Entnommen:
https://linkezeitung.de/2018/12/01/un-migrationspakt-auf-bestellung-der-banken-und-konzerne/
UN-Migrationspakt
– auf Bestellung der Banken und Konzerne
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 1. DEZEMBER
2018
von Klaus Hartmann – https://kenfm.de
von Klaus Hartmann – https://kenfm.de
Am UN-„Pakt für eine sichere,
geordnete und reguläre Migration“ scheiden sich die Geister. Die
Unterzeichnung soll am 10. und 11.12.2018 in Marrakesch (Marokko)
stattfinden. „Die rechten, nationalistischen Kräfte mobilisieren
gegen die Unterzeichnung“, so heißt es Land auf, Land ab in
Unternehmer-Postillen, regierungsnahen wie linksliberalen Blättern
sowie auch in sich explizit links verstehenden Medien. Kritik nur von
„rechts“? Auch dies ist Ausdruck und Ergebnis von Gehirnwäsche.
Nur, wenn (echte oder vermeintliche) „Rechte“ gegen etwas sind,
dann schlussfolgern wohl manche „Linke“, dass man dafür sein
muss. Da kann man sich sogar das Lesen des betreffenden Werks
sparen.
Die Gesellschaft ist tief gespalten, und davon profitieren immer die Herrschenden, die Angst davor haben müssen, dass eine gemeinsame Widerstandsfront gegen die Ausbeutung und Unterdrückung entsteht. Deshalb sind sie auch an der Unversöhnlichkeit der Auseinandersetzung um die Migration interessiert und daran, dass sie wie ein spontanes Resultat plötzlicher Aufwallungen von Humanität versus Fremdenfeindlichkeit erscheint. Im aktuellen Glaubenskrieg scheint es nur möglich, sich den Gegnern oder Befürwortern anzuschließen: „alle raus“ oder „alle rein“? Aber geht es wirklich darum, um „naive Gutmenschen“ einerseits und „egoistische Rassisten“ andererseits? Die Wahrheit liegt wie fast nie „irgendwo dazwischen“, sondern wie meist auf einer anderen Ebene.
Im März 2018, von einem Migrationspakt war öffentlich noch keine Rede, schrieben wir im „Freidenker“, dass die in Davos zum „Weltwirtschaftsforum“ Versammelten den „größeren Wettbewerbsdruck am Arbeitsmarkt“ voll auskosten wollen. Wir wiesen auf den Journalisten Norbert Haering hin, der ein Papier des Forums (aus 2013) entdeckt hat: „Warum Migration gut fürs Geschäft ist“, so der offenherzige Titel. Worum geht es? „Im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des Wirtschaftswachstums“ soll ein international vagabundierendes Lumpenproletariats in jeden Winkel der Erde „migrieren“ und seine Haut dort zu Markte tragen, wo es dem Großkapital die maximalen Profite bringt! Und wir kommentierten: Spaltung der Bevölkerung durch eine „Willkommenskultur“ im Profitinteresse – das ist die Perversion von Humanität.
Im Juni 2018 konnte man erleben, warum sich Volkswirt Hans-Werner Sinn über einen Zustrom von Migranten freut. Er gab seinen Einfall zum Besten: „Den Mindestlohn abschaffen, aufweichen, reduzieren, um „Flüchtlinge zu integrieren“. Davon würden die „oberen Schichten“ profitieren, die dann keine 10 Euro Tariflohn mehr für die Putzhilfe zahlen müssten, weil die Differenz von 3,50 Euro bis zum Hartz IV-Satz der Steuerzahler drauflegen muss.
Anfang November 2018 legte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer nach, und forderte die Anwerbung ungelernter Arbeiter aus dem Ausland, um das Lohnniveau zu drücken. Aus dem Niedriglohn direkt in die Altersarmut, scheint das Motto. Es geht also immer noch eine Drehung zynischer in diesem „Land, in dem wir gut und gerne leben“: Dumping-Konkurrenz für die Schwächsten, man könnte meinen, solche Experten arbeiten an einem Stimmenvermehrungsprogramm der AfD.
Ganz in diesem Sinne will der UN-Migrationspakt die „regionale und regionenübergreifende Arbeitskräftemobilität erleichtern im Einklang mit den nationalen Prioritäten, den Bedürfnissen des örtlichen Marktes und dem Qualifikationsangebot“. Zum Trost und als Vorzug wird angepriesen, dass der Pakt „weltweit internationale Standards für die Migration“ setzen wird. Merkwürdig bloß, dass Kanzlerin Merkel darauf beharrt: „Dieser Migrationspakt ist rechtlich nicht bindend, und deshalb steht Deutschland dazu.“ Bindet er bloß Deutschland nicht, alle anderen Länder aber doch? Mir fällt da nur Inspektor Columbo ein: „Eine Frage hätte ich da noch – ist der UN-Migrationspakt verpflichtend, wenn in ihm 84-mal ‚Wir verpflichten uns‘ steht?“ Ein Recht, nicht migrieren zu müssen, wurde ebenso wenig in den Pakt aufgenommen wie die konkrete Bekämpfung der Ursachen von Flucht und Migration.
In der Debatte werden beliebig Asyl, Flucht und Migration durcheinandergebracht und vermischt, obwohl sie klar unterschieden sind. Und unterschieden werden müssen, besonders im Interesse der unterschiedlichen Personengruppen. „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, steht im Grundgesetz, Art. 16a (zumindest seit 1993, wenn sie nicht über ein „sicheres Drittland“ einreisen). Gerade darüber wird die „Flüchtlingswelle“ hinweggerollt, weil man von dem Grundrecht im Grunde nichts mehr wissen will. Entweder, wie Friedrich Merz, der es im Zuge der „EU-Harmonisierung“ zur Disposition stellen will, oder indem es als „Lehre aus dem Faschismus“ zwar stehen bleibt, aber durch die Rechtsstaatspraxis zunehmend ausgehöhlt wird, zwischen 1 und 2% liegt die Anerkennungsquote. Ein drastisches Beispiel sind die „Massenrückschiebungen“ von Sinti und Roma, für die wir nach deren Behandlung zwischen 1933 und 1945 eine besondere moralische Verpflichtung empfinden müssten. So erweist sich auch das „freundliche Gesicht“, von dem Merkel schwadroniert und das „Deutschland 2015 in einer Ausnahmesituation“ gezeigt habe, als falsche Maskerade, hinter der sich Inhumanität verbirgt.
Die zweite Gruppe sind die sogenannten „Bürgerkriegsflüchtlinge“, der nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 „temporärer Schutz“ zusteht, in Deutschland „kleines Asyl“ genannt. Auch hier erweisen sich die Schwüre über die „Bekämpfung der Fluchtursachen“ als Sonntagsreden.
Kein Krieg der „westlichen Wertegemeinschaft“, der in den letzten Jahrzehnten nicht gutgeheißen, logistisch oder mit eigenem Mordwerkzeug unterstützt worden wäre. Eine besondere Infamie sind die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien, mit denen die Bevölkerung ausgehungert wird, um sie gegen das „Regime aufzubringen“. Die nächste Infamie ist die Kürzung von Finanzzuwendungen für die UN-Flüchtlingslager in den Nachbarländern, damit auch hier der Hunger zur Flucht zwingt. Zum Dritten sind die Waffenexporte nach Saudi-Arabien zu erwähnen, das damit die Bevölkerung im Jemen abschlachtet.
Im Pakt wird Migration grundsätzlich als normal und positiv gesehen: „Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt.“ Das ist aus mindestens zwei Gründen falsch. „Normal“ ist nicht die Migration, sondern die Sesshaftigkeit, nämlich für über 99% der Weltbevölkerung. Und die verheißenen Segnungen treffen höchstens auf die Minderheit der wirtschaftlich Mächtigen in den Aufnahmeländern zu, für die anderen sind soziale Verschärfungen die Folge. Es wird auch negiert, dass Migration nicht freiwillig stattfindet, sondern aus schierer Not. Bei dem Pakt und seinen Schönrednern gewinnt man den Eindruck, es ginge um die Buchung einer Kreuzfahrt mit dem Traumschiff. Ignoriert werden die Verwerfungen und dramatischen Folgen für die Herkunftsländer.
Der Wiener Verleger und Autor Hannes Hofbauer hat das Buch „Kritik der Migration“ geschrieben, und daraus bei verschiedenen Veranstaltungen auch in Deutschland gelesen. Er argumentiert: „Bulgarien hat in den vergangenen 25 Jahren 41% seiner aktiven Bevölkerung zwischen 25 und 40 Jahren verloren. Rechte Medien sehen nun im Migranten den Hauptfeind, obwohl er das größte Opfer dieser ungleichen Entwicklung auf der Welt ist. Und die Linke verharrt in einer Art Schockstarre.“
Neben einer vergleichsweise geringen Zahl der vor Verfolgung Flüchtenden und einer gestiegenen Zahl jener, die vor Kriegen flüchten flieht die weit überwiegende Zahl aber aus wirtschaftlicher, oft existenzieller Not. Auch hier sind die westlichen Länder systematisch dabei, die zur Flucht führenden Gründe massiv und systematisch zu verschärfen. Migration ist also keine „freie Wahl“, sondern Ausdruck von Ungleichheit – der Einkommen, Vermögen und der Lebenschancen.
Nach der Finanzkrise 2008 entdeckte das globale Großkapital ein neues begehrtes Spekulations- und Anlageobjekt: Ackerland. Schätzungsweise 300 Mio. Hektar Ackerland wurden seither von ausländischen Großinvestoren aufgekauft oder langfristig gepachtet, die zuvor ortsansässigen Kleinbauern werden größtenteils unter Militärgewalt vertrieben. Unter dem verlogenen Titel „Partnerschaftsabkommen“ hat die Europäische Union diese mit über 30 Ländern Afrikas und der Karibik abgeschlossen – tatsächlich Freihandelsabkommen, um die Märkte für Produkte großer Konzerne der EU und überproduzierte europäische Landwirtschaftsprodukte öffnen. Die lokalen Märkte können dieser Konkurrenz nicht standhalten. Hunderttausende Bauern können ihre eigenen Produkte, z.B. aus der Hühnerzucht, nicht mehr verkaufen, da sie gegenüber den subventionierten, importierten Tiefkühlhühnern aus der EU zu teuer sind. Die Bauern verlieren ihre Lebensgrundlage, ihre Söhne und Töchter können auf dem heimischen Agrarsektor nicht überleben, sie versuchen, sich als Migranten nach Europa durchzuschlagen.
Auf Kosten ihrer Herkunftsländer gut ausgebildete junge Menschen sollen zu „uns“ kommen, womit „wir“ uns die Ausbildungskosten sparen können, während die Herkunftsländer ausgeblutet und ihrer bescheidenen Entwicklungsmöglichkeiten zusätzlich beraubt werden. Die US-Großbank Citi schwärmt: „Migranten kommen mit Ausbildung und Erziehung, für die das Ursprungsland bezahlt hat. Sie nehmen weniger Sozialleistungen in Anspruch und bekommen weniger staatliches Geld als Bürger des Landes und sie sind in aller Regel im arbeitsfähigen Alter“.
Reaktionären wie Friedrich Merz oder den vorgeblichen Gegnern des Migrationspakts geht es um dasselbe: sie wollen, dass die Flüchtlinge „uns“ nützen. Chauvinistische Parolen, dass eine „Umvolkung“, gar ein „Völkermord“ drohten, sind nur Fassade – daher sollten insbesondere AfD-Wähler aufpassen: Diese Partei ist nur zum Schein gegen Migration, aber nicht wirklich. Auf die Karnevalisten-Frage: „Wolle mer se reilasse?“ antworten sie: Aber immer, vorausgesetzt, uns (übersetzt: den Kapitalisten) nützt es.
Die neuartige „Flüchtlingswelle“ haben die Herrschenden selber durch Kriege, Regierungsumstürze und durch den Entzug der Lebensgrundlage ganzer Völker verursacht. Zur Fortsetzung ihrer Politik der weltweiten Ausbeutung, mit der sie systematisch andere Länder zerstört und ruiniert haben, sollen jetzt die Arbeiter in Deutschland, in Europa „Solidarität“ zeigen. Das wäre eine Solidarität mit den Profiteuren, die weder etwas zur Schadensbegrenzung beitragen, noch auf ihre Politik der neoliberalen Ausbeutung und Eroberung verzichten wollen, und die natürlich auch kein Geld in die Hand zu nehmen gedenken, um den angerichteten Schaden wiedergutzumachen.
Unter dem Diktat der Finanzoligarchie werden die neuen, letztlich neoliberalen Argumente für offene Grenzen von Liebedienern der Konzerninteressen propagiert, die zu verschärfter Ausgrenzung wie Ausbeutung führen – es geht mitnichten um Freiheit, sondern um institutionalisierte Herrschaft.
Als Sahra Wagenknecht einen Beitrag des schon erwähnten Norbert Haering empfahl, wurde ihr das als „Skandal“ angekreidet. Die „skandalöse“ Schlussfolgerung des inkriminierten Journalisten lautet: „Förderung der Arbeitsmigration nach der Façon der im Weltwirtschaftsforum organisierten Großkonzerne, wie sie sich im UN-Migrationsabkommen niederschlägt, schadet sowohl den Arbeitnehmern in den Zielländern als auch den Herkunftsländern der Migranten. Nutznießer sind die Unternehmen und Kapitalbesitzer in den Industrieländern. Linke Parteien, die so etwas mittragen, sind dem Untergang geweiht und haben ihn verdient.“
Die vermeintlich „linken“ Open-Border-Aktivisten, die der bedingungslosen Einwanderung das Wort reden, träumen von der „Überwindung“ des Nationalstaats, den sie „gestrig“ nennen. Nach dessen Überwindung gäbe es aber keine Institutionen mehr, die die Wirtschaft kontrollieren, die soziale Schutzgesetze erlassen könnten. Die Verteidigung des Sozialstaates und sozialer Errungenschaften funktioniert nur im Rahmen des Nationalstaats. Die nationalen Parlamente als Adressaten von Forderungen und Kämpfen für soziale Verbesserungen wären dann auch „überwunden“. Für die Globalisierer sind das paradiesische Zustände, sie haben ja die Weltbank und den IWF. Grenzen sind dem Kapital ein Dorn im Auge, es will billige Arbeitskräfte für eine größere Reservearmee, um den Druck auf die Löhne weiter zu steigern. So erscheint die „Open Border-Fraktion“ als links drapierte Kampftruppe für die neoliberale Globalisierung.
Deshalb ist aus meiner Sicht ein entschiedenes NEIN zu diesem Migrationspakt der Banken und Konzerne sowohl im Interesse der Lohnabhängigen in Deutschland wie auch im Interesse der internationalistischen Solidarität mit allen Ausgebeuteten und Unterdrückten.
Die Gesellschaft ist tief gespalten, und davon profitieren immer die Herrschenden, die Angst davor haben müssen, dass eine gemeinsame Widerstandsfront gegen die Ausbeutung und Unterdrückung entsteht. Deshalb sind sie auch an der Unversöhnlichkeit der Auseinandersetzung um die Migration interessiert und daran, dass sie wie ein spontanes Resultat plötzlicher Aufwallungen von Humanität versus Fremdenfeindlichkeit erscheint. Im aktuellen Glaubenskrieg scheint es nur möglich, sich den Gegnern oder Befürwortern anzuschließen: „alle raus“ oder „alle rein“? Aber geht es wirklich darum, um „naive Gutmenschen“ einerseits und „egoistische Rassisten“ andererseits? Die Wahrheit liegt wie fast nie „irgendwo dazwischen“, sondern wie meist auf einer anderen Ebene.
Im März 2018, von einem Migrationspakt war öffentlich noch keine Rede, schrieben wir im „Freidenker“, dass die in Davos zum „Weltwirtschaftsforum“ Versammelten den „größeren Wettbewerbsdruck am Arbeitsmarkt“ voll auskosten wollen. Wir wiesen auf den Journalisten Norbert Haering hin, der ein Papier des Forums (aus 2013) entdeckt hat: „Warum Migration gut fürs Geschäft ist“, so der offenherzige Titel. Worum geht es? „Im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des Wirtschaftswachstums“ soll ein international vagabundierendes Lumpenproletariats in jeden Winkel der Erde „migrieren“ und seine Haut dort zu Markte tragen, wo es dem Großkapital die maximalen Profite bringt! Und wir kommentierten: Spaltung der Bevölkerung durch eine „Willkommenskultur“ im Profitinteresse – das ist die Perversion von Humanität.
Im Juni 2018 konnte man erleben, warum sich Volkswirt Hans-Werner Sinn über einen Zustrom von Migranten freut. Er gab seinen Einfall zum Besten: „Den Mindestlohn abschaffen, aufweichen, reduzieren, um „Flüchtlinge zu integrieren“. Davon würden die „oberen Schichten“ profitieren, die dann keine 10 Euro Tariflohn mehr für die Putzhilfe zahlen müssten, weil die Differenz von 3,50 Euro bis zum Hartz IV-Satz der Steuerzahler drauflegen muss.
Anfang November 2018 legte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer nach, und forderte die Anwerbung ungelernter Arbeiter aus dem Ausland, um das Lohnniveau zu drücken. Aus dem Niedriglohn direkt in die Altersarmut, scheint das Motto. Es geht also immer noch eine Drehung zynischer in diesem „Land, in dem wir gut und gerne leben“: Dumping-Konkurrenz für die Schwächsten, man könnte meinen, solche Experten arbeiten an einem Stimmenvermehrungsprogramm der AfD.
Ganz in diesem Sinne will der UN-Migrationspakt die „regionale und regionenübergreifende Arbeitskräftemobilität erleichtern im Einklang mit den nationalen Prioritäten, den Bedürfnissen des örtlichen Marktes und dem Qualifikationsangebot“. Zum Trost und als Vorzug wird angepriesen, dass der Pakt „weltweit internationale Standards für die Migration“ setzen wird. Merkwürdig bloß, dass Kanzlerin Merkel darauf beharrt: „Dieser Migrationspakt ist rechtlich nicht bindend, und deshalb steht Deutschland dazu.“ Bindet er bloß Deutschland nicht, alle anderen Länder aber doch? Mir fällt da nur Inspektor Columbo ein: „Eine Frage hätte ich da noch – ist der UN-Migrationspakt verpflichtend, wenn in ihm 84-mal ‚Wir verpflichten uns‘ steht?“ Ein Recht, nicht migrieren zu müssen, wurde ebenso wenig in den Pakt aufgenommen wie die konkrete Bekämpfung der Ursachen von Flucht und Migration.
In der Debatte werden beliebig Asyl, Flucht und Migration durcheinandergebracht und vermischt, obwohl sie klar unterschieden sind. Und unterschieden werden müssen, besonders im Interesse der unterschiedlichen Personengruppen. „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, steht im Grundgesetz, Art. 16a (zumindest seit 1993, wenn sie nicht über ein „sicheres Drittland“ einreisen). Gerade darüber wird die „Flüchtlingswelle“ hinweggerollt, weil man von dem Grundrecht im Grunde nichts mehr wissen will. Entweder, wie Friedrich Merz, der es im Zuge der „EU-Harmonisierung“ zur Disposition stellen will, oder indem es als „Lehre aus dem Faschismus“ zwar stehen bleibt, aber durch die Rechtsstaatspraxis zunehmend ausgehöhlt wird, zwischen 1 und 2% liegt die Anerkennungsquote. Ein drastisches Beispiel sind die „Massenrückschiebungen“ von Sinti und Roma, für die wir nach deren Behandlung zwischen 1933 und 1945 eine besondere moralische Verpflichtung empfinden müssten. So erweist sich auch das „freundliche Gesicht“, von dem Merkel schwadroniert und das „Deutschland 2015 in einer Ausnahmesituation“ gezeigt habe, als falsche Maskerade, hinter der sich Inhumanität verbirgt.
Die zweite Gruppe sind die sogenannten „Bürgerkriegsflüchtlinge“, der nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 „temporärer Schutz“ zusteht, in Deutschland „kleines Asyl“ genannt. Auch hier erweisen sich die Schwüre über die „Bekämpfung der Fluchtursachen“ als Sonntagsreden.
Kein Krieg der „westlichen Wertegemeinschaft“, der in den letzten Jahrzehnten nicht gutgeheißen, logistisch oder mit eigenem Mordwerkzeug unterstützt worden wäre. Eine besondere Infamie sind die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien, mit denen die Bevölkerung ausgehungert wird, um sie gegen das „Regime aufzubringen“. Die nächste Infamie ist die Kürzung von Finanzzuwendungen für die UN-Flüchtlingslager in den Nachbarländern, damit auch hier der Hunger zur Flucht zwingt. Zum Dritten sind die Waffenexporte nach Saudi-Arabien zu erwähnen, das damit die Bevölkerung im Jemen abschlachtet.
Im Pakt wird Migration grundsätzlich als normal und positiv gesehen: „Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt.“ Das ist aus mindestens zwei Gründen falsch. „Normal“ ist nicht die Migration, sondern die Sesshaftigkeit, nämlich für über 99% der Weltbevölkerung. Und die verheißenen Segnungen treffen höchstens auf die Minderheit der wirtschaftlich Mächtigen in den Aufnahmeländern zu, für die anderen sind soziale Verschärfungen die Folge. Es wird auch negiert, dass Migration nicht freiwillig stattfindet, sondern aus schierer Not. Bei dem Pakt und seinen Schönrednern gewinnt man den Eindruck, es ginge um die Buchung einer Kreuzfahrt mit dem Traumschiff. Ignoriert werden die Verwerfungen und dramatischen Folgen für die Herkunftsländer.
Der Wiener Verleger und Autor Hannes Hofbauer hat das Buch „Kritik der Migration“ geschrieben, und daraus bei verschiedenen Veranstaltungen auch in Deutschland gelesen. Er argumentiert: „Bulgarien hat in den vergangenen 25 Jahren 41% seiner aktiven Bevölkerung zwischen 25 und 40 Jahren verloren. Rechte Medien sehen nun im Migranten den Hauptfeind, obwohl er das größte Opfer dieser ungleichen Entwicklung auf der Welt ist. Und die Linke verharrt in einer Art Schockstarre.“
Neben einer vergleichsweise geringen Zahl der vor Verfolgung Flüchtenden und einer gestiegenen Zahl jener, die vor Kriegen flüchten flieht die weit überwiegende Zahl aber aus wirtschaftlicher, oft existenzieller Not. Auch hier sind die westlichen Länder systematisch dabei, die zur Flucht führenden Gründe massiv und systematisch zu verschärfen. Migration ist also keine „freie Wahl“, sondern Ausdruck von Ungleichheit – der Einkommen, Vermögen und der Lebenschancen.
Nach der Finanzkrise 2008 entdeckte das globale Großkapital ein neues begehrtes Spekulations- und Anlageobjekt: Ackerland. Schätzungsweise 300 Mio. Hektar Ackerland wurden seither von ausländischen Großinvestoren aufgekauft oder langfristig gepachtet, die zuvor ortsansässigen Kleinbauern werden größtenteils unter Militärgewalt vertrieben. Unter dem verlogenen Titel „Partnerschaftsabkommen“ hat die Europäische Union diese mit über 30 Ländern Afrikas und der Karibik abgeschlossen – tatsächlich Freihandelsabkommen, um die Märkte für Produkte großer Konzerne der EU und überproduzierte europäische Landwirtschaftsprodukte öffnen. Die lokalen Märkte können dieser Konkurrenz nicht standhalten. Hunderttausende Bauern können ihre eigenen Produkte, z.B. aus der Hühnerzucht, nicht mehr verkaufen, da sie gegenüber den subventionierten, importierten Tiefkühlhühnern aus der EU zu teuer sind. Die Bauern verlieren ihre Lebensgrundlage, ihre Söhne und Töchter können auf dem heimischen Agrarsektor nicht überleben, sie versuchen, sich als Migranten nach Europa durchzuschlagen.
Auf Kosten ihrer Herkunftsländer gut ausgebildete junge Menschen sollen zu „uns“ kommen, womit „wir“ uns die Ausbildungskosten sparen können, während die Herkunftsländer ausgeblutet und ihrer bescheidenen Entwicklungsmöglichkeiten zusätzlich beraubt werden. Die US-Großbank Citi schwärmt: „Migranten kommen mit Ausbildung und Erziehung, für die das Ursprungsland bezahlt hat. Sie nehmen weniger Sozialleistungen in Anspruch und bekommen weniger staatliches Geld als Bürger des Landes und sie sind in aller Regel im arbeitsfähigen Alter“.
Reaktionären wie Friedrich Merz oder den vorgeblichen Gegnern des Migrationspakts geht es um dasselbe: sie wollen, dass die Flüchtlinge „uns“ nützen. Chauvinistische Parolen, dass eine „Umvolkung“, gar ein „Völkermord“ drohten, sind nur Fassade – daher sollten insbesondere AfD-Wähler aufpassen: Diese Partei ist nur zum Schein gegen Migration, aber nicht wirklich. Auf die Karnevalisten-Frage: „Wolle mer se reilasse?“ antworten sie: Aber immer, vorausgesetzt, uns (übersetzt: den Kapitalisten) nützt es.
Die neuartige „Flüchtlingswelle“ haben die Herrschenden selber durch Kriege, Regierungsumstürze und durch den Entzug der Lebensgrundlage ganzer Völker verursacht. Zur Fortsetzung ihrer Politik der weltweiten Ausbeutung, mit der sie systematisch andere Länder zerstört und ruiniert haben, sollen jetzt die Arbeiter in Deutschland, in Europa „Solidarität“ zeigen. Das wäre eine Solidarität mit den Profiteuren, die weder etwas zur Schadensbegrenzung beitragen, noch auf ihre Politik der neoliberalen Ausbeutung und Eroberung verzichten wollen, und die natürlich auch kein Geld in die Hand zu nehmen gedenken, um den angerichteten Schaden wiedergutzumachen.
Unter dem Diktat der Finanzoligarchie werden die neuen, letztlich neoliberalen Argumente für offene Grenzen von Liebedienern der Konzerninteressen propagiert, die zu verschärfter Ausgrenzung wie Ausbeutung führen – es geht mitnichten um Freiheit, sondern um institutionalisierte Herrschaft.
Als Sahra Wagenknecht einen Beitrag des schon erwähnten Norbert Haering empfahl, wurde ihr das als „Skandal“ angekreidet. Die „skandalöse“ Schlussfolgerung des inkriminierten Journalisten lautet: „Förderung der Arbeitsmigration nach der Façon der im Weltwirtschaftsforum organisierten Großkonzerne, wie sie sich im UN-Migrationsabkommen niederschlägt, schadet sowohl den Arbeitnehmern in den Zielländern als auch den Herkunftsländern der Migranten. Nutznießer sind die Unternehmen und Kapitalbesitzer in den Industrieländern. Linke Parteien, die so etwas mittragen, sind dem Untergang geweiht und haben ihn verdient.“
Die vermeintlich „linken“ Open-Border-Aktivisten, die der bedingungslosen Einwanderung das Wort reden, träumen von der „Überwindung“ des Nationalstaats, den sie „gestrig“ nennen. Nach dessen Überwindung gäbe es aber keine Institutionen mehr, die die Wirtschaft kontrollieren, die soziale Schutzgesetze erlassen könnten. Die Verteidigung des Sozialstaates und sozialer Errungenschaften funktioniert nur im Rahmen des Nationalstaats. Die nationalen Parlamente als Adressaten von Forderungen und Kämpfen für soziale Verbesserungen wären dann auch „überwunden“. Für die Globalisierer sind das paradiesische Zustände, sie haben ja die Weltbank und den IWF. Grenzen sind dem Kapital ein Dorn im Auge, es will billige Arbeitskräfte für eine größere Reservearmee, um den Druck auf die Löhne weiter zu steigern. So erscheint die „Open Border-Fraktion“ als links drapierte Kampftruppe für die neoliberale Globalisierung.
Deshalb ist aus meiner Sicht ein entschiedenes NEIN zu diesem Migrationspakt der Banken und Konzerne sowohl im Interesse der Lohnabhängigen in Deutschland wie auch im Interesse der internationalistischen Solidarität mit allen Ausgebeuteten und Unterdrückten.
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