SONNEN-UNTERGANG
Notizen aus Ahrenshoop und noch meer
Foto: I.
Anfang Juni 2020: Tochter I. hat uns eingeladen, mit ihr für eine Woche nach Ahrenshoop zu fahren, Urlaub zu machen. Wir Alten? Die Mühe haben werden, im Jahre 2021 im Dezember unseren 60. Hochzeitstag gesund und munter noch verbringen zu können? Doch unser beider Ja und das innere Jubeln als in der DDR – in der alten Heimat groß gewordene Erdenbürger ist unüberhörbar.
Juni 2020: Im Ort unserer Träume wohlbehalten gelandet. Dank glänzender und umsichtiger Autofahrt mit Töchterchen. Ahrenshoop, 1989 letztmalig von uns besucht, bei einem Fischer am Alten Hafen übernachtet, heute sind er und seine Frau längst tot. Der Ort heute, im Jahre 2020 im Juni? Schlangen von Autos auf der einzigen Hauptstraße. Zwischen alten, reetgedeckten Häusern, dort, wo noch ein Stück Garten war, haben sich noble Villen gequetscht. Bezahlbare Ferienwohnungen? Das Publikum mittleren Alters, junge Paare mit Kindern, kaum alte Leute, sie lassen darauf schließen, hier platzieren sich Gutbetuchte. Wir suchen nach einstigen Malern in Ahrenshoop, nach deren Bildern. Fehlanzeige. Auch der Kulturkaten – nichtssagende Bilder und Grafiken von einem Unbekannten für uns. Schämt man sich seiner Kunstvergangenheit? Ein einstiges großes Kulturhaus wurde abgerissen, Dafür steht nun ein Betonmonster da mit geschwungenen Terrassen und Balkonen. Miete für eine Übernachtung: Etwa 500 Euro. Wir genießen den Sonnenuntergang am Hohen Ufer. Die gute Luft. Mutige toben im kühlen Ostseewasser und bei frischem Wind.
Am Alten Hafen eine neue Gaststätte mit vorwiegend Fischgerichten. Man steht an. Masken auf der Nase. Das so sehr bekannte Ostseebad Ahrenshoop, er bietet Komfort. Nichts für ehemalige, dem Alter zugeneigte Feriengäste. Dafür blühende Wiesen mit rotem Klatschmohn, dazwischen blaue Blumen. Und der Blick in die weite See... Dann Regen. Fernseher und Radio im Urlaubszimmer nicht benutzt. Dafür die einzige für mich denkbar zu lesende Tageszeitung „junge Welt“ im Supermarkt vom 16. Juni 2020 gekauft. Mein Gott: Unter der Überschrift „Zurechtgelegte Geschichte“ in Erinnerung der Befreiung vom Faschismus vor 75 Jahren werden neuerliche Geschichtslügner entlarvt. Die Losung „nie wieder“, so ist zu lesen, werde von Steinmeier bedenkenlos umgemünzt in ein „Nie wieder allein“, weshalb es vor allem für Deutsche gelte, „Europa zusammenzuhalten“. Das „Nie wieder“ werde so enthistorisiert, banalisiert und damit für andere Zwecke verfügbar gemacht, heißt es in diesem Beitrag.
Urlaub pur ohne auch im Urlaub nachzudenken? Ein Ding der Unmöglichkeit. Warum also bis morgen die Zeit totschlagen? Also packten wir unverzüglich die Koffer. So reisten Frau und Mann und Tochter zwei Tage früher wie vorgesehen wieder ab. Lachend, scherzend, der „Zukunft“, dem allseitigen Sonnenuntergang entgegen...
Nachtrag für „Vernünftige“:
Ich entschuldige mich. Ich hätte besser von anfangs schönem Wetter schreiben sollen, von gutem Essen, sehr guter komfortabler Unterkunft mit zwei Schlafzimmern, einem Wohnzimmern wie eine Glasveranda und sogar einem Kamin. Und von guten Gesprächen unter uns. Und dass wir die Fähre nach Schweden sahen und von zahlreichen Möwen, die uns, die wir am Strand saßen, wild umkreisten. Und auch von den zahlreichen so geschmackvoll eingerichteten Restaurants. So, das wärs, ein wirklich interessanter Kartengruß.
H.P. (Autor des Buches "DER MOLOCH AM PRANGER)
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