"Blattkritik. Vom Glanz und Elend der Journaille" - von Anton Hunger
Buchtipp
von Harry Popow
Man
entziehe einem Drogenabhängigen den Stoff – das kann für ihn
lebensbedrohlich ausgehen. Man lege den gesellschaftlichen Sumpf
trocken, der dem Enthüllungsjournalismus die Grundlage für deren
Gerüchteküche bietet – er wird nicht überleben. Welch eine
Horrorvorstellung für Skandaljäger, man darf sie auch mal
Schmeißfliegen nennen: Es gibt Tage, „an denen einfach nicht
wirklich etwas passiert, das des Berichtens würdig wäre (…)“
Und wenn nicht, dann wird nachgeholfen, „Dann wird schnell mal aus
einem ordinären Blechschaden mehrerer kollidierender Automobile eine
veritable ´Massenkarambolage´ oder aus einem brennenden
Feldhäuschen schon mal eine ´Feuerbrunst´, die Legionen von
Feuerwehrmännern ´unter Einsatz ihres Lebens bekämpfen´.“
(Seite 215)
Doch
die Journalisten der Boulevardpresse und nicht nur dieser - haben den
Bogen raus: Mit der notwendigen Spürnase, und wenn es denn aus
Zeitmangel sein muss – auch durch gut bezahlte Informanten, sprich
Spürhunde, sind sie immer da, wo es Opfer zu beklagen gibt, wo es
Politiker durch Korruptionsfälle und Liebesaffären zu stürzen
gilt. Hauptsache, sie sind die ersten bei der Berichterstattung und
beim unvermeidlichen Überlebenskampf der Gazetten-Wirtschaft.
Zu
dieser leidigen Schlussfolgerung muss man kommen, wenn man das Buch
„Blattkritik“ von Anton Hunger gelesen hat. Auf 248 Seiten lässt
er die populärsten Skandalgeschichten der vergangenen Jahre Revue
passieren. Da geht es um die bekannten Fälle des Sturzes der beiden
Bundespräsidenten Köhler und Wullf, um den Fall von Guttenberg, um
das Entführungsopfer Natascha Kampusch, um ein angeblich ertrunkenes
Mädchen, um Kachelmann, um Ottfried Fischer, um die Verhinderung des
Absenkens der englischen Ölplattform durch die Greenpeace, um die
Lügen von irakischen Chemiewaffen durch Bush und das Nachplappern
durch die deutschen Medien. Und, und, und…
Anton
Hunger muss es wissen: Laut Klappentext wurde er 1948 in Cham in
Bayern geboren. Er studierte Volkswirtschaft, Politik und Soziologie.
Er arbeitete als Zeitungsjournalist und als Kommunikationschef bei
Porsche, war Mitgesellschafter beim Wirtschaftsmagazin „brand
eins“, Kuratoriumsmitglied der „Zeitenspiegel Reportageschule“
und ständiger Kolumnist beim „Medium Magazin“.
Sind
seine ausgewählten – übrigens für wache Leser bereits bekannten
- Fallbeispiele auch nur mit Mühe zu lesen - so widerlich ist das
Ganze - der Autor legt noch einen drauf, indem er die Methoden der
Dunkelmänner der schreibenden Zunft beschreibt. Da sei von einem
Anspruch auf Qualität der journalistischen Beiträge keine Rede
mehr. Wahrheitssuche – Fehlanzeige. Da wird von Schmiergeldern
berichtet, von Affärenflüsterern, die für viel Geld Informationen
an die Presse liefern, von einer permanenten Jagd nach Scoops
(exklusiv, früher als andere), von reinen Überfällen auf Opfer,
die nicht einmal um ihre Einwilligung gebeten wurden, von der Jagd
nach „prominenten“ Liebesaffären, vom spektakulären Umgang mit
der sogenannten Elite, von Lügen, von Fälschungen mit Texten und
Bildern, vom sogenannten Witwenschütteln, vom Abmontieren von
Klingelschildern bei Opfern von kriminellen Handlungen, um die
Konkurrenz aus dem Felde zu schlagen.
Wie
kann es anders sein, natürlich geißelt er auch BILD, indem er die
Medienforscher Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz zitiert: Dort
werde mit „Intelligenz, Routine, Radikalität und gnadenloser
Geschäftstüchtigkeit – Menschenverachtung und Killerinstinkt bei
Bedarf inklusive – ein Massenmedium hergestellt, das auf
publizistischen und ökonomischen Erfolg getrimmt ist“. (S. 100)
„Tabus oder Intimbereiche kennen dreist recherchierende
Boulevardjournalisten von Presse und Fernsehen jedenfalls nicht.
Gefilmt oder fotografiert wird grundsätzlich schon, wenn die
Haustüre aufgeht und ein verschrecktes Gesicht erscheint,“ so der
Autor auf Seite 107.
Doch
wer wollte den Veitstanz der Schnüffelhorcher- und schreiber
verurteilen? Sie gar ermahnen? Sie an den Ehrenkodex für
Journalisten erinnern, der da u.a. besagt, „Die
Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die
wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der
Presse“? Anton
Hunger schreibt, jede Gesellschaft hat die Medien, die sie verdient.
(S. 233) Und trotzdem unternimmt er den Versuch einer Kritik. Er will
mit seinem Buch, das er im weitesten Sinne als ein politisches Buch
bezeichnet, zeigen, warum die Journalisten „in dieser Welt nichts
anderes als Gefangene sind, die den widersprechenden Ansprüchen an
ihren Beruf systembedingt allzu oft nicht gerecht werden können“.
Und „sie sind nicht unabhängig, schon gar nicht von redaktionellen
Zwängen.“ (S. 8) Die heutige Situation anklagend, schreibt er auf
Seite 181: „Längst haben Personalisierung und Instrumentalisierung
die sachliche Analyse verdrängt. Ethische Standards und
journalistische Sorgfaltspflicht weichen zunehmend dem Druck, Auflage
und Quote zu machen, egal um welchen Preis.“
Wenn
nichts los ist, dann werden, so der Autor, Kampagnen organisiert und
inszeniert. Gut geeignet sind solche, die sich um die „Rettung“
der Menschen „sorgen“. Die Vogelgrippe war so eine Kampagne,
ebenso die Schweinegrippe, „bei der man sich durch Einnahme von
Pandemrix nicht mehr anstecken konnte“. (S. 159) Was ausserdem die
Auflagen erhöht und „was neurotische Medien einer neurotischen
Gesellschaft in immer kürzeren Zyklen auftischen“:
Geldanlageempfehlungen, Raucherentwöhnungsvorschläge,
Alkoholverbotsforderungen, Ernährungspläne, Gesundheitshinweise und
u.a. Handreichungen für das vollkommene Liebesleben. (S. 225)
Anton
Hunger erwähnt mehrmals die systembedingte Verfasstheit der Medien
und zitiert Hannah Arendt (1906-1975), eine jüdische
deutsch-amerikanische Theoretikerin und Publizistin, die bereits 1961
die Befürchtung äußerte, dass die Medien „mittels der Macht des
Marktes die Kultur verdrängen und sie dem Diktat der Unterhaltung
unterwerfen“ würden. Der Autor beschwichtigt: „Aber Medien, auch
wenn sie marktwirtschaftlich organisiert sind, haben einen Auftrag
und eine gesellschaftliche Verantwortung.“ (S. 234) Mehrmals
appeliert er an deren Vernunft und Auftrag, die „Institutionen und
die Regierenden zu kontrollieren“. (S.177) Die sogenannte Vierte
Macht benötige einen „Kompass, um das Wichtige vom Unwichtigen,
das Interessante vom Uninteressanten, das Banale vom Wissenswerten
und das Falsche vom Richtigen zu trennen“. (S. 234)
Fragt
sich, wer den Kompass bedient, wer und welche Ideologie imstande ist
und willens ist, den nicht leichten Weg zur Wahrheitsfindung zu
gehen? In einer Klassengesellschaft etwa? Hunger weiß selbst, dass
Appelle an die Vernunft von vornherein in den Sand gesetzte
Wunschträume sind. Er kennt sicher auch die marxsche Erkenntnis,
dass die erste Freiheit der Presse darin besteht, kein Gewerbe zu
sein. Jedes System, je nachdem, wer die Macht ausübt, hält auch die
Medien am Gängelband, weshalb es eine pure Illusion ist, sie an
Menschenrechte und kulturvollen Umgang mit den Lesern zu erinnern.
Wer bestimmt zum Beispiel, was richtig und was falsch ist? Es sind –
verdeckt im Hintergrund agierend – die Geldgeber, die Sponsoren,
die Finanzklasse, die Banken, die schließlich im Großen und im
Kleinen das Sagen haben. Das wird wohl keiner bestreiten können.
Peter Hacks meint (junge welt vom 30.11.2003): „Die große
Medienlüge wird nicht unmittelbar dahergelogen. Sie erscheint als
Austilgung des Erkenntnisstrebens des zu Belügenden,...“ Arnold
Schölzel (jw, 19/20.03.2005): „Die Medien haben vor allem zwei
Aufgaben: Desorganisation durch Desinformation und die Mobilisierung
zum jeweils fälligen Krieg nach innen und außen.“
Interessant
ist die Bemerkung des Autors zur Mitschuld der Leser. Die
Medienkonsumenten, so schreibt er (Seite 234), „sind es nämlich,
die offensichtlich auch den miesesten Schund kaufen und die
unterirdischen Kanäle auf ihren Fernsehschirm zappen“. Der Leser
oder Fernseh-Zuschauer wolle das so, sei die gängige Ausrede „für
die bewusst organisierte geistige Verflachung von Zeitungen und
Programmen“. Aber man gebe sich schon zufrieden, „wenn nur die
Kasse stimmt“.Unter den Journalisten gebe es zwar auch Idealisten,
so der Autor, doch sie seien „freischwebende Einzelgänger und
merken nicht, dass sie in einer Abwärtsspirale gefangen sind“. (S.
235)
„Hört
auf, die Menschen zu jagen für eine Schlagzeile!“ - Diesen frommen
Wunsch röhrte Ottfried Fischer anlässlich einer Ordensverleihung in
den Saal, den einstigen Bundespräsidenten Christian Wulff in Schutz
nehmend. (S. 83) Auf Seite 131 erwähnt Anton Hunger Frank
Schirrmacher, Herausgeber der FAZ, der sich in einem Beitrag auf den
erzkonservativen Publizisten und Margaret-Thatcher-Biographen Charles
Moore berief: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat.“
Es
bleibt dabei: Die dem kapitalistischen System untergeordnete Vierte
Macht der Medien hält sich solange über Wasser, solange dieses
System besteht. Da helfen keine guten Worte und kein Aufschrei nach
Veränderung, Da muss geändert werden. Der Sucht nach Spektakel, die
in nahezu verbrecherischer Weise ablenkt von den Sorgen und Nöten
der Menschen, muss der Nährboden entzogen werden.
Das
Buch von Anton Hunger – es müsste eigentlich auf Systemkritik
hinauslaufen - ist nicht nur medieninteressierten Lesern zu
empfehlen. Es gewährt einen tieferen Einblick in die Zusammenhänge
von Wirtschaft, Politik, und Medien. Es nährt den Widerwillen und
die Empörung gegenüber Denkschablonen und allgemeiner
Volksverdummung im Medienalltag. Dass dabei tiefere Erkenntnisse für
gesellschaftliche Veränderungen wünschenswert und notwendig sind,
das liegt sicherlich auch im Interesse des Autors, dem hiermit
ausdrücklich für seinen kritischen Zustandsbericht zu danken ist.
"Blattkritik
- Vom Glanz und Elend der Journaille", Anton Hunger, Edition
Hubert Klöpfer,
2013, 248 Seiten, geb. mit
Schutzumschlag. ISBN 978-3-86351-059-6, € (D) 19,50 / (A) 20,10
Erstveröffentlichung
der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung
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