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70
Jahre nach der Befreiung vom Faschismus
Deutschland
braucht eine grundlegend andere Außenpolitik
Für
Antifaschisten und in der DDR galt der 8. Mai 1945 von Anfang an
als „Tag der Befreiung“, die herrschenden Kreise
Westdeutschlands brauchten nach der Kapitulation des Deutschen
Reiches immerhin 40 Jahre, um den Tag nicht mehr als „Niederlage“
und „Untergang“ zu betrauern.
Der
Wechsel der Sprachregelung durch den dafür viel bewunderten
Richard von Weizsäcker war 1985 in der BRD nicht nur späte
Einsicht, sondern vor allem auch Teil der Strategie des „Wandels
durch Annäherung“, die das Vertrauen „unserer östlichen
Nachbarn“ erwecken sollte. Das angestrebte Ziel wurde erreicht –
Europa von der Elbe bis zum Pazifik von sozialistischen
Gesellschaftsordnungen „befreit“.
Die heutige Weltlage beschwört Vergleiche mit den beiden Weltkriegen herauf. In weiten Teilen der Welt erleben wir imperialistische Einmischung und Kriege in Serie. Deutsche Regierungen ermächtigen sich, anderen Nationen Vorschriften zu machen, wirtschaftlichen und diplomatischen Druck auszuüben und selbst bis zur Androhung und Anwendung militärischer Gewalt zu gehen. NATO und EU vereinnahmten ein osteuropäisches Land nach dem anderen. Die „Partnerschaft mit Russland“ schlug in offene Konfrontation um.
Bis
zur Annexion der DDR galt, dass von deutschem Boden nie wieder
Krieg ausgehen darf. Das vereinte Deutschland begab sich wieder
auf die alten Pfade deutscher Expansion Richtung Osteuropa. Die
Lehren aus dem Faschismus wurden beim Krieg gegen Jugoslawien, dem
dritten in einem Jahrhundert, mit dem rot-grünen Schlachtruf „Nie
wieder Auschwitz“ pervertiert. Dies stellte eine neue Variante
der Auschwitz-Lüge dar, einen Akt von staatlichem
Geschichtsrevisionismus. Es soll vergessen gemacht werden, dass
die Sowjetunion das Hauptziel der Expansionsgelüste des deutschen
Kapitals und der faschistischen Aggression war. Verdrängt werden
soll, dass im opferreichen Kampf der Anti-Hitler-Koalition die
Sowjetunion die Hauptlast trug. Sie hatte 27 Millionen Tote zu
beklagen, große Teile des Landes wurden verwüstet, Städte und
Dörfer, Industrieanlagen und Kultureinrichtungen dem Boden gleich
gemacht.
Insbesondere sollen wir vergessen, mit welch rassistischer Propaganda und psychologischen Kriegsvorbereitung gegen die „bolschewistische Gefahr“, den „verschlagenen Iwan“ und die „slawischen Untermenschen“ die deutschen Faschisten ihren Vernichtungskrieg und den Massenmord im Osten vorbereitet haben.
Wir
sollen nicht erkennen, dass die heutigen Anti-Russland-Kampagnen
gefährliche und fatale historische Vorläufer hatten. In der
offiziellen Erinnerungskultur kommt die Leistung der
antifaschistischen Widerstandskämpfer, der Partisaninnen und
Partisanen und der Deserteure nicht vor. Die Leugnung der
Selbstbefreiung des KZ Buchenwald ist ein Akt von staatlichem
Geschichtsrevisionismus. Der Schwur von Buchenwald „Die
Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung“
ist bis heute nicht eingelöst. In der Erinnerungskultur des
vereinten Deutschland soll insbesondere der zweite Teil der Losung
„Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!“ verdrängt
werden.
Unerfüllte
Friedenshoffnungen
Die
Befreiung vom Faschismus hatte auch international das
Kräfteverhältnis zugunsten der Friedens- und Fortschrittskräfte
verändert. Die drei Siegermächte USA, Sowjetunion und
Großbritannien schufen einvernehmlich wichtige Grundlagen für
eine neue friedliche Weltordnung. Die Vereinten Nationen
wurden als universelles System kollektiver Sicherheit geschaffen.
Die UNO-Charta bekräftigte das Prinzip der souveränen Gleichheit
der Staaten und das Verbot der Androhung und Anwendung
militärischer Gewalt in den internationalen Beziehungen.
Friedensverträge wurden mit Italien, Rumänien, Ungarn,
Bulgarien und Finnland geschlossen. Das Potsdamer Abkommen der
„großen Drei“ vom 2. August 1945 wird in der offiziellen
Erinnerungskultur nicht gewürdigt. Es eröffnete die Perspektive
einer friedlichen, antifaschistischen, demokratischen Zukunft:
völlige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands, die
Ausschaltung der zur Kriegsproduktion geeigneten Industrie, die
Dezentralisierung der Wirtschaft und Vernichtung der Kartelle und
Monopolvereinigungen. Aktive Nazis waren aus allen öffentlichen
Ämtern und verantwortlichen Positionen der Wirtschaft zu
entfernen, alle Nazi-Gesetze aufzuheben und das Erziehungs- und
Gerichtswesen sowie die öffentliche Verwaltung antifaschistisch
neu aufzubauen. Kriegsverbrecher und Mitschuldige sollten
verhaftet und vor Gericht gestellt werden, die NSDAP mit allen
Gliederungen vernichtet und Sicherheiten geschaffen werden, dass
sie in keiner Form wieder auferstehen können. Jeder nazistischen
und militaristischen Betätigung und Propaganda sei vorzubeugen.
Das
Potsdamer Abkommen wurde in der DDR, nicht aber in der BRD
verwirklicht. Das sollen die Attacken gegen den „Unrechtsstaat
DDR“ vergessen machen, und die höhnische Rede vom „staatlich
verordneten Antifaschismus“, dass die Entnazifizierung im Westen
höchst widerwillig und unvollkommen durchgeführt wurde – bis
zur geheimdienstlich gesteuerten NPD heute. Daher behauptet
die Staatsdoktrin der BRD, dass im Osten Deutschlands 1945 nur
eine Diktatur gegen eine andere getauscht und die Befreiung der
Ostdeutschen erst 1989/90 mit der Annexion durch die BRD erfolgt
sei. Dem setzen wir die Erkenntnis entgegen, die zuletzt im
DGB-Grundsatzprogramm 1981 formuliert wurde: „Die Entwicklung in
der Bundesrepublik hat zu einer Wiederherstellung alter Besitz-
und Machtverhältnisse geführt." Entsprechend gilt
weiterhin die Feststellung von Bertolt Brecht: „Der Schoß ist
fruchtbar noch, aus dem das kroch“, und ebenso Max Horkheimer:
„Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom
Faschismus schweigen“.
Ziel:
Zerstörung des Antifaschismus
Diesen
Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus, seine
Systembedingtheit, soll mit allen Mitteln aus dem Bewusstsein
verdrängt werden.
Es beginnt damit, dass in den Medien und offiziellen Debatten kaum noch der Faschismus beim Namen genannt wird, es wird fast durchgängig von „Nationalsozialismus“ gesprochen. Damit wird der demagogische, von den Faschisten zur Eigenwerbung erfundene Name für bare Münze genommen. Früher war dies ein Erkennungsmerkmal der Nazis, heute haben die Herrschenden den Nutzen erkannt, den Faschismus als eine Variante des Sozialismus auszugeben, um Sozialisten zu attackieren und die Kapitalseite aus der Schusslinie zu nehmen. Die Auflösung des Faschismus-Begriffs wird mit der Erfindung eines „Islamfaschismus“ fortgesetzt, er wird zur Rechtfertigung neokolonialer Kreuzzüge im Mittleren Osten ebenso eingesetzt wie für islamophobe Kampagnen zu Hause. Rassistische Kulturkämpfer und bürgerlichen Atheisten stellen sich als Propagandisten zur Verfügung.
Die
Interessen des Finanzkapitals, die zum Faschismus drängen, werden
auch damit zum ‚Verschwinden‘ gebracht, dass der
Antisemitismus zum Kern und Wesen des Faschismus erklärt wird.
Der Massenmord an den Juden war zwar ein Kennzeichen der
barbarischen deutschen Variante des Faschismus, ist aber nicht
notwendiger Teil jeder faschistischen Herrschaft. Die Ersetzung
des Antifaschismus durch eine „Antisemitismus-Ideologie“ wird
genutzt, um alles und jeden unter „Antisemitismus“-Verdacht zu
stellen: Kritik an den israelischen Kriegen gegen die
Palästinenser, dem Siedler-Kolonialismus und der
Apartheid-Politik der Zionisten, selbst wenn die Kritik von
Günther Grass oder von antizionistischen Juden
kommt.
„Antisemitisch“ sei die Globalisierungskritik von Arundhati Roy, attac und blockupy, ebenso wie jede Kritik am Finanzkapital, Heuschrecken-Hedgefonds, der Profitgier und der Macht der Banken und Konzerne. Letztlich werden alle sozialen Proteste zu „Antisemitismus“ umgelogen. Dies folgt der Umdeutung bzw. Verdrehung, dass der Faschismus kein Projekt der imperialistischen Eliten, sondern der subalternen Massen gewesen sei, die sich korrumpiert als „willige Vollstrecker“ einspannen ließen. Folglich wurzele der Faschismus im „sozialistischen Kollektivismus“. Damit mündet dieser heruntergekommene „Antifaschismus“ in der antikommunistischen Totalitarismus-Doktrin „rot = braun“, der Gleichsetzung der antifaschistischen Widerstandskämpfer mit den Faschisten, der Opfer mit ihren Mördern. Nach der Entwertung des Antisemitismusbegriffs droht die Trennschärfe, was faschistisch, wer Faschist ist, verloren zu gehen. Konservative Auffassungen oder ‚rechte‘ Positionen werden von manchen umstandslos als ‚faschistisch‘ etikettiert, wenn es einen Vorteil im Schlagabtausch verspricht. ‚Faschismus‘ soll alles Mögliche sein und wird in großer Vielfalt angeboten, um Antifaschisten in die Irre zu führen.
Aber
nicht alles, was nicht näher definiert als „rechts“ gilt,
jede ausländerfeindliche Stammtischparole, jeder sexistische und
Schwulen-Witz, nicht alles, was politisch falsch oder
menschenverachtend oder geschmacklos ist, ist auch schon
faschistisch. Rechtspopulisten müssen beim Namen genannt werden,
gegen reaktionäre Inhalte muss man streiten, hier ist politische
Auseinandersetzung angesagt. Bei Faschismus gilt das nicht: Hier
gilt das Verbot. Aber nur hier.
Faschismus:
eine Form kapitalistischer Barbarei
Die zentrale Erkenntnis, dass Faschismus eine Form der Kapitalherrschaft ist, will die Propagandamaschine des Kapitals unbedingt aus den Köpfen schlagen. Die Zerfaserung und Schredderung jedes konsistenten Faschismusbegriffs durch das Angebot beliebiger Faschismus-Zuschreibungen soll insbesondere vergessen machen, was nach Faschismusforscher Reinhard Kühnl tatsächliches und herausragendes Merkmal des Faschismus ist: Die erbitterte Feindschaft gegenüber der organisierten Arbeiterbewegung mit Verbot und Zerstörung ihrer Parteien, Gewerkschaften und Kulturorganisationen, die Verfolgung und physische Zerstörung ihrer Aktivisten und Funktionäre, der pathologische und mörderische Antikommunismus.
Dies
kennzeichnet den Faschismus in allen Ländern, zu allen Zeiten und
in den unterschiedlichen Formen, in denen er bisher auftrat. Es
verweist zugleich auf jene, die den Faschismus förderten, an die
Macht brachten, und auf Ihre Interessen: die Interessen der Bank-
und Konzernherren an ungestörter Profitmacherei. Wer die
Feindschaft zur Arbeiterbewegung als zentrales Kennzeichen aller
Faschisten negiert, will insbesondere verschweigen: Der Faschismus
ist ein von den Besitzenden eingesetztes Regime. Der
Bundesvorsitzende der Freidenker, Klaus Hartmann, sagte 2004
anlässlich des 60. Jahrestages der Ermordung des
Freidenker-Vorsitzenden Max Sievers durch die deutschen Faschisten
1944: „Wir betrachten es als eine aktuelle Aufgabe, den
Antifaschismus nicht nur gegen offene Faschisten und Reaktionäre,
sondern auch gegen scheinbar wohlmeinende Banalisierer,
Sinnentleerer und Sinnverdreher zu verteidigen. Wir bestehen auf
der begrifflichen Klarheit: Freidenker sind entschiedene Gegner
des Faschismus, nicht eines sogenannten ‚Nationalsozialismus‘.“
Unsichtbar gemacht würden „jene, die Hitler an die Macht
geschoben haben, die sein Mordsystem installiert und die daran
verdient haben“, ebenso bringe man „die gegensätzlichen
Klasseninteressen, die unterschiedlichen Klassenkräfte, den
Klassencharakter der faschistischen Herrschaft“ zum
Verschwinden. Der letztliche Zweck der Übung sei die Beseitigung
der „Dimitroff’schen Charakteristik des Faschismus als offene,
terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten,
am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“
Inzwischen ist es ‚antideutschen‘ Schriftstellern bei
„wikipedia“ gelungen, diese Faschismusdefinition von Georgi
Dimitroff als „Agenten-“ bzw. „Verschwörungstheorie“ zu
denunzieren, die mit der „angeblichen Finanzierung der NSDAP
durch das Großkapital vor 1933“ begründet werde.
Gegen
diese neuen Propagandisten des Großkapitals bleiben wir bei der
Feststellung des Historikers und Freidenker-Beiratsmitglieds Kurt
Gossweiler: „Der Faschismus ist die äußerste Konsequenz des
dem Imperialismus innewohnenden Dranges nach Reaktion und Gewalt,
der darauf abzielt, die Macht der Monopole zu ihrer ökonomischen
und politischen Allmacht zu steigern.“
Von
1945 zu 1990
Der
Sieg über den Faschismus und die hohe Autorität der Sowjetunion
schufen günstige Bedingungen dafür, dass die demokratischen
Kräfte und die Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Ländern
wie die nationalen Befreiungsbewegungen in den kolonialen und
abhängigen Ländern stark an Einfluss gewannen. Das veränderte
politische Kräfteverhältnis begründete Hoffnungen auf eine
nicht vom Imperialismus bestimmte Weltordnung. Die Sowjetunion
hatte allen Grund, auch bei der Gestaltung der Nachkriegsordnung
das Zusammenwirken mit den Kriegsalliierten fortzusetzen. Doch
der Klassenhass gegen den Kommunismus gewann in den USA und in
Großbritannien umgehend die Oberhand, klassisch formuliert von
Churchill, man habe mit Hitler „das falsche Schwein
geschlachtet“.
In den USA hatte der Weltkrieg kaum Zerstörung hinterlassen, und gestützt auf eine intakte Ökonomie mit immensen Exportmöglichkeiten in die zerstörten Länder errangen die USA schnell eine Weltmachtstellung. Die nutzten sie, Westeuropa wirtschaftlich durch den Marshall-Plan und militärisch durch die NATO unter ihre Kontrolle zu bringen. Politisch schalteten sie von Kooperation auf Konfrontation um, der Startschuss für den Kalten Krieg fiel symbolisch bereits mit den Atombombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki. Der von den USA entfesselte kalte Krieg spaltete Europa und Deutschland.
Die
sowjetische Seite stellte sich auf die Spaltung der Welt in zwei
Lager ein und verstand sich als Widerpart zum imperialistischen
Lager, indem sie die Länder der neuen Volksdemokratien und die
nationalen Befreiungsbewegung stützte und um sich scharte. So
begründet die Hoffnungen auf eine bessere Weltordnung 1945 waren,
so illusionär waren Wunschvorstellungen von der „Neuen
Weltordnung“, in der „Markt und Demokratie“ herrschen
sollten, die nach der Niederlage des Sozialismus in Europa
1989/1990 aufkamen. Wer solchen Illusionen anhing, schien
vergessen zu haben, dass im kalten Krieg „friedliche Koexistenz“
nur so lange gegeben war, wie die sozialistischen Staaten wachsam
blieben, begriff nicht, dass sie den Weg des Untergangs
beschritten, als sie in Überschätzung der eigenen Stärke den
erreichten Weltzustand als unumkehrbar glaubten, bis sie im Kampf
um eine neue Weltordnung schließlich kapitulierten.
Doch
schon kurz nach seinem vermeintlichen Sieg zeigte sich das
imperialistische Weltsystem außer Stande, das wieder
kapitalistisch gewordene Russland und das marktsozialistische
China auf der Grundlage von Respekt und Gleichberechtigung in das
vom Finanzkapital dominierte Staatensystem einzugliedern. Ganz zu
schweigen davon, dass unter dem Diktat des Weltmarktes viele
Entwicklungsstaaten zur Stagnation und zum Niedergang verurteilt
waren. Unterstützt von ‚postsowjetischen‘ Führern
gingen imperialistische Konzerne und Politiker daran, sich die
‚Filetstücke‘ der Wirtschaft, insbesondere die russischen
Bodenschätze, unter den Nagel zu reißen, die Territorien weiter
zu zerlegen, jede politische und militärische Gegenwehr unmöglich
zu machen und einen Teil der Beute ergebenen heimischen Oligarchen
zu überlassen.
Ein
neuer Systemkonflikt
Dieser
Ausverkauf wurde ab 2000 mit dem politischen Wechsel zu Präsident
Putin gestoppt und weitgehend rückgängig gemacht. Oligarchen
existieren zwar weiterhin, haben aber ihren beherrschenden
Einfluss in Wirtschaft und Politik verloren. Der überwiegende
Teil der Ökonomie, insbesondere der Schlüsselindustrien und
Rohstoffe, befinden sich (wieder) in staatlicher Hand oder unter
staatlicher Kontrolle. Der Traum ewig sprudelnder Profitquellen
ist für die westlichen Konzerne ausgeträumt. Folgerichtig ist
die westliche „Wertegemeinschaft“ alarmiert und verstört und
hat einen neuen Feind ausgemacht. Um Russland und China formierte
sich mit Brasilien, Indien und Südafrika eine neue Staatengruppe,
die sich nach den Anfangsbuchstaben dieser Länder als BRICS
bezeichnet. Diese Staaten sind schnell wachsende Schwellenländer,
mit denen ein weltpolitisches Gegengewicht zum Machtblock der USA
und ihren Verbündeten entsteht. Als marktwirtschaftliche
Ökonomien sind sie Teil des kapitalistischen Weltmarkts, aber im
Unterschied zu westlichen Ländern verfügt der Staat über die
Kontrolle strategischer Sektoren der Volkswirtschaft.
Auch
wenn Kapitalisten eine zum Teil bedeutende Rolle spielen, gibt es
in diesen Ländern nicht jene kleine parasitäre Schicht der
Finanzoligarchie, die sich in westlichen Ländern nur über einen
langen Zeitraum seit dem 19. Jahrhundert herausbilden konnte und
die das entscheidende Kennzeichen des Imperialismus darstellt.
Kurz: Politiker spielen in diesen Ländern eine bedeutend größere
Rolle, und für die Durchsetzung von Interessen der Mehrheit der
Bevölkerung sind grundsätzlich günstigere Voraussetzungen
gegeben. Dem, was heute als neuer kalter Krieg in Europa
erscheint, liegt ein neuer Systemkonflikt zugrunde. In ihm ringen
zwei Gruppen um die Gestaltung der Weltpolitik: einerseits die USA
und andere imperialistische Zentren, die sich als liberale
marktwirtschaftliche Demokratien darstellen, in Wirklichkeit aber
reaktionären staatsmonopolistischen Kapitalismus repräsentieren,
andererseits die BRICS-Länder, die einen neuen Typ von relativ
fortschrittlichem „Staatskapitalismus“ verkörpern.
Der
neue Systemkonflikt entfaltet sich insbesondere auf dem Gebiet der
Weltwährungspolitik. Die BRICS-Länder sind entschlossen, die
beherrschende Stellung und parasitäre Rolle des US-Dollars zu
beenden, die es den USA erlauben, einen hohen staatlichen und
privaten Konsum, eine gigantische Militärmacht und aggressive
Außenpolitik zu finanzieren, indem alle anderen Länder den
Dollar, d.h. bedrucktes grünes Papier, als Zahlungsmittel für
reale wirtschaftliche Leistungen entgegen nehmen müssen. Der
Angriff auf den Dollar erinnert daran, dass die Sowjetunion 1952
den Goldrubel einführte und mit den RGW-Ländern bei einer
internationalen ökonomischen Beratung den sozialistischen und
Entwicklungsländern vorschlug, als Gegengewicht zur
wirtschaftlichen Expansionspolitik der USA die Bildung eines
gemeinsamen Marktes für Waren, Dienstleistungen und Investitionen
zu bilden. Man hatte erkannt, dass „die Amerikaner mit allen
Mitteln versuchen werden, sich des Dollarüberflusses zu
entledigen, den sie in den Jahren des Krieges angehäuft haben“
und man wollte „eine solche Entwicklung mit unseren Verbündeten
verhindern“ (Stalin). Aus dem Projekt wurde nichts, weil die
UdSSR kurz darauf Kurs auf weltpolitische „Bipolarität“ mit
den USA nahmen und den Bruch mit der VR China vollzogen. Dass die
BRICS-Staaten etwa 60 Jahre später nach der Niederlage des
Sozialismus eine ähnliche Politik unter kapitalistischen
Vorzeichen aufnehmen, ist ein Indiz dafür, dass dem Vorgang eine
tiefere Logik der Weltpolitik zugrunde liegt.
Wieder
Faschismus und Krieg?
Geschichte
scheint sich zu wiederholen, solange sich die Mechanismen des
imperialistischen Zeitalters nicht grundlegend ändern. Immer
wieder kommt es, wie Lenin analysierte, infolge der ungleichen
Entwicklung im Kapitalismus und des imperialistischen Ringens um
Neuaufteilung der Welt zu weltpolitischen Situationen, in denen
die Ordnung der Welt als ganze zur Disposition steht. Aus solchen
Konstellationen entstanden die beiden Weltkriege und der kalte
Krieg.
Heute kann von einer „friedlichen, offenen und freien Weltordnung“, die das außenpolitische Strategiepapier „Neue Macht. Neue Verantwortung“ beschwört, nicht die Rede sein. Diese Handlungsanweisung für die Bundesregierung wurde von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ gemeinsam mit der US-Stiftung „German Marshall Fund of the United States“ ausgebrütet, sie fordert „Handlungsbereitschaft“ Deutschlands gegenüber „Störern der internationalen Ordnung“ in Form von „mehr militärischem Einsatz“ in „Formaten für NATO-Operationen (…) bei denen (man) weniger auf US-Hilfe angewiesen (ist)“. Von dieser „Ordnung“, für die also künftig Krieg geführt werden soll, profitiert nicht, wie behauptet, „Deutschland“ sondern nur eine winzige parasitäre Schicht der deutschen und internationalen Finanzoligarchie. Diese Superreichen werden immer reicher, während die Armut wächst. Dass „diese Wirtschaft tötet“, meint auch Papst Franziskus.
Im
Interesse des Finanzkapitals streben die deutschen Machteliten
wieder nach Weltmacht, zum dritten Mal, nunmehr in der
trügerischen Gewissheit der inzwischen erreichten
Vormachtstellung in der Europäischen Union und als Teil der so
genannten „westlichen Wertegemeinschaft“. Die Machthaber
Deutschlands scheinen bereit, sich bis auf weiteres der globalen
Strategie der einzigen Supermacht USA unterzuordnen. Sie gehen
sogar – wie beispielsweise in der Konfrontation gegen Russland –
soweit, gegen nationale Gesamtinteressen der kapitalistischen
Klasse zu handeln. Dabei ist jedoch auch die „klassische“
innerimperialistische Rivalität zwischen Deutschland und den USA
nicht zu übersehen, die in der gemeinsam forcierten
Osterweiterung von NATO und EU auf Schritt und Tritt in
Erscheinung getreten ist.
In
dieser Lage sollte die Erinnerung an den „Tag der Befreiung“,
der 1945 eine Zäsur der Weltpolitik markierte, das Bewusstsein
dafür schärfen, dass sich Deutschland heute wieder in einer Lage
befindet, die eine grundlegend andere Außenpolitik erfordert, in
einer Weltlage, in der alle friedliebenden und gerecht denkenden
Menschen, alle fortschrittlichen und Friedensorganisationen
aufgefordert sind, dafür einzutreten, dass unser Land aus
imperialistischen Bündnissen wie NATO und EU ausscheidet und für
eine den Wettbewerb verschiedener Systeme ermöglichende
Weltordnung und ein multilaterales Staatensystem auf der Grundlage
des Völkerrechts eintritt.
Deutschland
ist von keiner Seite bedroht. Die Machthaber müssen einräumen,
dass das Land nur von befreundeten Nationen umgeben ist. Dennoch
rüsten sie auf. Sie schicken deutsche Soldaten weltweit in immer
abenteuerlichere Militäreinsätze. Doch die „unipolare“
Globalisierung unter der Vorherrschaft der USA und ihrer
Verbündeten richtet sich gegen die Lebensinteressen der Völker.
Die Arroganz der „westlichen Wertegemeinschaft“ stößt auf
den Widerstand der Kräfte der nationalen Selbstbehauptung. Gegen
die Vorherrschaft der Zentren des parasitären
staatsmonopolistischen Kapitals formieren sich insbesondere die
BRICS-Staaten und die mit ihnen kooperierenden Entwicklungs- und
Schwellenländer. Um über die wirkliche Dynamik der
Weltpolitik hinwegzutäuschen, operieren die NATO-Mächte mit dem
willkürlichen Konstrukt eines sogenannten „erweiterten
Sicherheitsbegriffs.“ Angeblich gehe es um „Sicherung der
Handelswege und Rohstoffquellen“, „Kampf gegen Terror“,
„Schutz vor Putins Russland“ etc. Derartige Feindbilder sind
austauschbar. In Wirklichkeit geht es immer nur um Projektionen
des eigenen Vorherrschaftsstrebens der parasitären
Finanzoligarchie der imperialistischen Zentren.
Eine
grundlegend andere Außenpolitik
70
Jahre nach der Befreiung sind imperialistische Kräfte wieder
bereit, sich faschistischer Kräfte zu bedienen, um die Ukraine
ihrem Einfluss- und Herrschaftsbereich einzugliedern, und dabei
sogar einen erneuten Krieg gegen Russland zu riskieren. Um die
wachsende Weltkriegsgefahr zu stoppen, müssen alle Kräfte
mobilisiert werden. Dafür ist es zwingend notwendig, eine
grundlegend andere deutsche Außenpolitik zu entwickeln, eine
Außenpolitik „von unten“ gegen die Kräfte, die in
klassenbedingter Verblendung bereits zwei Mal Deutschland in die
Katastrophe geführt haben. Unerlässlich ist, dass
Deutschland aus den imperialistischen Bündnissystemen NATO und
der militarisierten EU, von denen die Hauptbedrohung des
Weltfriedens ausgeht, durch einen demokratischen Akt der
wiedergewonnen Volkssouveränität herausgelöst wird. Auf
der Basis der souveränen Gleichheit der Staaten gilt es, von
Lissabon bis Wladiwostok eine Zone gleicher Sicherheit und
gleichberechtigter Zusammenarbeit zu schaffen. Das kann nur in
einem breiten gesellschaftlichen Prozess geschehen,
Kriegsverhinderung und Antifaschismus sind nur erfolgversprechend
als soziale Bündnispolitik gegen das große Kapital. Dieser
Verantwortung müssen sich die fortschrittlichen und
Friedensorganisationen stellen. Aus dem Rückblick auf die 70
Jahre seit der Befreiung von Faschismus und Krieg 1945 ergibt
sich, alle Kräfte für den Frieden zu mobilisieren.
Nie
wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Dies bedeutet 2015 vor
allem:
Schluss mit den Sanktionen, Verständigung statt Konfrontation mit Russland! Keine Unterstützung, Steuergelder und Waffen für die profaschistischen Machthaber in Kiew! Solidarität mit den Antifaschistinnen und Antifaschisten in der Ukraine! Deutschland raus aus der NATO, NATO raus aus Deutschland! Beschlossen vom Verbandsvorstand des Deutschen Freidenker-Verbandes, Magdeburg, 28./29.03.2015Diese Erklärung des Deutschen Freidenker-Verbandes e.V. kann hier als PDF-Dokument (ca. 310 KB) heruntergeladen werden.
Freidenker-Brief
Nr. 3/2015 v. 3. April 2015 – N
A C H T R A G
8.
Mai 2015 – 70 Jahre „Tag der Befreiung“
1.
Nachzutragen
ist, dass der Text, „Streit in der Friedensbewegung - wie breit
darf sie sein?“, der uns von Doris Pumphrey vorab zur Verfügung
gestellt wurde, das Einleitungsreferat
auf der Veranstaltung zur Eröffnung des Marx-Engels Zentrums
Berlin
(MEZ) am 26. März 2015 gewesen und inzwischen auch auf der
MEZ-Webseite postiert worden ist:
http://www.mez-berlin.de/streit-in-der-friedensbewegung-wie-breit-darf-sie-sein-114.html.
2.
Ferner
der Hinweis auf die dort ebenfalls veröffentlichten Anmerkungen
von Andreas Wehr zu dem Artikel „Formierte Gegenaufklärung“
in der Zeitung Junge Welt vom 21./22. März 2015. Wehrs
Kritik ist beispielhaft dafür, wie analytischen
Fehleinschätzungen in der Friedensbewegung argumentativ zu
entgegnen ist. (Siehe auch:
https://theoriepraxis.wordpress.com/2015/04/02/auseinandersetzung-um-und-in-der-friedensbewegung/)
Solidarischen
Grüße an die Ostermärsche 2015
|
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