„Emil Carlebach“ - von Christoph
Leclaire / Ulrich Schneider
DER ROTE QUERDENKER
Ein Buchtipp von Harry Popow
Ein dünnes Heftchen von 54 Seiten bringt es fertig, Hirn und Herz neuerlich auf Trab und die Seele in´s Schwingen zu bringen: „Emil Carlebach. Widerstandskämpfer und ehemaliger Häftling des Konzentrationslagers Buchenwald.“ Das ist eine Dokumentation zum 100. Geburtstag dieses unbeugsamen Kommunisten, herausgegeben von der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora / Freundeskreis e.V., zusammengestellt und geschrieben von Christoph Leclaire und Ulrich Schneider.
Ein dünnes Heftchen von 54 Seiten bringt es fertig, Hirn und Herz neuerlich auf Trab und die Seele in´s Schwingen zu bringen: „Emil Carlebach. Widerstandskämpfer und ehemaliger Häftling des Konzentrationslagers Buchenwald.“ Das ist eine Dokumentation zum 100. Geburtstag dieses unbeugsamen Kommunisten, herausgegeben von der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora / Freundeskreis e.V., zusammengestellt und geschrieben von Christoph Leclaire und Ulrich Schneider.
Emil Carlebach am Rednerpult in
Buchenwald, anlässlich des 50. Jahrestages der Selbstbefreiung der
Häftlinge 1995
Foto: Timo Schadt
Es ist nicht so, dass diese Broschüre
Neues erzählt von den Gräueltaten in den faschistischen Lagern.
Bemerkenswert ist vielmehr, dass der am 10. Juli 1914 in Frankfurt am
Main geborene Emil Carlebach auch nach der Befreiung vom
Hitlerfaschismus in Westdeutschland/BRD politisch mahnend vor neuer
Kriegsgefahr gewirkt und die Geschichte der Bundesrepublik aus
antifaschistischer Perspektive aktiv mitgeprägt hat, bevor er am
9. April 2001 in Frankfurt am Main verstarb.
Seine Botschaft: „Lasst nicht nach in
eurer Wachsamkeit. Lasst euch durch schöne Worte nicht beruhigen.
Unser Schwur gilt heute wie vor 50 Jahren: Für eine Welt des
Friedens und der Freiheit.“ Dazu gehöre der Kampf gegen den
Faschismus, gegen Antisemitismus und Herrenmenschentum, so Emil
Carlebach. (S. 9) An anderer Stelle heißt es: „Wir, die Veteranen
des antifaschistischen Kampfes, erinnern uns und warnen unsere
Völker, vor allem unsere Jugend: Glaubt nicht den Schlagworten. Wir
müssen in Wort und Tat der heraufziehenden Gefahr widerstehen. Das
sind wir unseren gefallenen Kameraden und unseren heutigen jungen
Mitgliedern schuldig.“ (S. 14)
Der Rezensent sieht sie vor seinem
geistigen Auge, die lahmgelegten Gleichgültigen, die von einem
Großteil der bürgerlichen Medien verblendeten Unpolitischen, und
wie sie abwehrend entgegenhalten: „Alles Schnee von gestern“. Was
heute zähle, das sei das Individuelle, der Einzelne, der sich
durchkämpfen müsse. Kollektivität? Jeder sehe zu, wie er mit der
Marktwirtschaft zurande komme. Das Wort Solidarität zwischen den
Menschen und Völkern – ade damit. Aber gerade dieses Wort, das
solidarische Miteinander, das ist ein Wert, den der einstige
KZ-Häftling Emil Carlebach den Heutigen mit auf den Weg gibt.
Er hat es erlebt, dieses menschliche
Füreinander, sonst hätte er die Lagerqualen – und mit ihm zig
andere Häftlinge, nicht überstanden. Nicht ohne Grund trat er nach
1945 in Westdeutschland und in der BRD als politischer Journalist,
als Gewerkschafter, als Mitglied der DKP, als Gesprächspartner mit
Jugendlichen in Aktion. Emil Carlebach wirkte als Aufklärer, als
Geschichtslehrer. Seine Themen: Die Ursache für das Entstehen des
Faschismus (so sein Buch „Hitler war kein Betriebsunfall“) sowie
die Warnung vor neuem Unheil in Form des Großkapitals und neuer
Machtansprüche, wobei er die damalige DDR „als das bessere
Deutschland angesehen hatte…" (S. 13)
Während einer Ansprache am 9. April
1995 zum 50. Jahrestag der Selbstbefreiung auf dem Appellplatz in
Buchenwald schmettert Emil Carlebach der heutigen Elite entgegen:
„Sie haben die neue Wehrmacht aufgebaut – nach zwei Weltkriegen
zum dritten Mal. Sie beziehen Pension und tragen ihre Hitler-Orden
weiter, denn sie haben ja `wohlerworbene Ansprüche` an den Staat,
der schon wieder dabei ist, seine jetzige Wehrmacht weltweit
einzusetzen. Weltweit!“ (S. 40)
In Westdeutschland musste er nach einem
täuschenden Neubeginn erleben, „dass ein antifaschistischer
Neuanfang mit den Vorstellungen der amerikanischen Militärbehörden
nicht konform ging“. (S. 11) Als Mitbegründer der „Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) in Frankfurt, in Hessen und
auf gesamtdeutscher Ebene in den Jahren 1946/47 machten er und seine
kommunistischen Mitstreiter Front u.a. gegen die Rehabilitierung
alter Nazis und gegen die Restaurationspolitik in der BRD, was zu
Konflikten mit der Obrigkeit führte.
In einem Interview des Autors dieser
Schrift, Christop Leclaire, bekennt Emil Carlebach, wie schwer der
Kampf gegen Krieg und Gewalt und für mehr Menschlichkeit geworden
ist, denn es habe „viele Rückschläge gegeben, vor allem nach der
Annexion der DDR“. (S. 33) Es sei ein bitterer Kampf, weil man mit
soviel Dreck, „mit so viel Gesinnungslumperei sich
auseinandersetzen muss und nicht etwa mit Argumenten“. (S. 34) Auch
sei das, was die ehemaligen KZ´ler zu sagen haben, in keiner Zeitung
gedruckt worden.
Ein Beispiel: Wegen der Klage eines
rechten Studenten im Oktober 1996, „der Widerstand ehemaliger
Häftlinge der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau“ sei nicht
„spezifisch und unmittelbar hochschulbezogen“, verurteilte das
Oberverwaltungsgericht in Münster 1997 den Allgemeinen Studierenden
Ausschuss (AstA) der Universität Münster wegen des Interviews zu
einem Ordnungsgeld in Höhe von 500 DM. Der allgemeinpolitische
Inhalt entspreche nicht den „fachlichen Belange(n) der
Studierenden“. Fazit: Unbequeme bzw. kritische Verfolgte des
NS-Regimes – vor allem Kommunisten – sollten nicht zu Wort
kommen. (S. 38)
Emil Carlebach kommt aus einer
bürgerlichen Familie, ein „Zugang zur Politik war in dieser
Familie nicht angelegt. Aber ein Gefühl für Gerechtigkeit hatten
ihm seine Eltern mitgegeben.“ (S. 9) Erst ein Justizmord in den USA
Ende der 20er Jahre war für den jungen Mann ein Anstoß, sich
politisch zu organisieren. Mit 18 Jahren trat er in die
Kommunistische Partei ein und war ab sofort das „schwarze Schaf“
bzw. „der Rote“ in der Familie. ( S. 10) Seine Erfahrungen und
die Zeit im Gefängnis und in den Lagern Dachau und Buchenwald, die
er als „Schule für´s Leben“ bezeichnete, fasste er 1995 mit
dieser Erkenntnis zusammen: Dass „Disziplin, Solidarität,
Standhaftigkeit, Überzeugungstreue das Wichtigste im Leben sind. Und
ich habe dort erlebt, was kollektiver Widerstand bedeutet“.
Die unbedingt für junge Leser zu empfehlende Dokumentation enthält
neben der Einleitung eine kurze Biografie von Emil Carlebach, einen
Erinnerungsbericht eines jungen Mitstreiters, ein Interview von
Christoph Leclaire mit dem einstigen Häftling, einen Rückblick zur
Geschichte des Interviews sowie Erinnerungen und Ansprachen von Emil
Carlebach, Beiträge des Emil-Carlebach-Clubs, abgelichtete
Lagerdokumente, einen Aufruf der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora /
Freundeskreis e.V. zur Mitarbeit und Mitgestaltung zur Bewahrung des
Vermächtnisses der politischen Häftlinge des KZ Buchenwald sowie
einen Überblick über seine wichtigen Bücher und journalistischen
Texte.
Bei einer Neuauflage dieses Büchleins
empfiehlt sich, auch über das Leben und Wirken der beiden Autoren
Christoph Leclaire und Ulrich Schneider zu informieren, ebenso über
Lena Sarah Carlebach, die als Emil Carlebachs Enkelin das Geleitwort
schrieb.
„Lasst nicht nach in Eurer
Wachsamkeit", rief er mehreren tausend Kundgebungsteilnehmern
auf dem Appellplatz zu. Das war 1995! Und 2014? Die Zeit erfordert
mehr denn je mutige Leute, solche wie Emil Carlebach, den ROTEN
QUERDENKER. (PK)
Christoph Leclaire / Ulrich
Schneider: „Emil Carlebach. Widerstandskämpfer und ehemaliger
Häftling des Konzentrationslagers Buchenwald“. Herausgegeben von
der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora / Freundeskreis e.V.,
Pahl-Rugenstein-Verlag Nachfolger GmbH, Breite Str. 47, 53111 Bonn, 4
Euro, ISBN 978-389144-468-9
Erstveröffentlichung der Rezension
in der Neuen Rheinischen Zeitung
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