„Muckis
Beichte. Prügel-Nonnen u.a. Liebesgaben – ein Lebenskünstler
erzählt“ - Arnold Kamenz
AUSBRUCHSVERSUCHE
Buchtipp
von Harry Popow
Alte
Weisheit: Es gibt nichts, was unpolitisch wäre. Alles und jedes
menschliche Tun hänge von den jeweiligen Umständen ab. Seitdem ich
das Büchlein „Muckis Beichte“ von Arnold Kamenz gelesen habe,
kamen mir im ersten Moment Zweifel. Kann man ein Buch, in dem sich
dir kleine und große Schweinereien ins Gedächtnis schmuggeln, als
politisch bezeichnen? Wo es nur so wimmelt von Prügel gegenüber
Kindern, von Sex und Kindesmissbrauch, von Saufereien und Knast, von
Entziehungskuren und von Lieblosigkeit gegenüber Kindern sowie von
Hurerei und Exzessen, kann man dieses als politische Äußerungen
betrachten? Zumal der Text eigentlich nur Zustände beschreibt, also
eine naturalistischen Sicht präsentiert?
Unumwunden:
Der Autor Arnold Kamenz hat dies alles erlebt. In Westberlin der 60er
und 70er Jahre und später. Er konnte nicht richtig Fuß fassen in
einem System, dass nicht für die Menschen da ist. Geprägt von
Arbeitslosigkeit, von bürokratischen Beamten, von Willkürakten
gegenüber vermeintlichen Kriminellen, hat ein jeder das Seine zu
tun, um über die Runden zu kommen.
Es
ist kein Zufall, dass der Autor erst in seinem 65. Lebensjahr diese
Schrift verfasste. Und das in einer sehr, sehr offenen Sprache. Er
beschönigt nichts, nicht seine Fehler, nicht die Umstände, die ihn
zum inneren Widerstand gegen die Unbilden der Macht verführten. Ja,
er wird zynisch, er sagt Dinge, die man schier gerne überlesen haben
würde. Es ist nicht nur die Sauferei, nicht nur der feuchtfröhliche
Umgang mit dem weiblichen Geschlecht. Es ist die Abstinenz vor
jeglichem Gedanken an den Sinn des Lebens, es ist die reinste
Selbstaufgabe als Persönlichkeit.
Und
trotzdem: Dieser Autor, mit Spitznamen nennt er sich Mucki, beichtet
eigentlich die Unzulänglichkeit seines Daseins, indem er lediglich
Spaß haben will und ums Überleben kämpft. So reihen sich in seinen
Berichten Episoden an Episoden (welch ein erstaunliches Gedächtnis),
die mitunter langweilig wirken, aber man kommt als Leser nicht umhin,
den Kopf zu schütteln über den Mut, nicht aufzugeben. So finden
sich denn auch zahlreiche Perlen der Erkenntnis des Mucki, im
Interesse der Vernunft Menschlichkeit zu zeigen. Und das geschieht in
vielen Momenten, da er sich für andere Kameraden und Bekannte
selbstlos einsetzt, ihnen hilft in Notsituationen. Er selbst versucht
aus dem Dilemma seines Daseins auszubrechen, indem er sich von seinen
Saufbrüdern fernhalten will, indem er ins Ausland reist, indem er
die Wohnung wechselt. Oft auch vergebliche Liebesmüh. Interessant
auch seine Meinung zu Kriegen. So formuliert er seine Ansicht auf
Seite 41: „Bis
zum Abendbrot durften wir dann noch spielen. Mit Jeep-Panzer und
anderem Kriegsmaterial. Ich war immer erstaunt, dass die mit so was
spielten. Denn ich wusste, dass Krieg Scheiße ist und das Krieg
alles kaputt macht. Menschen wurden voneinander getrennt und
verstümmelt und was noch schlimmer ist, getötet. Ich kannte viele,
wo der Papa im Krieg war, die nie wieder kamen.“
Sein
Aufschrei nach einem sinnvollen Leben zeigt sich beim Autor am
klarsten, wo er mit folgenden Worten sein Innertes preisgibt: „Ich
hatte Michi immer gesagt: „Sorge
dafür, dass das Kind nie in ein Heim kommt. Ich habe es erlebt, wie
schmerzhaft es ist. Keine Familie, mit der man über seine Sorgen
reden kann. Und kuscheln kenne ich aus meiner Kindheit überhaupt
nicht. Darum kann ich auch heute nur schwer meine Liebe zeigen. Hand
in Hand gehen oder von allein mal jemanden in den Arm nehmen, das hab
ich gar nicht gelernt. Ich dachte, dass brauch man nicht, dabei ist
es doch so wichtig. Wonach ich mich auch sehnte und das auch heute
noch vermisse.“
Zweifellos
wird dieses Buch mit all seinen Impressionen über das Auf und Ab des
ausgebeuteten Menschen seine Leser finden. Und sei es wegen der Gier,
mehr über asoziales Verhalten zu erfahren, über die Untergründe
menschlichen Fehlverhaltens. Mögen jene Leser aber auch
herausfinden, wieviel Kraft dazu gehört, im unmenschlichen System zu
bestehen und sich dazu durchzuringen, seinen Zeifeln an den
Widrigkeiten des Lebens eigenes Nachdenken und bewusstes Verhalten
entgegenzusetzen. Damit sei auch mein Zweifel als Rezensent aus der
Welt: „Muckis Beichte“ ist – ohne Wenn und Aber ein Spiegelbild
der gesellschaftlichen Verhältnisse, nicht nur vor Jahren, sondern
vor allem in der heutigen Zeit der Gefahr neuer Kriege.
Arnold Kamenz: „Muckis Beichte. Prügel-Nonnen u.a. Liebesgaben – ein
Lebenskünstler erzählt“, Taschenbuch: 311 Seiten, Verlag: dbusiness.de
Verlag (11. November 2016), ISBN-10: 3946837263, ISBN-13:
978-3946837268, Preis: 9,90 Euro,
www.amazon.de/Muckis-Beichte-Prügel-Nonnen-u-Liebesgaben/dp/3946837263
www.amazon.de/Muckis-Beichte-Prügel-Nonnen-u-Liebesgaben/dp/3946837263
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen