Neue
Rheinische Zeitung
Der West-Ost-Konflikt aus SPD-Sicht
Von Wolfgang Bittner
Augenscheinlich halten es führende Sozialdemokraten und SPD-nahe Intellektuelle nicht für opportun, die wahren Verursacher der Ukraine-Krise, die eine Aggressionspolitik gegen Russland zur Folge hat, öffentlich zu benennen. Jedenfalls ist das der zwar gut gemeinten, aber letztlich doch undifferenzierten und insofern eine politische Wirkung verfehlenden Erklärung des Willy-Brandt-Kreises vom 21. Juni 2016 zum Warschauer NATO-Gipfel zu entnehmen (1).
Namhafte Unterzeichner wie Erhard Eppler, Friedrich Schorlemmer, Antje Vollmer, Peter Brandt oder Daniela Dahn fordern die Bundesregierung auf, „ein deutliches Zeichen der Entspannungsbereitschaft und Zusammenarbeit zu setzen und der drohenden Spirale eines neuen Wettrüstens in Europa Einhalt zu gebieten“. Sie sehen die Gefahr „eines heraufziehenden russisch-euroatlantischen Großkonflikts“, der „in eine Katastrophe münden kann“. Die Rede ist von einer Eskalationsdynamik zwischen Russland und der NATO, von neuen Rüstungsprojekten und Manövertätigkeiten, die den Frieden gefährden. Ein Ende der Sanktionen sei nicht in Sicht, so heißt es, das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen sei „in einer Weise geschädigt, dass sich die Aufrüstungsspirale in beunruhigender Weise weiter dreht“ und so weiter.
Die Frage nach den Verursachern
Alles richtig, und es ist unbestreitbar verdienstvoll, das zu benennen. Aber die wichtigste Frage zu diesem neuen West-Ost-Konflikt ist doch: Wer hat diese „Eskalationsdynamik“ in Gang gesetzt? Wer ist dafür verantwortlich, dass wieder Kalter Krieg herrscht und sich die NATO und Russland feindlich gegenüberstehen? Wie in der Flüchtlingsproblematik, wird auch hier die Frage nach den Verursachern einfach umgangen, als ob der West-Ost-Konflikt oder der Krieg im vorderen Orient einer nicht beherrschbaren Automatik unterlägen.
Ignoriert wird unter anderem der nachweislich vom Westen organisierte Putsch in Kiew sowie die von der Regierung Jazenjuk/Poroschenko veranlasste militärische Intervention in der Ostukraine, die zum Bürgerkrieg geführt hat. Seit der Aussage von Victoria Nuland („Fuck the EU!“) wissen wir, dass die USA mehr als fünf Milliarden Dollar in den Regime Change in der Ukraine investiert haben, und es ist bekannt, dass die dortige Regierung (sie gehört vor den Internationalen Strafgerichtshof) von den USA und der von ihr dominierten NATO gestützt wird.
Ignoriert wird ferner, dass die Sanktionen gegen Russland und die massive Aufrüstung auf einer Farce beruhen, nämlich der angeblichen Annexion der Krim, die in Wirklichkeit eine Sezession (friedliche Abspaltung nach einem Referendum) war; nachzulesen sogar in einem ausführlichen Artikel des Juristen und Mitglieds des Deutschen Ethikrats Reinhard Merkel in der FAZ vom 7. April 2014. Und ignoriert wird die seit Jahren voranschreitende militärische Einkreisung Russlands auf Betreiben der USA.
Langzeitstrategie der USA
Wie einer Rede des US-Vizepräsident Joe Biden vom 2. Oktober 2014 in Cambridge zu entnehmen ist, soll Russland durch die Wirtschaftssanktionen ruiniert werden. Hinzu kommen die Manipulation der Energie- und Kapitalmärkte und die aufgezwungenen Nachrüstungskosten. Russland soll als Machtfaktor in der internationalen Politik ausgeschaltet werden (deswegen die Verteufelung Putins). Das Land soll den westlichen Kapitalinteressen geöffnet werden, es soll sich den imperialen Ansprüchen der USA unterwerfen.
Die USA beanspruchen die globale Herrschaft, so schon der Politikwissenschaftler und Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski 1997 in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ (Eurasien als „das Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird“). Deswegen wird Westeuropa durch einen „Cordon Sanitaire“ von Russland abgetrennt, wie der ehemalige Direktor des einflussreichen US-Think Tanks Stratfor, George Friedman, in einer Rede am 4. Februar 2015 am Chicago Council on Global Affairs ausgeführt hat. Ziel der US-Außenpolitik sei seit einem Jahrhundert, so Friedman, Deutschland und Russland zu trennen, weil sie „vereint die einzige Macht sind, die uns bedrohen kann“. Friedman weiter: „Für die Vereinigten Staaten ist die Hauptsorge, dass … deutsches Kapital und deutsche Technologie sich mit russischen Rohstoff-Ressourcen und russischer Arbeitskraft zu einer einzigartigen Kombination verbinden…“
Hochgefährlich
Das sind nur einige wenige Aspekte dieses Konflikts, der sich immer gefährlicher entwickelt, und den die führenden europäischen Politiker, insbesondere Bundeskanzlerin Merkel, unter Missachtung der Interessen ihrer Länder mit befeuern. Wenn dann noch in einem Vorwärts-Artikel vom 13. Juli 2016 ohne jegliche Belege und Analyse ein Bedrohungsszenario durch Russland erfunden wird (2), ist das – milde gesagt – ein Skandal. Kein Wunder, dass die SPD immer mehr Mitglieder und Wählerstimmen verliert. Sie macht sich lächerlich und überflüssig.
Dr. Wolfgang Bittner, Schriftsteller und Jurist, ist Verfasser des Buches „Die Eroberung Europas durch die USA“, erschienen 2015 im Westend Verlag.
Fussnoten:
1 http://www.willy-brandt-kreis.de/pdf_16/wbk-zu-nato-gipfel-2016.pdf
2 http://www.vorwaerts.de/artikel/neue-ostpolitik-spd-aussehen-sollte
Online-Flyer Nr. 572 vom 27.07.2016
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