Russland
kostengünstig in die Knie zwingen – Strategien der US-Denkfabrik
„Rand Corporation“
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 26. NOVEMBER 2020
von
Ilona Pfeffer – https://de.sputniknews.com/
Wirtschaftssanktionen, Destabilisierung im Inneren oder doch
lieber die militärische Konfrontation? In einer Analyse der
Denkfabrik „Rand Corporation“ werden Wege erörtert, wie die USA
Russland möglichst viel Schaden zufügen könnten. Die Studie aus
dem Jahr 2019 könnte unter Biden neue Aktualität bekommen.
Mit
Michele Flournoy und Lisa Sawyer könnten zwei Frauen künftig im
Team des gewählten Präsidenten Joe Biden sein, die nicht nur
militärischen Background mitbringen, sondern mit ihren Äußerungen
Russland und China zu den größten Bedrohungen für die USA
hochstilisieren. Die beiden Großmächte gelte es zu schwächen –
das geht aus verschiedenen Aussagen von Flournoy und Sawyer hervor.
Flournoy wurde von Friedensaktivisten als „Todesengel des
amerikanischen Imperiums“ betitelt, und unter Biden werde es mit
Sicherheit wieder Krieg und Invasionen geben, sagte unlängst der
ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray. Da
scheint die 2019 erstellte Analyse des Thinktanks „Rand
Corporation“ unter dem Titel „Russland überfordern und aus dem
Gleichgewicht bringen“ aktueller denn je zu sein.
Autor
James Dobbins setzt sich darin nicht zum ersten Mal damit
auseinander, wie Russland geschwächt werden kann. Ähnliche Arbeiten
gibt es zu China. Grundsätzlich wird Russland auf kurze Sicht wegen
seiner militärischen Kraft als der gefährlichere Gegner eingestuft,
China dafür auf lange Sicht als der ernstere Konkurrent um die
Vorherrschaft in der Welt. Dobbins selbst hat in seiner langen
Karriere zahlreiche mächtige Posten innegehabt, darunter als
Botschafter der Vereinigten Staaten in der Europäischen Union, als
stellvertretender Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten
und als Sonderbeauftragter für Afghanistan und Pakistan.
Was
steckt hinter Rand?
Laut Selbstauskunft beschäftigt der Thinktank 1950
Mitarbeiter in 50 Ländern und operiert in 80 Sprachen. Zu den
bekanntesten Namen gehören die frühere US-Außenministerin
Condoleezza Rice und der Ex-Verteidigungsminister der USA, Donald
Rumsfeld. „Die Rand Corporation ist eine Forschungsorganisation,
die Lösungen für Herausforderungen des öffentlichen Lebens
entwickelt, um Gemeinschaften auf der ganzen Welt sicherer, gesünder
und wohlhabender zu machen“, so die Beschreibung in der Sparte
„Über uns“ auf der Webseite von Rand. Ein genauerer Blick in die
Publikationen des Thinktanks führt zu dem Ergebnis, dass ein großer
Teil davon strategische Planspiele enthält, oft vom US-Militär in
Auftrag gegeben. Die Denkfabrik finanziert sich auch größtenteils
durch Auftragsarbeiten für das Pentagon, wie Hermann Ploppa in
seiner Publikation zum Thema auf der Plattform „AG
Friedensforschung“ betont.
Die
Kernthemen bei Rand: Russland und China
Entstanden direkt nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges, war das Ziel der Denkfabrik im kalifornischen Santa
Monica von Anfang an, militärische Planung mit Forschung und
Entwicklung zu verbinden. Der Luftwaffengeneral und Gründungsvater
von Rand, H. H. Arnold, formulierte das in seinem Bericht an den
damaligen Kriegsminister wie folgt:
„Während
des Krieges haben Army, Air Force und Navy in bis dahin ungekanntem
Ausmaße Gebrauch von wissenschaftlichen und industriellen Ressourcen
gemacht. Das führt unausweichlich zu der Schlussfolgerung, dass wir
es noch nicht geschafft haben, eine Balance herzustellen, die die
Fortsetzung der Zusammenarbeit zwischen Militär, staatlichen
Behörden, der Industrie und den Universitäten sicherstellt.
Wissenschaftliche Planung muss der eigentlichen Forschung und der
Entwicklungsarbeit um Jahre voraus sein.“
Im
Kalten Krieg lief die Organisation bereits auf Hochtouren, mit teils
äußerst fragwürdigen Ergebnissen. So brachte sie 1960 eine Studie
des Systemtheoretikers Herman Kahn zum Szenario eines Atomkriegs.
Einen solchen Krieg stufte Kahn als beherrschbar ein und schlug unter
anderem vor, verstrahlte Lebensmittel an alte Menschen abzugeben, da
diese wahrscheinlich tot sein würden, bevor sie an Krebs erkranken
könnten. Damit qualifizierte sich der Wissenschaftler als eines der
Vorbilder für Stanley Kubricks legendäre Satire „Dr. Seltsam
oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“.
Auch wenn der
Kalte Krieg und die Sowjetunion längst Geschichte sind, gehört die
Destabilisierung Russlands neben einem möglichen Krieg mit China zu
den Kernthemen bei Rand. Eingedenk der Tatsache, dass der Stab des
neuen US-Präsidenten Kader enthalten wird, die eben diese zwei
Länder als größte Bedrohung für die USA titulieren und enge
Kontakte zum Pentagon unterhalten, dürfte die Rand Corporation
zukünftig eine wichtige Rolle für die US-amerikanische Außen- und
Verteidigungspolitik spielen.
Russland
effektiv und kostengünstig ins Abseits drängen
In der Analyse geht es um verschiedene Ansätze, wie
die USA und ihre Verbündeten gewaltfrei und für Russland
kostspielig dessen Wirtschaft, Militär und das Ansehen der
politischen Führung im Inland überreizen und aus dem Gleichgewicht
bringen können. Obwohl Russland schwache Seiten habe – wie die
Abhängigkeit von Öl- und Gaspreisen und eine immer älter werdende,
schrumpfende Bevölkerung, sowie tief verwurzelte Ängste,
beispielsweise vor einem vom Westen initiierten „Regime Change“
oder einem militärischen Angriff – bleibe Russland ein mächtiges
Land und in manchen Bereichen einer der größten Konkurrenten der
USA, heißt es einleitend. Deshalb hätten die Forscher von Rand
kostensparende Optionen ausgewertet, die Russland schwer belasten
könnten, ohne dass die USA dabei zu sehr betroffen wären.
Im
ersten Abschnitt werden Szenarien ökonomischen Drucks erstellt und
nach den Gesichtspunkten Erfolgsaussichten, Nutzen und Kosten und
Risiken ausgewertet. In allen drei Bereichen schneidet das Szenario
am besten ab, wonach die USA die eigene Energieproduktion hochfahren,
die Ausfuhren erhöhen und zugleich die Preise auf dem Weltmarkt
drücken könnten, wodurch Russlands Wirtschaft in Bedrängnis
gebracht und seine Einnahmen im Energiesektor gesenkt werden würden.
Auch die Erfolgsaussichten und der Nutzen von weiteren möglichen
ökonomischen Sanktionen gegen Russland werden als sehr gut
eingestuft. Doch müssten andere Länder dabei mitziehen und diese
Option könnte mit Kosten und Risiken verbunden sein. Als noch
weniger effizient werden die Szenarien eingestuft, wonach Europa
unabhängiger vom russischen Gas wird und auf Flüssigerdgas
ausweicht, ebenso wie der Abzug junger, gut ausgebildeter Russen aus
dem Land.
Versorgung der Ukraine mit
„tödlicher Hilfe“
Als noch weniger aussichtsreich werden in der Analyse
geostrategische Optionen bewertet, weil sie durchweg entweder zu
riskant oder zu wenig aussichtsreich seien. Auf der anderen Seite
könnte ihr Nutzen in Zweifel gezogen werden. Am besten schneidet
hier das Szenario ab, dass man die Ukraine mit „tödlicher Hilfe“
versorgen könnte.
„Die Versorgung der
Ukraine mit letaler Hilfe würde Russland an seiner größten
externen Schwachstelle treffen. Aber jedwede Zunahme an Beihilfe der
US-Armee bezüglich Waffen und Beratung für die Ukraine sollte
vorsichtig abgewogen werden: um Russland zu größeren Ausgaben zu
zwingen, wenn es seine Position halten will, ohne einen sehr viel
größeren Konflikt zu provozieren, in dem Russland aufgrund der
geografischen Nähe erhebliche Vorteile hätte.“
Die
anderen in der Analyse betrachteten, jedoch verworfenen Varianten
sind die verstärkte Unterstützung der syrischen Rebellen; die
Unterstützung von Freiheitsbewegungen in Belarus; die Stärkung der
Beziehungen zum Kaukasus; die Eindämmung des russischen Einflusses
in Zentralasien und die Vertreibung russischer Truppen aus
Transnistrien.
Ideologische Maßnahmen zur
Schwächung der Position der russischen Führung
Im dritten Abschnitt geht es um ideologische
Maßnahmen, die die Position der russischen Führung im In- und
Ausland schwächen sollen. Die Szenarien umfassen die Erschütterung
des Vertrauens ins russische Wahlsystem, das Streuen des Glaubens,
die russische Führung würde nicht im Interesse ihres Volkes
handeln, die Anregung von Protesten und gewaltfreiem Widerstand sowie
die Schädigung des Rufes Russlands im Ausland. Sämtliche Varianten
werden als nicht besonders aussichtsreich und zugleich riskant und
kostenintensiv bewertet, einzig die Rufschädigung im Ausland erhält
in allen drei Kategorien die Bewertung „moderat“. Das
vorgeschlagene Vorgehen liest sich hierbei wie folgt:
„Russlands
Image im Ausland zu unterminieren, würde hauptsächlich durch die
Schwächung von Russlands Position und Einfluss geschehen, wodurch
dessen Anspruch, Russland zu seiner einstigen Größe zurückzuführen,
beschnitten würde. Weitere Sanktionen, der Ausschluss Russlands von
internationalen Nicht-UN-Foren und der Boykott von Veranstaltungen
wie dem Weltcup könnten durch westliche Staaten implementiert
werden, um Russlands Prestige zu zerstören. Aber inwiefern das
Russlands innere Stabilität beschädigen würde, ist nicht
klar.“
Die restliche Analyse möglicher
Strategien, um Russland zu schwächen, behandelt ausschließlich
militärische Optionen, von Luftwaffe über Marine bis hin zu den
Landstreitkräften. Dass das mehr als die Hälfte der Studie einnimmt
und sehr detailliert besprochen wird, dürfte nicht verwundern,
schließlich wurde die Analyse im Auftrag der US-Armee erstellt. Nach
Betrachtung diverser Optionen kommen Dobbins und seine Mitautoren zu
dem Schluss, dass eine Schwächung Russlands hauptsächlich durch
nicht-militärische Mittel erfolgen sollte. Russland versuche nicht,
mit den USA in militärischer Hinsicht zu konkurrieren und werde
unter Umständen nicht auf US-Provokationen antworten. Für die USA
hingegen entstünden erhebliche Kosten. Dennoch empfehlen die
Verfasser der US-Armee drei Vorgehensweisen in Bezug auf Russland.
Sie sollte in linguistische und analytische Russland-Expertisen
investieren, denn Russland sei auf lange Sicht eine Bedrohung, und
die amerikanischen Streitkräfte täten gut daran, Humankapital für
den strategischen Wettstreit aufzubauen. Ferner sollte die Armee in
taktische Raketensysteme, verschiedene Luftabwehrsysteme sowie
futuristische Systeme wie unbemannte Flugobjekte investieren. Zudem
stellten die Streitkräfte einen wichtigen Schutz dar, sollte
Russland durch die anderen Strategien provoziert werden. Daher
sollten die abschreckende Haltung in Europa und die Verstärkung der
US-Militärkapazität Hand in Hand mit den Anstrengungen gehen,
Russland zu reizen und zu schwächen.
Die
Schlüsse: Russische Konter-Eskalation
Abschließend kommen die Autoren noch einmal darauf
zu sprechen, dass der beste Weg, Russland zu reizen und zu schwächen,
darin besteht, seine Schwächen, Ängste und Stärken gezielt
anzusprechen – also die besonders schwachen Bereiche auszunutzen
und seine derzeitigen Vorteile zu unterminieren. Aufgrund seiner im
Vergleich mit den USA kleinen und von Energie-Exporten abhängigen
Wirtschaft sei gerade der ökonomische Bereich Russlands größte
Schwäche. Die größte Angst seiner Staatsführung betreffe die
Stabilität und Haltbarkeit des Regimes. Seine größten Stärken
hingegen lägen beim Militär und dem Bereich der
Informationskriege.
„Die meisten hier besprochenen Optionen
sind zu einem gewissen Grade eskalierend und würden sehr
wahrscheinlich eine russische Konter-Eskalation provozieren. Deswegen
besteht neben den spezifischen Risiken, die mit den jeweiligen
Optionen direkt verbunden sind, auch das zusätzliche Risiko, das von
einem intensivierten Wettstreit mit einem nuklear bewaffneten Gegner
herrührt, und sollte in die Überlegungen mit einfließen. Jede
Option sollte gut geplant und vorsichtig abgewogen werden, um den
gewünschten Effekt erzielen zu können. Nicht zuletzt werden beide
Seiten nationale Ressourcen von anderen Projekten abziehen müssen.
Auch wenn Russland die Kosten eines verschärften Wettstreits nicht
so leicht wird schultern können wie die Vereinigten Staaten.
Russland einfach nur reizen zu wollen, ist daher nicht Grund genug,
die hier vorgestellten Optionen zu erwägen. Sie sollten vielmehr
Teil einer nationalen Strategie der Verteidigung und Abschreckung und
– wo sich russische und US-amerikanische Interessen treffen – der
Kooperation sein“, so das Schlusswort der
Untersuchung.
https://de.sputniknews.com/politik/20201125328442134-strategien-der-us-denkfabrik-rand-corporation/
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen