Samstag, 28. Juni 2014

Vom Mut, Außenseiter zu sein

 
(entnommen der jungen welt)
 
28.06.2014 / Wochenendbeilage / Seite 1 (Beilage)Inhalt

»Mein Publikum bewahrt mich davor zu verzweifeln«


Gespräch mit Konstantin Wecker. Über Faschisten in der Ukraine und die deutsche Friedensbewegung, Rechtsruck in der EU und bittere Einsichten


Interview: Markus Bernhardt


Den Dagobert Ducks die rote Karte zeigen: Konstantin Wecker (Mit

Den Dagobert Ducks die rote Karte zeigen: Konstantin Wecker (Mitte) und die Linke-Landtagsabgeordnete Janine Wissler (vorn) am 17. Mai 2012 bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt am Main
Konstantin Wecker ist Musiker, Liedermacher, Komponist, Autor und Schauspieler. 2012 beteiligte er sich an dem von jW veranstalteten Konzert und der CD »Franz Josef Degenhardt – Freunde feiern sein Werk«, 2013 erschienen seine CD »Wut und Zärtlichkeit (live)« sowie das Buch (zusammen mit Prinz Chaos II) »Aufruf zur Revolte«.
Sie treten diesen Sonnabend beim Pressefest der DKP-Wochenzeitung Unsere Zeit (UZ) in Dortmund auf. Freuen Sie sich schon auf Ihren Auftritt?

Selbstverständlich! Es ist auch nicht mein erster Auftritt bei einem UZ-Pressefest. Ich komme immer wieder gern dorthin, um – auch gerne kontrovers – zu diskutieren und viele politische Weggefährten wiederzutreffen.

Eine maßgebliche Rolle wird dort sicherlich die Situation in der Ukraine spielen, wo es zu brutalen Angriffen und mörderischer Gewalt gegen Kommunisten und Linke durch die Neofaschisten des »Rechten Sektors« und ähnlicher Gruppierungen kommt. Was erwarten Sie von der deutschen Friedensbewegung?

Ich wünsche mir, daß sich diejenigen, die sich hier dem Frieden und dem Antifaschismus verpflichtet fühlen, eindeutig positionieren und sich solidarisch mit den verfolgten Linken zeigen. Es gab ja schon einige Aktionen der Friedensbewegung dazu. Ich selbst bin etwa Ende Mai bei einer Friedenskundgebung in Leipzig vor über tausend Menschen aufgetreten, die unter anderem vom Linke-Politiker Volker Külow organisiert worden war und zu der auch die Gewerkschaften mobilisiert hatten. Zwar war dies eine gelungene und zugleich erfolgreiche Aktion, wir brauchen jedoch dringend mehr davon.

Es ist ja kein Geheimnis, daß die organisierte Friedensbewegung in der Bundesrepublik nicht mehr so stark ist, wie zum Beispiel in den 80er Jahren. Hinzu kommt, daß zunehmend auch Rechte versuchen, das Thema Krieg und Frieden zu vereinnahmen und für ihre Zwecke zu mißbrauchen.


Sie spielen auf die sogenannten Montagsdemonstrationen an?

Ja, auch. Man darf es sich in der Bewertung dieser Bewegung nicht zu einfach machen. Schließlich nehmen an diesen Aktivitäten ja Menschen unterschiedlichster Natur teil. Kriegsgegner von links, Medienkritiker und auch hochgradig unangenehme Zeitgenossen wie Verschwörungstheoretiker und »Reichsbürger«. In diese Richtung gilt es selbstverständlich ganz klar, den Trennungsstrich zu ziehen.

Übrigens gab es auch früher schon – ich denke da an die Demos gegen den Irak-Krieg – Versuche von Rechten, sich unter die Demonstranten der Friedensdemos zu mischen. Das war damals jedoch eindeutiger und wurde nicht so unterschwellig praktiziert, wie es heute mancherorts der Fall ist.


Die heutigen Montagsdemonstranten wollen weder links noch rechts sein. Öffnen sie damit nicht selbst Tür und Tor für ihre Unterwanderung durch rechte Aktivisten?

Diese Gefahr ist vorhanden, natürlich. Ich unterscheide sehr deutlich zwischen rechts und links, das ist für mich überhaupt kein Thema. Für mich kommt eine solche Gleichmacherei überhaupt nicht in Frage. Die politischen Ziele von Linken und Rechten sind völlig andere.

Aber zurück zur traditionellen Friedensbewegung. Die war ja auch früher schon zersplittert. So engagierten sich darin Anhänger unter anderem der KPD/ML, trotzkistischer Organisationen und linker Feministinnen, die nochmal ein eigenes Lager bildeten. Diese Flügelkämpfe haben damals schon viele Menschen verschlissen. Auch ich persönlich bin in diesen Zeiten mehr von den linken Gruppen angegangen worden als von den Konservativen. Mein verstorbener Freund Hanns Dieter Hüsch wurde damals etwa von linken Gruppierungen am Singen gehindert und ist in die Schweiz ausgewandert, weil er es nicht mehr ausgehalten hat. Ich kenne also diese Zersplitterungen, und man muß sagen, es hat nichts bewirkt. Außer, daß die Zersplitterung im Endeffekt immer der Konterrevolution geholfen hat.


Denken Sie, daß heutzutage überhaupt noch eine organisierte Friedensbewegung existiert?

Ich habe damals die Bewegung erlebt – und sie war sehr groß. Diese Friedensbewegung ist jedoch – Historiker mögen mich widerlegen – mit dem berühmten Satz von Joschka Fischer »Nie wieder Auschwitz« zerschlagen worden. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, daß auch mein Publikum gespalten war. Ich war gegen den Jugoslawien-Krieg, und etwa die Hälfte meines Publikums war dafür. Ab dem Jugoslawien-Krieg gab es die Friedensbewegung, wie ich sie zuvor kannte, nicht mehr.

Ist es möglich, die Friedensbewegung wieder zum Leben zu erwecken?

Ja, es ist wahrscheinlich schon möglich. Dazu muß sich jedoch auch die Linke selbst ein wenig öffnen und nicht zu selbstgefällig agieren, wie es derzeit der Fall ist. Ich sage aus der Sicht meines Alters heraus, daß bei vielen traditionellen Aktivisten auch ungeheure Eitelkeiten mit im Spiel sind. Wenn wir uns aber auf eine respektvolle Weise zusammentun, haben wir gute Chancen, erfolgreich zu sein.

Daß ich beim UZ-Pressefest spiele – und das seit langer Zeit – ist auch ein Zeichen meinerseits. Ich bin kein Kommunist, ich bin nie in der DKP gewesen, sondern fühle mich nach wie vor eher dem Anarcholager verbunden. Aber ich trete sehr gern beim Pressefest auf, selbst wenn wir in manchen Dingen sicherlich unterschiedliche Einschätzungen und Meinungen haben. Mein jüngerer Sohn tendiert zur SDAJ und überholt mich jetzt links. Was ich schön finde (lacht).

Es gibt immer auch verschiedene Sichten auf Dinge und trotzdem ist es möglich zusammenzuarbeiten. Ich habe in der Vergangenheit übrigens auch Konservative kennengelernt, die durchaus Ideale hatten. Man darf nicht immer sofort alle Menschen fallenlassen, nur weil sie nicht gleich von Anfang an dem richtigen, echten, guten und wahren Lager angehören. Es gibt auch Unternehmer, die mir klargemacht haben, daß man auch wirtschaften kann, ohne zu zerstören. Das können aber nur die kleinen Unternehmen, die nicht ausschließlich dem Shareholder-Value verpflichtet sind. Konzerne müssen zerstören. Wenn man letztere schon nicht zerschlagen kann, was mir am liebsten wäre, muß man sie mit Gesetzen in ihre Schranken weisen. Banken und Konzerne brauchen ganz starre, starke Gesetze, und dafür kann man für phantasievolle Mittelständler durchaus mehr Erfindungsgeist zulassen. Dann hätten wir auch als Ergebnis mehr Daniel Düsentrieb und weniger Dagobert Duck.


Wir verzeichnen in der EU einen massiven Rechtsruck. Europaweit kamen rechte und faschistische Parteien bei der EU-Wahl auf insgesamt etwa 19 Prozent. Wird die von den Rechten ausgehende Gefahr hier unterschätzt?

Natürlich wird das unterschätzt. Und auch unterdrückt – und zwar bewußt. Es wird unterdrückt, daß die Politik der letzten Jahre am Erstarken der Rechten schuld ist, so daß man fast den Eindruck hat, daß diese Entwicklung gewollt ist. Unangenehm ist das gewissen Unternehmern sicher nicht. Jedenfalls sicher nicht so unangenehm, wie ihnen ein Erstarken demokratischer oder linker Bewegungen wäre.

Wenn man über Jahre hinweg die Menschen bluten läßt und aller sozialer Rechte beraubt, die in den letzten Jahrzehnten erkämpft wurden, braucht man sich nicht wundern. Insofern ist es völlig zutreffend zu sagen, daß Merkels Politik für diesen deutlichen Rechtsruck mitverantwortlich ist. Der Rechtsruck ist eine Folge der brutalen Politik des Neoliberalismus und ich fürchte – wie gesagt – schon fast, er ist in bestimmten Elitekreisen nicht unbedingt unerwünscht.


Wie erklären Sie sich das Schweigen auch linker Organisationen, wenn es um die Pogrome der Nazis in der Ukraine geht?

Das kann ich mir nicht erklären. Ich kann mir übrigens auch nicht erklären, warum sich die Führungsspitze der Linkspartei und ihrer Fraktion öffentlich von ihrer eigenen Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen distanziert hat, die die grüne Fraktionschefin mittels eines Brecht-Zitats kritisiert hatte, weil die Grünen den Einfluß der Nazis in der Ukraine wider besseres Wissen herunterspielen. Wo kommen wir da hin, wenn wir nicht mal mehr an der richtigen Stelle Brecht zitieren dürfen? Ich habe übrigens schon vor dem Massaker der Rechten in Odessa Mitteilungen erhalten, daß die Linke in der Ukraine verfolgt würde. Davor darf niemand die Augen verschließen, geschweige denn es bewußt leugnen.

Es wird ja fälschlicherweise – unter anderem von Teilen der Solidaritätsorganisation Rote Hilfe – behauptet, daß die Linke in der Ukraine gemeinsame Sache mit russischen Nationalisten machen würde …



Bild 1


Wenn ich von Nazis verfolgt würde, würde ich auch dahin gehen, wo man mich beschützt. Wir sollten uns alle wieder daran erinnern, daß Linkssein auch heißt, Internationalist zu sein. Unsere Politik und viele Medien klammern das Thema Faschismus in der Ukraine ja bewußt aus.

Ich denke fernab davon, daß es uns als Linken wieder verstärkt gelingen muß, junge Menschen für eine gerechtere Welt zu begeistern. Ich meine damit selbstverständlich nicht die, die sowieso schon in der SDAJ oder der Linksjugend organisiert sind. Eine breite Studentenbewegung wie früher gibt es ja derzeit leider nicht. Es wurde ein ungeheurer Druck in dieser Leistungsgesellschaft aufgebaut, so daß jeder bestenfalls für sich kämpft. Als 20jähriger hat man doch heute schon panische Angst, ob man überhaupt einen Job ergattern kann.


Es ist das Privileg älterer Semester, die Jugend zu kritisieren. Ich selbst bin mit Mitte 30 derart abgegessen von dem, was sich heute Jugend nennt, daß ich keinerlei Lust mehr verspüre, mich mit der selbstgefälligen Ignoranz dieser Herrschaften noch auseinanderzusetzen …

Ich habe im Gegensatz zu Ihnen gar nicht eine solch scharfe Kritik an der Jugend. Ich neige eher etwas zum Fatalismus. Ich kann die Situation junger Leute aber auch verstehen. Als ich 20 war, habe ich mir alle Freiheiten genommen und wußte, irgendwo kriege ich immer einen Job. Das ist ja heute nicht mehr so. Die Menschen haben Angst, ihr Leben als Hartz-IV-Bezieher fristen zu müssen oder schlimmstenfalls betteln zu gehen. Daher kann ich manches verstehen.

Ich habe eher Kritik an einem System, das es geschafft hat, alles im Keim zu ersticken, was einer wirklichen Rebellion den Weg bahnen könnte. Die 68er-Zeit war einmalig und wichtig. Trotz und vielleicht auch wegen allen Wahnsinns, den es damals auch gab. Die Konterrevolution hat daraus jedoch ganz clever gelernt. Der Neoliberalismus hat sich das alles in Ruhe angeschaut und ist zu seinem Siegeszug angetreten. Er tut immer so, als sei er keine Ideologie, nur alle anderen. Dabei ist er eine straffe Ideologie, die es wirklich zu bekämpfen gilt.

Mir sagte ein junger Mann nach einem meiner Konzerte, er glaube, daß viele Studenten ja klug genug seien, alles zu durchblicken. Wenn sich die jungen Leute aber mehr informieren würden, beispielsweise über wirkliche politische Zusammenhänge, dann müßten sie etwas an ihrem Leben ändern. Und das wollten sie nicht. Das fand ich damals eine sehr kluge Einschätzung.


Sie haben die 68er-Zeit ja selbst in vollen Zügen ausgekostet. Ist es vor diesem Hintergrund für Sie besonders schlimm, daß es zu einem derartigen Rollback kommt und von Befreiung nichts mehr zu spüren ist?

Es ist schon befremdlich, daß junge Leute die Nase rümpfen, wenn jemand Tabus bricht oder aus der Norm fällt. Ich sage meinen Studenten immer gern, habt den Mut, Außenseiter zu sein. Irgendwann wird man euch dann auch akzeptieren. Mitläufer gibt es mehr als genug.

Liegt es am Wunsch nach Sicherheit oder vielmehr an ausgeprägter Langeweile und Schlichtheit?

Es ist mehrheitlich sicher die Suche nach Glück. Wir haben es früher woanders gesucht. Eher im geistigen Bereich. Heute glaubt man, was uns natürlich auch von der Werbung eingeredet wird, wenn man ein Haus, die richtige Markenkleidung, einen reichen Mann oder eine schöne Frau habe, daß dies das Glück sei. Wenn man all das dann einmal hat, wird man jedoch merken, daß Glück mit materiellem Überfluß rein gar nichts zu tun hat. Es war immerhin Bertolt Brecht, der diese wunderschönen Zeilen schrieb: »Höchstes Glück ist doch, zu spenden/Denen, die es schwerer haben/Und beschwingt, mit frohen Händen/Auszustreun die schönen Gaben.«

Wie kann man diese Entwicklung aufbrechen?

Ich mache mir keine Gedanken darüber, wie ich etwas aufbrechen kann. Ich habe früher schon geschrieben, es geht ums Tun, nicht ums Siegen. Wenn ich das anders handhaben würde, müßte ich mich wohl weinend in die Ecke legen. Ich mache lieber weiter wie bisher. Ich kann mir keine Gedanken darüber machen, ob ich zu Lebzeiten noch eine gravierende politische Veränderung erleben werde.

Das ist ja auch die Frage, die Hannes Wader und mir immer gestellt wurde: Hat es irgendwas gebracht, euer Engagement für eine bessere Welt? Offensichtlich ja nicht. Wir haben die Politik nicht ändern können, sondern mußten gar den Abbau sozialer Sicherheiten und selbst Krieg, von deutschem Boden ausgehend, erleben. Aber vielleicht müssen wir uns die Frage andersherum stellen. Wo stünden wir eigentlich, wenn es keine aufrechten Journalisten, Künstler und Sänger, Kriegsgegner und Antifaschisten gegeben hätte, und viele andere mehr, die versucht haben, etwas zu verändern, zu bewirken? Wie beschissen sähe es dann aus?


Und trotz dieser bitteren Einsichten verzweifeln Sie nicht? Es gäbe doch allen Grund, sich am nächsten Tresen niederzulassen, zuzuschütten und sich nicht mehr für den Irrsinn, der einen umgibt, zu interessieren?

Das gibt es ja auch.

Ich besitze große Sympathien dafür!

Ich muß sagen, daß mich mein Publikum davor bewahrt zu verzweifeln. Es ist zwar nicht immer mit mir einer Meinung, aber wir haben die gleiche Sehnsucht. Ich sehe viele Menschen, die ähnlich denken. Wenn ich das nicht hätte, wenn ich meine Konzerte nicht hätte, nur schreibend in der Ecke sitzen würde, dann wäre es schlimmer. Ich würde wohl auch zynisch werden. Und davor habe ich Angst. Zynismus ist immer eine vermeintliche Rettung aus der Verzweiflung heraus. Aber ich möchte nun mal nicht zynisch werden. Mir fiel vor ein paar Jahren im Gespräch mit einem Freund auf, daß der Zyniker immer Publikum braucht. Zynisch ist man nie mit sich allein. Allein mit sich, da ist man verzweifelt oder hat bestenfalls eine Portion Selbstironie. Beim Zynismus braucht man hingegen immer ein Gegenüber, dem man zeigt, daß man auf einem höheren Wissensstand ist.

Ich bin ein glühender Idealist und bleibe das lieber auch. Mit all den Fehlern, die man dabei macht. Und mit all den Unsicherheiten, die dadurch entstehen. Beispielweise in bezug auf meinen Pazifismus. Für den habe ich mich einmal entschieden, weil man sich immer im Leben für etwas entscheiden muß. Ob ich aber tatsächlich gewaltlos wäre, wenn ich angegriffen würde, ich weiß es nicht. Ich halte den Zweifel und die Selbstreflexion jedenfalls für unendlich wichtig.


Es wirkt, als wären Sie stets auf der Suche. Im Gegensatz zu anderen gehen Sie damit sehr offenherzig um. Fällt die Bilanz einer ernsthaften Selbstreflexion nicht immer negativ aus? Schließlich kann man die eigene Sehnsucht, die einen umtreibt, nicht stillen?

Man versucht, sich zu erforschen. Auch die unangenehmen Dinge, die eigenen Eitelkeiten und alles, was man an sich nicht mag. Das ist ein Faß ohne Boden. »Von all meinen größten Lieben, ist mir nur eine geblieben, der Selbstbetrug«, habe ich schon in den 70er Jahren geschrieben. Genau das ist es. Man belügt sich ja immer auch selbst. Aber es gibt auch Momente, wo alles plötzlich klar ist. Die kennen Sie auch. Da sollte man dann auch nicht dran herumdoktern. Manchmal ist es aber ein Elend unseres Lebens, daß wir das Denken nicht abschaffen können.

Haben Sie manchmal, wenn Ihre Konzerte beendet und Sie wieder alleine in Ihrer Garderobe sind, eine tiefe innere Leere in sich?

Das ist der Grund, warum viele Künstler Alkoholiker sind und Bühnenschaffende zu Drogen greifen. Dieser Moment zeigt uns, daß alles endlich ist. Das hat sicher eine Rolle bei manchen meiner früheren Exzesse gespielt.

Es stimmt übrigens auch nicht, daß Drogen immer nur schlechte Gefühle verursachen. Es gibt auch gute Erfahrungen mit Halluzinogenen. Natürlich kann das auch anders ablaufen. Aber im Endeffekt hat doch jeder seine eigene Wirklichkeit. Aber um zurück zur Frage zu kommen: Die Übereinkunft mit meinen Ideen und meiner Person hat zugenommen. Ich war früher viel weniger im Einklang mit mir selbst.


Also wird man im Alter gelassener?

Gelassener kann man werden. Ich bin noch nicht so weit zu sagen, es ist jetzt gut. Ich möchte meinen Abgang nun noch nicht erleben, weil ich das Gefühl habe, es gibt noch einiges zu bereinigen. Mit mir und auch mit der Außenwelt.

Ich habe mich immer für die Hospizbewegung engagiert und habe einige Menschen sterben sehen. Auch meine Mutter hatte das Glück, in einem Hospiz zu sterben. Dort wird man liebevoll behandelt und kann respektvoll abtreten. Mein Vater beispielsweise, der ist auch würdevoll gegangen. Er war damals 87 und wollte nicht mit einem Rollator gehen, was notwendig gewesen wäre. Er hat dann einfach aufgehört zu trinken, weil er einfach nicht mehr wollte. Er hat schon früher immer gesagt, er habe keine Angst vor dem Tod, und ich dachte, er schwindelt mich an. Aber dann habe ich gemerkt, daß er wirklich keine hatte. Bei anderen Menschen war es ganz anders. Die klammerten sich an den letzten Hauch Leben.

Je mehr du merkst, daß du endlich bist, desto wichtiger ist es, sich mit dem Unendlichen zu beschäftigen. Das muß jeder aber mit sich selbst ausmachen. Ich gebe da keine Tips ab. Jedoch gibt es vieles, was wir nicht verstehen und was weit über unseren Horizont hinausgeht. Und dieses Non-Rationale können wir uns nicht erdenken. Das kann man manchmal erfahren. Ich erlebe es oft in der Poesie und in der Musik. Es ist dies ein neues und spannendes Universum, dem man sich nicht durch ein zu enges und rein materialistisches Weltbild verschließen sollte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen