Montag, 11. September 2017

Östliches Wirtschaftsforum


Aus: Ausgabe vom 11.09.2017

Russlands asiatische Wende


»Östliches Wirtschaftsforum« in Wladiwostok verspricht Milliardeninvestitionen, macht aber auch Defizite deutlich


Von Reinhard Lauterbach

Am Mittwoch und Donnerstag der vergangenen Woche blickte Russland in seinen Fernöstlichen Föderationskreis. Im Gebäude der »Fernöstlichen Föderationsuniversität« auf einer Insel vor Wladiwostok fand zum dritten Mal das »Östliche Wirtschaftsforum« statt. Neben dem Gastgeber Wladimir Putin waren auch die Regierungschefs von Japan und Südkorea, ein stellvertretender Ministerpräsident aus China und der Präsident der Mongolei angereist. Insgesamt kamen Vertreter aus 61 Ländern.

Russland hatte insgesamt 32 Investitionsprojekte vorbereitet, für die es Kapital aus seinen asiatischen Nachbarstaaten anziehen will. Als Gesamtvolumen dieser Investitionen gaben die Gastgeber 1,24 Trillionen Rubel – umgerechnet 18 Milliarden Euro – an. Das ist etwas weniger, als bei der Vorgängerveranstaltung vor zwei Jahren vereinbart worden war. Damals waren Projekte im Gesamtwert von umgerechnet 22 Milliarden Euro angeschoben worden.

Nicht alle davon sind Prestigevorhaben wie eine Brücke auf die Pazifikinsel Sachalin, die wegen ihrer Ölvorhaben im Aufwind ist, oder Zukunftsmusik wie eine 43 Kilometer lange Brücke von Sachalin auf die japanische Nordinsel Hokkaido. Japan machte weitere Diskussionen über das Thema vom Abschluss eines Friedensvertrags – und damit einer Einigung über die Kurilen-Inseln – abhängig. Deutlich wird trotzdem, dass die Führung in Moskau ernsthaft daran gehen will, die russischen Regionen zu entwickeln, die an den Pazifik grenzen, auch wenn dazu ausländisches Kapital nötig ist. Der »Fernöstliche Födera­tionskreis« umfasst mit 6,2 Millionen Quadratkilometern rund 40 Prozent der Fläche Russlands, jedoch mit 6,3 Millionen Menschen nur 4,5 Prozent seiner Bevölkerung. Aus den statistischen Angaben ergibt sich eine durchschnittliche Bevölkerungsdichte von gerade einmal einem Menschen pro Quadratkilometer, überdies im wesentlichen konzentriert entlang der Transsibirischen Eisenbahn, also am Südrand der Region.

Zu Sowjetzeiten war diese Region vor allem durch an Rohstoffvorkommen angegliederte Straflager sowie durch das Militär erschlossen worden, in beiden Fällen also nach Grundsätzen, bei denen Kosten keine Rolle spielten. Entsprechend tief war der Absturz in den 1990er Jahren. Jetzt soll aus diesem Gebiet ein nach Kriterien des zivilen Kapitalismus funktionierender Wirtschaftsstandort werden. Der dominierende Eindruck bleibt einstweilen freilich der eines Ausverkaufs natürlicher Ressourcen: Mit Südkorea verhandelt Russland über den Bau einer Gaspipeline, mit Japan über die Erschließung von Ölvorkommen an der Pazifikküste. Der indische Tata-Konzern will ein Kohlevorkommen auf der bisher überwiegend von Trekkingtouristen besuchten Vulkanhalbinsel Kamtschatka erschließen, ein anderer indischer Investor in die Dia­mantenverarbeitung in Jakutien einsteigen. Chinesisches Kapital wird zur Modernisierung der regionalen Transportinfrastruktur herangezogen. Im Vergleich dazu nehmen sich Projekte wie die Modernisierung von Werften in den Pazifikhäfen Wladiwostok und Komsomolsk-na-Amure oder der Bau von Betrieben zur Importsubstitution von Teilen für Gas- und Ölbohranlagen, die unter die Sanktionen fallen, vom Investitionsvolumen her bescheiden aus. Hier geht es jeweils »nur« um zweistellige US-Dollar-Millionenbeträge.

Russlands einstweilen bleibendes Problem im Fernen Osten ist, dass es aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, dieses riesige Territorium zu einem funktionierenden Teil seiner Volkswirtschaft zu machen. Die langen Transportwege verteuern Produkte aus der Region und beeinträchtigen – von Spezialitäten wie Lachskaviar abgesehen, mit dem die Inseln Sachalin und Kamtschatka das ganze Land beliefern – zwangsläufig ihre Wettbewerbsfähigkeit. Auch die kostenlose Überlassung von Staatsland an ansiedlungswillige Bauernfamilien hat offenbar nicht zu einer wesentlichen Belebung der Landwirtschaft geführt. Zu den auf dem Wirtschaftsforum besprochenen Projekten gehört so auch der Bau von Treibhäusern zum Gemüseanbau in Jakutien – durch chinesische Investoren. Warum russische Unternehmen dazu nicht in der Lage sind, wurde öffentlich genausowenig diskutiert wie die Frage, warum Herstellung und Vertrieb von Milchprodukten im Fernen Osten einem Investor aus Vietnam anvertraut werden sollen.

Wie es wirklich um die dortige Volkswirtschaft bestellt ist, machte eine Krisensitzung im August deutlich, zu der Nikolai Patruschew, Chef des Nationalen Sicherheitsrates, die Gouverneure der Region in Jakutsk versammelt hatte. Dort las der Mann aus Moskau den Vertretern der örtlichen Eliten die Leviten: Der Ferne Osten »trage nichts zur nationalen Sicherheit bei«, wetterte Patruschew nach Presseberichten. Trotz ihrer dünnen Besiedlung könne die Region nur ein Drittel ihres eigenen Bedarfs an Lebensmitteln aus eigenen Ressourcen befriedigen. Sogar Fisch, der im Überfluss aus dem Pazifik und den Flüssen geholt wird, sei in der Region knapp, weil zwei Drittel der Betriebe der Lebensmittelverarbeitung un­hy­gie­nisch arbeiteten und ihre Produkte somit nicht für den Markt geeignet seien. Selbstherrlichkeit lokaler Beamter und Chefs, mangelnde Arbeitssicherheit und ständige Unfälle in den Rohstofflagerstätten machten die Region für Arbeitssuchende unattraktiv, so Patruschew. Das Ziel »mit den asiatischen Nachbarländern vergleichbare Lebensbedingungen zu schaffen« zu erreichen, das Wladimir Putin den regionalen Gouverneuren gestellt hat, dürfte noch einige Zeit benötigen. Einstweilen ist das einzige, was Russlands Ferner Osten den angrenzenden Gebieten Chinas oder gar Japans voraushat, Platz. Doch davon allein kann man nicht leben.



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