Mittwoch, 24. Juli 2019

Kritische Sicht auf Stauffenberg - Bernd Volkmer



Vom Saulus zum Paulus, von Helden und Terroristen

von Bernd Volkmer

So mancher Leser wird meinen, „hat der noch alle Tassen im Schrank“, weil dieser Artikel gegen Tabus verstößt und allgemein anerkannte Kausalitäten in Abrede stellt. Aber es geht um die Betrachtung vorherrschender Doppelmoral, anhand von Helden und Terroristen, nicht nur in der Politik, sondern auch in unserem Alltagsdenken, welches zu einer zunehmenden Polarisierung unserer Gesellschaft führt.

Am 20. Juli 2019 begingen wir, mit großem Pomp, den 75 Jahrestag des Hitler-Attentats durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Bundespräsident Steinmeier hat zum 75. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler den Widerstand gegen das NS-Regime gewürdigt. So sagte er u.a. „Wir alle wissen: Es gab zu wenig Widerstand. Aber es gab die Mutigen, die nicht weggeschaut haben, die Mitmenschlichkeit bewahrt haben, die andere vor Verfolgung geschützt haben und die Naziverbrechen vereitelt haben.“ (> Pressemitteilung) Heute ist klar und ganz selbstverständlich, die Tat war moralisch gerechtfertigt, richtete sie sich doch gegen einen der größten Verbrecher, in der Geschichte der Menschheit.

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Diese Einsicht gab es aber nicht zu jeder Zeit. Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg und in der jungen Bundesrepublik galten die „Personen des 20. Juli“ um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Henning von Tresckow, noch als Vaterlandsverräter. Die DDR betrachtete sie als Teil des faschistischen Systems und nicht als Teil des Widerstandes gegen den Faschismus. Ja, die Verschwörer hatten mit einem Bombenattentat gegen den „Führer“ und einem vorbereiteten Putsch einen Umsturz herbeiführen wollen. Dabei ging es ihnen aber nicht darum, den Nationalsozialismus zu beseitigen, sondern den bereits verloren geglaubten Krieg zu beenden, um Deutschland in eine bessere Verhandlungsposition gegenüber den Kriegsgegnern zu bringen.

Die Attentäter waren keine Demokraten

Sowohl von Stauffenberg, als auch von Tresckow und die anderen späteren Verschwörer waren keine Demokraten, sondern einst glühende Verehrer des Nationalsozialismus. Sie alle begrüßten 1933 die Machtergreifung Adolf Hitlers. Von Stauffenberg empfand den Beginn des Zweiten Weltkrieges, den er als Berufssoldat begann, als „Erlösung“. Er wurde in der 1. leichten Division (später 6. Panzer-Division) im Polenfeldzug 1939 eingesetzt. Von hier schrieb er an seine Frau Nina:

„Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu gebrauchen, arbeitsam, willig und genügsam.“ – Claus Schenk Graf von Stauffenberg … [> Wikipedia].

Noch kurz vor dem Attentat, am 1. Juni 1944 wurde von Tresckow mit 43 Jahren zum Generalmajor ernannt. Das also sind die „Helden“, die wir heute als Vorbilder betrachten. Waren sie nicht eigentlich feige Terroristen, die um ihre Zukunft nach einem verlorenen Krieg fürchteten und die Flucht nach vorn antraten?

Ich will keineswegs die verbrecherischen Taten des Nationalsozialismus rechtfertigen, aber Widerstandskämpfer mit unterschiedlicher Herkunft beziehungsweise weltanschaulicher Prägung und Motivation gab es im gesamten Herrschaftsbereich des Nationalsozialismus schon bedeutend früher. Ein Umdenken hinsichtlich der „Personen des 20. Juli“ begann in der Bundesrepublik erst in den 1950er Jahren, vor allem nach dem Remer-Prozess 1952. Ab 1963 wurden öffentliche Gebäude zum Gedenken am 20. Juli beflaggt.

Die geteilte deutsche Sicht auf die Dinge

Vom Saulus zum Paulus, von Helden und Terroristen. In der DDR wurde der antifaschistische Widerstand ausschließlich aus der Sicht der Arbeiterklasse betrachtet. Eine Neubewertung des Hitler-Attentats fand erst Anfang der 1980iger Jahre statt. „Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem 20. Juli war das Kolloquium aus Anlass der Würdigung des 40. Jahrestages des Umsturzversuches, das am 13. Juli 1984 in Ost-Berlin durchgeführt wurde.“

Unsere Sicht rechtfertigt heute einen terroristischen Akt, aus moralischen Gründen. Ich halte diese Betrachtung für nicht ganz unproblematisch, da sie auf dem Grundsatz „Der Zweck heiligt die Mittel“ fußt und letztlich auch Selbstjustiz toleriert. Aus rechtlicher Bewertung wäre somit ein terroristischer Anschlag gerechtfertigt, wenn er sich gegen Verbrecher richtet. Sind es aber nicht gerade islamistische Selbstmordattentäter, die ihre Taten genau damit begründen? Sie bomben im Namen Allahs, gegen die Verbrechen der westlichen Welt und das dadurch verursachte Elend nicht nur in ihren Herkunftsregionen.

Unsere Doppelmoral heißt das eine „gut, lobenswert, vorbildlich“ und verurteilt das andere als „terroristisch, islamistisch und mörderisch“. Eine kritische Auseinandersetzung mit der anderen Seite derselben Medaille, in Bezug auf das Hitler-Attentat, findet nicht mehr statt. Terror darf kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung sein, egal auf welcher Seite und für welchen Zweck. Terror ist kein Instrument einer Demokratie. Die Geschichte hat genügend Beispiele dafür, dass mit friedlichem Protest auch Diktaturen stürzen können, ohne dass nur ein Schuss fällt. Der Herbst 1989 ist dafür ein immer wieder gern angeführter Beleg in der jüngsten deutschen Geschichte.

Bernd Volkmer (. . der Mobilfunk-Guru).

► Quelle: Dieser Artikel wurde erstveröffentlicht am 22. Juli 2019 auf dem Blog QPress.de des Kollegen Wilfried Kahrs >> Artikel. Die Bilder und Grafiken im Artikel sind nicht Bestandteil des Originalartikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, s.u..


Friedlicher Protest?

Wie soll man einen friedlichen Verlauf einer Protestbewegung als revolutionär, also als Fortschritt betrachten, als Erfolg, wenn damit die alte antikommunistische kapitalistische Ordnung einem vom System her friedlichen sozialisierten wie der DDR übergestülpt wird?

Das Ergebnis entspricht einer völligen Umwälzung aller persönlichen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse und ist demzufolge vom Ende her als Konterrevolution zu betrachten, ohne dass die Ostdeutschen je gefragt wurden, ob sie wieder im politischen Sumpf des Kapitalismus landen wollen.

Wäre friedvoller Protest eine verändernde Kraft, den es heute im Jahre 2019 tausendfach in der BRD und in anderen Ländern gibt, dann müssten die Geldeliten schon längst den Schwanz eingezogen und die Großkonzerne, vor allem der Militär-Industrie-Komplex, in Volkseigentum umgewandelt haben. Keiner kann mehr die Augen davor verschließen, dass der Westen mit allen verfügbaren Mitteln die Veränderungen in der DDR forciert, gelenkt und letztendlich frohlockend vereinnahmt hat, eben im Interesse des Großkapitals.

Heute dies auf den „friedlichen Protest“ zu reduzieren bedeutet, der Illusion nachzuhängen, gegenwärtige Konflikte wären durchs Beten für Veränderungen und für den Weltfrieden irgendwie von Nutzen. Das Gegenteil ist der Fall.

► Lesetipp: »Der Osten wird vom Westen verwaltet und beherrscht«

Ein Gespräch mit der Kulturphilosophin, Soziologin, Ethnographin sowie Kuratorin Yana Milev. (eigentlich Jana Elisabeth Milev; *1964 in Leipzig, DDR) über die kulturkoloniale Dominanz der BRD, die Mär von der »Wiedervereinigung« und die Ähnlichkeiten der DDR mit der Schweiz.«

Interview: Frank Schumann in der Tageszeitung junge Welt, 24. Juli 2019, Nr. 169. >> zum Artikel.

Gruß von Harry Popow, Oberstleutnant a.D. Der NVA
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Autor, Blogger, Rezensent, Hobbymaler
http://cleo-schreiber.blogspot.com





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