„Der stille Putsch“ - von Jürgen
Roth
„Que se lixe a Troika“
Buchtipp von Harry Popow
Eine Hymne singen die Portugiesen, die „Grândola". In Erinnerung an die 1975 vollzogene und 1976 durch einen gezielten Boykott der Reaktion unter Mithilfe der deutschen SPD niedergeschlagene „Nelkenrevolution", bei der sie den demokratischen Sozialismus mit dem Ausruf „Wir sind das Volk“ ins Visier gefasst hatten und heutzutage landesweit von sich hören lassen: „Que se lixe a Troika“. Das heißt „Zur Hölle mit der Troika.“
Buchtipp von Harry Popow
Eine Hymne singen die Portugiesen, die „Grândola". In Erinnerung an die 1975 vollzogene und 1976 durch einen gezielten Boykott der Reaktion unter Mithilfe der deutschen SPD niedergeschlagene „Nelkenrevolution", bei der sie den demokratischen Sozialismus mit dem Ausruf „Wir sind das Volk“ ins Visier gefasst hatten und heutzutage landesweit von sich hören lassen: „Que se lixe a Troika“. Das heißt „Zur Hölle mit der Troika.“
Ein Rettungsruf, der auch in Deutschland und anderen europäischen
Ländern die Runde machen wird. Er richtet sich gegen den sozialen
und menschlichen Kahlschlag durch das Finanzkapital, durch Banken und
Politik, gegen die Machenschaften der Troika. „Albtraum Europa“,
sagt einer der bekanntesten und erfahrensten Journalisten Portugals,
Rui Araùjo.
„Troika", dieses Wort klinge
harmlos, so der Bestsellerautor Jürgen Roth in seinem neuesten Buch
mit dem Titel „Der stille Putsch. Wie eine geheime Elite aus
Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel
reißt.“ Tatsächlich aber bestehe dieses Gremium aus „Vertretern
der EU- Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der
Europäischen Zentralbank (EZB)“ und sei ein politökonomisches
Machtkartell, das von mächtigen Finanzinstitutionen und den
Netzwerken der Machtelite nicht nur ideologisch befruchtet werde. (S.
27) Deren Interessen: radikaler Sozialabbau und die Einschränkung
von Arbeitnehmerrechten.
Nicht neu ist die Feststellung des
Autors, dass laut Angaben von Oxfam „ein Prozent der
Weltbevölkerung fast die Hälfte des gesamten Weltvermögens in Höhe
von 81 Billionen Euro“ besitzt. Nicht genug damit: 63.000 Menschen
(davon 14.000 in Europa) haben zusammen ein Vermögen von 39.900
Milliarden Dollar gehortet, das natürlich - im Interesse der
Machterhaltung im Konkurrenzkampf für noch mehr Geldmacht - angelegt
und vermehrt werden muß. (S. 19) 147 internationale Konzerne, Banken
und Hedgefonds maßen sich an, „über rund 40 Prozent der
Weltwirtschaft“ zu bestimmen, so Goldman Sachs, Merrill Lynch, die
Bank UBS und die Deutsche Bank. Und allesamt seien auch „bei den
Bilderbergern wie bei anderen Eliteklubs zu finden“... (S. 55)
Was tun gegen die Putschisten, wie der
Autor die Kapitalelite nennt? Im Klappentext finden sich vier Worte
dazu: Sich „wehren können – und müssen“. Wie denn? Gibt es
nicht genug Mahnungen, Aufrufe, Proteste, Demonstrationen,
Bürgerinitiativen? Reihen sich nicht schon zahlreiche
gesellschaftskritische Sachbücher aneinander wie Spatzen auf
Telefondrähten? Wie erfüllen Autoren die Erwartungen der aktiven
Leser nach Aufklärung und möglichen Varianten des Widerstandes
gegen – sagen wir es glatt heraus – gefährliches
kapitalistisches Macht- und Expansionsgehabe? Zumal neben
ökonomischer Willkür und Ausbeutung nun auch verstärkt eine
militärische Komponente hinzukommt, man denke nur an die Lobpreisung
eines möglichen weltweiten Waffenganges durch Bundespräsident
Gauck, an die sogenannte Neuvermessung der Welt als auch an den durch
Obama heraufbeschworenen Führungsanspruch der USA in der Welt.
Doch zurück zum „stillen Putsch“.
Der Titel reizt zum Lesen, sollte aber nicht missverstanden werden,
dieser Putsch sei ein kollektiv geplantes und gut organisiertes
Bündnis der Krafteliten, denn diese unterliegen dem Druck des
schärfsten Konkurrenzkampfes, dem systemimmanenten Gehabe, dem
unerhörten Drang, Kapital zu vermehren, zu akkumulieren, aus Geld
noch mehr Geld zu machen. Das ist ein Zwang, der jede Moral mit
Füssen tritt, der die Menschen als Konsumidioten abstempelt, die nur
dazu da sind, die Macht des Kapitals zu schützen und zu mehren. Und
dies unter der verlogenen Siegeshymne von „Freiheit und
Demokratie“.
Um ökonomische und politische
Zusammenhänge besser verständlich zu machen, damit man dagegen
massiert protestieren kann – was belesenen Leuten leichter fallen
dürfte – seziert der Autor auf 320 Seiten die politische Kaste,
die wie eine Krake die Völker in Atem und unter Druck hält. Ihre
Arme mit den vielen Saugnäpfen ragen in alle Richtungen dieser Geld
beherrschenden Welt. Jürgen Roth hält sich dabei nicht nur mit
Statistiken, Studien und Analysen auf, sondern füttert seine
Impressionen und gründlichen Beobachtungen mit zahllosen Beispielen
aus Italien, Griechenland, Portugal, Zypern und Deutschland, denen
allerdings hin und wieder kurze Zusammenfassungen gut zu Gesicht
gestanden hätten. Besonders die Länder Süd- und Westeuropas
(Spanien und Portugal) müssen bei Strafe des Untergangs unter dem
Druck eines zunehmend aggressiven Neoliberalismus ihre
Wettbewerbsfähigkeit beweisen, und das – wie Jürgen Roth
feststellt – unter dem Zwang von gesenkten Löhnen, von
Einschnitten in die Sozial- , Gesundheits- und Bildungssysteme sowie
u.a. unter dem Diktat des Verkaufs öffentlichen Eigentums.
Er wirft der Troika eine perfide Form
der Erpressung gegenüber diesen Ländern vor, die knallhart fordert,
man solle doch die Löhne und Arbeitsbedingungen den speziellen
Bedürfnissen der Unternehmer anpassen. „Verkauft doch eure Inseln,
ihr Pleite-Griechen“, so zitiert Jürgen Roth die hetzerische
Bild-Zeitung. Der Autor warnt: Das sei nur der „Vorgeschmack
darauf, was in Zukunft allen europäischen Ländern droht“: Verkauf
öffentlichen Vermögens, ob Flughäfen,
Energieversorgungsunternehmen, Post, Wasserversorgung oder Immobilien
und Ländereien. (S. 248/249) Die „Pleitegeier“ also als mahnende
Beispiele für Deutschland und die anderen Länder der EU.
Authentizität erreicht der Autor durch
konkrete Orts- und Zeitangaben, mit denen er seine Berichte
einleitet. Er knüpft zahlreiche persönliche Kontakte, führt sehr
intensive Gespräche, und das nicht nur mit „hochkarätigen“
Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik, sondern auch mit dem
Mann auf der Straße. Da kommen Akteure zu Wort, deren Namen nicht
genannt werden dürfen als auch Opfer und Widerständler. Die Leser
erfahren von Geheimbünden, von Korruption, von vernetzten
Machenschaften der „Wirtschaftskriminalität“ im engen Bündnis
mit der Politik und den Medien. So entsteht ein lebendiges Bild
dieser allmächtigen Geldkrake, das uns in der Welt noch tüchtig zu
schaffen machen wird.
Entlarvend sind die verschiedenen
Motive der geheimen Elite, die kaum ohne die mühevolle
Kontaktfreudigkeit von Jürgen Roth ans Tageslicht gekommen wären.
Da ist die Rede von der Attacke auf den Sozialstaat, von der
allgemeinen Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, von der
verlogenen und vorgetäuschten aber illusionären Aufhebung der
Klassengegensätze zwischen Arbeit und Kapital, vom Profit als dem
endgültigen Maß aller Dinge (S. 49), von der Gestaltung Europas zum
„Wohle der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Konzerne“ (S. 87),
von der Krise als perfektem Vorwand, die Menschen zu erpressen
(162), von der Angst vor dem Kommunismus (186), von der Hirne
vernebelnden Behauptung der Überschuldung, man habe über seine
Verhältnisse gelebt (S. 217), von der Behauptung, der Grund für die
Krise sei die öffentliche Verschuldung. (S. 218)
Kommen wir auf die eingangs gestellte
Frage nach dem „Wie wir uns wehren können – und müssen“
(siehe Klappentext) zurück. Was tun gegen Sozialabbau und
Willkürherrschaft statt echter Demokratie? Auf der Seite 263 zitiert
Jürgen Roth den Juristen Wolfgang Hetzer, der davon spreche, „dass
die Schwelle zum Bürgerkrieg dann überschritten werde, „wenn die
Leute begreifen, was mit ihnen passiert. Wenn sie erkennen, wer die
Rechnung bezahlt für diese misslungene Politik und die Anmaßung der
Finanzindustrie“. Und auf Seite 289 fragt sich auch der Autor, ob
dieser stille Putsch der Geldmächtigen wieder rückgängig gemacht
werden kann und von wem? Ein Trostpflästerchen: 2013 fand in Athen
der große alternative Gipfel der europäischen sozialen Bewegungen
statt, auf dem in einem Manifest auf Alternativen aufmerksam gemacht
wurde. (S. 289)
Doch reicht das? Spielte da die 11.
Feuerbachthese eine Rolle, wenn Jürgen Roth Bernd Klees zitiert, den
ehemaligen Professor für Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialrecht:
„Illusionäre Visionen können unter Umständen ihre volle Kraft
entfalten, wenn ihre Zeit gekommen und die Verhältnisse sich als
unrettbar verkommen und morsch erweisen sollten.“ (S.291) „Von
diesem Zeitpunkt sind wir nicht mehr weit entfernt", so der
Autor, „wenn es so weiter geht wie bisher."
Möge also die Illusion, das Hoffen auf
Veränderungen im gesellschaftlichen Gefüge nie im Getöse von
Verblödungen seitens der Politik und ihrer Medien untergehen, wobei
der Autor mahnend auch an die niedergeschlagene Nelkenrevolution in
Portugal (u.a. S. 191 bis 197) erinnert...
„Der stille Putsch“ ist eine sehr
informative Lektüre, ein Enthüllungsbuch, allein durch die
authentischen Berichte der Zeitzeugen und der klaren Sprache des
Autors. Jedoch sollte jeder Interessierte auch beachten, dass
Zustandsberichte noch keinem der herrschenden Ein-Prozent-Diktatoren
weh getan haben. Zum Schaden für die Wirtschaftsverbrecher und
Kriegsprofiteure wird es erst dann kommen, wenn die Empörten das
Korsett der bürgerlichen Enge sprengen, die Schuldigen enteignen und
auf die Anklagebank setzen, sich aus dem Würgegriff des Kapitals
befreien. Wie sagt man in Portugal und anderswo? „Que se lixe a
Troika“ - Zur Hölle mit der Troika. Der Widerstand braucht einen
langen Atem.
„Wissen Sie, dass der reiche
Kapitalismus das Wertvollste, das es für den Menschen gibt, niemals
finanzieren kann: soziale Sicherheit und ein Leben ohne
Zukunftsängste. Die arme DDR konnte das." Dieses Zitat fand der
Rezensent in einem Beitrag von Ulrich Gellermann, siehe
http://www.rationalgalerie.de/kritik/das-andere-griechenland.html
und http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php.
(PK)
Jürgen Roth, Der stille Putsch.
Wie ein geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und
unser Land unter den Nagel reißt. Gebundene Ausgabe: 320 Seiten.
Verlag: Heyne Verlag (24. März 2014). Sprache: Deutsch, ISBN-10:
3453200276, ISBN-13: 978-3453200272. 19,99 Euro
Erstveröffentlichung dieser
Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung.
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