„Hartz
5. Ein Hartz IV-Roman“ - von Peter Hetzler
Der
TROTZ der „Schwachen“
Buchtipp
von Harry Popow
Tu
was dagegen, wenn du zeitweise nur von Brot und Tütensuppen leben
musst. Wenn du in einer zum Teil vom Staat bezahlten Mietwohnung
sitzt, alleine, langsam an einem Brötchen kaust, zu Mittag eine
Kartoffel mit Salz bestreust und unendlich viele Bewerbungen
schreibst, um wieder Anschluß ans Erwerbsleben zu finden. Wenn du
Absagen bekommst die Menge, wenn du fühlst, du wirst nicht
gebraucht, du bist in den Augen mancher Leute der letzte Dreck. Wenn
von einem Leben in Würde keine Rede mehr sein kann. Unmerklich
verfällst du in Lethargie. Sich gehen lassen. Nichts tun. Böse
werden. Faul auf dem Bett liegen. „Auch die sozialen Kontakte“
gehen verloren. „Hartz IV als Entsozialisierungs- und
Vereinzelungs-Maschine,“ so Peter Hetzler in seinem Roman „Hartz
5“ auf Seite 20.
Der
1955 geborene Autor ist freier Journalist und Mitarbeiter einer
südhessischen Erwerbsloseninitiative. Er kennt das Milieu der
Erwerbslosen aus eigenem Erleben. Und will sich auch mit dem Buch
gegen unhaltbare Zustände wehren. Er versuchte es. Er bot das Buch
manchen Verlagen zum Druck an. Doch – wie mitunter üblich -
schweigende Antworten. Umso mehr freut es die online-Redaktion der
Neuen Rheinischen Zeitung und den Rezensenten, die im
Erwerbslosenmilieu angesiedelten lebendigen Berichte auf den 153
Seiten, tatsächliche und fiktive, den Lesern wenigstens auf diesem
Wege ans Herz zu legen.
Sich
gehen lassen, sich nicht wehren, wenn man im Recht ist? Nicht so
SanSan. Das ist die Hauptgestalt in diesem Roman. Sie hatte, schreibt
der Autor auf Seite 13, nach der Mittleren Reife 26 Jahre als
Friseurin gearbeitet. Wegen einer Allergie gegen Haarfärbemittel
musste sie aufhören, war fünf Monate arbeitslos und bekam eine
Umschulung als Online-Redaktionsassistentin. Die Portale, die sie mit
Textbeiträgen fütterte, fusionierten mit anderen. Mehr Texter
drängten auf den Markt. Die Folge: Aufstocken der Einnahmen durch
Hartz IV, bis schließlich nur diese Quelle übrigblieb. „Das war
nicht ihre Schuld, aber alle taten so, als ob.“
Frau
Sandra Sanders, wie sie sich nennt, stattet der Autor mit nicht
alltäglichen Charakereigenschaften aus. Sie ist stark, lässt sich
nicht unterkriegen, ist intelligent, kniet sich rein in Gesetze und
Bestimmungen, druckt gemeinsam mit den Gleichgesinnten in der
Erwerbslosengruppe Flugblätter mit dem provozierenden Satz,
„Achtung: Das Füttern von Erwerbslosen ist verboten“ und
verteilt sie mutig in einer spektakulären Aktion, hilft anderen
Erwerbslosen, sich gegen Unrecht zu wehren. Hervorzuheben ist die
feinsinnige und warmherzige Art, wie Peter Hetzler die Mitglieder der
Gruppe charakterisiert.
SanSan
erhielt fortan – das kennen leider viele – vom Jobcenter 382 Euro
Arbeitslosengeld, außerdem zahlte es Krankengeld und Miete. Das
Problem: Ihre Eineinhalbzimmerwohnung kostete 385 Euro, angemessen
sei aber nur eine Wohnung für 320 Euro. Also Wohnungssuche. Doch sie
erwies sich als ein Schuss ins Leere. Man rümpft halt die Nase, wenn
man von einem Arbeitslosen hört. Schließlich bekam sie Anspruch auf
eine Sozialwohnung. Allerdings standen 431 Personen auf der
Warteliste. SanSan gab auf. Bezahlte die 65 Euro Differenz vom
Arbeitslosengeld. Blieben zum „Leben“ pro Monat noch 317 Euro.
Davon gingen die Gebühren für Strom, Telefon, Internet und andere
Festkosten ab. Doch dann klingelte es plötzlich an ihrer
Wohnungstür...
Damit
beginnt der Autor seinen Roman - mit dem unerwarteten Besuch eines
„Sozial-Detektivs“ und seiner Begleiterin vom Jobcenter. Man
wolle Sozialbetrug aufdecken, sagte der Mann. Er wühlt in Schränken
und im Kühlschrank, findet Langnese-Honig, Eier von freilaufenden
Hühnern, Litschi- und Pitahayafrüchte. Von welchem Geld sie denn
diese teuren Sachen kaufe, wollte der Schnüffler wissen. SanSan
verweist empört auf Garten-und geschenkte Produkte und bittet den
Ordnungshüter, die Wohnung zu verlassen.
So
geht das nicht, sagt der Kontrolleur und weist seine Kollegin an:
„Notieren Sie: Frau Sanders wird aufgefordert, ihrem Fallmanager
eine Liste mit allen im vergangenen Monat geschenkt bekommenen
Lebensmitteln aufzustellen.“ Eine Woche später. Ein Brief vom
Fallmanager. Da sie keine Liste angelegt habe, werden ihr im
kommenden Monat 70 Euro vom Arbeitslosengeld einbehalten... Blieb
also von den 140 Euro, die für die Ernährung vorgesehen waren, nur
noch die Hälfte. Da brauchte man morgens doch gar nicht mehr
aufzustehen. (S. 14) Bei der Tafel für einen Euro einkaufen ginge
ebenfalls nicht, denn einer Frau wurde bereits das Arbeitslosengeld
mit der Begründung gekürzt, „dass sie bei der Tafel einkaufe“.
(S. 19)
Der
Trotz in ihr bäumt sich auf. SanSan informiert die
Erwerbsloseninitiative, die sich „Hartz5“ nennt und sich jeden
Dienstagabend trifft.
Man
solidarisiert sich mit ihr, zumal es bereits ähnliche Fälle im
Kreis gibt, und die Mitstreiter raten ihr,
die
Sache öffentlich zu machen und schlagen eine Demonstration vor.
SanSan lehnt ab: „Ich will diese Schweinerei stoppen, und zwar
gleich und jetzt. Wir brauchen etwas mit Sofortwirkung“.(S. 17)
Einer der Gruppenmitglieder witzelt: Am Ende bestimmen sie noch, wie
oft wir die Klospülung betätigen dürfen.
Der
Hartz 5 – Gruppe gelingt es mit unermüdlichem Fleiß, mit Tricks
und akribischen Recherchen im Internet so manche ungehobelten Dinge
der Behörden aufzudecken. Es gehe u.a. um die Phrase, man solle
sich eine billigere Wohnung suchen. (Nach Recherchen der SanSan im
Internet stünden in den letzten zwei Monaten von insgesamt 752
inserierten Wohnungsangeboten für Erwerbslose nur siebzehn zur
Verfügung – für insgesamt 1600 Hartz IV-Haushalte!!! „Jeder
vierte Hartz IV-Haushalt im Kreis zahlt damit drauf“. (S. 92) Ins
Visier nehmen die ruhelosen Erwerbslosen unzumutbare Jobangebote, so
zum Beispiel einen Hausmeisterposten für einen Euro die Stunde.
Scharf gehen sie ins Gericht mit einer Zeitarbeitsfirma, die „vom
Jobcenter Geld dafür bekommt,“dass sie ausbildet. „Für jeden,
den diese Zeitarbeitsfirma qualifiziert, bekommt sie 650 Euro pro
Monat vom Jobcenter“ und nochmals 28 Euro pro Stunde und
Arbeitskraft. Damit verdiene die Firma an jedem gut 4100 Euro im
Monat netto. Bei zwölf Leuten seien das rund 50.000. (S. 63) Das
heißt, die Zeitarbeitsfirma kassiere doppelt. Im Fokus auch deren
sieben Wochen Praktikum für Erwerbslose, wo nur vier erlaubt sind.
Eine Entdeckung per online: Dabei würden auch Schmiergelder fließen.
„Die Schweinerei“, so Peter Hetzler, „war nicht das
Schmiergeld. Das war nur Beiwerk. Die Schweinerei war, dass
bundesweit mehr als eine halbe Million Erwerbslose in solchen
Maßnahmen verpulvert wurden.“ (S. 122) Eine schier endlose Kette
von Verstößen nimmt die Erwerbsloseninitiative aufs Korn und eckt
an und kämpft und kämpft...
Über
kleine Erfolge des Widerstandes freuen sich die Hartz 5 – Leute
ebenso wie die Leser. Einerseits werden die unbotmäßigen
Forderungen nach Listen geschenkter Lebensmittel zurückgenommen und
das abverlangte Geld zurückerstattet, zwei Mitarbeiter der Behörden
werden gefeuert, einem droht ein Strafverfahren. Andererseits sei man
beim Problem der Erstattung von angemessenen Mieten für Erwerbslose
nicht vorangekommen. (S. 153) Man verlange zum Beispiel eine Erhöhung
der Mietobergrenzen um zwei Euro. Doch die Vertreter des „Gesetzes“
schütteln den Kopf: „Die Mietobergrenze für die Kunden des
Jobcenters werden nach Recht und Gesetz festgelegt. Daran gibt es
nichts zu deuten.“ (S. 115)
Bei
Kommentaren zu Systemfragen lässt Peter Hetzler zumeist SanSan und
die Mitglieder der Hartz5-Gruppe zu Wort kommen. So die Forderung
nach einem Mindestlohn, (S. 35), die richtige Feststellung, dass
Ein-Euro-Jobs reguläre Arbeitsplätze verdrängen, dass Artikel drei
des Grundgesetzes für Erwerbslose außer Kraft gesetzt sei, in dem
es heißt, alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Den Mitarbeitern
der Jobcenter werden in bestimmten Fällen Unfähigkeit und
Ahnungslosigkeit vorgeworfen. Auf die Mahnung eines Angestellten,
beim Billigjob leiste man doch etwas für die Gesellschaft, dadurch
bekomme man einen ganz anderen Status, kontert SanSan: „Ja, den
eines braven Sklaven“. (S. 41)
Was
tun, wenn man nicht ein noch aus weiß? Wenn man mit allzu kleinen
Schritten nicht vorankommt? Wenn man nicht erhört wird? Wenn einem
die Schulden über den Kopf wachsen? Wenn man genötigt ist, auf der
Straße zu leben? Kopfschüttelnd wird der Leser dann die letzten
Seiten dieses Roman-Protokolls verschlingen, bei denen der Autor
Unglaubliches schildert. Nur soviel: Es handelt sich um keinen
Dumme-Jungen-Streich...
Zuletzt
fragt man sich ebenso wie SanSan: Weshalb zwingen sie einen, selbst
um jede noch so kleine Selbstverständlichkeit zu kämpfen? Was war
der Grund? Blödheit? Desinteresse? Schikane? Schlamperei oder
Größenwahn? SanSan ist pfiffig genug, um sich selbst eine Antwort
geben zu können: Arbeitslosigkeit und die unverschämte Kluft
zwischen Reich und Arm - sind sie nicht systembedingt? Es liegt doch
auf der Hand: Jeder ist sich selbst der Nächste – trotz
zahlreicher sozialer Maßnahmen des Staates. Aufstieg oder Fall –
du bist selbstbestimmt und letztendlich für dich allein
verantwortlich. Und wer Kraft hat wie SanSan und ihre Mitstreiter,
der trotzt den Unwägbarkeiten. Mit mehr oder weniger kleinen
Erfolgen. Wer aber gar nicht aus dem Topp kommt, der bleibt halt auf
der Strecke. So einfach ist das mit der Moral... „Hartz 5“ - ein
notwendiger Roman des Autors, der in viele Hände gehört, um nicht
den Boden unter den Füssen zu verlieren...
Peter Hetzler: „Hartz 5. Ein Hartz IV-Roman“, Taschenbuch, 153 Seiten, Verlag: Books on Demand; Auflage: 1 (26. April 2013), Paperback, 9,90 Euro, ISBN 978-3-7322-3790-6, BoD, E-Book: 5,49 Euro, ISBN 9783848282784
"Mehr Infos und eine Leseprobe gibt es auf der Website des Autors unter http://www.peter-hetzler.net/hartz5/."
Erstveröffentlichung
der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung
I have the dream of a world without wars...
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