Entnommen:
https://linkezeitung.de/2025/10/03/putins-jaehrliche-rede-ueber-russlands-sicht-auf-die-geopolitik-im-o-ton/
Putins
jährliche Rede über Russlands Sicht auf die Geopolitik
im O-Ton
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 3.
OKTOBER 2025 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
Von Thomas
Röper – https://anti-spiegel.ru
Präsident Putin hält
jedes Jahr auf dem Valdai-Forum eine Grundsatzrede über Russlands
Sicht auf die weltpolitische Lage und die Ziele der russischen
Außenpolitik. In diesem Jahr war seine Rede besonders
eindringlich.
Wie jedes Jahr übersetze ich auch jetzt wieder
die Grundsatzrede, die der russische Präsident Putin auf dem
Valdai-Forum über die russische Sicht auf die internationale Politik
gehalten hat. Da die Rede, wie jedes Jahr, sehr lang war und alle
Aspekte der internationalen Politik abgedeckt hat, kommen wir ohne
weitere Vorrede zur Übersetzung der Rede, die für alle, die sich
für Geopolitik interessieren, wieder sehr interessant gewesen
ist.
Beginn der Übersetzung:
Lukjanow: (Moderator):
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Freunde! Gäste des
Valdai-Diskussionsclubs!
Wir beginnen die Plenarsitzung des
22. Jahresforums des Valdai International Discussion Club. Es ist mir
eine große Ehre, Wladimir Wladimirowitsch Putin, den Präsidenten
der Russischen Föderation, auf diese Bühne einladen zu
dürfen.
Wladimir Wladimirowitsch, vielen Dank, dass Sie sich
die Zeit genommen haben, wieder bei uns zu sein. Der Valdai-Club hat
das unglaubliche Privileg, seit 23 Jahren mit Ihnen zusammenzukommen
und über die drängendsten Fragen zu sprechen. Das kann wohl niemand
sonst von sich sagen, würde ich behaupten.
Das 22. Treffen
des Valdai-Clubs, das in den letzten drei Tagen stattfand, trug den
Titel „Die polyzentrische Welt: Eine Bedienungsanleitung“. Wir
versuchen, vom Verständnis und der Beschreibung dieser neuen Welt zu
einigen praktischen Aspekten überzugehen, nämlich zu verstehen, wie
man in ihr lebt, da dies noch nicht ganz klar ist.
Wir mögen,
sagen wir, Fortgeschrittene sein, aber wir sind nur Nutzer dieser
Welt. Aber Sie sind zumindest ein Mechaniker, vielleicht sogar ein
Ingenieur dieser sehr polyzentrischen Welt, daher erwarten wir
gespannt Ihre Bedienungsanleitung.
Wladimir Putin: Eine
Bedienungsanleitung kann ich wohl kaum formulieren und darum geht es
auch nicht, denn um Anweisungen und Ratschläge wird nur gebeten und
sie werden nur gegeben, um sie später nicht umzusetzen. Diese Formel
ist allgemein bekannt.
Lassen Sie mich meine Meinung dazu
äußern, was in der Welt passiert, wo unser Land liegt, welche Rolle
es spielt und wie wir die Entwicklungsperspektiven sehen.
Der
Internationale Diskussionsklub Valdai hat sich tatsächlich zum 22.
Mal getroffen und solche Treffen sind nicht nur zu einer guten,
geschätzten Tradition geworden. Die Diskussionen in den Valdai-Foren
bieten die Möglichkeit, die Lage weltweit objektiv und umfassend zu
bewerten, Veränderungen zu dokumentieren und zu verstehen.
Die
besondere Stärke des Valdai-Klubs liegt zweifellos im Wunsch und der
Fähigkeit seiner Mitglieder, über das Banale und Offensichtliche
hinauszublicken. Sie folgen nicht der Agenda, die uns der globale
Informationsraum aufzwingt, zumal das Internet seinen Beitrag
leistet, im Guten wie im Schlechten, aber manchmal schwer
verständlich, sondern versuchen, ihre eigenen, originellen Fragen zu
stellen, ihre eigene Vision von Prozessen zu entwickeln und den
Vorhang zu lüften, der die Zukunft verbirgt. Das ist nicht einfach,
kommt aber vor, auch hier im Valdai Club.
Wir haben jedoch
wiederholt festgestellt, dass wir in einer Zeit leben, in der sich
alles verändert, und zwar sehr schnell, ich würde sagen, radikal.
Natürlich kann niemand von uns die Zukunft vollständig vorhersehen.
Das entbindet uns jedoch nicht von der Verantwortung, auf alles
vorbereitet zu sein, was passieren kann. In der Praxis müssen wir,
wie die Zeit und die jüngsten Ereignisse gezeigt haben, auf alles
vorbereitet sein. In solchen historischen Phasen trägt jeder eine
besonders große Verantwortung für sein eigenes Schicksal, für das
Schicksal seines Landes und für die ganze Welt. Und die Einsätze
sind extrem hoch.
Der Jahresbericht des Valdai Clubs widmet
sich, wie gerade erwähnt, dieses Mal dem Problem der multipolaren,
polyzentrischen Welt. Dieses Thema steht schon lange auf der
Tagesordnung, verdient jetzt aber besondere Aufmerksamkeit, da stimme
ich den Organisatoren zu. Die bestehende Multipolarität bestimmt
bereits den Rahmen, in dem die Staaten agieren. Ich werde versuchen,
die Frage zu beantworten, was an der heutigen Situation so besonders
ist.
Erstens ist das der viel offenere, man könnte sogar
sagen kreativere Raum für außenpolitisches Handeln. Nahezu nichts
ist vorherbestimmt, alles kann sich unterschiedlich ablaufen. Viel
hängt von der Präzision, Genauigkeit, Konsequenz und Überlegtheit
des Handelns jedes einzelnen Teilnehmers an den internationalen
Beziehungen ab. Zudem kann man sich in diesem riesigen Raum leicht
verirren und die Orientierung verlieren, was, wie wir sehen, recht
häufig vorkommt.
Zweitens ist der multipolare Raum sehr
dynamisch. Veränderungen geschehen, wie ich bereits sagte, schnell
und manchmal plötzlich, praktisch über Nacht. Natürlich ist es
sehr schwer, sich vorzubereiten und manchmal ist es unmöglich, es
vorherzusagen. Reagieren muss man sofort, wie man sagt, in
Echtzeit.
Drittens, und das ist wichtig, ist dieser Raum viel
demokratischer. Er eröffnet Chancen und Wege für eine Vielzahl
politischer und wirtschaftlicher Akteure. Vielleicht noch nie zuvor
haben so viele Länder auf der Weltbühne die wichtigsten regionalen
und globalen Prozesse beeinflusst oder zu beeinflussen
versucht.
Weiter: Die kulturellen, historischen und
zivilisatorischen Besonderheiten der verschiedenen Länder spielen
eine größere Rolle als je zuvor. Wir müssen nach Gemeinsamkeiten
und gemeinsamen Interessen suchen. Niemand ist bereit, nach den
Regeln eines Einzelnen, der irgendwo weit weg ist, zu spielen, wie
ein berühmter russischer Sänger einst sang: „Dort, jenseits des
Nebels“, oder dort, jenseits des Ozeans.
Fünftens sind
Lösungen nur auf der Grundlage von Vereinbarungen möglich, die alle
interessierten Parteien oder die überwiegende Mehrheit
zufriedenstellen. Andernfalls wird es keine tragfähige Lösung
geben, sondern nur leere Rhetorik und ein fruchtloses Spiel der
Ambitionen. Daher erfordert das Erreichen von Ergebnissen Harmonie
und Ausgewogenheit.
Schließlich sind die Chancen und Gefahren
einer multipolaren Welt untrennbar miteinander verbunden. Natürlich
sind die Schwächung der Diktate, die die vorherige Periode
kennzeichneten, und die Erweiterung des Raums für Freiheit für alle
zweifellos ein Segen. Gleichzeitig ist es unter diesen Bedingungen
viel schwieriger, dieses dauerhafte Gleichgewicht zu finden und
herzustellen, was an sich schon ein klares und extremes Risiko
darstellt.
Diese globale Situation, die ich versucht habe,
recht kurz zu beschreiben, ist ein qualitativ neues Phänomen. Die
internationalen Beziehungen befinden sich in einem radikalen Wandel.
Paradoxerweise ist Multipolarität eine direkte Folge der Versuche,
globale Hegemonie zu etablieren und aufrechtzuerhalten, eine Reaktion
des internationalen Systems und der Geschichte selbst auf den
obsessiven Wunsch, alle in einer einzigen Hierarchie zu vereinen, mit
den westlichen Ländern an der Spitze. Das Scheitern dieses Vorhabens
war, wie wir übrigens immer betont haben, nur eine Frage der Zeit.
Und nach historischen Maßstäben gesehen ist es sogar ziemlich
schnell geschehen.
Vor 35 Jahren, als die Konfrontation des
Kalten Krieges zu Ende zu gehen schien, hofften wir auf den Anbruch
einer Ära echter Zusammenarbeit. Es schien, als gäbe es keine
ideologischen oder sonstigen Hindernisse mehr, die gemeinsamen
Probleme der Menschheit gemeinsam anzugehen und unvermeidliche
Streitigkeiten und Konflikte auf der Grundlage gegenseitigen Respekts
und der Berücksichtigung aller Interessen zu regeln und zu
lösen.
Lassen Sie mich hier einen kurzen historischen Exkurs
machen. Unser Land, das die Grundlagen für Blockkonfrontationen
beseitigen und einen gemeinsamen Sicherheitsraum schaffen wollte,
erklärte sogar zweimal seine Bereitschaft, der NATO beizutreten. Das
erste Mal 1954, noch zu Zeiten der UdSSR. Und das zweite Mal, das
habe ich schon erzählt, während des Moskau-Besuchs von US-Präsident
Clinton im Jahr 2000, als auch mit ihm über dieses Thema gesprochen
habe.
Und beide Male sind wir von Anfang an auf grundsätzliche
Ablehnung gestoßen. Ich wiederhole: Wir waren bereit,
zusammenzuarbeiten und nicht-lineare Schritte im Bereich der
Sicherheit und der globalen Stabilität zu unternehmen, doch unsere
westlichen Kollegen waren nicht bereit, sich von den Fesseln
geopolitischer und historischer Stereotypen, von einem vereinfachten,
schematischen Weltbild zu befreien.
Ich habe das auch
öffentlich erzählt, wie Herr Clinton, Präsident Clinton und ich
uns unterhielten. Er sagte: „Wissen Sie, das ist interessant, ich
halte es für möglich.“ Und dann sagte er am Abend: „Ich habe
mich mit meinen Leuten beraten, es ist unrealistisch, es ist im
Moment unrealistisch.“
Aber wann ist es realistisch? Das
alles ist vorbei.
Kurz gesagt, wir alle hatten eine echte
Chance auf eine andere, positive Richtung in der Entwicklung der
internationalen Beziehungen. Doch leider setzte sich ein anderer
Ansatz durch. Die westlichen Länder erlagen der Versuchung der
absoluten Macht. Das ist eine ernste Versuchung. Um dieser Versuchung
zu widerstehen, brauchte man eine historische Perspektive und ein
gutes Maß an Vorbereitung, auch intellektuell und historisch. Denen,
die damals die Entscheidungen trafen, fehlte es offenbar einfach an
einer solchen Vorbereitung.
Ja, die Macht der USA und ihrer
Verbündeten erreichte Ende des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt.
Aber es gibt und wird nie eine Macht geben, die in der Lage ist, die
Welt zu beherrschen und jedem vorzuschreiben, was er wie zu hat und
as er denken soll. Es gab Versuche, aber sie sind alle
gescheitert.
Gleichzeitig muss man anmerken, dass viele die
sogenannte liberale Weltordnung akzeptabel, in mancher Hinsicht sogar
praktisch fanden. Ja, die Hierarchie schränkt die Möglichkeiten
derer ein, die nicht an der Spitze der Pyramide – sozusagen an der
Spitze der Nahrungskette – stehen, sondern irgendwo ganz unten
leben. Aber diese Position entbindet sie von einem erheblichen Teil
der Verantwortung. Was sind die Regeln? Akzeptiere einfach die
angebotenen Bedingungen, passe dich dem System an, hol dir deinen
Anteil – und sei glücklich, mach dir um nichts Sorgen. Denken und
entscheiden werden andere werden für dich.
Und egal, was sie
sagen, egal, wer das jetzt zu verbergen versucht, so war es wirklich.
Und die hier sitzenden Experten erinnern sich daran gur und verstehen
das alles hervorragend.
Manche hielten sich selbstgefällig
für berechtigt, allen anderen Lektionen zu erteilen. Andere zogen es
vor, mit den Mächtigen mitzuspielen, ein gehorsames
Verhandlungsobjekt zu sein, unnötige Probleme zu vermeiden und
ihren, wie klein er auch sein mochte, sicheren Bonus zu erhalten.
Übrigens gibt es im alten Teil der Welt – in Europa – noch immer
viele solcher Politiker.
Diejenigen, die Einwände erhoben und
versuchten, ihre Interessen, Rechte und Ansichten zu verteidigen,
wurden, sagen wir es vorsichtig, bestenfalls als Sonderlinge
betrachtet und man sagte ihnen: „Das funktioniert sowieso nicht,
findet euch lieber damit ab und gebt zu, dass ihr gegen unsere Macht
nichts seid, gar nichts.“
Und die wirklich Hartnäckigen
wurden von den selbsternannten Weltmächten, die vor nichts mehr
zurückschreckten, „bestraft“, um allen klarzumachen, dass
Widerstand zwecklos war.
Das hat zu nichts Gutem geführt.
Kein einziges globales Problem wurde gelöst, dafür kommen ständig
neue hinzu. Die in der Vergangenheit geschaffenen Institutionen der
globalen Ordnung funktionieren entweder überhaupt nicht oder haben
stark an Wirksamkeit verloren, eins von beidem. Und wie viel
Potenzial ein einzelnes Land oder eine Gruppe von Ländern auch
angesammelt hat, jede Macht hat ihre Grenzen.
Auf russischer
Seite gibt es, wie das Publikum weiß, ein beliebtes Sprichwort:
„Gegen eine Brechstange gibt es keine Verteidigung außer einer
anderen Brechstange.“ Und sie kommt immer wieder, verstehen Sie?
Das ist die Essenz der Ereignisse in der Welt: Sie taucht immer
wieder auf. Darüber hinaus führt der Versuch, alles und jeden um
uns herum zu kontrollieren, zu Überforderung, die die innere
Stabilität untergräbt und bei den Bürgern der Länder, die
versuchen, diese „großen“ Rollen zu spielen, berechtigte Fragen
aufwirft: Wozu das alles?
Vor einiger Zeit musste ich von
unseren amerikanischen Kollegen etwas Ähnliches hören, die sagten:
Wir haben die Welt gewonnen, aber Amerika selbst verloren.
Man
möchte fragen: War es das wert? Und haben sie sie überhaupt
gewonnen?
In den Gesellschaften führender westeuropäischer
Länder ist eine klare Ablehnung der exorbitanten Ambitionen der
politischen Eliten gereift und sie wächst. Meinungsumfragen zeigen
das überall. Das Establishment ist nicht bereit, die Macht
abzugeben, greift zu offener Täuschung der eigenen Bürger,
eskaliert die Situation nach außen und greift im eigenen Land zu
allen möglichen Tricks – zunehmend am Rande, wenn nicht jenseits
des Gesetzes.
Aber demokratische Verfahren und Wahlen endlos
zur Farce zu machen und den Willen des Volkes zu manipulieren, wird
nicht funktionieren. Wie zum Beispiel in Rumänien, wir wollen nicht
ins Detail gehen. Das passiert in vielen Ländern. In einigen Ländern
versucht man, die politischen Gegner, die bereits an Legitimität und
Wählervertrauen gewinnen, zu verbieten. Wir wissen das, das haben
wir in der Sowjetunion durchgemacht. Erinnern Sie sich an Wyssozkis
Lied: „Sogar die Militärparade wurde abgesagt! Bald werden sie,
zur Hölle nochmal, alle verbieten!“
Aber das funktioniert
nicht, Verbote funktionieren nicht.
Der Wille des Volkes, der
Wille der Bürger dieser Länder, ist einfach: Die Staats- und
Regierungschefs dieser Länder sollen sich um die Probleme ihrer
Bürger kümmern, für ihre Sicherheit und Lebensqualität sorgen und
nicht Hirngespinsten nachjagen. Die USA, wo der öffentliche Wunsch
zu einem ziemlich radikalen politischen Kurswechsel geführt hat,
sind ein klares Beispiel dafür. Und für die anderen Länder lässt
sich sagen, dass Beispiele bekanntlich ansteckend wirken.
Die
Unterordnung der Mehrheit unter die Minderheit, die die
internationalen Beziehungen während der Zeit westlicher Dominanz
kennzeichnete, weicht einem multilateralen, kooperativeren Ansatz.
Dieser basiert auf Vereinbarungen zwischen den führenden Akteuren
und der Berücksichtigung der Interessen aller. Das garantiert
natürlich keine Harmonie und absolute Freiheit von Konflikten. Die
Interessen der Länder stimmen nie vollständig überein, und die
gesamte Geschichte der internationalen Beziehungen ist zweifellos ein
Kampf um ihre Verwirklichung.
Doch die prinzipiell neue
weltweite Atmosphäre, deren Ton zunehmend von den Ländern der
globalen Mehrheit bestimmt wird, gibt Anlass zur Hoffnung, dass alle
Akteure bei der Entwicklung von Lösungen für regionale und globale
Probleme auf die eine oder andere Weise die Interessen der anderen
berücksichtigen müssen. Schließlich kann niemand seine Ziele
grundsätzlich allein, isoliert von anderen, erreichen. Die Welt
bleibt trotz der Eskalation von Konflikten, der Krise des bisherigen
Modells der Globalisierungs und der Fragmentierung der Weltwirtschaft
integral, vernetzt und voneinander abhängig.
Wir wissen das
aus eigener Erfahrung. Sie wissen, wie viel Aufwand unsere Gegner in
den letzten Jahren betrieben haben, um Russland, grob gesagt, aus dem
globalen System zu drängen und uns in politische, kulturelle und
informationelle Isolation und wirtschaftliche Autarkie zu treiben.
Was die Anzahl und das Ausmaß der gegen uns verhängten
Strafmaßnahmen angeht, die sie schändlicherweise Sanktionen nennen,
ist Russland der absolute Rekordhalter der Weltgeschichte: 30.000,
vielleicht sogar mehr, Beschränkungen aller Art.
Na und?
Haben sie ihr Ziel erreicht? Ich denke, den hier Anwesenden muss man
nicht erklären, dass diese Bemühungen vollkommen gescheitert sind.
Russland hat der Welt ein Höchstmaß an Widerstandsfähigkeit
bewiesen, die Fähigkeit, dem stärksten äußeren Druck
standzuhalten, an dem nicht nur ein einzelnes Land, sondern eine
ganze Koalition von Staaten hätte zerbrechen können. Und in dieser
Hinsicht empfinden wir natürlich einen berechtigten Stolz – Stolz
auf Russland, auf unsere Bürger und auf unsere Streitkräfte.
Aber
ich möchte nicht nur das sagen. Es zeigte sich, dass das globale
System, aus dem sie uns ausschließen wollten, sich weigert, Russland
gehen zu lassen. Weil Russland als wichtiger Teil des
Gesamtgleichgewichts benötigt wird. Und das nicht nur wegen seines
Territoriums, seiner Bevölkerung, seines Verteidigungs-,
Technologie- und Industriepotenzials oder seiner Bodenschätze,
obwohl natürlich alles, was ich gerade aufgezählt habe, sehr, sehr
wichtig ist.
Aber vor allem, weil ein globales Gleichgewicht
ohne Russland nicht aufgebaut werden kann: weder ein
wirtschaftliches, noch ein strategisches, noch ein kulturelles, noch
ein logistisches – gar keins. Ich denke, diejenigen, die versucht
haben, all dies zu zerstören, haben das genau erkannt. Einige jedoch
hoffen hartnäckig, ihr Ziel zu erreichen, und Russland, wie sie
sagen, eine strategische Niederlage zuzufügen.
Nun, wenn sie
das Verhängnis dieses Plans nicht erkennen und darauf beharren,
hoffe ich immer noch, dass das Leben es ihnen zeigen wird, und dass
das selbst bei den Stursten und Begriffsstutzigsten ankommen wird.
Sie haben immer wieder viel Lärm gemacht, mit einer vollständigen
Blockade gedroht und versucht, das russische Volk – wie sie selbst
es formulierten – leiden zu lassen, indem sie Pläne schmiedeten,
einer fantastischer als der andere. Ich denke, es ist Zeit, sich zu
beruhigen, Bilanz zu ziehen, die Realität zu verstehen und die
Beziehungen irgendwie in eine völlig andere Richtung zu lenken.
Wir
wissen auch, dass eine polyzentrische Welt sehr dynamisch ist. Sie
wirkt zerbrechlich und instabil, weil es unmöglich ist, einen
Zustand dauerhaft zu fixieren oder ein Kräfteverhältnis langfristig
zu bestimmen. Schließlich sind viele Akteure an den Prozessen
beteiligt, und diese Kräfte sind asymmetrisch und komplex
zusammengesetzt. Jede hat ihre eigenen Vorteile und
Wettbewerbsvorteile, die jeweils eine einzigartige Kombination und
Zusammensetzung ergeben.
Die heutige Welt ist ein äußerst
komplexes, vielschichtiges System. Und um es richtig zu beschreiben
und zu verstehen, reichen einfache logische Gesetze,
Ursache-Wirkungs-Beziehungen und die daraus resultierenden Muster
nicht aus. Was wir hier brauchen, ist eine Philosophie der
Komplexität, ähnlich der Quantenmechanik, die in mancher Hinsicht
weiser und schwieriger ist als die klassische Physik.
Allerdings
führt gerade diese globale Komplexität meiner Meinung nach jedoch
dazu, dass die allgemeine Verhandlungsfähigkeit zunimmt. Schließlich
sind lineare, einseitige Lösungen unmöglich, während nichtlineare
und multilaterale Lösungen eine sehr ernsthafte, professionelle,
unvoreingenommene, kreative und manchmal auch unkonventionelle
Diplomatie erfordern.
Darum bin ich sicher, dass wir eine Art
Renaissance erleben werden, eine Wiederbelebung der Kunst der
Diplomatie. Ihr Wesen liegt in der Fähigkeit, Dialog zu führen und
mit Nachbarn, gleichgesinnten Partnern und – nicht weniger wichtig,
aber schwieriger – mit Gegnern zu verhandeln.
In diesem
Geist, dem Geist der Diplomatie des 21. Jahrhunderts, entwickeln sich
neue Institutionen. Dazu gehören die wachsende Gemeinschaft der
BRICS, Organisationen der größten Regionen wie die Shanghaier
Organisation für Zusammenarbeit und eurasische Organisationen sowie
kleinere, aber nicht weniger wichtige regionale Verbände. Viele von
ihnen entstehen gerade weltweit, ich werde sie nicht alle
aufzählen.
All diese neuen Strukturen sind unterschiedlich,
aber sie haben eine entscheidende Gemeinsamkeit: Sie funktionieren
nicht nach dem Prinzip der Hierarchie, der Unterordnung unter eine
einzige, höchste Autorität. Sie sind nicht gegen jemanden, sondern
für sich selbst. Ich wiederhole nochmal: Die moderne Welt braucht
Vereinbarungen, nicht die Durchsetzung des Willens anderer.
Hegemonie, egal welcher Art, kann und wird mit dem Ausmaß der
Herausforderungen einfach nicht fertig werden.
Die
Gewährleistung der internationalen Sicherheit ist unter diesen
Bedingungen ein äußerst dringliches und komplexes Thema. Die
wachsende Zahl von Akteuren mit unterschiedlichen Zielen und
politischen Kulturen, jeder mit seinen eigenen, unverwechselbaren
Traditionen, all diese globale Komplexität macht die Entwicklung von
Sicherheitskonzepten zu einer deutlich komplexeren und
anspruchsvolleren Aufgabe. Sie eröffnet uns allen aber auch neue
Chancen.
Blockbasierte Ansätze, die bewusst auf Konfrontation
ausgerichtet sind, sind heute zweifellos ein Anachronismus, der
keinen Sinn hat. Wir sehen zum Beispiel, wie eifrig unsere
europäischen Nachbarn versuchen, die Risse zu flicken und zu
reparieren, vor allem im europäischen Gebäude. Doch sie wollen die
Spaltungen überwinden und die erschütterte Einheit, mit der sie
einst prahlten, stärken, nicht durch die wirksame Bewältigung
innenpolitischer Probleme, sondern durch das Aufblasen von
Feindbildern. Das ist ein altes Beispiel, aber der Punkt ist, dass
die Menschen in diesen Ländern das alles sehen und verstehen.
Deshalb gehen sie, trotz der wachsenden Spannungen und der, wie ich
bereits sagte, Suche nach diesem Feind, auf die Straße.
Dabei
erschaffen sie einen altbekannten Feind, einen, den sie sich vor
Jahrhunderten ausgedacht haben: Russland. Die Mehrheit der Menschen
in Europa kann nicht verstehen, warum sie so große Angst vor
Russland haben sollen, dass sie für den Kampf gegen es den Gürtel
immer enger schnallen, ihre eigenen Interessen vergessen, sie einfach
preisgeben und eine Politik verfolgen müssen, die eindeutig ihren
eigenen Interessen schadet. Doch die herrschenden Eliten des
vereinten Europas schüren weiterhin Hysterie. Es stellt sich heraus,
dass der Krieg mit den Russen praktisch vor der Tür steht. Sie
wiederholen diesen Unsinn, dieses Mantra, ein ums andere Mal.
Ich
sage ews Ihnen ehrlich, wenn ich mir manchmal anschaue, was die da
sagen, denke ich: Aber das können die doch gar nicht glauben. Die
können doch nicht glauben, was sie sagen, dass Russland einen
Angriff auf die NATO plant. Dazu glauben, ist unmöglich. Und
trotzdem sagen sie es ihren eigenen Völkern. Was sind das also für
Leute? Sie sind entweder unglaublich inkompetent, wenn sie es
wirklich glauben, weil es unmöglich ist, diesen Unsinn zu glauben,
oder sie sind einfach unanständig, weil sie es selbst nicht glauben
und versuchen, ihre Bürger davon zu überzeugen. Welche anderen
Möglichkeiten gibt es denn?
Ehrlich gesagt, möchte man ihnen
sagen: Beruhigt euch, schlaft ruhig und kümmert euch endlich um eure
eigenen Probleme. Schaut euch an, was auf den Straßen europäischer
Städte passiert, was mit der Wirtschaft, der Industrie, der
europäischen Kultur und Identität passiert, die enormen Schulden
und die wachsende Krise der Sozialsysteme, die außer Kontrolle
geratene Migration, die Zunahme von Gewalt, auch politischer Gewalt,
die Radikalisierung linker, ultraliberaler und rassistischer
Randgruppen.
Beachten Sie, wie Europa im globalen Wettbewerb
an den Rand rutscht. Wir wissen genau, wie weit hergeholt all die
Drohungen bezüglich Russlands aggressiver Pläne sind, mit denen
sich Europa, wie ich gerade sagte, selbst Angst macht. Aber
Selbsttäuschung ist gefährlich. Und wir können das Geschehen
einfach nicht ignorieren, wir haben kein Recht dazu, schon aus
Gründen unserer eigenen Sicherheit, ich wiederhole, unserer
Verteidigung und Sicherheit.
Deshalb beobachten wir die
eskalierende Militarisierung Europas aufmerksam. Sind das nur leere
Worte, oder ist es Zeit für uns, Gegenmaßnahmen zu ergreifen? Wir
hören – und das wissen Sie – beispielsweise aus Deutschland,
dass die deutsche Armee wieder die stärkste in Europa sein soll.
Nun, wir hören aufmerksam zu, schauen und verstehen, was gemeint
ist.
Ich denke, niemand zweifelt daran, dass Russlands
Gegenmaßnahmen nicht lange auf sich warten lassen werden. Die
Antwort auf diese Bedrohungen wird, gelinde gesagt, sehr überzeugend
sein. Die Antwort. Wir selbst haben nie eine militärische
Konfrontation begonnen. Sie ist sinnlos, unnötig und schlicht
absurd, sie lenkt von den wahren Problemen und Herausforderungen ab.
Und früher oder später werden Gesellschaften ihre Staatsführer
dafür zur Rechenschaft ziehen, dass ihre Hoffnungen, Bestrebungen
und Bedürfnisse von diesen Eliten in ihren Ländern ignoriert
werden.
Aber wenn irgendwer sich dennoch militärisch mit uns
anlegen möchte, dann soll er es versuchen. Russland hat immer wieder
bewiesen: Wenn unsere Sicherheit, der Frieden und die Ruhe unserer
Bürger, unsere Souveränität und unsere Staatlichkeit bedroht sind,
antworten wir schnell.
Das sollte man nicht provozieren. Es
gab noch nie einen Fall, in dem dies nicht letztlich schlecht für
den Provokateur augegangen wäre. Ausnahmen sollte man auch in der
Zukunft nicht erwarten: Es wird keine geben.
Unsere Geschichte
hat bewiesen: Schwäche ist inakzeptabel, denn sie weckt die
Versuchung, die Illusion, dass sich manche Probleme mit uns mit
Gewalt lösen lassen. Russland wird niemals Schwäche oder
Unentschlossenheit zeigen. Daran sollen sich diejenigen erinnern, die
sich am Faktor unserer bloßen Existenz stören. Diejenigen, die
davon träumen, uns genau diese strategische Niederlage zuzufügen.
Übrigens sind die, die das aktiv erklärt haben, nicht mehr da. Wo
sind diese Persönlichkeiten?
In der Welt ist so viele
objektive Probleme im Zusammenhang mit natürlichen, vom Menschen
verursachten und gesellschaftlichen Faktoren, dass es inakzeptabel,
verschwenderisch und schlichtweg dumm ist, Energie und Mühe auf
künstliche, oft konstruierte Widersprüche zu verschwenden.
Die
internationale Sicherheit ist heute ein so vielschichtiges und
unteilbares Phänomen, dass keine geopolitische Trenn ung nach Werten
es auflösen kann. Nur durch sorgfältige, umfassende Arbeit, die
unterschiedliche Partner einbezieht und auf kreativen Ansätzen
beruht, können die komplexen Sicherheitsgleichungen des 21.
Jahrhunderts gelöst werden. Es gibt keine mehr oder weniger
wichtigen Elemente, keine besonders wichtigen – alles kann nur im
Ganzen gelöst werden.
Unser Land hat das Prinzip der
Unteilbarkeit der Sicherheit stets verteidigt und verteidigt es
weiterhin. Ich habe wiederholt erklärt: Die Sicherheit der einen
kann nicht auf Kosten anderer gewährleistet werden. Andernfalls gibt
es überhaupt keine Sicherheit, keine Sicherheit für irgendwen.
Dieses Prinzip hat sich nicht durchgesetzt. Die Euphorie und der
ungezügelte Machthunger derer, die sich nach dem Kalten Krieg als
Sieger fühlten, führten, wie ich wiederholt betont habe, zu dem
Wunsch, allen einseitige, subjektive Vorstellungen von Sicherheit
aufzuzwingen.
Tatsächlich wurde genau das zur wahren Ursache
nicht nur des Ukraine-Konflikts, sondern auch vieler anderer akuter
Konflikte des 20. und des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts. Im
Ergebnis fühlt sich, wie wir gewarnt haben, heute niemand mehr
sicher. Es ist an der Zeit, zu den Wurzeln zurückzukehren und die
gemachten Fehler zu korrigieren.
Doch die Unteilbarkeit der
Sicherheit ist heute im Vergleich zu den späten 1980er und frühen
1990er Jahren ein noch komplexeres Phänomen. Es geht nicht mehr nur
um militär-politisches Gleichgewicht und die Berücksichtigung
gegenseitiger Interessen. Die Sicherheit der Menschheit hängt von
ihrer Fähigkeit ab, auf die Herausforderungen zu reagieren, die sich
aus Naturkatastrophen, vom Menschen verursachten Katastrophen,
technologischer Entwicklung und neuen, rasanten sozialen,
demografischen und informationellen Prozessen ergeben.
All
dies ist miteinander verbunden und Veränderungen geschehen
weitgehend spontan, oft, wie ich bereits sagte, unvorhersehbar gemäß
ihrer eigenen inneren Logik und Gesetzmäßigkeiten und manchmal
sogar, erlaube ich mir zu sagen, gegen den Willen und die Erwartungen
der Leute.
Die Menschheit läuft Gefahr, in einer solchen
Situation überflüssig und nur noch zu Beobachtern von Prozessen zu
werden, die sie nicht mehr kontrollieren kann. Was ist das anderes
als eine systemische Herausforderung für uns alle und eine Chance
für uns alle, konstruktiv zusammenzuarbeiten?
Es gibt hier
keine fertigen Antworten, aber ich glaube, um die globalen Probleme
zu lösen, nuss man sie ohne ideologische Vorurteile angehen, ohne
das didaktische Pathos des „Ich erkläre euch jetzt alles.“
Zweitens ist es wichtig zu erkennen, dass dies ein wahrhaft
gemeinsames, unteilbares Unterfangen ist, das die gemeinsamen
Anstrengungen aller Länder und Völker erfordert.
Jede Kultur
und Zivilisation muss ihren Beitrag leisten, denn, ich wiederhole,
dass niemand allein die richtige Antwort kennt. Sie kann nur durch
eine gemeinsame, konstruktive Suche, eine Vereinigung, nicht eine
Trennung, der Bemühungen und nationalen Erfahrungen verschiedener
Staaten entstehen.
Ich wiederhole nochmal: Konflikte und
Interessenkonflikte gab es schon immer und wird es immer geben. Die
Frage ist, wie sie gelöst werden können. Die multipolare Welt ist,
wie ich heute sagte, die Rückkehr zur klassischen Diplomatie, in der
Lösungen Aufmerksamkeit und gegenseitigen Respekt erfordern, nicht
Zwang.
Die klassische Diplomatie war in der Lage, in
internationalen Angelegenheiten die Positionen verschiedener Akteure
zu berücksichtigen, die Komplexität eines „Konzerts“
verschiedener Mächte. Doch im Laufe der Zeit wurde sie durch die
westliche Diplomatie des Monologs, der endlosen Vorträge und Befehle
ersetzt. Anstatt Konflikte zu lösen, wurden Einzelinteressen
durchgesetzt, während die Interessen aller anderen als unwürdig
erachtet wurden.
Muss man sich da wundern, dass Konflikte
statt sie zu lösen nur verschärft und bis hin zu blutigen
bewaffneten Konflikten und humanitären Katastrophen eskaliert sind?
Dieses Vorgehen löst kein einziges Problem. Aus den letzten 30
Jahren gibt es unzählige Beispiele.
Eines der Beispiele ist
der palästinensisch-israelische Konflikt, der nach den Rezepten der
westlichen unilateralen Diplomatie, die die Geschichte, Traditionen,
Identität und Kultur der dort lebenden Völker eklatant ignoriert,
nicht gelöst werden konnte. Die Lage im Nahen Osten hingegen
verschlechtert sich rapide und es gelingt ihr nicht, sie zu
stabilisieren. Wir erfahren jetzt mehr über die Initiativen von
Präsident Trump. Ich glaube, es könnte doch noch Licht am Ende des
Tunnels geben.
Ein schreckliches Beispiel ist die ukrainische
Tragödie. Sie ist schmerzhaft für Ukrainer und Russen, für uns
alle. Die Ursachen des Ukraine-Konflikts sind jedem bekannt, der sich
die Mühe gemacht hat, sich für die Hintergründe seiner aktuellen,
akutesten Phase zu interessieren. Ich werde es nicht wiederholen, ich
bin sicher, die in diesem Raum Anwesenden kennen sie gut, und sie
kennen meine Position zu diesem Thema, ich habe sie schon oft
formuliert.
Und noch etwas ist bekannt. Denen, die die Ukraine
ermutigt, angestachelt und bewaffnet, sie gegen Russland aufgehetzt
und dort jahrzehntelang fanatischen Nationalismus und Neonazismus
gefördert haben, sind nicht nur die russischen Interessen, sondern
auch die wahren ukrainischen Interessen, die Interessen der
Bevölkerung dieses Landes, entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit,
völlig wurscht. Sie haben kein Mitleid mit diesen Menschen, für
sie, für die Globalisten, Expansionisten im Westen und ihre Lakaien
in Kiew, sind sie Verbrauchsmaterial. Die Folgen dieses
rücksichtslosen Abenteuertums sind offensichtlich, darüber muss man
nicht reden.
Man kann sich eine andere Frage stellen: Hätte
es anders kommen können?
Auch das wissen wir. Ich komme auf
das zurück, was Präsident Trump sagte. Er sagte, wenn er an der
Macht gewesen wäre, hätte man das vemeiden können. Dem stimme ich
zu. Tatsächlich hätte das vermieden werden können, wenn unsere
Zusammenarbeit mit der damaligen Biden-Administration anders
aufgebaut gewesen wäre. Wenn die Ukraine nicht zu einem destruktiven
Instrument in den Händen anderer gemacht worden wäre, wenn der auf
unsere Grenzen zusteuernde Nordatlantikblock nicht zu diesem Zweck
missbraucht worden wäre. Wenn die Ukraine letztlich ihre
Unabhängigkeit, ihre wahre Souveränität bewahrt hätte.
Und
noch eine Frage: Wie hätte man die bilateralen russisch-ukrainischen
Probleme, die eine objektive Folge des Zusammenbruchs eines riesigen
Landes und komplexer geopolitischer Transformationen waren, lösen
können?
Ich glaube übrigens, dass der Zerfall der
Sowjetunion mit der Haltung der damaligen russischen Führung
zusammenhing, jede ideologische Konfrontation zu vermeiden, in der
Hoffnung, dass nun, nach dem Ende des Kommunismus, eine
„Verbrüderung“ einsetzen würde. Nein, nichts dergleichen. Es
zeigte sich, dass hier andere Faktoren im Spiel sind: geopolitische
Interessen – und es zeigte sich, dass ideologische Widersprüche
damit nichts zu tun haben.
Wie kann man sie in einer
polyzentrischen Welt lösen? Und hätte man die Situation in der
Ukraine gelöst? Ich glaube, dass bei einer Multipolarität die
verschiedenen Pole die Situation rund um den Ukraine-Konflikt
sozusagen auf ihre eigene Art und Weise „getestet“ und die
potenziellen Spannungen und Bruchlinien in ihren jeweiligen Regionen
angesprochen hätten. Dann wäre die kollekive Lösung deutlich
verantwortungsvoller und ausgewogener gewesen.
Diee Lösung
würde auf dem Verständnis basieren, dass alle Beteiligten in dieser
komplexen Situation ihre eigenen Interessen haben. Diese Interessen
sind durch objektive und subjektive Umstände gerechtfertigt und darf
man nicht ignorieren. Der Wunsch aller Länder nach Sicherheit und
Entwicklung ist legitim. Das gilt selbstverständlich auch für die
Ukraine, Russland und alle unsere Nachbarn. Die Staaten der Region
sollten bei der Schaffung eines regionalen Systems das letzte Wort
haben. Und sie hätten die größte Chance, sich auf ein für alle
akzeptables Modell der Zusammenarbeit zu einigen, da es sie direkt
betrifft. Es liegt in ihrem vitalen Interesse.
Für andere
Länder ist diese Situation, in diesem Fall in der Ukraine, eine
Karte in einem anderen, viel größeren Spiel – und zwar ihres
eigenen Spiels, das typischerweise nichts mit den spezifischen
Problemen der Länder insgesamt, oder in diesem Fall dieses
bestimmten Landes, oder der am Konflikt beteiligten Länder zu tun
hat. Es ist lediglich ein Vorwand und ein Mittel, um ihre
geopolitischen Ziele zu erreichen, ihre Kontrollzone auszuweiten, und
ja, auch ein wenig Geld mit dem Krieg zu verdienen. So haben sie die
NATO-Infrastruktur vor unsere Haustür gedrängt und jahrelang
gleichgültig zugesehen, wie sich die Tragödie im Donbass, der
Völkermord an den Russen und die Vernichtung unserer angestammten,
historischen Gebiete abspielten, die 2014 nach dem blutigen
Staatsstreich in der Ukraine begann.
Das Handeln der Mehrheit
der Länder der Welt steht im Kontrast zu diesem Verhalten, das
Europa und unter der vorherigen Regierung bis vor Kurzem die USA
gezeigt haben. Sie weigern sich, Partei zu ergreifen und bemühen
sich, einen gerechten Frieden zu schaffen. Wir sind allen Ländern
dankbar, die in den letzten Jahren ernsthafte Anstrengungen
unternommen haben, um einen Ausweg aus dieser Situation zu finden.
Das sind unsere Partner, die Gründungsmitglieder der BRICS-Staaten:
China, Indien, Brasilien und Südafrika. Dazu gehören Weißrussland
und übrigens auch Nordkorea. Dazu gehören unsere Freunde in der
arabischen und islamischen Welt insgesamt, vor allem Saudi-Arabien,
die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Ägypten, die Türkei und
der Iran. In Europa gehören auch Serbien, Ungarn und die Slowakei
dazu. Und viele weitere Länder in Afrika und Lateinamerika.
Leider
ist es bisher nicht gelungen, die Kämpfe zu beenden, aber die
Verantwortung dafür liegt nicht bei der „Mehrheit“, sondern bei
der „Minderheit“, vor allem bei Europa, das den Konflikt ständig
eskalieren lässt – und meiner Meinung nach ist derzeit kein
anderes Ziel in Sicht.
Dennoch glaube ich, dass der gute Wille
siegen wird, und in diesem Sinne besteht nicht der geringste Zweifel:
Ich denke, auch in der Ukraine finden Veränderungen statt,
allmählich, das können wir sehen. Egal, wie viel Gehirnwäsche die
Menschen erleiden, im öffentlichen Bewusstsein der Ukraine und der
meisten Ländern der Welt finden Veränderungen statt.
Tatsächlich
ist das Phänomen der globalen Mehrheit im internationalen Leben ein
neues Phänomen. Auch dazu möchte ich einige Worte sagen. Worum geht
es? Es geht darum, dass die überwältigende Mehrheit der Länder der
Welt ihren eigenen zivilisatorischen Interessen verpflichtet ist,
deren wichtigste ihre eigene ausgewogene, fortschrittliche
Entwicklung ist. Das erscheint selbstverständlich, so war es schon
immer. Doch in früheren Epochen wurde das Verständnis eben dieser
Interessen oft durch ungesunde Ambitionen, Egoismus und den Einfluss
expansionistischer Ideologien verzerrt.
Heute ist sich die
Mehrheit der Länder und Völker, eben diese globale Mehrheit, ihrer
wahren Interessen bewusst. Vor allem aber spüren sie die Kraft und
das Selbstvertrauen, diese Interessen trotz äußerer Einflüsse zu
verteidigen. Und ich füge hinzu, dass sie zur Förderung und
Verteidigung ihrer eigenen Interessen bereit sind, mit Partnern
zusammenzuarbeiten, das heißt, internationale Beziehungen,
Diplomatie und Integration zu einer Quelle ihres Wachstums,
Fortschritts und ihrer Entwicklung zu machen. Die Beziehungen
innerhalb der globalen Mehrheit sind der Prototyp politischer
Praktiken, die in einer polyzentrischen Welt notwendig sind und
funktionieren.
Dazu gehören Pragmatismus und Realismus, die
Ablehnung der Philosophie der Blöcke, das Fehlen harter, von
irgendwem aufgezwungener Verpflichtungen und Modelle, bei denen es
Senior- und Juniorpartner gibt. Und schließlich die Fähigkeit,
Interessen zu kombinieren, die nicht immer übereinstimmen, sich aber
insgesamt nicht widersprechen. Und das Fehlen von Antagonismus wird
zum Grundprinzip.
Die neue Welle der faktischen
Entkolonialisierung gewinnt derzeit an Dynamik, da ehemalige Kolonien
neben ihrer Staatlichkeit auch politische, wirtschaftliche,
kulturelle und weltanschauliche Souveränität erlangen.
In
diesem Zusammenhang ist ein weiteres Jubiläum bedeutsam. Wir haben
gerade den 80. Jahrestag der Vereinten Nationen gefeiert. Sie sind
nicht nur die repräsentativste und universellste politische Struktur
der Welt, sondern auch ein Symbol für den Geist der Zusammenarbeit,
der Allianz und sogar der Waffenbrüderschaft, die in der ersten
Hälfte des letzten Jahrhunderts dazu beitrug, die Anstrengungen im
Kampf gegen das schrecklichste Übel der Geschichte zu vereinen: die
gnadenlose Maschinerie der Vernichtung und Versklavung.
Und
die entscheidende Rolle, darauf sind wir stolz, bei diesem
gemeinsamen Sieg, dem Sieg über den Nationalsozialismus, spielte
natürlich die Sowjetunion. Man muss sich nur die Zahl der Opfer
aller Mitglieder der Anti-Hitler-Koalition ansehen und alles wird
sofort klar.
Die Vereinten Nationen sind natürlich das Erbe
des Sieges im Zweiten Weltkrieg, die bislang erfolgreichste Erfahrung
bei der Schaffung einer internationalen Organisation, in deren Rahmen
drängende globale Probleme angegangen werden können.
Jetzt
hört man oft, das UN-System sei gelähmt und in der Krise. Das ist
zu einem Gemeinplatz geworden. Manche argumentieren sogar, dass die
UNO ihren Nutzen überlebt hat, dass sie zumindest radikal reformiert
werden muss. Ja, natürlich steht die UNO vor zahlreichen
Herausforderungen. Aber es gibt bisher nichts Besseres als die UNO.
Auch das muss man anerkennen.
Das Problem ist nicht wirklich
die UNO, denn ihr Potenzial ist immens. Die eigentliche Frage ist,
wie wir selbst – diese vereinten und nun leider gespaltenen
Nationen – diese Chancen nutzen.
Niemand bestreitet, dass
die UNO vor Schwierigkeiten steht. Wie jede Organisation muss sie
sich heute an veränderte Realitäten anpassen. Bei der Reform und
Weiterentwicklung ist es jedoch entscheidend, ihre Kernbedeutung
nicht zu verlieren oder zu verzerren – nicht nur die, die bei der
Gründung der Vereinten Nationen festgelegt wurde, sondern auch die,
die sie im Laufe ihrer komplexen Entwicklung erworben hat.
In
diesem Zusammenhang muss man sich daran erinnern, dass sich die Zahl
der UNO-Mitgliedsstaaten seit 1945 fast vervierfacht hat. Die
Organisation, die auf Initiative mehrerer großer Länder entstand,
ist im Laufe der Jahrzehnte nicht nur gewachsen, sie hat eine
Vielzahl unterschiedlicher Kulturen und politischer Traditionen
aufgenommen, Vielfalt erlangt und ist wahrhaft multipolar geworden,
lange bevor die Welt multipolar wurde. Das Potenzial des UN-Systems
beginnt sich gerade erst zu entfalten und ich bin zuversichtlich,
dass das in der kommenden neuen Ära und schneller geschehen
wird.
Mit anderen Worten bilden die Länder der globalen
Mehrheit nun selbstverständlich eine überzeugende Mehrheit
innerhalb der Vereinten Nationen, was bedeutet, dass ihre Struktur
und ihre Leitungsgremien dieser Tatsache angepasst werden müssen,
was im Übrigen viel stärker den Grundprinzipien der Demokratie
entsprechen wird.
Ich leugne nicht, dass derzeit keine
Einigkeit darüber besteht, wie die Welt organisiert sein soll oder
auf welchen Prinzipien sie in den kommenden Jahren und Jahrzehnten
basieren soll. Wir befinden uns in einer langen Phase der Suche, in
der wir uns vortasten. Wann nedlich ein neues, nachhaltiges System
und sein Rahmen entstehen werden, ist ungewiss. Wir müssen uns
darauf einstellen, dass soziale, politische und wirtschaftliche
Entwicklungen noch lange Zeit unvorhersehbar und zeitweise sehr
schwankend sein werden.
Um klare Leitlinien zu wahren und auf
Kurs zu bleiben, braucht jeder ein solides Fundament. Unserer Ansicht
nach sind dies in erster Linie die Werte, die in nationalen Kulturen
über Jahrhunderte gereift sind. Kultur und Geschichte, ethische und
religiöse Normen, der Einfluss von Geographie und Raum, das sind die
grundlegenden Elemente, die Zivilisationen hervorbringen, die
unverwechselbaren Gemeinschaften, die über Jahrhunderte aufgebaut
werden und nationale Identität, Werte und Traditionen definieren –
all dies dient als Wegweiser, die es uns ermöglichen, durch die
Stürme des turbulenten Ozeans des internationalen Lebens zu
navigieren.
Traditionen sind immer einzigartig,
unverwechselbar und für jeden die eigenen. Der Respekt vor diesen
Traditionen ist die erste und wichtigste Voraussetzung für die
erfolgreiche Entwicklung internationaler Beziehungen und die Lösung
neu auftretender Probleme.
Die Welt hat Versuche der
Vereinigung erlebt, die Auferlegung eines vermeintlich universellen
Modells auf alle, das den kulturellen und ethischen Traditionen der
meisten Völker zuwiderlief. Die Sowjetunion hat sich dessen einst
schuldig gemacht, indem sie ihr politisches System aufzwang. Wir
wissen darum. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass dem jemand
widersprechen würde. Dann übernahmen die USA den Staffelstab. Auch
Europa war nicht anders. In beiden Fällen hat nichts funktioniert.
Oberflächliches, Künstliches und vor allem von außen
aufgezwungenes Verhalten hält nicht lange. Und wer seine eigenen
Traditionen respektiert, greift in der Regel nicht in die anderer
ein.
Vor dem Hintergrund internationaler Instabilität wird
nun besonderes Augenmerk darauf gelegt, eine Grundlage für eine von
internationalen Turbulenzen unabhängige Entwicklung zu schaffen. Und
wir sehen, wie sich Länder und Völker genau diesen Grundlagen
zuwenden. Dies geschieht nicht nur in den Ländern der Weltmehrheit,
auch die westlichen Gesellschaften kommen zu dieser Erkenntnis. Wenn
sich jeder davon leiten lässt, sich auf sich selbst konzentriert und
sich nicht in unnötigen Ambitionen verzettelt, wird es leichter,
Gemeinsamkeiten mit anderen zu finden.
Die aktuellen
Erfahrungen des Umgang Russlands mit den USA können als Beispiel
angeführt werden. Unsere Länder haben bekanntlich viele
Widersprüche und unsere Ansichten zu vielen globalen Fragen stimmen
nicht überein. Für solche Großmächte ist das normal, ja sogar
völlig selbstverständlich. Die Hauptsache ist, wie diese
Widersprüche gelöst werden können und inwieweit sie friedlich
gelöst werden können.
Die derzeitige Regierung im Weißen
Haus äußert ihre Interessen und Wünsche direkt, da werden Sie mir
sicher zustimmen, manchmal sehr deutlich, aber ohne unnötige
Heuchelei. Es ist immer besser, klar zu verstehen, was die andere
Seite will und was sie erreichen will, als zu versuchen, die wahre
Bedeutung in einer Reihe von Zweideutigkeiten, Unklarheiten und vagen
Andeutungen zu erkennen.
Wir sehen, dass sich die derzeitige
US-Regierung in erster Linie von den Interessen ihres eigenen Landes
leiten lässt, so wie sie diese versteht. Ich halte das für einen
rationalen Ansatz.
Aber dann, entschuldigen Sie, behält auch
Russland sich das Recht vor, sich von unseren nationalen Interessen
leiten zu lassen, zu denen übrigens auch die Wiederherstellung
vollwertiger Beziehungen zu den USA gehört. Und ungeachtet der
Widersprüche: Wenn wir einander mit Respekt begegnen, werden
Verhandlungen, selbst die härtesten und stursten, immer das Ziel
haben, einen Konsens zu erzielen, und das bedeutet, dass am Ende für
beide Seiten akzeptable Lösungen möglich sind.
Multipolarität
und Polyzentrismus sind eine Realität, die bleiben wird. Wie schnell
und effektiv wir darauf aufbauend eine nachhaltige Weltordnung
schaffen können, hängt von jedem Einzelnen von uns ab. Und eine
solche Ordnung, ein solches Modell, ist in der modernen Welt nur
durch gemeinsame Anstrengungen möglich, durch die Mitwirkung aller.
Ich wiederhole: Die Zeiten, in denen eine kleine Gruppe der
mächtigsten Nationen entschieden hat, wie der Rest der Welt leben
soll, sind für immer vorbei.
Daran müssen sich diejenigen
erinnern, die sich nostalgisch an die Kolonialzeit erinnern, als die
Menschen traditionell in Gleiche und Gleichere geteilt waren. Orwells
Satz ist uns wohlbekannt.
Wir, Russland, waren nie von diesem
rassistischen Problemverständnis geprägt, diese Haltung gegenüber
anderen Völkern und Kulturen war nie charakteristisch für Russland
und wird es auch nie sein.
Wir stehen für Vielfalt,
Polyphonie, eine Symphonie der Werte. Die Welt, da werden Sie mir
zweifellos zustimmen, erscheint langweilig, wenn sie eintönig ist.
Russland hat ein sehr turbulentes und schwieriges Schicksal hinter
sich. Schon die Entstehung des russischen Staates war ein ständiger
Kampf gegen gewaltige historische Herausforderungen.
Ich
behaupte nicht, dass sich andere Länder in einer Art Treibhaus
entwickelt hätten, natürlich nicht. Aber die russische Erfahrung
ist in vielerlei Hinsicht einzigartig, genauso wie das Land, das sie
geschaffen hat, einzigartig ist. Das erhebt keinen Anspruch auf
Exklusivität oder Überlegenheit, es ist lediglich die Feststellung
unserer Einzigartigkeit.
Wir haben zahlreiche Umbrüche erlebt
und der Welt Anlass zu sehr unterschiedlichen Überlegungen gegeben,
sowohl negativen als auch positiven. Doch dank unseres historischen
Hintergrunds sind wir besser auf die komplexe, nichtlineare und
mehrdeutige globale Situation vorbereitet, mit der wir alle
konfrontiert sind.
In all diesen Wendungen hat Russland eines
bewiesen: Es war, ist und wird immer sein. Seine Rolle in der Welt
verändert sich, das verstehen wir, aber es bleibt eine konstante
Kraft, ohne die es schwierig und oft unmöglich ist, Harmonie oder
Gleichgewicht zu erreichen. Diese durch Geschichte und Zeit erprobte,
erwiesene Tatsache ist unbestreitbar.
Doch in der heutigen
multipolaren Welt kann diese Harmonie, dieses Gleichgewicht, von dem
ich sprach, natürlich nur durch gemeinsame Arbeit erreicht werden.
Und ich möchte Ihnen versichern, dass Russland zu dieser Arbeit
bereit ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ende
der
Übersetzung
https://anti-spiegel.ru/2025/putins-jaehrliche-rede-ueber-russlands-sicht-auf-die-geopolitik-im-o-ton/
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