Aus: Ausgabe vom 18.07.2016, Seite 3
Das Geschenk Allahs
Der gescheiterte Staatsstreich einiger Militärs in der Türkei beschleunigt den Putsch der AKP-Regierung
Von Peter Schaber
Hintergrund: »Es fehlt an Demokratie«
Der Exekutivrat der aus der PKK hervorgegangenen Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK) hat am Samstag eine Stellungnahme zum gescheiterten Staatsstreich in der Türkei veröffentlicht. Wir dokumentieren eine gekürzte Fassung:
»Der Putschversuch, bei dem weder bekannt ist, wer dahintersteckt, noch mit welchen Absichten, hat die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, kurz bevor Recep Tayyip Erdogan ihm nahestehende Generäle ernennen wollte. Bereits vor einem Jahr kam es zum Putsch von oben gegen den demokratischen Willen der Bevölkerung und die kurdische Befreiungsbewegung. Nach den Wahlen am 7. Juni 2015 bildete Erdogan eine Allianz mit der MHP, allen faschistischen Kräften, nationalistischen Militärstrukturen in Gestalt von ›Ergenekon‹ und Teilen der Armee. Die AKP schickte die Armee in die kurdischen Städte, um Häuser niederzubrennen und Hunderte Zivilisten zu ermorden. Außerdem erließ man Gesetze, die Soldaten vor Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen schützen.
Es spielt keine Rolle, welche internen oder äußeren Faktoren es für den Machtkampf geben sollte. Der Putschversuch beweist vielmehr, dass es in der Türkei an Demokratie fehlt. Denn derartige Bestrebungen sind nur dort möglich, wo ein autoritäres Regime sich an die Stelle eines anderes setzen will.
Gefährlicher als der Putschversuch selbst ist, dass Erdogan und die faschistische AKP als Verteidiger der Demokratie dargestellt werden. Der Machtkampf unter den autoritären, despotischen und antidemokratischen Kräften ist nicht der Kampf zwischen den Anhängern und Gegnern der Demokratie. Eine solche Sicht dient letztlich nur dazu, die faschistische und despotische AKP-Regierung zu legitimieren.
Es gibt in der Türkei einen Putsch gegen die Demokratie. Dieser wird von der faschistischen AKP-Regierung betrieben: Die Justiz ist unter Kontrolle der Politik, faschistische Gesetze wurden erlassen, eine Mehrheit des Parlaments hat die Immunität von Abgeordneten aufgehoben, Bürgermeister wurden verhaftet oder von ihren Posten abgesetzt, Tausende Politiker der HDP und DBP sind in Haft. Das ist der wirkliche Putsch.
Der Versuch einiger Militärs, in der Nacht von Freitag auf Samstag die Macht in der Türkei zu übernehmen, ist gescheitert. Wenige Stunden nachdem die Putschisten im türkischen Staatsfernsehen ihre Deklaration verlesen hatten, war bereits klar, dass der Sturz der AKP-Regierung nicht gelingen würde. Was bleibt, ist Ratlosigkeit darüber, was hier überhaupt geschehen ist und wer hinter der äußerst dilettantischen Aktion steht.
Die von der türkischen Regierung und den ihr hörigen Massenmedien verbreitete Deutung der Ereignisse ist simpel: Eine dem im US-Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen nahestehende »Parallelstruktur« habe »die Demokratie« in der Türkei beseitigen wollen, sei aber am massenhaften Widerstand des Volkes gescheitert.
Die Urheberschaft der Gülen-Bewegung (Cemaat), die zu Beginn der Regierungszeit der AKP noch als deren Verbündeter galt, inzwischen aber von Präsident Recep Tayyip Erdogan und Premier Binali Yildirim als »terroristische Vereinigung« bezeichnet wird, ist allerdings alles andere als plausibel. Gülens Einfluss, so groß er im Justizapparat und auf den mittleren Ebenen der staatlichen Bürokratie sowie in der Polizei sein mag, gilt in der Armee als kaum vorhanden. Die Erklärungen der Putschisten tragen zudem eher eine kemalistisch-säkulare Handschrift, nicht die der religiösen Gülen-Bewegung.
Dazu kommt, dass das Vorgehen der aufbegehrenden Militärs extrem unprofessionell war. Zu Beginn des Staatsstreichs wurde keiner der wichtigen Funktionäre der AKP verhaftet oder auch nur festgesetzt. Die Soldaten wirkten überfordert, einige behaupten, überhaupt nur unter dem Vorwand einer »Übung« ausgerückt zu sein. Die Kanäle der Regierungsmedien wurden spät oder gar nicht ausgeschaltet, die Beteiligung strategisch wichtiger Truppen wie der in Istanbul stationierten Ersten Armee war nicht sichergestellt.
Bemerkenswert war auch, dass keiner der Verantwortlichen sich öffentlich mit Namen und Gesicht hinter die Erklärung der Machtübernahme stellte, sondern der Putsch bis zu seinem Ende völlig anonym blieb. Absprachen mit Oppositionsparteien, etwa der kemalistischen CHP, hatte es offenkundig auch nicht gegeben, denn alle Fraktionen des türkischen Parlaments verurteilten die Aktion unmissverständlich und unverzüglich. Die angestrebte Machtübernahme blieb so fast völlig ohne Unterstützung der Bevölkerung und musste scheitern.
Wegen des planlosen Vorgehens der Militärs erwägen einige Kommentatoren – bis hinein in die deutschen bürgerlichen Leitmedien –, der Putsch könne eine Inszenierung Erdogans gewesen sein, um seine eigene Macht weiter ausbauen zu können. Dagegen sprechen allerdings der hohe Blutzoll des Coups sowie der Umstand, dass die nun verhafteten Soldaten, Offiziere und Juristen, deren Zahl in die Tausende geht, wohl kaum ohne harte Bestrafung davonkommen werden. Welches Interesse könnten sie an solch einer Inszenierung gehabt haben?
Wahrscheinlicher ist eine abgeschwächte Variante: »Hat er ihn (Erdogan den Putsch; d. Red) kommen sehen – oder hat er ihn womöglich sogar inszeniert?« fragt der Islamwissenschaftler Udo Steinbach im Gespräch mit Focus. »Ich will Erdogan das nicht unterstellen. Aber vieles wirft schon Fragen auf. Es ist erstaunlich, dass so ein Putsch aus heiterem Himmel überhaupt geschieht, wenn man bedenkt, wie die Armee zusammengesetzt ist. Dort weiß jeder über jeden Bescheid, es gibt einen Militärgeheimdienst.«
Jenseits aller Spekulationen bleibt eine Gewissheit. Der große Gewinner des gescheiterten Staatsstreichs heißt Recep Tayyip Erdogan. Noch während der Niederschlagung des Aufstandes nannte der Staatspräsident ihn ein »Geschenk Allahs«. Und geschickt wusste er das Geschenk zu nutzen. Etwa 3.000 Richter wurden abgesetzt, 140 von ihnen verhaftet, darunter die zwei Verfassungsrichter Alparslan Altan und Erdal Tezcan. Im Militär beginnt eine Säuberungswelle historischen Ausmaßes. Und Tausende fanatisierte Islamisten füllten die Plätze des Landes, griffen unabhängig von irgendeinem Zusammenhang zum Putsch alle Gegner der AKP an: Soldaten wurden gelyncht, Büros der linken kurdischen HDP zerstört, alevitische Stadtteile wie Istanbul-Gazi angegriffen.
Erdogan wird die angesichts des gescheiterten Coups entstandene Massenmobilisierung und den politischen Druck auf die Oppositionsparteien nutzen, um seinen eigenen, seit Jahren betriebenen langsamen Staatsstreich zu forcieren: die Etablierung einer auf ihn zugeschnittenen Präsidialdiktatur
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