Entnommen: https://www.jungewelt.de/beilage/art/391069
AUS: MARXISMUS: FRIEDRICH ENGELS, BEILAGE DER JW VOM
25.11.2020
200. GEBURTSTAG FRIEDRICH ENGELS
Mit der Nase
drauf gestoßen
Friedrich Engels und Karl Marx hielten
nichts vom Schreiben über sich selbst oder persönlichen Ehrungen –
mit Ausnahmen. Eine ist zum 200. Geburtstag von Engels fällig
Von Arnold Schölzel
Er sei, schrieb Engels
1885, mehr als 40 Jahre zuvor »in Manchester mit der Nase darauf
gestoßen worden, dass die ökonomischen Tatsachen, die in der
bisherigen Geschichtsschreibung gar keine oder nur eine verachtete
Rolle spielen, wenigstens in der modernen Welt eine entscheidende
geschichtliche Macht sind.« Karl Marx sei nicht nur »zu derselben
Ansicht gekommen«, sondern habe sie »dahin verallgemeinert, dass
überhaupt nicht der Staat die bürgerliche Gesellschaft, sondern die
bürgerliche Gesellschaft den Staat bedingt und regelt, dass also die
Politik und ihre Geschichte aus den ökonomischen Verhältnissen und
ihrer Entwicklung zu erklären ist, nicht umgekehrt.« Als er Marx
1844 in Paris besucht habe, hätten sie ihre »vollständige
Übereinstimmung auf allen theoretischen Gebieten« festgestellt,
»von da an« habe ihre gemeinsame Arbeit »datiert«.
Texte
über die eigene Biographie hielten beide für überflüssig. Von
Engels gibt es höchstens solche wie den zitierten oder einen wie den
»eigenhändigen Lebenslauf«, den er 1890 für das Jenaer
»Handwörterbuch der Staatswissenschaften« verfasste – eine dürre
Aufzählung von Daten.
Der Grund für dieses lässige
Verhältnis zu sich selbst: Es ging um eine grundsätzliche Frage.
Formuliert hat sie Engels in einem Brief, den er an seinem 71.
Geburtstag an den Sängerverein des Kommunistischen
Arbeiterbildungsvereins in London aufsetzte. Er hatte erst an jenem
28. November 1891 erfahren, dass der Chor beabsichtigte, ihm abends
ein Ständchen darzubringen. Engels dankte höflich den »werten
Genossen«, leider aber sei er am Abend nicht zu Hause, und fügte
an: »Sowohl Marx wie ich sind von jeher gegen alle öffentlichen
Demonstrationen gewesen, die sich an einzelne Personen knüpfen, es
sei denn, im Fall ein großer Zweck dadurch erreicht werden kann; und
am allermeisten gegen solche Demonstrationen, die sich zu unseren
Lebzeiten um unsre eignen Personen drehen würden.«
Also kein
Ständchen zum 200.? Engels hat immerhin zwei Ausnahmen zugelassen.
Der große Zweck, lässt sich sagen, steckt in seinen Werken. Dass
sie heute zum geistigen Weltkulturerbe gehören, daran haben
Sowjetunion und DDR den größten Anteil. Ohne sie gäbe es weder
»die blauen Bände«, die als MEW abgekürzten Marx-Engels-Werke,
noch die zweite Marx-Engels-Ausgabe. Es war nicht selbstverständlich,
dass sie nach dem Ende des europäischen realen Sozialismus
weitergeführt wurde, das geschah hierzulande zähneknirschend und
auf internationalen Druck hin. Wer Engels ehrt, ehrt auch die
editorischen Großtaten und bezeugt Achtung vor dem Inhalt seiner
Schriften. Der war allerdings umwälzend und hat von seiner
argumentativen Durchschlagskraft nichts verloren.
Engels
fasste das 1885 so zusammen: »Diese die Geschichtswissenschaft
umwälzende Entdeckung, die, wie man sieht, wesentlich das Werk von
Marx ist und an der ich mir nur einen sehr geringen Anteil
zuschreiben kann, war aber von unmittelbarer Wichtigkeit für die
gleichzeitige Arbeiterbewegung.« Das war einerseits zu bescheiden,
andererseits war das für beide Wichtigste genannt: Die moderne
Arbeiterbewegung ist ohne sie unvorstellbar. Das gilt auch fürs 21.
Jahrhundert und die wissenschaftlich-technische Revolution, welche
die soziale Frage erneut auf die Tagesordnung stellt.
Engels
war wie Marx einer der bedeutendsten Gelehrten und Politiker seiner
Zeit. Das hatte selbstverständlich mit seiner Persönlichkeit zu
tun. Der DDR-Historiker Manfred Kliem beschrieb ihn als »eine der
blutvollsten und sympathischsten Führergestalten des internationalen
Sozialismus«. Engels opferte 20 Lebensjahre dem »hündischen
Commerce« und stellte das Schreiben größerer Abhandlungen hintan.
Er hat auch dafür mehr als nur ein Ständchen verdient.
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