Zwei Jahre Manifest für Frieden - Fast eine Million Unterschriften!
Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht
Berlin, Deutschland
11.02.2025
Am 10. Februar 2023 veröffentlichte Alice Schwarzer zusammen mit Sahra
Wagenknecht ihr „Manifest für Frieden". Sie forderten Verhandlungen
statt Waffen. Seither ist viel passiert. Und das keineswegs zum Guten.
Alice Schwarzer zieht Bilanz:
Die von uns geforderten Verhandlungen wird es wohl sehr bald geben. Aber
nicht etwa, weil die Ukraine nicht noch mehr vernichtet werden darf.
Und auch nicht, weil Europa - allen voran Deutschland - wirtschaftlich
schwer erschüttert ist durch den Ukraine-Krieg. Nein. Ganz einfach, weil
der neue amerikanische Präsident es so will. Denn dieser Krieg war von
Anbeginn an ein Stellvertreterkrieg: zwischen zwei Weltmächten, Amerika
und Russland, auf dem Rücken der Ukraine und ganz Europas.
Trump bezichtigt jetzt seinen Vorgänger Biden, es sei die von ihm
betriebene Erweiterung der NATO in die Ukraine gewesen, die zu einer
Gegenwehr Putins geführt habe, zu dem „Angriffskrieg“. Er, Trump, könne
"Putin sogar verstehen". Und an Selenskyj kritisierte Trump, dass der
nicht von Anbeginn an die Verhandlung mit der Atommacht Russland gesucht
habe.
Doch die Interessen scheinen stärker gewesen zu sein, Russland und die
Ukraine immer tiefer in den Konflikt zu hetzen. Und das nicht nur bei
der Waffenindustrie aller Lander, sondern auch bei allen, die an einem
geschwächten und mit Russland entzweiten Deutschland interessiert sind.
Seit Beginn des Krieges liegen auf dem Schlachtfeld zwischen einer und
anderthalb Millionen Tote. Dazu zehntausende tote Zivilisten und
vergewaltigte Frauen, die Anzahl der Einwohner einer Metropole. Dabei
sind die seelisch und körperlich Traumatisierten noch nicht mitgezählt.
Die Ukraine liegt in Trümmern und ist flächendeckend vermint. Und
Deutschland ist in eine schwere ökonomische Krise gestürzt.
Die Behauptung der Kriegsbefürworter schließlich, Russland wolle über
die Ukraine hinaus NATO-Länder angreifen, war von Anfang an fragwürdig
und ist im vergangenen Jahre von gleich sieben Geheimdiensten in den USA
zurückgewiesen worden: Ein russischer Angriff auf ein Nato-Land sei mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen (siehe auch
den Text von Michael von der Schulenburg hier auf EMMAonline).
Aber der Westen hat weitergemacht. Resultat: Über eine Million Tote.
Täglich hunderte. Das alles hätte den Menschen erspart werden können,
wenn der Westen und die Ukraine die vor über drei Jahren von Putin noch
Wochen vor dem Angriff angebotenen Verhandlungen wahrgenommen hätte.
Denn dass dieser Krieg einer Atommacht gegen ein kleines Land wie der
Ukraine nicht militärisch gewonnen werden konnte, auch nicht mit der
Unterstützung des Westens, und eines Tages verhandelt werden müsse, das
war doch von Anfang an klar. Warum also die Verhandlungen nicht sofort?
Über die Hälfte der deutschen Bevölkerung ist seit langem für
Verhandlungen. Das belegen immer wieder die Umfragen. Doch sie hatten
keine Stimme in den Medien. Unser Manifest durchbrach das Schweigen.
Endlich wurde öffentlich und kontrovers debattiert. Doch jetzt wird
wieder geschwiegen. Wahlkampf. Darum hier noch einmal der Text. 935.000
haben schon unterschrieben. Zur Million sind es nur noch wenige
Schritte. - Nachfolgend das so heftig kritisierte Manifest im Wortlaut:
Das Manifest für den Frieden
Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine (10.2.2023). Über 200.000
Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden
vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert. Wenn
die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes,
zerstörtes Land. Und auch viele Menschen in ganz Europa haben Angst vor
einer Ausweitung des Krieges. Sie fürchten um ihre und die Zukunft ihrer
Kinder.
Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht
unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll
auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist
jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? Die
deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg
gegen Russland“ führen. Im Ernst?
Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den
zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen
und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen? Noch
versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch
„Bodentruppen“ senden. Doch wie viele „rote Linien“ wurden in den
letzten Monaten schon überschritten?
Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die
Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann
unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es
wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre
vielleicht der letzte.
Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne
Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt
keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA,
General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite
militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden
kann. Warum dann nicht jetzt? Sofort!
Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse
machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote
und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die
Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!
Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika
und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir
können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen
und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“.
Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen
zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene
an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für
Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis
zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg
näher.
Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht
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