Mittwoch, 28. August 2013

Die "Platons" lassen grüßen...


Lob des Kommunismus“ – Wolfgang Beutin, Hermann Klenner, Eckart Spoo (Hg.)



Buchtipp von Harry Popow


Kommunismus? Man denke noch an Gesine Lötzsch, die es gewagt hatte, laut zu denken und nach Wegen zum Kommunismus zu fragen. Und nun ist ein neuer Störenfried auf dem Markt. „Lob des Kommunismus. Alte und neue Weckrufe für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen“, herausgegeben von Wolfgang Beutin, Hermann Klenner und Eckart Spoo. Dass dabei die Kapitalelite Wutausbrüche bekommt, da gegen vernünftige Argumente nicht anzukommen ist, wenn man vom hochgeputschten Vorwurf mancher Fehlentwicklungen mal absieht und die eigene Blutspur verwischen will – das ist ja nicht anders zu erwarten. Doch auch unter Linken gab es Irritationen.

Wer der Suche nach Alternativen von vornherein ein im Interesse weiterer Ausbeutung und des gierigen Profitstrebens eine Absage erteilt, der macht sich mitschuldig am Abgleiten der Menschheit in ein Nichts. Nicht zu Unrecht fragte Dietrich Eichholtz in der „jungen welt“ vom 02.08.2013 (siehe „Neuordnung der Welt, Sieg ohne Frieden, Teil II und Schluss): „...Steht uns eine Welt ohne Sozialismus bevor – eine ausgelieferte Welt, die den Kalten Krieg für die ihr gemäße Existenzform hält und die drängenden Menschheitsprobleme (Klima-katastrophe, Umwelt- und Energiekatastrophe, Armut, Hunger und Seuchen) zu bewältigen nicht in der Lage ist?“ Und Hans Modrow, in der „jungen welt“ vom 27.28. Juli 2013 nach der Perspektive der EU befragt, sagt: „Die EU soll Militärmacht sein und der Antikommunismus die Weltanschauung, die man verbreitet. Das ist keine Perspektive im Interesse der Menschen.“ Der soziale Zerfall sei somit vorprogrammiert.

Eine zukunftsträchtige Gesellschaft? Tausendmal ja! Gäbe es auch nur einen einzigen Hoffnungsschimmer, die Kluft zwischen Arm und Reich aus der Welt zu schaffen, gäbe es die endgültige Chance, jegliche kleineren und größeren Kriege von vornherein nicht zuzulassen, gäbe es die Möglichkeit, dem Terror, der Gewalt, der Korruption, dem Fremdenhass den Nährboden für immer zu entziehen – niemand hätte (außer den Profitjägern)etwas dagegen, nach echten gesellschaftlichen Alternativen zu suchen.

Warum? Weil eine auf Volkseigentum begründete Ordnung – anders strukturiert als das unter dem massiven ökonomischen und ideelllen Druck (sprich Klassenkampf) des Großkapitals untergegangene System des Sozialismus in den Ostblockländern – korrigierbar ist, korrigierbarer als die Versuche, das Heutige mit Rettungsschirmen, Trostpflästerchen und etwaigen Reparaturen über Wasser zu halten. Das Kapital wütet in der Krise und weist alle geistigen Strömungen zu einer veränderten Welt verständlicherweise mit aller Macht zurück.

Auf 200 Seiten lassen die Herausgeber 104 Philosophen, Theologen, Dichter, Publizisten, Theoretiker, Historiker – keinesfalls alles Kommunisten – sowie Politiker der Arbeiterbewegung der vergangenen Jahrhunderte zu Wort kommen, die den humanen Gedanken des menschlichen Miteinanders zu einem der erstrebenswertesten Ziele menschlichen Tuns auf dieser einzigartigen Erde erklärt haben. Sie provozieren die Mächtigen, sie versuchen, das mitunter schläfrige Dasein mancher satter Bürger zu wecken, sie erinnern an die kulturellen Traditionen in der Welt, an die großen Denker. Es sind Texte, die durchaus als geistige Angriffe auf die heutige Diktatur des Geldes und der Inhumanität, als eine Bedrohung für die Welt-Drahtzieher des Kapitals zu verstehen sind. So stellt Hermann Klenner im Geleitwort folgendes fest: Der Gedanke des Kommunismus löse bei „fanatisierten Antikommunisten ein ihrem limitierten Horizont gemäßes Echo aus. Dass der Kommunismus tabu sei, darf gedacht werden, dass er aber vernünftig sein könnte, „darf niemand denken oder gar aussprechen. (…) Und „wer gegen dieses Tabu verstößt, hat mit heftigen öffentlichen Angriffen und Distanzierungen zu rechnen“. (S. 5)

Mit keinerlei „Berufsverbot“ mehr haben dagegen die großen Denker seit der Antike zu rechnen. So meint Platon (347 v.u.Z.) zu dem grundlegenden Problem von Arm und Reich: „In einem Gemeinwesen, in dem Reichtum und Armut fremd sind, wird auch die beste Gesittung zu finden sein, denn weder Frevelmut noch Ungerechtigkeit kommen da auf.“ (S. 7) Thomas Morus (1478-1535) ergänzt: „Überall dort, wo es Privateigentum gibt und als Maßstab für alles nur das Geld gilt, gibt es keine Gerechtigkeit...“ (S. 20) Auf Ursachen des Zwiespalts zwischen oben und unten geht Thomas Müntzer ein: „Die Herren machen das selber, dass ihnen der arme Mann feind wird. Die Ursache des Aufstands wollen sie nicht beseitigen. Wie kann es dann auf die Dauer gut werden?“ Heinrich Heine fasst Müntzers Denken so zusammen: „Die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Volk.“ (S.23) Nebenbei sei hinzugefügt, dass nach Marx unter Privateigentum jenes zu verstehen ist, dass über Produktionsmittel verfügt.

Auf den Individualismus, auf den sich die bürgerliche Ideologie als Frontstellung gegen den Kollektivismus so gerne bezieht, geht u.a. Oscar Wilde (1854-1900) ein und schreibt den folgenden schönen Satz: „Die wahre Vollkommenheit des Menschen liegt nicht in dem, was er hat, sondern in dem, was er ist.“ Das Privateigentum vernichte den wahren Individualismus. „Die Persönlichkeit des Menschen ist so völlig von seinem Besitz aufgesogen worden, daß das englische Gesetz stets einen Angriff gegen das Eigentum eines Menschen weit strenger geahndet hat als einen Angriff gegen seine Person.“ (S. 106)

Ob Denkangebote von Jean-Jacques Rousseau, Gotthold Ephraim Lessing, Maximilien de Robespierre, Friedrich Hölderlin, Johann Gottfried Seume, Heinrich Heine, Ludwig Börne, Wilhelm Weitling, Karl Marx, Friedrich Engels, Bettina von Arnim, Ferdinand Lassalle, Alexander Iwanowitsch Herzen, August Bebel, Oscar Wilde, Franz Mehring, Wilhelm und Karl Liebknecht, Clara Zetkin, Rosa Luxemburg, Martin Andersen Nexö, Alexandra Kollontai, Henri Barbusse, Wladimir Iljitsch Lenin, Kurt Tucholsky, Antonio Gramsci, Hermann Hesse, Bertold Brecht, Sigmund Freud, Dschawaharlal Nehru, Thomas und Heinrich Mann, Albert Einstein oder Manfred Wekwerth, um nur eine winzige Auswahl der in diesem Buch zitierten Größen zu nennen – sie sind Perlen in der Literatur, Kunst und Politik. Sie reißen den Kapitalmächtigen die Masken vom Gesicht, sie deuten Lösungswege aus dem Dilemma der Unterdrückungsmaschinerie an, sie schüren das Feuer der Hoffnung auf eine menschenwürdige Welt.

Bei aller Bejahung der fortwährenden Entwicklung hin zum Sozialismus/Kommunismus erinnert der Schweizer Kunsthistoriker, Philosoph und Theologe Konrad Farner (1903-1974) an das “zuschanden“ gewordene Bild des Kommunismus durch theoretische Verkrustungen und Verflachungen, durch Ausartungen und Willkür und er fragt, ob „sich Weg und Ziel grundsätzlich noch auf derselben Ebene“ befunden hätten. Er sagt voraus, dass dieser Kommunismus „nur durch intensive Arbeit zahlreicher Generationen unter vielen Rückschlägen und nicht ohne falsche Experimente erreicht werden kann“...(S. 175)

Eckart Spoo, einer der drei Herausgeber dieser anspruchsvollen kulturellen Leistung, polemisiert in seinen Nachbemerkungen gegen die weltweite Meinung, der Sozialismus sei „out“. „Der übermächtige Kapitalismus, der mit Boykott, Wettrüsten und anderen unfriedlichen Methoden seit Jahrzehnten daran mitgewirkt hatte, diese Staaten zu destabilisieren, schien nun endgültig über die ganze Erde zu herrschen.“ (S. 191) Mahnend schreibt er auf Seite 195: „In der Auseinandersetzung zwischen Menschenrecht und Kapitalmacht (…) wird es immer auf Menschen ankommen, die sich nicht einschüchtern lassen... (…) Ihnen solle das Buch helfen zu wissen, „dass viele berühmte Dichter und Denker auf ihrer Seite stehen“. (S. 195) Das Buch verstehe sich nicht als Beitrag irgendeiner Partei. Einige Autoren lebten lange vor der Gründung politischer Parteien, so Spoo. Er zitiert abschließend Pablo Picasso, der 1956 erklärte, „dass ich zum Kommunismus gekommen bin wie zu einer Quelle und dass mein ganzes Schaffen mich dahin geführt hat“.

Aktuell passt besonders folgender Ausspruch von Lenin in die heutige Zeit: „Die Menschen waren in der Politik immer die einfältigen Opfer von Betrug und Selbstbetrug, und sie werden es immer sein, solange sie nicht lernen, hinter allen möglichen moralischen, religiösen und politischen Phrasen, Erklärungen und Versprechungen die Interessen dieser oder jener Klassen zu finden.“ (S. 124)

Wem sollte man diese lobenswerte Fundgrube streitbarer gedanklicher Vorlagen als Alternativen zum Imperialismus – die in einem zweiten Buch mit Autoren wie zum Beispiel Pablo Neruda, Lion Feuchtwanger oder Maxim Gorki, um nur einige wenige zu nennen, seine Fortsetzung finden soll - empfehlen? Den Widersachern des Humanismus etwa? Den Fanatikern des Ewiggestrigen? Den eigentlichen Bremsern jeglichen Menschheitsfortschritts? Möge diese Anthologie allerdings jenen in die Hände kommen und mit Vergnügen von ihnen gelesen werden, die sich von der rückständigen und armseligen Verteufelung des „Unwortes“ Kommunismus nicht beirren, nicht geistig knebeln lassen, die dem menschlichen Miteinander endlich eine Chance geben wollen. Die „Platons“ lassen grüßen...



Wolfgang Beutin, Hermann Klenner, Eckart Spoo (Hg.): „Lob des Kommunismus. Alte und neue Weckrufe für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen“, Taschenbuch: 200 Seiten, Verlag: Ossietzky; Auflage: 1 (März 2013), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3944545028, ISBN-13: 978-3-944545-02-8, mit Zeichnungen von Thomas J. Richter, Preis: 20.00 Euro.

Zu den Herausgebern:

Wolfgang Beutin, geboren 1934 in Bremen; Studium der Germanistik und Geschichte in Hamburg und Saarbrücken; 1961 und 1963 in Hamburg Staatsexamen und Promotion; 1971-1999 Hochschuldozent in Hamburg; Gastprofessur und Gastdozenturen in Göttingen, Oldenburg und Lüneburg; seit 1996 bis heute Privatdozent an der Universität Bremen; Verfasser wissenschaftlicher und belletristischer Schriften.

Prof. Dr. jur. habil. Hermann Klenner, Mitglied der Leibnitz-Sozietät der Wissenschaften (zuvor der Akademie der Wissenschaften der DDR). Zu seinen Veröffentlichungen zählen u.a. Marxismus und Menschenrechte (1982); Vom Recht der Natur zur Natur des Rechts (1984).

Eckart Spoo: 1962 bis 1997 Redakteur der Frankfurter Rundschau, Gründer der Zeitschrift Ossietzky. Herausgeber oder Mitherausgeber gesellschaftskritischer Bücher.

Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen Zeitung


Mehr über den Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com

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