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Nach der Teilmobilmachung: Dem Westen bleiben noch elf Tage zum Einlenken
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 23. SEPTEMBER 2022
von https://185.79.236.191 (rt.de)
Das Treffen der Schanghaier Organisation zur Zusammenarbeit (SOZ) in
Samarkand hatte weltgeschichtliche Bedeutung; das war vielen Beobachtern
klar, auch wenn die westliche Presse sich darüber ausschwieg. Die
Referenden in den Donbassrepubliken sowie in den Gebieten Saporoschje
und Cherson dürften dort ebenso besprochen worden sein wie die jetzt
verkündete Teilmobilisierung in Russland. Denn es war von Anfang an vor
allem die Reaktion der wichtigsten Partner, die die Selbstbeschränkung
Russlands auf eine besondere Militäroperation erforderlich machte, und
der Schritt, der jetzt vollzogen wurde, beruht darauf, dass diese
Partner die Legitimität des russischen Vorgehens akzeptieren.
Putin verkündet Teilmobilmachung in Russland
Um zu verstehen, warum das so ist, muss man einige Punkte der
Ausgangslage noch einmal in Erinnerung rufen. Manche Kommentatoren
meinen, China und Indien seien weiterhin zurückhaltend, weil das Thema
einer Sezession für sie zu heikel ist, und sie die Referenden in den
vier Gebieten für eine Sezession halten. Es ist aber durchaus eine
andere Sicht möglich, die zumindest in der chinesischen Geschichte mit
Tibet eine Parallele hätte.
Die Auflösung der Sowjetunion, die auf dem berüchtigten Dreiertreffen
beschlossen wurde, war nicht nur ein Putsch, weil sie gegen die geltende
Verfassung verstieß, sie ignorierte auch ein abgehaltenes Referendum.
Die Entstehung des Staates Ukraine, die in sich nicht durch ein weiteres
Referendum bestätigt wurde, aber bedeutende Bevölkerungsgruppen mit
einschloss, die mit hoher Mehrheit für den Weiterbestand der Sowjetunion
gestimmt hatten, war also selbst ein Akt einer illegitimen Sezession.
Wenn man von dieser Sicht ausgeht, wäre die Wiedereingliederung
zumindest jener Teile der Ukraine, die damals entsprechend abgestimmt
hatten, eine Aufhebung eines unrechtmäßigen Zustands.
Genau das ist der Punkt, warum der Westen so hektisch auf Referenden
reagiert. Denn welche Art der Entscheidung wäre demokratischer als ein
Volksentscheid? Die gesamte EU hat, das ist seit der Auseinandersetzung
um die EU-Verfassung klar, ihre Probleme mit diesem Entscheidungsmodus.
Weder der Anschluss der DDR noch die Einführung des Lissabon-Vertrags
wurde auf dieser Ebene zur Entscheidung gestellt; beide haben daher eine
wesentlich schwächere Legitimität, als es ein Beitritt dieser Regionen
zur Russischen Föderation haben könnte. Eine zutiefst antidemokratische
Struktur wie die EU und ihre Verfechter müssen im Interesse des eigenen
Machterhalts die Qualität von Referenden grundsätzlich infrage stellen.
Das hat allerdings rein gar nichts damit zu tun, wie der Rest der Welt,
die berüchtigten 85 Prozent, dies sieht.
Die wirkliche Gefahr, wenn Deutschland Leopard 2 an die Ukraine liefert
Betrachten wir das historische Beispiel Tibet. Tibet war
jahrhundertelang Teil des chinesischen Reiches; in den 1920ern wurde es
durch britische Kolonialtruppen von China abgetrennt und die -ebenfalls
seit Jahrhunderten – dort lebende chinesischstämmige Bevölkerung wurde
vertrieben (Tatsachen, die bei der westlichen Darstellung immer gerne
unterschlagen werden). Das war eine, mit fremder Hilfe oder im fremden
Interesse, durchgeführte Sezession, die durch die chinesische
Volksbefreiungsarmee wieder rückgängig gemacht wurde, was übrigens für
die Mehrheit der tibetischen Bevölkerung die Befreiung aus der
Leibeigenschaft bedeutete. Der Dreh- und Angelpunkt der rechtlichen
Bewertung, was nun der legale Akt ist, hängt daran, ob man den so
folgenreichen Putsch, durch den der Staat Ukraine entstand, für legitim
hält oder nicht.
Der zeitliche Ablauf, der aus den gestrigen und heutigen Entscheidungen
folgt, ist ziemlich klar. Bis zum 27. September werden die Referenden
durchgeführt – dass die Vorbereitungen abgeschlossen sind, kann man
voraussetzen; fünf Tage zum Auszählen; dann werden formell entsprechende
Anträge zur Aufnahme in die Russische Föderation eingehen. Von den
Abstimmungen über die Annahme bis zur Unterzeichnung des Beschlusses
durch den Präsidenten dürfte es sehr schnell gehen. Dann würde die
Aufnahme in die Russische Föderation (der historische Humor ist sicher
beabsichtigt) aller Wahrscheinlichkeit nach auf Montag, den 3. Oktober
fallen.
Eine erste Auswirkung ist, dass sich die bisherige recht komplizierte
Führung der militärischen Handlungen deutlich vereinfacht. Denn bisher
hatten die beiden Republiken Donezk und Lugansk sehr starken Einfluss
auf die Entscheidungen gehabt, gleichrangig mit dem russischen
Generalstab. Das erleichterte das Vorgehen nicht gerade und führte
gleichzeitig dazu, dass die meisten Kämpfe von den Milizen der beiden
Republiken ausgetragen wurden und eben nicht von der russischen Armee.
In dem Augenblick, in dem alle vier Gebiete Teil der Russischen
Föderation werden, gibt es nur noch ein Entscheidungszentrum.
Ökonom warnt: „Tsunami“ rollt auf Europa zu – Politiker könnten noch Weichen stellen
Viel gravierender ist allerdings ein anderer Punkt. Man erinnere sich
daran, dass im Verlauf der letzten Monate immer wieder Warnungen aus
Moskau gen Westen gerichtet wurden, Angriffe auf russisches Gebiet
würden nicht toleriert. Ab der Unterzeichnung der Parlamentsbeschlüsse
zur Aufnahme der vier Gebiete sind sie aus russischer Sicht (und, so
viel darf man nach den Gesprächen in Samarkand voraussetzen, auch aus
Sicht der entscheidenden Partner) russisches Territorium. Ich würde
vermuten, dass dann noch ein Ultimatum an die ukrainischen Truppen
erfolgt, alle vier Gebiete komplett zu räumen, auf das aller
Wahrscheinlichkeit nach nicht reagiert wird. Nach Ablauf dieses
Ultimatums gelten die ukrainischen Truppen dort als Besatzungstruppen.
Es ist entscheidend, wahrzunehmen, dass dieses penible Vorgehen sich
nicht an ein westliches Publikum richtet, und Äußerungen wie jene von
Olaf Scholz, man werde die Referenden nicht anerkennen, schlicht völlig
egal sind.
Im Vorlauf zu den jetzt erfolgten Schritten dürften noch ganz andere
Materialien geteilt worden sein. Dabei geht es um die Informationen über
die US-Biolabore ebenso wie um die ukrainischen Angriffspläne vom
Februar gegen den Donbass, die in den letzten Monaten aufseiten der NATO
geradezu zelebrierten Pläne zur Aufteilung Russlands sowie vermutlich
auch die unmittelbare Beteiligung von NATO-Personal. Wenn man den
Kommentar der Global Times zu Olaf Scholz von vor einigen Tagen
betrachtet, wird man verblüfft feststellen, wie genau in China die
Reaktionen der EU und insbesondere Deutschlands beobachtet werden. Dort
kam man, denke ich, angesichts der Rede von EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen sowie des Auftritts der deutschen
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht bei der Deutschen
Gesellschaft für Auswärtige Politik zu dem gleichen Schluss wie andere
Beobachter auch: dass die Bundesregierung wie die EU auf eine
militärische Niederlage Russlands wettet und davon ausgeht, durch eine
Beteiligung an der angestrebten Beute für die bis dahin erlittenen
Unbilden entgolten zu werden.
Russlands Wirtschaftsministerium: Prognosen deutlich verbessert
Der vermeintliche Erfolg der ukrainischen Truppen bei Isjum führte dazu,
dass man zusehen konnte, wie den Vertretern des Westens geradezu der
Sabber von den Lefzen troff, und genau das hat der Rest der Welt
gesehen. Es ist die hysterische (und völlig unbegründete)
Siegeszuversicht, die einige zur Schau trugen, die die räuberischen
Absichten ans Tageslicht brachte, und die ihren Beitrag dafür geleistet
haben dürfte, dass in Samarkand einige grundsätzliche Entscheidungen
gefallen sind, die nun umgesetzt werden.
Aber zurück zur Entwicklung, die aus diesen Entscheidungen resultiert.
Die Warnungen lauteten immer, wenn Angriffe auf russisches Territorium
mit westlichen Waffen und unter westlichem Kommando erfolgten, dann
würden die wirklichen Auftraggeber zum Ziel. Das bedeutet nicht
notwendigerweise, dass das Bundeskanzleramt am nächsten Morgen einen
Besuch von Herrn Kinschal erhält, aber es bedeutet, dass all jene
westliche Staaten, die die ukrainischen Truppen dabei unterstützen, das
dann als russisch definierte Gebiet besetzt zu halten, direkte
Beteiligte werden. Und dass alle Handlungen, die darauf abzielen, die
Besetzung dieses Gebiets zu beenden, Verteidigungshandlungen sind.
Für die gesamte NATO bedeutet das, sich entweder aus der Ukraine
zurückzuziehen oder von der weit überwiegenden Mehrheit der Nationen ab
diesem Moment als Angreifer gesehen zu werden. Wobei kaum anzunehmen
ist, dass die europäischen und US-amerikanischen Regierungen diesen
Punkt nachvollziehen können. Sie agieren ohnehin sei Anbeginn nach dem
Prinzip, dass wahr sei, was sie zur Wahrheit erklären.
Ukraine: Teilnehmern der Referenden drohen Gefängnis und Enteignung
Die vernünftige Reaktion seitens der deutschen Regierung wäre eine
Rücknahme der Sanktionen und eine völlige Beendigung jeder Beteiligung
an dem Konflikt in der Ukraine. Allerdings würde das vermutlich,
angesichts eines neuen Gesetzentwurfes der EU-Kommission, der die
Grundlage für eine aus Brüssel gesteuerte Kriegswirtschaft liefert,
nicht mehr ausreichen, um eine Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen
zu erreichen. Die Fortsetzung des gegenwärtigen Kurses hätte allerdings
nicht nur den Verlust dieser Energiequelle zur Folge. Das so ersehnte
LNG wird in Tankern transportiert, die, sollte Russland nach Abschluss
der jetzt angekündigten Schritte zu dem Schluss kommen, die EU als
Kriegsbeteiligte zu werten, ein legitimes militärisches Ziel darstellen.
Es ist jetzt etwas über eine Woche her, dass auf der Diskussion mit
Lambrecht in der DGAP von einem pensionierten deutschen Panzergeneral
die Meinung vertreten wurde, man könne ruhig Leopard-Panzer in die
Ukraine schicken, Putin bluffe ohnehin nur. Diese Annahme dürfte als
widerlegt gelten. Doch die Schritte, die jetzt erfolgt sind, sind die
logische Fortsetzung derjenigen, die im Februar stattfanden, und sie
übersetzen sich klar und deutlich in eine Botschaft an den Westen: wenn
ihr Eskalation wollt, könnt ihr sie haben.
Die bisherigen Reaktionen weisen nicht darauf hin, dass diese Botschaft
verstanden wird. Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte, die
Teilmobilmachung sei ein „Akt der Verzweiflung“, eine Formulierung, die
so in der NATO abgesprochen sein muss, weil Generalsekretär Jens
Stoltenberg den gleichen Ton anschlug. Auch die
Möchtegern-Verteidigungsministerin der FDP hat sich zu Wort gemeldet:
Zudem werden die nicht ganz unwichtigen Aussagen aus dem chinesischen
Außenministerium völlig falsch gelesen. Ein „Waffenstillstand durch
Verhandlungen und Lösungen, die die Sicherheitsbedenken aller Seiten
berücksichtigen“ bezieht sich nämlich auf die russische Forderung eines
Rückzugs sämtlicher NATO-Strukturen aus der Nähe Russlands, wie es die
russischen Forderungen vom Dezember beinhalteten; es ist schlicht das
Zeichen, dass China als Vermittler zur Verfügung stehen würde, sollte
der Westen bereit sein, darauf einzugehen.
Stabschef von Selenskij: „Die russische Frage“ wird mit militärischer Gewalt gelöst
Der gesamte Zeitablauf ist Hinweis genug dafür, dass die Referenden wie
auch die teilweise Mobilmachung in Samarkand besprochen wurden. Das
chinesische Signal ist die Ergänzung zu der Tatsache, dass der gestrige
Anruf Macrons in Moskau nicht mehr angenommen wurde. Es bedeutet, dass
jeder mögliche Schritt in Richtung einer Deeskalation, sollte der Westen
sich doch noch besinnen, in aller Öffentlichkeit ablaufen muss, während
im Dezember letzten Jahres noch Verhandlungen im Verborgenen möglich
gewesen wären. So wird dem globalen Süden, der im Gegensatz zum
westlichen Publikum sehr wohl weiß, welcher Art die ukrainische
Regierung ist, alles auf offener Bühne präsentiert.
Es war nicht Russland, es waren die Vereinigten Staaten, die die Ukraine
zum zentralen Schlachtfeld um die Erhaltung ihrer Hegemonie erkoren
haben. Mit jedem Schritt tiefer in die Ukraine haben sie in der globalen
Auseinandersetzung weiteren Boden verloren. Sie haben noch elf Tage, um
zur Vernunft zu kommen.
https://185.79.236.191/europa/149544-nach-russischen-teilmobilmachung-westen-bleiben/
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