Dienstag, 6. Dezember 2016

Muckis Beichte - eine Rezension

Muckis Beichte. Prügel-Nonnen u.a. Liebesgaben – ein Lebenskünstler erzählt“ - Arnold Kamenz


AUSBRUCHSVERSUCHE

Buchtipp von Harry Popow

Alte Weisheit: Es gibt nichts, was unpolitisch wäre. Alles und jedes menschliche Tun hänge von den jeweiligen Umständen ab. Seitdem ich das Büchlein „Muckis Beichte“ von Arnold Kamenz gelesen habe, kamen mir im ersten Moment Zweifel. Kann man ein Buch, in dem sich dir kleine und große Schweinereien ins Gedächtnis schmuggeln, als politisch bezeichnen? Wo es nur so wimmelt von Prügel gegenüber Kindern, von Sex und Kindesmissbrauch, von Saufereien und Knast, von Entziehungskuren und von Lieblosigkeit gegenüber Kindern sowie von Hurerei und Exzessen, kann man dieses als politische Äußerungen betrachten? Zumal der Text eigentlich nur Zustände beschreibt, also eine naturalistischen Sicht präsentiert?


Unumwunden: Der Autor Arnold Kamenz hat dies alles erlebt. In Westberlin der 60er und 70er Jahre und später. Er konnte nicht richtig Fuß fassen in einem System, dass nicht für die Menschen da ist. Geprägt von Arbeitslosigkeit, von bürokratischen Beamten, von Willkürakten gegenüber vermeintlichen Kriminellen, hat ein jeder das Seine zu tun, um über die Runden zu kommen.

Es ist kein Zufall, dass der Autor erst in seinem 65. Lebensjahr diese Schrift verfasste. Und das in einer sehr, sehr offenen Sprache. Er beschönigt nichts, nicht seine Fehler, nicht die Umstände, die ihn zum inneren Widerstand gegen die Unbilden der Macht verführten. Ja, er wird zynisch, er sagt Dinge, die man schier gerne überlesen haben würde. Es ist nicht nur die Sauferei, nicht nur der feuchtfröhliche Umgang mit dem weiblichen Geschlecht. Es ist die Abstinenz vor jeglichem Gedanken an den Sinn des Lebens, es ist die reinste Selbstaufgabe als Persönlichkeit.

Und trotzdem: Dieser Autor, mit Spitznamen nennt er sich Mucki, beichtet eigentlich die Unzulänglichkeit seines Daseins, indem er lediglich Spaß haben will und ums Überleben kämpft. So reihen sich in seinen Berichten Episoden an Episoden (welch ein erstaunliches Gedächtnis), die mitunter langweilig wirken, aber man kommt als Leser nicht umhin, den Kopf zu schütteln über den Mut, nicht aufzugeben. So finden sich denn auch zahlreiche Perlen der Erkenntnis des Mucki, im Interesse der Vernunft Menschlichkeit zu zeigen. Und das geschieht in vielen Momenten, da er sich für andere Kameraden und Bekannte selbstlos einsetzt, ihnen hilft in Notsituationen. Er selbst versucht aus dem Dilemma seines Daseins auszubrechen, indem er sich von seinen Saufbrüdern fernhalten will, indem er ins Ausland reist, indem er die Wohnung wechselt. Oft auch vergebliche Liebesmüh. Interessant auch seine Meinung zu Kriegen. So formuliert er seine Ansicht auf Seite 41: „Bis zum Abendbrot durften wir dann noch spielen. Mit Jeep-Panzer und anderem Kriegsmaterial. Ich war immer erstaunt, dass die mit so was spielten. Denn ich wusste, dass Krieg Scheiße ist und das Krieg alles kaputt macht. Menschen wurden voneinander getrennt und verstümmelt und was noch schlimmer ist, getötet. Ich kannte viele, wo der Papa im Krieg war, die nie wieder kamen.“

Sein Aufschrei nach einem sinnvollen Leben zeigt sich beim Autor am klarsten, wo er mit folgenden Worten sein Innertes preisgibt: „Ich hatte Michi immer gesagt: „Sorge dafür, dass das Kind nie in ein Heim kommt. Ich habe es erlebt, wie schmerzhaft es ist. Keine Familie, mit der man über seine Sorgen reden kann. Und kuscheln kenne ich aus meiner Kindheit überhaupt nicht. Darum kann ich auch heute nur schwer meine Liebe zeigen. Hand in Hand gehen oder von allein mal jemanden in den Arm nehmen, das hab ich gar nicht gelernt. Ich dachte, dass brauch man nicht, dabei ist es doch so wichtig. Wonach ich mich auch sehnte und das auch heute noch vermisse.“

Zweifellos wird dieses Buch mit all seinen Impressionen über das Auf und Ab des ausgebeuteten Menschen seine Leser finden. Und sei es wegen der Gier, mehr über asoziales Verhalten zu erfahren, über die Untergründe menschlichen Fehlverhaltens. Mögen jene Leser aber auch herausfinden, wieviel Kraft dazu gehört, im unmenschlichen System zu bestehen und sich dazu durchzuringen, seinen Zeifeln an den Widrigkeiten des Lebens eigenes Nachdenken und bewusstes Verhalten entgegenzusetzen. Damit sei auch mein Zweifel als Rezensent aus der Welt: „Muckis Beichte“ ist – ohne Wenn und Aber ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse, nicht nur vor Jahren, sondern vor allem in der heutigen Zeit der Gefahr neuer Kriege.

Arnold Kamenz: „Muckis Beichte. Prügel-Nonnen u.a. Liebesgaben – ein Lebenskünstler erzählt“, Taschenbuch: 311 Seiten, Verlag: dbusiness.de Verlag (11. November 2016), ISBN-10: 3946837263, ISBN-13: 978-3946837268, Preis: 9,90 Euro, www.amazon.de/Muckis-Beichte-Prügel-Nonnen-u-Liebesgaben/dp/3946837263
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