistreitereien beiseite,
ist genau dies der Punkt, um den es geht: Verstößt das
Eingreifen Russlands in den Krieg gegen das Gewaltverbot und gegen
die Souveränität der Ukraine, oder handelt es sich um die
Wahrnehmung des auch den Volksrepubliken Donezk und Lugansk
zustehenden Selbstverteidigungsrechts?
Präsident
Putins Begründung
„Wir sehen, dass die Kräfte, die
2014 den Staatsstreich in der Ukraine inszeniert haben, die Macht
ergriffen haben, sie mit der Hilfe dekorativer Wahlverfahren behalten
und den Weg einer friedlichen Konfliktlösung verlassen haben.
Acht Jahre lang, acht endlose Jahre lang haben wir alles Mögliche
getan, um die Situation mit friedlichen politischen Mitteln zu
regeln. Alles war vergeblich.
Wie ich bereits in meiner
letzten Rede sagte, kann man nicht ohne Mitgefühl auf das schauen,
was dort geschieht. Es ist unmöglich geworden, es zu
tolerieren. Wir müssen diese Gräueltaten, diesen Völkermord
an Millionen von Menschen, die dort leben und die ihre Hoffnungen auf
Russland, auf uns alle gesetzt haben, beenden. Ihre Hoffnungen, die
Gefühle und der Schmerz dieser Menschen waren die Hauptmotivation
für unsere Entscheidung, die Unabhängigkeit der
Volksrepubliken in Donbass anzuerkennen.
Ich möchte
zusätzlich Folgendes betonen. Die führenden Nato-Länder
unterstützen zum Erreichen ihrer eigenen Ziele extreme Nationalisten
und Neonazis in der Ukraine, die ihrerseits den Bewohnern der Krim
und Sewastopols ihre freie Entscheidung für die Wiedervereinigung
mit Russland nie verzeihen werden.
Sie werden zweifellos
versuchen, auf der Krim einen Krieg zu provozieren, wie sie es im
Donbass getan haben, um unschuldige Menschen zu töten, wie es die
Mitglieder der Strafeinheiten der ukrainischen Nationalisten,
Hitlers Komplizen im Großen Vaterländischen Krieg, getan
haben. Sie erheben auch unverhohlen Anspruch auf eine ganze Reihe
anderer russischer Gebiete.
Betrachtet man die Abfolge der
Ereignisse und die eingehenden Berichte, so ist der Showdown zwischen
Russland und diesen Kräften nicht zu vermeiden. Es ist nur eine
Frage der Zeit. Sie bereiten sich vor und warten auf den richtigen
Moment. Sie sind sogar so weit gegangen, dass sie den Erwerb von
Atomwaffen anstreben. Das werden wir nicht zulassen. (…)
Man
hat uns einfach keine andere Möglichkeit gelassen, Russland und
unser Volk zu verteidigen, als die, zu der wir heute greifen müssen.
Die Umstände verlangen von uns entschlossenes und sofortiges
Handeln. Die Volksrepubliken des Donbass haben Russland um Hilfe
gebeten.
In diesem Zusammenhang habe ich, gemäß Kapitel 7
Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen, mit der Zustimmung des
russischen Föderationsrates und in Umsetzung der von der Föderalen
Versammlung am 22. Februar dieses Jahres ratifizierten Verträge über
Freundschaft und gegenseitigen Beistand mit der Volksrepublik Donezk
und der Volksrepublik Lugansk, die Entscheidung getroffen,
eine Sonder-Militäroperation durchzuführen.
Ihr Ziel
ist der Schutz der Menschen, die seit acht Jahren Misshandlung und
Genozid ausgesetzt sind. Und zu diesem Zweck werden wir uns um
die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine bemühen und
diejenigen vor Gericht stellen, die zahlreiche blutige Verbrechen
gegen die Zivilbevölkerung, einschließlich der Bürger der
Russischen Föderation, begangen haben.“[7]
Völkerrechtswidrig
– ja oder nein?
Die entscheidende Frage zur
Beurteilung lautet: Kommt den Volksrepubliken Donezk und Lugansk das
Recht auf Eigenständigkeit zu, wie es die Russische Föderation am
22.02.2022 anerkannt hat, oder sind sie weiterhin als Teile der
Ukraine anzusehen?
Dazu müssen wir ins Jahr 2014
zurückblicken, auf den sogenannten „Euro-Maidan“. Am
21.02.2014 hatten Präsident Janukowitsch und Vertreter der
Opposition die Übereinkunft für eine friedliche Lösung der Krise
unterzeichnet (u. a. mit vorgezogenen Wahlen im Dezember 2014).
Bundesaußenminister Steinmeier sowie seine polnischen und
französischen Kollegen Radoslaw Sikorski und Laurent Fabius
garantierten die Einhaltung des Kompromisspapiers. Janukowitsch
hielt sich an die Vereinbarung, die Polizei wurde von den Straßen
abgezogen.
Tags zuvor hatten Scharfschützen auf den Maidan
gefeuert, eine Kommission unter Leitung eines Staatsanwalts der
nationalistischen Swoboda-Partei schanzte alle Schuld an dem Massaker
den Berkut-Polizeieinheiten der Regierung zu. Das wurde in den
Westmedien begierig nacherzählt. Jedoch befand sich das
Konservatorium, von dessen Dach gefeuert wurde, an jenem Tag unter
Kontrolle von Maidan-Einheiten, deren Einsatz die Nazi-Parteigründers
Andrij Parubij und Dmytro Jarosch, Chef der Einheit „Rechter
Sektor“, kontrollierten. Von den ca. 80 Erschossenen waren auch 20
Berkut-Polizisten.[8]
„Die Demonstranten auf dem Maidan aber
lehnen das Abkommen ab“ und „Janukowitsch flieht in der
Nacht in die Ostukraine“, geht die Erzählung
weiter.[9]
Steinmeier wollte von dem tags zuvor ausgehandelten
Abkommen nichts mehr wissen und rechtfertigte den Putsch damit, dass
der damalige Präsident Wiktor Janukowitsch „geflohen” und
daher ein Staatsnotstand ausgebrochen wäre. Tatsächlich hatte
Janukowitsch Kiew verlassen, um bei einem Parteitag seiner „Partei
der Regionen” im ost-ukrainischen Charkow zu sprechen. Am 22.02.14
stürmte der „Rechte Sektor” Regierungsviertel und
Parlament. Parlamentarier wurden verprügelt und unter Druck gesetzt,
um Präsident Janukowitsch abzuwählen – was in der ukrainischen
Verfassung nicht vorgesehen ist.
Dem Maidan-Putsch unter
dominierender Mitwirkung der extremen Rechten folgte die Einsetzung
einer nicht verfassungsmäßigen Regierung, die Rehabilitierung
faschistischer Verbrecher und eine Zwangsukrainisierung auf
sprachlicher Ebene. Sie hoben das Gesetz auf, das den Status der
russischen Sprache im Osten und Süden des Landes garantierte.[10]
Russisch verlor seinen Status als Amtssprache und durfte fortan weder
in der Verwaltung noch im Bildungswesen verwendet werden. Kinder
mussten nun in Ukrainisch unterrichtet werden, auch wenn deren
Eltern diese Sprache nicht beherrschten.
Volksaufstand
gegen „Euro-Maidan“ – Putschisten reagieren mit Gewalt
Der
entfesselte extreme Nationalismus und die Diskriminierung der
russischsprachigen Bevölkerung führten zu einer gerechten Empörung
im Osten der Ukraine. Es kam am 1.und 2. März 2014 in den östlichen
Landesteilen zu Protesten und zum Volksaufstand, der über die
Besetzung lokaler und regionaler Regierungsgebäude schließlich zur
Proklamation der Unabhängigkeit von den Kiewer Zentralbehörden
führte. Das illegale, durch Staatsstreich an die Macht gelangte
Kiewer Regime sollte keine Regierungsgewalt über den Donbass
erlangen.
Gegen die zunehmende rassistische Hetze des
Maidan-Regimes gegen alles Russische setzten die so Bedrohten eine
authentische antifaschistische Volksrevolution. Am 7.April 2014
wurden in Donezk und am 27. April 2014 in Lugansk Volksrepubliken
ausgerufen.
Kiew suchte nicht nach einer politischen Lösung
für die legitime Unzufriedenheit eines Teils seiner Bevölkerung im
Osten, sondern rief eine „Anti-Terror-Operation“ aus und wollte
die militärische Entscheidung, womit im April 2014 der Bürgerkrieg
begann. Gegen die Volksmilizen der „Separatisten“ wurden
insbesondere Neonazi-Bataillone an die Front geschickt, die
ungestraft Übergriffe begingen. Darüber wurde, längst vergessen,
sogar „bei uns“ berichtet: „Schmutziger Kampf in der Ukraine:
Neonazis im Dienst der Regierung“.[11]
In Odessa haben
Nationalisten am 2. Mai 2014 im Gewerkschaftshaus 48 Gegner des
Putsches bei lebendigem Leib verbrannt, niemand wurde
bestraft.
Die gegen das Putsch-Regime aufständischen
ostukrainischen Bürger wurden von der Kiewer Propaganda fortan
„prorussische Separatisten“ genannt, und die Westmedien folgten
breitwillig. Damit soll aus dem Bewusstsein verdrängt werden, dass
hier über 4 Millionen Menschen leben. Mit dieser perfiden Methode
wird die Bevölkerung entmenschlicht, ihre Opfer zählen nicht, sie
sind sozusagen „selbst schuld“.
Was wurde
aus den „Minsker Vereinbarungen“?
Um die Gewalt zu
beenden, wurde am 5. September 2014 in Minsk das Minsker Protokoll
(Minsk-I), unterzeichnet, das einen Waffenstillstand vorsah, Kiew
setzte jedoch seine Angriffe auf den Donbass fort, erlitt aber im
Januar/Februar 2015 eine schwere Niederlage in der Schlacht um
Debalzewo.
Es folgte das Abkommen Minsk II, beteiligt wiederum
Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine, die Donbass
-Republiken unterschrieben über eine Kontaktgruppe
ebenfalls. Ergebnisse: Sofortiger Waffenstillstand, Abzug aller
schweren Waffen, OSZE-Überwachung, und sofort soll ein Dialog
über die Modalitäten der Durchführung regionaler Wahlen, …
ebenso über den künftigen Status dieser Gebiete“
stattfinden.[12]
Das Abkommen sollte dem Bürgerkrieg ein Ende
setzen und die Einheit des Landes bewahren, scheiterte aber an der
Weigerung der ukrainischen Führung, zentrale Punkte des Abkommens
umzusetzen, insbesondere, die Gesetze und Verfassungsänderungen, die
diesen Republiken einen autonomen Status im Rahmen der Ukraine
sichert, in direkten Verhandlungen zwischen der Zentralregierung
und den Vertretern der Donbass-Republiken zu
vereinbaren.
Russland beantragte am 13. Februar 2015 im
UN-Sicherheitsrat eine Resolution, mit der die Minsk
II-Vereinbarungen unterstützt und ihre Umsetzung gefordert wird. Der
Entwurf wurde am 17. Februar 2015 einstimmig als Resolution 2202
(2015) verabschiedet. Damit ist Minsk II geltendes Internationales
Recht!
Von West-Politikern und Medien wurde das Abkommen
jedoch sofort als „Sieg Putins“ kritisiert, da Russland
nicht als Konfliktpartei gebrandmarkt, sondern als
Garantiemacht des Abkommens ebenso wie Frankreich und
Deutschland anerkannt wurde.[13] In der Folge, sieben Jahre lang, tat
der Westen nichts, um seinen „Schützling“ Ukraine zur Erfüllung
des Abkommens anzuhalten.
Im Gegenteil und im Widerspruch zu
Minsk II erklärte der Sonderbeauftragte des US-Außenministeriums
für die Ukraine, Kurt Volker am 23.01.2018, „dass die von
Russland geschaffenen DNR- und LNR-Formationen im Donbass
aufgelöst werden sollten, da sie nicht mit der Verfassung der
Ukraine vereinbar seien.“[14]
Selbst der Waffenstillstand
und die Truppenentflechtung entlang der „Kontaktlinie“ waren
nur begrenzt haltbar, allein 2017 registrierte die OSZE über
400.000 Verstöße.[15] Im Verlauf von acht Jahren kamen bis jetzt
über 14.000 Menschen im Dobass ums Leben.
Das letzte
Außenminister-Treffen im „Normandie-Format“ (Deutschland,
Frankreich, Russland, Ukraine), hat am 19.12.2019 stattgefunden,
doch wenige Tage danach relativierte Präsident Selensky wieder
die getroffenen Vereinbarungen zur Umsetzung von Minsk
II.[16]
Am 24.03.2021 erließ er das Dekret Nr. 117 zur
Umsetzung der Entscheidung des Nationalen Sicherheits- und
Verteidigungsrates vom 11.03.2021, „die vorübergehende Besetzung“
der Krim und des Donbass zu beenden.[17] Auch diese definitive
Absage an Minsk II stieß bei den westlichen Garantiemächten auf
kein Wort der Kritik.
Stattdessen gingen Paris und Berlin dazu
über, das Abkommen eigenhändig zu beerdigen: Im Oktober 2021
schlugen sie ein Treffen vor, doch als die russische Seite (29.10.22)
eine gute Vorbereitung und substanzielle Vereinbarungen
verlangte, lehnten sie ab (04. 11.22), weil Russland einen direkten
Dialog zwischen Kiew und dem Donbass forderte.
„Das
allerdings ist einer der zentralen Punkte des Minsker Abkommens. Wenn
Berlin und Paris das nun als unannehmbar bezeichnen, dann beerdigen
sie de facto das Minsker Abkommen.“[18] Am 15.11.22 trafen sich die
Außenminister der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs, um
Russland öffentlich vorzuwerfen, es habe sich „zum
wiederholten Male“ einem Ministertreffen im Normandie-Format
verweigert.“ Mit seiner Erwiderung veröffentlichte
Außenminister Lawrow entgegen dilpomatischer Gepflogenheiten
den kompletten Briefwechsel:
„Ich bin sicher, dass Sie die
Notwendigkeit dieses unkonventionellen Schrittes verstehen, denn es
geht darum, der Weltgemeinschaft die Wahrheit darüber zu vermitteln,
wer die völkerrechtlichen Verpflichtungen wie erfüllt, die auf
höchster Ebene vereinbart wurden.“
Vor
einer Offensive gegen den Donbass
Seit dem 12. Februar
2022 gab es eine extreme Zunahme an Explosionen besonders im Gebiet
von Donezk und Lugansk. Der Schweizer General a.D. Jacques Baud: „Das
ist nur bekannt, weil alles von der OSZE-Mission im Donbas
protokolliert wurde. Es handelte sich sicher um den Anfang einer
Offensive gegen den Donbas. Dieses Vorgehen des ukrainischen
Militärs hat im Grunde genommen alles ausgelöst. Zu diesem
Zeitpunkt war für Putin klar, dass die Ukraine eine Offensive gegen
die beiden Republiken durchführen will.“[19] (Wir veröffentlichen
das Interview mit Jacques Baud leicht gekürzt am Ende dieses
Beitrags.)
Arnold Schölzel: „Am 17. Februar begann die
ukrainische Artillerie, die seit acht Jahren Wohngebiete im Donbass
beschießt, die Kanonade auf erheblich entferntere Viertel
auszudehnen. Diese Ausweitung war ohne USA und NATO in der Tat
undenkbar.“[20]
Am 15.02.2022 hat die russische Duma einen
Antrag der Kommunistischen Partei Russlands zur Anerkennung der
Volksrepubliken DVR und LVR mit 351 gegen 16 Stimmen angenommen.
Der Alternativantrag der Mehrheitspartei Einiges Russland, die
Aufforderung zunächst durch die Regierung prüfen zu lasse, wurde
abgelehnt. Die Begründung lautete, dass sich die Ukraine nicht
an die Minsker Vereinbarungen halte. Mit der Anerkennung soll der
Schutz der Einwohner der Republiken vor äußeren Bedrohungen
gewährleistet werden.[21]
Die KPFR erklärte: „Die
eigentliche Ursache der Krise ist, dass die amerikanischen
Marionettenspieler der Kiewer Führung und der Bandera-Banden
beharrlich versuchen, ein Schlachthaus im Donbass zu organisieren.
Zur Verfolgung ihrer geopolitischen Ziele sind sie erneut bereit,
Blutvergießen zu inszenieren. Praktisch alle kampffähigen
Einheiten der ukrainischen Streitkräfte sind an der Grenze zur
DVR und LVR stationiert: 125.000 Soldaten und Offiziere. Schwere
Artillerie und Panzer werden dorthin verlegt. Es wird ständig
Luftaufklärung betrieben. Alles deutet darauf hin, dass eine
offensive Operation gegen die Volksrepubliken Donezk und Lugansk
vorbereitet wird. Die Anerkennung der DVR und der LVR muss die
entschlossene Antwort Russlands auf die Provokationen der USA
sein.“[22]
Die DVR und die LVR, die aufgrund der Referenden
2014 ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, waren sieben Jahre lang
bereit, als Regionen mit Sonderstatus Teil der Ukraine zu sein,
wie es in den Minsker Vereinbarungen festgeschrieben ist. Nach der
Kiewer Abkehr von Minsk II baten am 21. Februar 2022 die Oberhäupter
der Volksrepubliken Donezk und Lugansk, Denis Puschylin und Leonid
Pasetschnik, den russischen Präsidenten Wladimir Putin um die
Anerkennung der Unabhängigkeit der beiden Republiken.[23]
Die
Sezession der Donbass-Republiken ist kein Verstoß gegen das
Völkerrecht, denn dies ist eine innerstaatliche Angelegenheit,
zu der das Internationale Recht naturgemäß nichts sagt.
Sie
verstößt wahrscheinlich gegen die ukrainische Verfassung, doch
diese wurde von den Putschisten suspendiert.
Die russiche
Anerkennung verstößt auch nicht gegen das Völkerrecht, und an die
ukrainische Verfassung ist Russland nicht gebunden.
Nach den
anschließend angenommenen Verträgen über Beistand und
Freundschaft zwischen Russland und den Donbass-Republiken waren
die Bedingungen für die Wahrnehmung des Rechts auf
Selbstverteidigung gem. UN-Charta gegeben.
„Westliche Wertegemeinschaft“
fest an der Seite der Putschisten
„Kurz nach dem
Putsch von 2014, im Jahr 2015, errichteten die Putschisten das so
genannte International Peacekeeping and Security Center,
eine von den USA betriebene Militärbasis im Westen der Ukraine, nahe
der polnischen Grenze, die laut New York Times vom 14. März 2022‚
seit 2015 eine Drehscheibe für westliche Militärs zur
Ausbildung ukrainischer Streitkräfte‘ war.
Die Times fügte
hinzu: ‚Truppen aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien,
Kanada, Polen, Schweden und Dänemark haben dort unter anderem
35.000 Ukrainer im Rahmen eines Projekts namens ‚Operation
Unifier‘ ausgebildet.‘ Das ist die ‚Operation‘, die
darauf abzielte, die Westukraine mit der russischsprachigen
Bevölkerung im Osten und Süden, die den faschistischen Putsch
ablehnte, gewaltsam zu ‚vereinen‘. Zu den von den USA
bezahlten Truppen gehörten die modernen Nachfahren der
privatisierten Blackwater-Truppen von Erik Prince, die während
des Regimewechsel-Kriegs … im Irak Zivilisten abschlachteten und
1,5 Millionen Iraker töteten.“[24]
Am 24.04.2014 antwortete
die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der LINKEN
Abgeordneten Dr. Alexander Neu et al. betr. „Zusammenarbeit
zwischen der Ukraine und der NATO bis Mitte März 2014“:
„…
Die Ukraine hat bisher an fast allen NATO-geführten Operationen
teilgenommen und stellt regelmäßig Kräfte für die schnelle
Eingreiftruppe (NATO Response Force). Um die hierfür notwendige
Interoperabilität der Streitkräfte zu gewährleisten, ist die
Ukraine eng in das Übungsprogramm der NATO eingebunden und nimmt an
Standardisierungsmaßnahmen teil. Ferner nimmt die Ukraine als
Partner der NATO an Formaten wie z. B. dem Euro-Atlantischen
Partnerschaftsrat teil und kann auf eine Vielzahl von
Kooperationsangeboten zugreifen, die allen Partnerstaaten der NATO
offenstehen. […]“[25]
Dem ukrainischen Botschafter Andrij
Melnyk wurden am 27. Februar 2022 im Bundestag stehende Ovationen
entgegengebracht – obwohl oder weil der Nazi-Verehrer am Grab
des ukrainischen Faschisten Bandera in München Blumen
niedergelegt hatte, ist unklar.
Die Bundesregierung
„versprach“ Waffenlieferungen an die Ukraine und will ein
„Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung
auflegen. So ein „Sondervermögen“ hieß früher schlicht
und ergreifend Kriegskredite. Damit hat die Sozialdemokratie
seit 1914 einschlägige Erfahrungen.
Voller Zufriedenheit
berichtete Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 17.03.2022:
„Man muss bedenken, dass seit der illegalen Annexion der Krim 2014
die Nato-Alliierten Zehntausende von ukrainischen Soldaten geschult
haben, die jetzt an der Front stehen. Und wir haben sie ausgerüstet.
Die ukrainische Armee ist jetzt wesentlich stärker, viel besser
ausgerüstet als 2014.“[26]
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