Beitrag von Matthias Jochheim
Gemeinsame Sicherheit statt Krieg
Alternativen zur NATO
These 1: Die Bundesrepublik Deutschland ist von keinem äußeren Feind militärisch bedroht, führt selbst aber Krieg in mehreren Weltregionen. Die „Verteidigungsministerin“ ist in Wahrheit eine Kriegsministerin.
Ursula von der Leyen hat angekündigt, ein milliardenschweres zusätzliches Investitionsprogramm für die Bundeswehr auflegen zu wollen - umgerechnet 9 Milliarden Euro jährlich zusätzlich, und 7000 neu einzustellende Soldaten. Ziel ist es, die Mittel für Kriegsführungskapazitäten auf 2% des Bruttosozialprodukts anzuheben, wie von der NATO als Vorgabe gefordert. Deutsche Soldaten sind inzwischen auf mehreren Kontinenten im Kriegseinsatz, in der Regel in Kooperation mit NATO-Verbündeten. Dabei ist die BRD offensichtlich von keinem äußeren Feind bedroht, gegen den militärische „Verteidigung“ erforderlich sein könnte.
„World at war“ hat die UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR ihren Bericht für das Jahr 2014 betitelt: die bewaffneten Konflikte von Osteuropa bis zum Hindukusch und nach Afrika treiben weiter Millionen in die Flucht. - Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die Herkunftsländer der in Deutschland Schutzsuchenden für 2015 aufgeschlüsselt: die weitaus meisten, über 35%, kommen aus Syrien, und insgesamt rund 60% aus Regionen, in denen unter aktiver Beteiligung von NATO-Mächten Krieg geführt wurde und wird. Hat die NATO also militärisch versagt, werden die neuen Waffen und die Aufstockung des Bundeswehr-Personals in Osteuropa, Asien und Afrika das Los der Menschen in den Einsatzgebieten zum Besseren wenden? Ist die NATO also die geeignete Organisation, globale Sicherheit nicht nur für die Interessen von Rüstungskonzernen, sondern auch für die Menschen in Konfliktregionen voranzubringen? Zunächst ein Blick auf Geschichte, Entwicklung und bisheriges Agieren von NATO-Mächten.
A Entstehung der westlichen Militärbündnisse nach dem 2. Weltkrieg
Die NATO war seit 1949 der Rahmen für die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland. Diese erfolgte, obwohl die ursprünglichen Beschlüssen der Siegermächte des zweiten Weltkriegs bei der Potsdamer Konferenz 1945 vorsahen, den deutschen Militarismus endgültig zu eliminieren. Die Remilitarisierung Westdeutschlands (der Bundesrepublik Deutschland), in Konfrontation mit der Sowjetunion, wurde stattdessen umgesetzt von den Offizieren der deutschen Wehrmacht, die den Vernichtungskrieg 39 - 45 insbesondere im Osten geplant und kommandiert hatten. Nach ihrer Gründung wurde die NATO Teil eines weltweiten, insbesondere gegen die Sowjetunion, später auch gegen die Volksrepublik China gerichteten Systems von Militärallianzen, wie der SEATO (Südostasien-Vertragsorganisation), und der CENTO (Central Treaty Organization). Die letztgenannten Bündnisse sind inzwischen aufgelöst und z.T. durch andere Formen der Einflussnahme durch die USA ersetzt worden.
B USA und NATO
Die entscheidende Kraft in der Entwicklung der NATO waren und sind die USA. Der Militärapparat der US-Streitkräfte ist weltweit unvergleichlich: sie betreiben über 700 Auslands-Stützpunkte auf drei Kontinenten, und kontrollieren weltweit die Ozeane (und bekanntlich auch die Telekommunikation, wie man jetzt weiß). Die Gesamtausgaben für die US-Streitkräfte lagen 2014 bei rund 600 Mrd. USD, die NATO-Militärausgaben zusammen werden mit 863 Mrd. US-Dollar angegeben, etwa 50% der gesamten Rüstungsausgaben weltweit. Dabei haben die NATO-Mitgliedsnationen mit einer Zahl von 906 Millionen Menschen einen Anteil von rund 12% an der Weltbevölkerung. (Nicht berücksichtigt dabei: Saudi-Arabien - 80 Mrd. USD -, Japan mit 45 Mrd. $ jährlich, und andere militärische Kooperationspartner von USA und NATO, wie Australien, Neuseeland, Kolumbien u.a.m.) - Unbestreitbar ist bisher, zumindest im Militärischen, die Charakterisierung der USA durch den früheren US-Sicherheitsberater Brzezinski: „Die einzige Weltmacht“. 1956 war der gescheiterte Suez-Krieg der alten Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien -gemeinsam mit Israel gegen Ägypten - das letzte Kriegsabenteuer dieser Regierungen, das sie ohne die Unterstützung des „Big Brother“ unternahmen.
C US-Kriege sowie NATO-Militär-Putsche seit 1945 - eine unvollständige Aufzählung
Korea-Krieg 1950-53, mit UN-Mandat, unter Beteiligung von Verbündeten (ca. 950.000 getötete Soldaten, ca. 3 Millionen getötete Zivilisten); Vietnam-Krieg 1963-75 (Am 3. April 1995 gab Vietnam bekannt, dass von 1954 bis 1975 im Krieg je zwei Millionen nord- und südvietnamesische Zivilisten (12–13 % der Gesamtbevölkerung) und 1,1 Millionen nordvietnamesische Soldaten und südvietnamesische NLF-Kämpfer gestorben seien. Zudem fielen 58.220 US-Soldaten und 5.264 Soldaten ihrer Verbündeten. Fortbestehende Giftschäden durch das massenhaft eingesetzte Dioxin „Agent Orange“). In allen diesen US-Feldzügen wurde die Kriegsführung vom US-Militär bestimmt, unterstützt jeweils von einer „Koalition der Willigen“.
NATO-Militär-Putsche
in Griechenland 1967; in der Türkei (1960, 1973, 1980), beide seit 1952 NATO-Mitglieder
NATO nach dem Ende des Warschauer Pakts und der Auflösung der Sowjetunion 1991: Neudefinition des Bündnisses: nicht mehr ausschließlich die Verteidigung der Bündnispartner im Falle eines äußeren Angriffs, wie bei der Gründung 1949 erklärt, war nun der Inhalt, sondern im Punkt 13 des am 8. November 1091 in Rom beschlossenen neuen Konzepts wird festgelegt, dass auch die „Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, die Unterbrechung lebenswichtiger Ressourcen sowie Terror- und Sabotageakte“ die Sicherheitsinteressen des Bündnisses tangieren, und folglich nun weltweit NATO-Eingriffe auslösen können.
Das Völkerrecht verlor dabei auch für die europäischen Verbündeten weitgehend seine Relevanz, wie der 1998/99 inszenierte und geführte NATO-Krieg gegen Jugoslawien - erstmals wieder unter militärischer Beteiligung Deutschlands - unter Beweis stellte. Aufschlussreich in diesem Kontext die Begründung des US-Sonderbeauftragten Richard Holbrooke für die schon im Bosnien-Krieg erfolgte extralegale Bombardierung durch die US-Luftwaffe: dies war, so erinnert er sich, (Zitat) “seit dem Ende des Kalten Kriegs der wichtigste Test für den amerikanischen Führungsanspruch nicht nur in Bosnien, sondern in ganz Europa.“
Ex-Kanzler Schröder hat übrigens im Kontext mit dem Konflikt um die Ukraine und die Krim ganz nonchalant zu Protokoll gegeben, der Kosovo-Krieg sei natürlich unter Bruch des Völkerrechts geführt worden.
Aktuell: NATO-Osterweiterung/ Ukraine/ Syrien
Entgegen mündlicher Zusagen erfolgte nach dem Ende der Sowjetunion und des Warschauer Pakts eine rasche Erweiterung der NATO um eine Reihe osteuropäischer Staaten, darunter auch die früheren baltischen Republiken der Sowjetunion. Die Zahl der Nato-Mitglieder ist inzwischen von anfangs 12 auf heute 28 Staaten angestiegen.
In der Ukraine, ökonomisch und politisch mit Russland vielfältig verbunden, entstand in der von „Oligarchen“ privatisierten Wirtschaft eine eskalierende Krise. 2014 dann kam es auf bis heute nicht aufgeklärte Weise unter Mitwirkung westlicher Regierungen zum gewaltsamen Sturz der gewählten Regierung in Kiew, die neuen Machthaber lösten im Osten des Landes einen Bürgerkrieg aus und drohten mit der Kündigung eines Stützpunkts der russischen Flotte auf der Krim, einem Gebiet mit einer mehrheitlich russischsprachigen Bevölkerung.
Parallel fanden unter Mitwirkung ukrainischer Flottenverbände NATO-Marinemanöver im Schwarzen Meer statt, und inzwischen auch in der Ukraine selbst ein gemeinsames Manöver der ukrainischen Armee mit US- und NATO-Truppen. NATO-Verbände an Russlands Grenzen werden weiter verstärkt, die US-Armee führt in diesen Gebieten ostentativ Manöver durch und wird in Europa um dorthin verlegte Kampfverbände verstärkt, parallel zur Einrichtung einer ultraschnellen Eingreiftruppe unter Beteiligung der Bundeswehr. An der Nahtstelle zu Russland wurde ein Konfliktherd (offenbar bewusst) verschärft, statt eine für die betroffene Bevölkerung tragbare Kompromisslösung der divergierenden Interessen zu finden. Wer profitiert davon?
Parallel dazu prallten die strategischen Ziele auch im Nahen Osten aufeinander. Wiederum gegen die Interessen der dort Betroffenen ebenso wie gegen die völkerrechtlichen Regeln der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten haben die USA, Großbritannien und Frankreich, diesmal mit aktiver Beteiligung auch der deutschen Bundesregierung, als „Freunde Syriens“ im Bunde mit so illustren Demokraten wie den Scheichs von Katar und von Saudi-Arabien ein weiteres arabisches Land mit ihren Wohltaten bedacht, insbesondere Waffenlieferungen und militärische Ausbildungshilfe, auf dem Weg über die Erdogan-Türkei. Auch die Luftwaffe von USA, Großbritannien, Frankreich, Israel und nun auch Deutschlands, auf der anderen Seite Russlands sind, um mit Orwell zu sprechen, im heftigen Friedenseinsatz. Die Folgen sind uns allen präsent: zerstörte Regionen und Millionen von Flüchtlingen in Syrien selber, in den Nachbarländern,- und nun auch in Europa.
These 2: Rüstung und Krieg haben wesentlich ökonomische Hintergründe
Welches sind nun die inneren Antriebskräfte für Militarisierung und Krieg in unseren „westlich-demokratischen“ Staaten?
US-Präsident Dwight D. Eisenhower, ein ehemaliger Oberbefehlshaber der US-Army im zweiten Weltkrieg, warnte bei seinem Abschied aus dem Präsidentenamt 1959 vor der gefährlichen Macht des „militärisch-industriellen Komplex“ in den USA, der zunehmend die politischen Entscheidungen der Regierung auch über Krieg und Frieden dominierte.
Die Rüstungsindustrie hat insbesondere für die USA nach dem 2.Weltkrieg eine wesentliche gesamtwirtschaftliche Bedeutung: 1962 wurde „56,2% des gesamten Absatzes der elektronischen Industrie für militärische oder – eng damit verbunden- Zwecke der Raumfahrt verwendet. 40% der bis 1959 verkauften Computer wurden entweder direkt vom Militär oder von der Rüstungsindustrie mit staatlicher Unterstützung gekauft. Die Computer-Forschung und –Entwicklung wurde hauptsächlich vom Militär in der einen oder anderen Weise finanziert.“ „Die elektronische Industrie, der am schnellsten wachsende Industriezweig, (war) vollkommen militarisiert. „Größere Firmen mit großem Kapital und großer Produktionskapazität verdanken ihre Überlebenschancen nach dem 2.Weltkrieg dem Kalten Krieg. …So hat im Jahr 1960 das Militär 6,1 Mrd. Dollar für Forschung und Entwicklung aufgebracht, während die Privatindustrie nur 4,4 Mrd. Dollar beigetragen hat. …Vieles weist darauf hin, dass durch die Militarisierung der Wirtschaft tatsächlich eine wesentliche Risikoquelle kapitalistischer Produktion beseitigt wurde: die Entwicklung neuer Produktionsverfahren und Produkte….Man kann nicht eindringlich genug darauf hinweisen, dass selbst der relative Wohlstand und die Stabilität der amerikanischen Gesellschaft heute vollkommen auf einer Grundlage beruhen, die ungeheuer zerstörerische Kräfte freisetzt.“ (in: Horowitz, Big Business und Kalter Krieg, Bertrand Russel Peace Foundation 1969)
Militarisierung und Krieg als Geschäft – das gilt heute natürlich in besonderem Maße für die Supermacht USA – aber es ist auch in deren kleineren Trabanten ein wirksames Prinzip des Unfriedens.
These 3: Menschliche Sicherheit ist nicht durch Krieg zu erreichen.
Schon vor Jahren hat die britische Wissenschaftler-Gruppe Oxford Research Group die Forderung nach einem Paradigmenwechsel zum Begriff der Sicherheit gestellt- weg von der Fixierung an militärische Machtentfaltung, hin zur „Human Security“: der Ernährungssicherheit, der ökologischen Sicherheit, dem schonenden Umgang mit Ressourcen, der sozialen Sicherheit - all dies in der gegenwärtigen Globalisierung sträflich vernachlässigte elementare menschliche Interessen, die wir ins Zentrum der öffentlichen Debatte rücken müssen. Krieg und Militarisierung ist, das wusste schon Thomas Mann, die wirksamste Methode, von den tatsächlich notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen abzulenken.
Ad hoc könnte der Frieden in Mitteleuropa am besten gesichert werden durch
-den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland
-die Schließung der US-Militärstützpunkte in Deutschland, dabei besonders auch der US-Leitstelle in Ramstein für den weltweiten Drohneneinsatz
-nach dem Vorbild Frankreichs unter Präsident de Gaulle: die Beendigung der NATO-Integration Deutschlands in gemeinsamen Planungsstäben und kriegerischen Einsätzen
-den verbindlichen Verzicht auf bewaffnete Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr
-Längerfristig: den Austritt aus der NATO, als Schritt zur Auflösung dieses Bündnisses
-Abrüstung der Bundeswehr, Umschulung der Soldaten zu internationale einsetzbaren Katastrophenschutzhelfern
-Umwidmung der Mittel aus dem Kriegs- und Rüstungsetat zum Zweck der Förderung erneuerbarer Energien, der Entwicklung umweltverträglicher Verkehrssysteme, der wirtschaftlichen Förderung der ausgebeuteten Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas
These 4: das kritische Potential gegenüber den massiven Bedrohungen in unserer gegenwärtigen Weltlage ist auch in Deutschland nicht geringer als zu Hochzeiten der Friedensbewegung.
Es besteht ein deutliches Bewusstsein über die bedrohlichen Missstände in unserer Gesellschaft, über die soziale Ausgrenzung, die ökologische Talfahrt, die wirtschaftliche Not auch in Europa, das Elend von Kriegsflüchtlingen, und die Unglaubwürdigkeit von Politikern und Medien in der öffentlichen Behandlung all dieser Themen.
Es ist unsere Aufgabe, als informierte, zur Aktivität bereite Bürgerinnen und Bürger, über den Tellerrand unseres jeweiligen Stamm-Themas hinaus zu blicken, den Mut auch zu an die Wurzel gehender Kritik aufzubringen, und zu einer großen Bewegung beizutragen, die den Satz ernst nimmt: „Mehr Demokratie wagen!“, und zwar gerade im Kernbereich unserer Gesellschaft: den ökonomischen Strukturen, die heute so zerstörerisch wirken.
Wir haben bedeutende Verbündete, denn auch Papst Franziskus sagt es öffentlich: „Diese Wirtschaft tötet“.
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