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Bundestag: 50 Schattierungen der Wirklichkeitsverleugnung …
29. September 2022 Webredaktion Bundesregierung, Energiepolitik,
Erdgas, Frieden, Medien, Ukraine-Konflikt, Waffenlieferungen,
Wirklichkeit, Wirtschaftskrieg
– und eine Stimme aus Mansfeld
Nicht nur bei großen Debatten ist der Bundestag weit entfernt vom Leben
und den Sorgen der normalen Deutschen, auch bei seinem Alltagsgeschäft.
Ein deprimierendes Erlebnis – wenn es nicht einen Redebeitrag gegeben
hätte, der Hoffnung gibt.
von Dagmar Henn
Erstveröffentlichung am 23.09.2022 auf RT DE
Ist es nur mein Eindruck, dass die Debatten des Bundestages mehr und
mehr den Charakter einer Sektenversammlung annehmen? Bei denen alle
Positionen, die nicht der so grandiosen Mehrheit entsprechen, auf die
sich diese Regierung stützt, schlicht nicht mehr vorkommen?
Zugegeben, in den Debatten, die ich mir angesehen habe, war nicht
wirklich etwas zu entscheiden. Entsprechend gab es die Minimalbesetzung
mit den jeweiligen Ausschussmitgliedern. Eine erste Lesung und ein
Fraktionsantrag. Bundestagsalltag also, das gewöhnliche Geschäft.
Aber da wurde über ein Energiesicherungsgesetz debattiert, das die
Probleme, die auf das Land zukommen, lösen soll, und die zwei
entscheidenden Gründe für diese Probleme werden nicht einmal erwähnt:
die ideologische Fixierung auf die erneuerbaren Energien, und die
Sanktionen, die eine sichere und günstige Energiequelle versperren.
Stattdessen erklingen dekorative Sätze. „Dass wir zusammenstehen für die
Menschen in diesem Land, die große Not erleiden durch die hohen
Energiepreise, gegen Putin.“ So Ingrid Nestle von den Grünen. Wer
erwartet, dass da zumindest ein schlechtes Gewissen ist, weil inzwischen
klar ist, dass viele, selbst relativ gut Verdienende, nicht wissen, wie
sie durch den Winter kommen sollen, der täuscht sich; obwohl sie alle
miteinander für diese Misere verantwortlich sind.
Dann kommen Beteuerungen, wechselseitig vorgetragen, die „Potentiale der
Bioenergie auszuschöpfen“. Bioenergie – das ist das, was auf den
deutschen Äckern wächst, anstelle von Kartoffeln. Die Bioenergie ist
einer der Gründe, warum Deutschland 80 Prozent seiner pflanzlichen
Nahrungsmittel importiert. Und da reden diese Herr- und Damenschaften
davon, sich bei der Energie unabhängig zu machen. Unter anderem mit
Bioenergie, mit der man sich in eine Abhängigkeit bei der Ernährung
begeben hat, zu einer Zeit, in der auch noch der Kunstdünger knapp und
teuer ist.
Es ist die allererste Aufgabe einer Regierung, das Leben ihrer
Bevölkerung zu sichern. Was wurde nicht vor einem Jahr noch getönt, alle
müssten sich Masken vors Gesicht hängen und ihre Tage am besten einsam
in der Kammer verbringen, um Leben zu retten. Gehen diese Politiker
wirklich davon aus, dass die Orgie der kalten Buden keine Folgen hat?
Dass dann eben dieselben pflegebedürftigen Alten, für deren
vermeintlichen Schutz auch noch das letzte Grundrecht kassiert wurde,
nun in kaum beheizten Heimen mit noch weniger Personal dann eben ein
Jahr später an ordinärer Lungenentzündung eingehen?
Sie haben sich tatsächlich angeschrien, phasenweise, bei dieser Debatte
um das Energiesicherungsgesetz. Obwohl gar niemand da war, der erklärte,
dass die Stromversorgung nicht sicherer wird, wenn man Windräder auch
nachts laufen lässt. Oder dass das Problem bei der tollen Wind- und
Solarenergie eben darin besteht, dass keine der Parteien im Bundestag
den Wind zum beständigen Wehen oder die Sonne zum beständigen Scheinen
zwingen kann.
„Energiesouveränität“ will Herr Kruse von der FDP, der von den
„Schlingen der Abhängigkeit des Diktators“ redet. Der SPDler Bergt
meint, man müsse die Erfolge hervorheben, die diese Regierung bereits
erzielt habe; schließlich seien die Gasspeicher knüppelvoll.
Die Meldungen aus der wirklichen Welt liefern so abscheulich hohe Gas-,
Strom- und Heizrechnungen, dass nur noch wenige sicher sagen können,
genug Geld fürs Essen übrigzuhaben; oder sich nicht entscheiden zu
müssen, ob sie Essen oder Strom konsumieren wollen. Wie ernst das ist,
an wie vielen Stellen bereits die Sicherheit der Versorgung brüchig
wird, das scheint in Berlin nach wie vor nicht angekommen. Knüppelvolle
Gasspeicher?
Die Gasspeicher in Deutschland sind Überbleibsel des Kalten Krieges. Sie
sollten die Versorgung für drei Monate sicherstellen, allerdings auf
Grundlage der Menge, die vor über vierzig Jahren verbraucht wurde. In
den vergangenen Jahren dienten sie dazu, den höheren Verbrauch in den
Wintermonaten zu decken, zusätzlich zu dem Erdgas, das bis vor wenigen
Monaten durch Pipelines aus Russland geliefert wurde. In kalten Wintern
waren sie im Frühjahr trotzdem leer. Das Wort „zusätzlich“ scheint den
Herrschaften im Bundestag nicht bekannt zu sein; sie ergehen sich in der
Illusion, wenn nur die Speicher voll wären, gäbe es kein Problem, wenn
kein Gas mehr geliefert wird. Davon, dass auch noch Nachbarländer auf
den Inhalt der deutschen Gasspeicher setzen, ganz zu schweigen.
Die einzig interessante Information lieferte der AfD-Abgeordnete Kotré,
der berichtete, es gebe Firmen, die die Produktion stilllegen und die
nicht benötigte Energie weiterverkauften und damit mehr Gewinn machten
als mit der Produktion.
Das könnte den starken Rückgang des Gasverbrauchs ebenso erklären wie
die Tatsache, dass der Protest aus der Industrie nach wie vor viel zu
leise ist. Das hieße dann eben, da wird noch einmal ein Schnitt gemacht,
ehe man die Bude ganz schließt. Denn natürlich dreht sich
volkswirtschaftlich die Spirale nach unten weiter, je weniger Produktion
stattfindet, und die Geldnot, in die weite Teile der Bevölkerung
geraten, wird Handel und Produktion zusätzlich zu schaffen machen, was
dann wiederum …
Auch die Linke hielt sich an das Tabu und tat so, als hätten die
Energieprobleme rein gar nichts mit den Sanktionen zu tun. Frau Lötzsch
blieb brav auf Linie und wollte nur, dass der Staat „einen Teil der
Kosten“ finanziert. Und der Abgeordnete Gremmels (SPD) schlug vor, man
solle doch Beschränkungen für Balkonsolaranlagen aufheben. Das wird
sicher im kommenden Winter zu großen Erleichterungen bei den
Stadtbewohnern führen. Schließlich ist dann an sonnigen Tagen wenigstens
mal das Handy geladen.
Es kommt einem vor wie in dem alten Science-Fiction-Film „Die Frauen von
Stepford“. In diesem Film zieht ein Paar in einen Vorort; die Frau
freundet sich mit einigen Nachbarinnen an, aber nach einiger Zeit
verwandeln sich diese alle nacheinander in biedere Hausmütterchen, die
nur noch Kochen, Backen und Putzen im Sinn haben. Schließlich findet sie
heraus, dass die Männer alle ihre Frauen entsorgt und durch Roboter
ersetzt haben.
So war das schon in der Debatte zur Energie. Als habe man sie alle durch
NATO-Roboter ersetzt, die sich schon deshalb nicht zur Wirklichkeit
verhalten, weil ihre Programmierung das nicht vorsieht. Noch nie hat
eine deutsche Regierung in so kurzer Zeit eine solche Zerstörung
angerichtet, aber die Abgeordnetenroboter haben in ihrer Programmierung
keine Krise vorgesehen, kein Mitgefühl, keine Verantwortung.
Das darauf folgende Schaulaufen zum Antrag der CDU, Kampfpanzer in die
Ukraine zu liefern, war dann der Moment, in dem die Programmierung der
Roboter ganz die Kontrolle übernahm. Natürlich lieferten sich die
Regierungsparteien und die CDU kleine Gefechte zur Frage, ob man die
Panzer gleich liefern solle oder erst, wenn die US-Amerikaner das auch
tun; als entspräche es dem Bedürfnis der Deutschen, sich zwischen Krieg
oder noch mehr Krieg entscheiden zu dürfen. Und dass die „Offensive“ bei
Isjum als großer Sieg der Ukraine gesehen wird (ja, sie scheinen es
tatsächlich zu glauben) und niemand dieses klitzekleine Problem
Friedensvertrag/Waffenstillstand anspricht – eine weit überwiegende
Mehrheit hat sich in der Vorstellung eingerichtet, Deutschland sei auf
dem Weg zu einer ganz großen Führungsrolle in der Welt, und die Ukraine
sei dabei zu siegen.
Es ist dieser Wahn, der sie davon abhält, die Bedeutung der Referenden
zu begreifen. Der CDU-Abgeordnete Wadephul wirft der Bundesregierung
vor, „eine tiefe Spaltung Europas“ zu verursachen, weil sie nicht sofort
das tut, was Polen und die Baltenstaaten gerne hätten, und die
SPD-Sprecherin Heinrich wähnt, die Ukraine sei mithilfe der deutschen
Waffen „so erfolgreich, dass Putin sich zur Teilmobilisierung und zu
übereilten Referenden gezwungen fühlte“.
Man würde gerne dazwischenschreien. Und es läuft die ganze Entwicklung
der letzten zwei Jahrzehnte, die Medienlandschaft und Politik so
veränderten, vor dem inneren Auge ab; wie unter Schröder alle Medien
einander immer gleicher wurden und soziale Themen weitgehend
verschwanden, und wie sich Medien und Politik nur noch wechselseitig
spiegeln, aus immer geringerer Distanz, und jede Luke, durch die
Realität eindringen könnte, sorgfältig abgedichtet wird. Jetzt senden
die Sender, was die Politiker sagen sollen, und dann noch einmal, wenn
sie es gesagt haben, wobei die einen so tun, als wären sie das Volk, und
die anderen so tun, als verträten sie es, aber eben nur das, das sich
aus den Aussagen der Medien basteln lässt. Also ist ganz Deutschland für
Panzer für die Ukraine, die einen sofort und die anderen ein bisschen
später.
Omid Nouripour bestätigte nebenbei noch die Leidenschaft der Grünen für
Denunziation und forderte tatsächlich die CDU auf, zu einem „Bericht von
Correctiv“ Stellung zu nehmen, der enthüllt hätte, dass jemand, der an
Nord Stream verdient habe, Mitglied der CDU sei. Das passt zu seinem
Wirtschaftsminister Robert Habeck und dessen Jagd auf russische Spione
in seinem Ministerium. Vielleicht arbeitet er ja zusammen mit Correctiv
bereits an einer deutschen Version der Mirotworez-Liste.
Strack-Zimmermann war ähnlich unappetitlich, zumindest wenn man zuvor
die Bilder zerfetzter Körper aus Donezk gesehen hat, das gerade mal
wieder in den Genuss von NATO-Granaten kam: „An jedem Tag töten
russische Soldaten unschuldige Menschen.“ Russische Menschen können
umgekehrt offenbar nicht unschuldig sein, sie sind schließlich Russen.
Während Ukrainer selbstverständlich tapfere Demokraten und absolute
Unschuldsengel sind, selbst wenn auf ihrer Haut zwischen Hakenkreuzen
und Nazisprüchen kein Platz mehr ist.
Wobei Strack-Zimmermann zu ihrer Entlastung immerhin anführen kann, sie
sei schließlich Rüstungslobbyistin und werde für sowas bezahlt. Was sie
selbst glaubt oder denkt, ist ihr vermutlich egal, solange die Schecks
nicht ausbleiben. Das kommt mir, verglichen mit wirklich Gläubigen wie
Nouripour, der es nötig fand, zu betonen, dass die Grünen schließlich
schon auf dem Maidan „zur Ukraine standen“, fast unschuldig vor.
Zwei halbe Gegenstimmen gab es noch. Eine von Alexander Gauland, der
immerhin erklärte, „es ist einfach nicht wahr, dass in der Ukraine auch
unsere Freiheit verteidigt wird“, und der von Wirtschaftskrieg sprach,
davon, die Flammen austreten zu helfen, statt sie zu schüren, aber den
Kotau vor dem „verbrecherischen Angriffskrieg“ nicht lassen konnte. Die
zweite von Ali Al-Dailami, der sagte: „Wenn sie ernsthaft an der
Beendigung des Krieges interessiert sind, erfordert das eine verbale,
aber auch materielle Abrüstung.“ Und der die 18 Panzerhaubitzen für 260
Millionen Euro rügte, die für die Ukraine bei der Rüstungsindustrie in
Auftrag gegeben worden seien (die Aktien von Rheinmetall liegen derzeit
gut im Rennen).
Das macht aber nicht wirklich glücklich zwischen all der Lobpreisung der
„tapferen Ukraine“ und den Beteuerungen, man müsse den Bürgern „die
Gewissheit geben, dass wir alle jetzt einen Preis für unsere Freiheit
zahlen müssen“ (Nietan, SPD). Diese Art der Freiheit zwischen
Black-outs, Kälte, Kriegsgeheul und Denunziation haben sicher die
wenigsten bestellt; warum sollten sie dann dafür bezahlen?
Die Stimme, die dann wenigstens die Ehre rettete, war kaum zu hören, so
laut wurden die Proteste der Mehrheit. Der inzwischen fraktionslose
Abgeordnete Robert Farle war der einzige, der versuchte, ein paar der
Tatsachen ins Gedächtnis zu rufen, die dem russischen Militäreinsatz
vorausgingen. Dass die ukrainische Regierung schon 2019 erklärt habe,
die Minsker Vereinbarungen nicht umsetzen zu wollen, und 2021
beschlossen habe, bei Gelegenheit die Krim erobern zu wollen. Zumindest
kann der Rest der Anwesenden nicht behaupten, nichts gewusst zu haben.
Sie wollten es nicht hören. So, wie sie nicht verstehen wollen, dass sie
ein gefährliches Spiel treiben, und schon gar nicht begreifen, dass die
Macht des Westens, an der sie so hängen, mit vielem zu tun hat, aber
nicht mit Frieden, und für den größeren Teil des der Welt schon gar
nichts mit Freiheit.
Farle zog über ein Direktmandat in den Bundestag ein; die AfD hatte ihn
nicht aufgestellt. Dass es ein Mansfelder Abgeordneter ist, der der
Wahrheit eine Stimme verlieh, als einziger, der ganzen Wahrheit, ohne
Kniefall, das war der einzige Lichtblick. Ein Lichtblick, weil diese
Gegend, eine der ältesten Bergbauregionen Deutschlands, eine lange
Geschichte des Widerstands hat. Angefangen mit Thomas Müntzer. Die
Mansfelder Kumpel waren ein aufrührerisches Völkchen, und aus dieser
Gegend stammt auch die Geschichte der Fahne von Kriwoi Rog, eines
Geschenks aus der Sowjetunion, das zwölf Jahre lang vor den Nazis
versteckt wurde.
Kriwoi Rog ist der Geburtsort des ukrainischen Präsidenten Selenskij,
eine sowjetische Bergarbeiterstadt. Die Fahne liegt heute irgendwo im
Depot im Deutschen Historischen Museum. Aber dass gerade ein
Abgeordneter aus Mansfeld in dieser Debatte die Stimme für die
Nachfahren der Kumpels erhoben hat, die damals diese Fahne schickten;
dass dieses Bild der Nähe und Verbundenheit damit wieder aufgegriffen
wurde, bewusst oder unbewusst, das ist ein kleines Stück der Hoffnung.
Selbst wenn man sich heute Sorgen machen muss, ob dieser eine
Abgeordnete mit Strafverfahren überzogen wird, wie augenblicklich alle,
die es wagen, Gründe für den russischen Militäreinsatz zu benennen, und
weil er den Kotau vor dem „verbrecherischen Angriffskrieg“ nicht
vollzogen hat. Seit den Zeiten Müntzers steht Mansfeld für das bessere
Deutschland, und auch wenn die Stimme schwach war, sie ist nicht
verstummt.
Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
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