Krieg
und Frieden
Wie
die Auslandseinsätze der Bundeswehr Deutschland verändern
Buchtipp
von Harry Popow
Mächtig
in der Zwickmühle stecken sie - die Bundesregierung und die im Hintergrund strippenziehenden
Kapitalmächtigen. Sie müssen einen Zweifrontenkrieg führen. Zum einen ziehen
sie nach wie vor unter dem Deckmantel der „Aufbauhilfe“ weiterhin eine Spur der
Gewalt durch Afghanistan – zum anderen sind sie in Nöten, an der „Heimatfront“
wortreich und unter aller Ausschöpfung des Verdummungsarsenals vor der eigenen
Bevölkerung die Kriegstaten zu legitimieren. Mit welcher Raffinesse das
geschieht, dazu gibt es nunmehr ein Buch, das versucht, Leuchtraketen in den Diskurs-
und Mediennebel zu schießen. Der Titel: „Heimatdiskurs“, herausgegeben von
Michael Daxner und Hannah Neumann.
„Erst
Kosovo, dann Afghanistan – deutsche Soldaten sind im Ausland stationiert,
Deutschland ist wieder im Krieg“, so heißt es im Klappentext. Gleich der erste
Satz in der Einleitung geht so: Hoffentlich kommen wir mit dem Buch nicht zu
spät. Behauptet wird, die Einsätze würden nicht nur die Rolle Deutschlands in
der Weltpolitik, sondern vor allem die Wahrnehmung der Nation von sich selbst
verändern. Zwanzig Autoren bemühen sich
in 10 Aufsätzen und auf 337 Seiten um die Empathie (die Fähigkeit, andere zu
verstehen) „für die Intervenierten und das Verständnis für diejenigen
Intervenierenden, die nicht einfach blind einem Interventionsauftrag folgen“. (S.
10)
Wichtig
ist, welche Ursachen die Autoren für die Verschleierungs- und
Legitimationspolitik der Bundesrepublik offenlegen. So wird auf Seite 309
unterstrichen, die Bundesrepublik befinde sich in einer Machtposition und sei „somit
daran interessiert, diese Macht zu erhalten“. Das Dilemma zeigt sich in einem
weiteren Satz, in dem festgestellt wird, dass die deutsche Bevölkerung Krieg
grundsätzlich ablehnend gegenübersteht. Auf die Konstruktion einer permanenten
Bedrohungssituation eingehend – die Gegenmaßnahmen erfordere - ,verweisen die
Autoren auf den „Profit eines lukrativen Geschäftzweiges, den man
Terrorismusindustrie nennen könne“. (S. 255) Weiter auf Seite 266 die folgende
Äußerung: Eine nüchterne Evaluation (Analyse, Bewertung) „des Terrorismus,
seiner Ursachen und seiner Akteure wäre deshalb ebenso vonnöten wie eine klare
Vorstellung davon zu gewinnen, wo westliche Politik selbst Gewalt eskaliert“.
Mit
diesen kurzen Anmerkungen ist noch nicht der wahre Hintergrund des militärischen
Einsatzes – sprich Krieg – in Afghanistan erhellt. Mögen dabei viele Momente
der Begründung ins Spiel gebracht werden, so kommen wir den Ursachen durch ein Zitat
von Jürgen Todenhöfer etwas näher: „Den
Westen aber interessieren die Menschen (…) nicht wirklich. (…) Öl und das Machtspiel
im mittleren Osten sind ihm wichtiger.“ (S. 238)
Auf
den Punkt bringt es Patrick Köbele in der „jungen welt“ vom 10.01.2013, indem
er den bürgerlichen Staat als eine Form der Herrschaftsausübung des Kapitals,
eine Form des Kapitalismus darstellt. Er stellt fest, was nicht neu ist, dass der
bürgerliche Staat einen permanenten Widerspruch darstelle. „Einerseits hat er
seinen Klassenauftrag, und andererseits versucht er zu vermitteln, daß er quasi
»neutral« über diesem Auftrag steht. Und es gibt Institutionen und Personen,
die für diesen Spagat stehen, manche meinen es sogar ehrlich und handeln
entsprechend. Deshalb ist es gut und wichtig, an diesem Widerspruch
anzusetzen.“
Deshalb
ist es gut, wenn die Autoren von „Heimatdiskurs“ den Mechanismus der Verschleierung
von neuen Machtansprüchen offen und kritisch hinterfragen, den Spagat zwischen
militaristischer Außenpolitik und dem Bemühen, das deutsche Volk glauben zu
lassen, es gehe um die Freiheit und Sicherheit der Deutschen.
Was
steckt hinter dem Begriff Heimatdiskurs? Auf Seite 29 wird dazu eine
Begriffsbestimmung gegeben: „Heimatdiskurs bezeichnet die Summe aller
diskursiven Praktiken und Strategien, die sich mit der Legitimation,
Anerkennung und Bewertung von Politik und Truppeneinsatz außerhalb des
nationalen Territoriums befassen.“ (S. 29) „Heimatdiskurs“, das sei zunächst
eine deutsche Angelegenheit „und er ist immer auch eine der intervenierten
Gesellschaften, also besonders Afghanistans (…)“. (S. 65) Zum Begriff
Interventionen wird auf Seite 34 festgehalten: Das Nichteinmischungsgebot werde
ausgehebelt und Interventionen werden moralisch begründet und normativ
legitimiert. Im Vordergrund stünden „Mechanismen globaler – und damit lokaler –
Konfliktregulierung (…)“. (S. 35)
Zur
Legitimation der Kriegsführung gehört zunächst die Beschreibung des
Feindbildes. So frage die Analyse, welche Bedeutung eine Verkürzung der Taliban
„auf radikal-islamische Akteure“ habe. Man komme zu dem Schluss, „dass eine
Darstellung der Taliban als Terroristen, als Tiere, die es zu jagen gilt, ihnen
den Subjektstatus versagt“. Und mit Tieren verhandelt man nicht, schon gar
nicht auf Augenhöhe. (S. 112) Auf den Seiten 96-97 finden wir folgende
Methaphern zur Bezeichnung der „Feinde“: Taliban als Bazillus, als
Gotteskrieger, als fundamentalistische Teufel, als Schattenreich, als
Räuberbanden, um nur einige zu nennen. Hinzu kommt die kulturelle Abwertung der
Afghanen als „Stamm“ - eine Bezeichnung aus der Kolonialzeit. Sie will besagen,
die afghanische Gesellschaft habe sich nicht weiterentwickelt. (S. 101)
Demgegenüber entstehe „das Bild vermeintlich überlegener westlicher
Intervenierender, welche/r die AfghanInnen entweder beschützen, oder aus ihrer
Unmündigkeit befreien müssen,“ so die Autoren. (S. 103) Auch internationales Völkerrecht gilt nicht
für Tiere. (S. 109) Diese Dehumanisierung stehe im Zeichen bester Kriegs- und
Mobilisierungsrhetorik. (S. 84)
Auf
den Seiten 244-262 begründen die Autoren, „warum Terrorismus keine
existenzielle Bedrohung für westliche Staaten darstellt“. (S. 244) Ohne ihn zu
verharmlosen, sei „das statistische Risiko, Opfer eines Anschlags zu werden,
sehr niedrig.“ (S. 257). „Indem dem Terrorismus eine solche Bedeutung
zugeschrieben wurde, wurde die politische Sache der Islamisten unglaublich aufgewertet“,
so die Meinung der Autoren. Ein großes Risiko des Terrorismus: Er führe zur „Versuchung
der Herrschenden, ihre Macht auf Kosten der Freiheit im Namen der Sicherheit
auszubauen“. (S. 262) Schlußfolgernd für die Außenpolitik halten die Autoren
fest: Es mache keinen Sinn, „die Welt nach eigenem Vorbild gestalten zu wollen
(…). (S. 267)
Schützenhilfe
in der Berichterstattung über angebliche Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus
leisten zweifelsfrei die bürgerlichen Medien. Dazu die Autoren auf Seite 71:
Ihnen wird oftmals „Neutralität und Objektivität zugeschrieben“. Dabei
unterliege die mediale Berichterstattung einer „Eigenlogik, die
selbstproduzierten Gesetzmäßigkeiten folgt und für die Verzerrung zwischen
wahrgenommener Realität vor Ort und Berichterstattung in den deutschen
Wohnzimmern (mit-)verantwortlich ist“. (S. 71) (Siehe hierzu Karl Marx: „Die
erste Freiheit der Presse ist es, kein Gewerbe zu sein.) Auf Seite 75 ist
folgender markanter Satz bezüglich der Medien zu lesen: Sie „werden zum
Schlachtfeld um Legitimität und Anerkennung (…) und oft selbst zum politischen
Akteur und Kämpfer in der Schlacht (…). (S. 76)
Was
die Bundeswehr betrifft, so stellen die Autoren fest, dass das sorgsam gehegte
Bild eines „Staatsbürgers in Uniform“ mit dem militärischen Auslandseinsatz neu
verhandelt würde. Die Bundeswehr solle mit der internen Umstrukturierung zu
einer professionalen Interventionsarmee werden. Zugegeben wird die zunehmende
Verlagerung weg vom zivilen Aufbauhelfer, hin zum Kämpfer. Er diene einer
gerechten Sache, so wird den Soldaten suggeriert. Bilder von Soldaten im
Friedenseinsatz als Krieger und als Helden? Wird der Nachkriegspazifismus
scheinbar unterlaufen, fragen die Autoren. Deren Antwort: „Scheinbar, weil es
nicht ausgemacht ist, dass einfach ´der Schoß noch fruchtbar ist, aus dem das
kroch.´“
Kritisch
vermerkt wird auf Seite 226 die Frage nach den gesellschaftlichen
Voraussetzungen, die über die militärische Einsatzfähigkeit hinausgehe, die
wenig thematisiert werde. Wörtlich: „Interventionen als Bestandteil der Außen-
und Sicherheitspolitik (…) verweist aber gerade auf viele Voraussetzungen.
Jedenfalls dürften Interventionen dann keine Projekte politischer und
militärischer Eliten sein, die dem Volk lediglich verkauft werden.“
„Heimatdiskurs“
hellt dankenswerterweise die Mechanismen der Volksverführung auf, bleibt
allerdings in der grundsätzlichen Gesellschaftskritik hinter den Erwartungen
zurück. So bleibt es dabei: Die Zwickmühle der Herrschenden zwischen
Legitimationsakrobatik der Auslandseinsätze und den wahren Ursachen für die
zunehmende Militarisierung, für die Gewöhnung an Krieg, Blut und Opfer im Kampf
um Ressourcen und Mitsprache in der Weltpolitik wird weiter zwicken. Ein
Zweifrontenkrieg ohne Ende?
Die
Autoren fragen, wie sich durch die Auslandseinsätze der Bundeswehr Deutschland
verändert. Ist es die Gewöhnung an einen weiteren Gewaltweg, an Interventionen,
die zum Normalfall werden sollen? Kapieren die Mächtigen nicht, dass Krieg das
ungeeignetste Mittel ist, Frieden zu schaffen? Zukunftsträchtiger wäre es, die
Frage umzudrehen! Dafür darf es nicht zu spät sein.
Möge
der nicht mit leichter Hand geschriebene wissenschaftliche Text - eine etwas
mehr populärere sprachliche Gestaltung hätte man sich gewünscht – dennoch seine
Leser finden.
Michael
Daxner: „Heimatdiskurs“, Hannah Neumann (Hg.), Broschiert: 337 Seiten, Verlag: Transcript; Auflage: 1. Aufl. (November 2012), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3837622193, ISBN-13: 978-3837622195, Größe: 22,6 x 14,8 x 2,4 cm
Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen Zeitung
Mehr über den
Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com
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