Wie
sozial war die DDR tatsächlich?
Die
DDR war ein sehr sozialer Staat. Man sprach im Zusammenhang mit den
Sozialleistungen auch gerne von der sogenannten zweiten Lohntüte,
deren Inhalt oft so groß war wie die ausgezahlten Gehälter der
Arbeiter und Angestellten. Ziel des sozialpolitischen Programms war
die „Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des
Volkes auf der Grundlage des ständigen Wachstums von Produktion und
Produktivität“.
Als
sein Kernstück galt das auf dem VIII. Parteitag beschlossene
Wohnungsbauprogramm von 1973. Geplant war, bis 1990 dreieinhalb
Millionen neue Wohnungen zu bauen. Damit hatten sich für 50 % der
Bürger die Wohnbedingungen entscheidend verbessert. Die
dreimillionste Wohnung wurde am 12. Oktober 1988 in Berlin-Marzahn
übergeben. Bei den Produkten des Grundbedarfes (Grundnahrungsmittel,
Mieten, bestimmte Textilien, Kinderkleidung) blieben die Priese
stabil. Diese Bereiche waren stark subventioniert. So lagen die
Bruttomieten für eine fernbeheizte Wohnung zwischen 30 und 130 Mark
(0,80 bis 1,20 M/qm), das waren nicht einmal 5 % des
Familieneinkommens.
Heute
beträgt der durchschnittliche Mietanteil 30 % und mehr des
Familienbudgets. Das staatliche Gesundheitswesen war für die Nutzer
vollkommen kostenlos. Der Patient war nicht Ausbeutungsobjekt,
sondern Ziel der ärztlichen Kunst. Ärzte und Apotheker wurden durch
den Staat bezahlt und hatten nicht die Möglichkeit, durch
zusätzliche, mitunter zweifelhafte Leistungen weiteres Einkommen zu
generieren. Das Gehalt der Ärzte orientierte sich an den Entgelten
der anderen akademischen Berufe. Das staatliche Gesundheitswesen war
effizient und flächendeckend strukturiert, insbesondere was die
Polykliniken als zentrale Behandlungsorte für die Patienten
betrifft. Dabei soll nicht übersehen werden, daß aufgrund fehlender
Mittel nicht immer die modernste Technik vor Ort vorhanden war. Die
Ärzte waren universitär gut ausgebildet. Der Einsatz erfolgte dort,
anders als heute, wo sie benötigt wurden, was auch legitim ist, da
das kostenintensive Studium durch das Gemeinwesen getragen wurde. Es
existierte ein Recht auf Arbeit. In der DDR war man faktisch
unkündbar. Das galt unabhängig davon, ob es Krisen oder
Absatzprobleme für die produzierten Güter gab. Heute wird man in
diesem Fall entlassen. Dieses Recht und die Bedingungen, unter denen
die Arbeit geleistet werden mußte, waren im Arbeitsgesetzbuch aus
dem Jahr 1977 festgeschrieben.
Einen
weiteren Schwerpunkt im Sozialprogramm der DDR bildete die
Gleichberechtigung der Frauen. Oft hört man, die Frauen mußten ja
arbeiten, da die Löhne in der DDR generell so niedrig waren.
Sicherlich war es für die finanzielle Situation der Familien
hilfreich, wenn die Ehefrau ihren Verdienst einbringen konnte. Im
Sinne der Gleichberechtigung und der persönlichen Unabhängigkeit
war die Berufstätigkeit der Frauen ein enormer historischer
Fortschritt. Mit einer Beschäftigungsrate von etwa 90 % der Frauen
bezog die DDR einen Spitzenplatz in der Welt. Um dieses Ergebnis zu
erreichen, mußten durch den Staat Voraussetzungen geschaffen werden.
Wichtig war dabei das gesellschaftliche Bewußtsein, das eine
Diskriminierung der Frauen ausschloß und die althergebrachte
Rollenverteilung zwischen Mann und Frau zunehmend aufhob.
Des
weiteren gab es gesetzliche Grundlagen, die Müttern nach der Geburt
eines Kindes den Arbeitsplatz sicherten. Der Ausbau eines umfassenden
Systems der Kinderbetreuung war ein wichtiges Anliegen des Staates.
Das Prinzip „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ war nach
geltender Arbeitsgesetzgebung einklagbar. So heißt es im § 2 (3)
des Arbeitsgesetzes der DDR: „Das Arbeitsrecht trägt zur
konsequenten Verwirklichung des Prinzips ,Jeder nach seinen
Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung‘ bei. Es sichert, daß den
Werktätigen Löhne nach Qualität und Quantität der Arbeit gezahlt
werden und daß Mann und Frau, Erwachsene und Jugendliche bei
gleichen Arbeitsleistungen gleichen Lohn erhalten.“ Besonders
gefördert wurden junge Familien. So gab es für sie die Möglichkeit,
nach der Eheschließung einen zinslosen Kredit in Höhe von 5000 Mark
aufzunehmen. Bei der Geburt von Kindern wurden beim ersten Kind 1000
M, beim zweiten Kind 1500 M und beim dritten Kind 2000 M erlassen.
Zusätzlich erhielten die Familien bei der Geburt eines Kindes 1000
M. Und, das sollte man auch nicht vergessen, es gab einen
gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergarten- und Krippenplatz. Die
Kosten für den Aufenthalt der Kinder betrugen in der Krippe ca. 30 M
und in der Kinderkrippe ca. 12 M im Monat. Es gab auch das sogenannte
Babyjahr, d. h., die Mütter hatten das Recht, nach der Geburt des
Kindes ein Jahr zu Hause zu bleiben. In diesem Fall erhielten sie 80
% ihres Bruttogehaltes. Keine Mutter brauchte im übrigen Angst zu
haben, daß sie den Arbeitsplatz verliert. Dieser war ihr gesetzlich
gesichert, und hinzu kam, daß ein Elternteil bei der Erkrankung des
Kindes eine bezahlte Freistellung bekam.
Soziale
Errungenschaften, die sich erst jetzt, fast 30 Jahre später, langsam
in der BRD durchsetzen. Für junge Menschen waren Ausbildung und
Studium komplett kostenlos. Zusätzlich erhielten sie ein Stipendium,
welches die Grundbedürfnisse abdeckte. Unbedingt zu erwähnen ist
noch die preiswerte Feriengestaltung für Kinder in Ferienlagern: 12
Mark pro Kind oder die Urlaubsaufenthalte in Ferienheimen für
Arbeiter und Angestellte: 50 M pro Erwachsenen. Nicht zu vergessen
die umfangreichen Subventionierungen der Artikel und Leistungen des
Grundbedarfes (Grundnahrungsmittel, öffentliche Verkehrsmittel,
Schulspeisung, Betriebskantinenessen, Fernwärme, Strom, Kultur),
Solidaritätsleistungen auch für NichtDDR-Bürger.
Ein
besonders sensibler Bereich des Sozialprogramms war die Absicherung
der älteren Menschen, der Rentner. In diesem Zusammenhang wird von
den heute Herrschenden regelmäßig von Altersarmut in der DDR
gesprochen. Lassen wir auch hier die Fakten sprechen! Es stimmt, daß
für einen nicht geringen Teil der älteren Menschen die Renten nicht
üppig waren. Erst die Gegenüberstellung der Rentenzahlungen mit der
im Alter üblichen Verbrauchsstruktur und den Kosten läßt eine
realistische Aussage zur Auskömmlichkeit zu. Wie sah die
Altersversorgung in der DDR tatsächlich aus? Die Finanzierung der
Sozialversicherung erfolgte zum geringen Teil aus Beiträgen der
Versicherten und zum größten Teil aus dem Staatshaushalt. Die
Beiträge zur Versicherung betrugen 10 % des Einkommens, höchstens
60 Mark (Krankenversicherung, Rentenversicherung,
Unfallversicherung). Aus diesen Beiträgen ergab sich Ende der 80er
Jahre eine Mindestrente von 330 M und bei längerfristig Versicherten
eine Rente von über 500 M. Zusätzlich zu dieser Grundversorgung
bestand die Möglichkeit, bei einem Einkommen über 600 M, der
freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FRZ) beizutreten, bzw. ein
Teil der Beschäftigten gehörte einem der Sonderversorgungssysteme
an (Intelligenz, Lehrer, Künstler, Bahn, Post, Parteien, bewaffnete
Organe). Diese zusätzlichen Rentenzahlungen betrafen etwa 80 % der
Altersrentner, die nach 1980 eine Rente bezogen.
Dieses
beeindruckende Programm, welches weltweit einmalig gewesen sein
dürfte, war natürlich nicht zum Nulltarif zu haben und führte auf
einzelnen Gebieten zu nicht unerheblichen Disproportionen. So
erfolgte z. B. der umfangreiche Neubau preiswerter Wohnungen zu
Lasten der notwendigen Sanierungen der Innenstädte, es fehlten die
Mittel für die Ausstattung des Gesundheitswesens mit modernster
Technik, der Ausbau und die Instandsetzung der Infrastruktur konnte
nicht im notwendigen Umfang realisiert werden. Die umfangreichen
Subventionen wurden durch einen kleinen Teil der Bevölkerung
zweckentfremdet genutzt. Die sozialpolitischen Maßnahmen führten zu
ungeplanten erhöhten Ausgaben im konsumtiven Bereich zu Lasten der
Modernisierung des produzierenden Bereiches.
Wir sehen, daß es sich
beim Sozialsystem der DDR insgesamt um ein sehr anspruchsvolles
Unterfangen handelte. Andreas Wenzel
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