„Die vergessenen Lehren von Auschwitz. Wenn Staatsräson gegenüber Israel
wichtiger ist als Menschenrechte und Völkerrecht“ - Jochen Mitschka
HUT AB
vor dieser
HALTUNG
Buchtipp von
Harry Popow
Der Mann muss Mut haben.
Gibt er doch zu, lieber als Antisemit beschimpft zu werden, als
erneut ein Mitschuldiger an Vertreibung, Verfolgung, Ermordung und
auch Krieg zu sein. Nachzulesen in dem Buch „Die vergessenen Lehren von Auschwitz. Wenn Staatsräson gegenüber Israel
wichtiger ist als Menschenrechte und Völkerrecht.“ Der Mann heißt
Jochen Mitschka: Einst Unternehmensberater in Südostasien, Aufenthalt
kurz in Vietnam und nach der Rückkehr nach Deutschland bis zu seinem
Ruhestand 2017 für eine führende Softwarenfirma tätig. Er schrieb
mehrere gesellschaftskritische Sachbücher. Im Juli 2019 erschien
„Deutschlands Angriffskriege“ sowie das hier vorliegende.
Ebenso wie Petra Wild, Uri
Avnery, Arn Strohmeyer sowie vor allem Evelyn Hecht Galinski, zu
deren Büchern zur israelisch-jüdischen Tragödie von mir
Buchbesprechungen geschrieben wurden, gesellt sich nun auch der Autor
Jochen Mitschka.
Das Vorwort zu seinem Buch
schrieb Evelyn Hecht-Galinski. Darin betont sie, wenn sie das „Nie
wieder“ hört, zumal von Vertretern der Israel-Lobby und ihren
Unterstützern, könne sie sich „nur angewidert abwenden“. Dies
bekennt sie offen und empört, die Tochter des 1992 verstorbenen
Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Heinz
Galinski. Der deutschen Publizistin und Gründerin der deutschen
Abteilung der Organisation Jüdische Stimme für gerechten Frieden in
Nahost kann man und muss man offen und ohne Wenn und Aber zustimmen.
Dass dazu bereits wieder Mut und politische Klarheit, verbunden mit
dem klaren Bekenntnis für die Wahrung der Menschenrechte und des
Völkerrechts gehören, ist - so müsse das Resümee dieses
notwendigen Buches von Jochen Mitschka lauten - eine Überlebensfrage
im weltweiten Konflikt zwischen Krieg und Frieden sein.
Sie fragt, wie deutsche
Politiker eine „Staatsräson“ für den „Jüdischen Staat“
unterstützen können, der gegen jedes Völkerrecht „seit
Jahrzehnten palästinensisches Land besetzt und weiter raubt und
dessen Bevölkerung drangsaliert“. Sie halte deshalb „Jochen
Mitschkas Buch für einen wichtigen Anstoß, richtige Lehren aus
Auschwitz zu ziehen“. Das bedeute, dass jüdische Bürger - und mit
ihnen die deutschen Israel-Lobbyisten - endlich umdenken und sich
„gegen Besatzung und für die Freiheit Palästinas“ einsetzen.
Daraus folge das „Nie wieder“.
Aufstehen
gegen Verbrechen
Jochen Mitschka geht auf
seinen 348 Seiten sehr massiv und polemisch auf die schmähliche
Resolution des deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019 ein, die die
Menschenrechtsbewegung BDS (Boykott, Desinvestment, Sanktionen) „als
antisemitisch diskriminierte.“ (S. 12) „Jede auch nur vorsichtige
Kritik an der Politik der Regierungen Israels sucht man vergeblich.“
Darin habe er erkannt, so der Autor, „dass Deutschland eben NICHT
die Lehren aus Auschwitz gezogen hatte“. Man dürfe nicht wegsehen,
„wenn Unrecht geschieht, dass man aufstehen und Verbrechen gegen
die Menschlichkeit entgegentreten muss, egal wer sie begeht und wo
sie begangen werden, statt aus Angst vor gesellschaftlichen Problemen
oder Ausgrenzung still zu sein und der Staatsräson oder der
Mehrheitsmeinung zu folgen“. (S. 13)
Zuvor weist er mit
zahllosen Fakten und über 700 Quellenangaben auf die Geschichte nach
der Gründung des Staates Israel hin. Auch gut für die Lesbarkeit
des Buches: Definitionen, wie zum Beispiel Antisemitismus, Zionismus,
Antizionismus, Israel-Kritik, Semiten, Nakba. Auf mehr als 20 Seiten
kommen über 30 jüdische Kritiker zu Wort. Unter der Überschrift
„Kurzer Geschichtsabriss“ skizziert der Autor die herrschende
Ideologie in Israel mit deren Behauptung, „der Staat aller Juden
weltweit zu sein“. Immer mehr jüdische Menschen würden das
anders sehen. Sie bekennen sich als Bürger des Staates, in dem sie
leben und dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. „Sie trennen
Religion und Staatsangehörigkeit.“ Dies schütze die Juden in
arabischen Ländern jedoch nicht davor, „für die Verbrechen der
Staatsführung Israels mit verantwortlich gemacht zu werden“.
Daraus entstehe in Deutschland die These, „dass Araber
grundsätzlich antisemitisch wären, und diesen Antisemitismus nach
Deutschland importiert hätten, so der Autor“. (S. 61)
Im Detail geht der Autor
auf die ethnischen Säuberungen ein, auf die Rassenwissenschaft
Israels und ab Seite81 auf die 10 Mythen über Israel. Er fordert,
man möge aufhören, „Mythen als Wahrheit zu verkaufen und zu
vertreten, wie das die Abgeordneten des Deutschen Bundestages tun“...
Dies sei der erste Schritt, „um einerseits den Kampf jüdischer
Menschen um ihre Existenz in Israel und andererseits das Leiden der
Palästinenser zu einem friedlichen und für alle vorteilhaften Ende
zu bringen“. (S. 99)
Tag
des Schams
Der
Autor Jochen Mitschka belässt es nicht bei der Festschreibung der
Politik der Diskriminierung von Personen, die Kritik an der Politik
Israels üben, sondern bezeichnet diesen Vorgang offiziell „als
legitim in den politischen Diskurs Deutschlands eingeführt“ zu
haben. (S. 110) In der Debatte des deutschen Bundestages, so der
Autor auf Seite 202, haben die Abgeordneten einen großen Bogen „um
die Nennung der Verbrechen Israels gemacht“. Die BDS-Bewegung unter
Anklage stellend, wurde behauptet, sie würde das „Existenzrecht
Israels“ in Frage stellen. Das sei aber nicht der Fall. Dazu
folgendes Zitat: Die BDS „...lehnen eine staatliche Organisation
ab, die sich das Recht herausnimmt, nur Menschen mit religiöser
Religion die vollen Rechte eines Staatsbürgers zu gewähren, und sie
lehnen den Anspruch eines Staates ab, ein Gebiet mit einem
Angriffskrieg erobern zu dürfen, und dann mit den Bewohnern nach
Belieben umzugehen“. (S. 203)
Resümierend
kommt der Autor auf Seite 244 zu der bitteren Erkenntnis, dass sich
die Mehrheit der Abgeordneten am 17. Mai 2019, dem Tag des Schams,
wie er schreibt, für einen Apartheidstaat Israel stark gemacht
haben, „statt sich für Demokratie, für das Ende von
Unterdrückung, Frieden und Völkerverständigung einzusetzen“.
Mehr noch: Durch diesen Beschluss
vom 17. Mai werde die Redefreiheit bedroht (S. 259) sowie laufe dies
darauf hinaus, „Israels Verbrechen immun gegen Kritik und
Sanktionen zu machen“. (S. 293) Die Resolution erzeuge „eine
Unterstützung der rechtsextremen Regierung Israels, welche die
Verbrechen Israels an den palästinensischen Flüchtlingen und unter
der Besatzung leidenden Menschen verlängert“. (S. 298) Sie gebe
solchen politischen Kräften in Israel Auftrieb, „die sogar die
gezielte Tötung von wichtigen BDS-Aktivisten befürworten“. (S.
316)
Jochen
Mitschka kommt zu dem Schluss, dass Verantwortung aus dem Holocaust
heißt, für den Abbau des rassistischen Apartheidsystem zu kämpfen
„und für ein friedliches, demokratisches Israel-Palästina“. (S.
332) Daraus folgt für ihn, den mutigen Autor, der inhaltsschwere
Satz: „Wenn das Antisemitismus ist, gut, dann bin ich lieber
Antisemit als erneut ein Mitschuldiger an Vertreibung, Verfolgung,
Ermordung und auch Krieg.“ (S. 341)
An
dieser Stelle ist es unnötig, auf die Aktualität dieses
faktenreiches Buches hinzuweisen und dem Autor für seine mutige
politische Offerte gegen kapitalistische Wirtschaftsinteressen der
westlichen „Wertegemeinschaft“ und für Frieden und
Völkerverständigung zu danken. Insofern mag es noch mehr Leute in
seinen politisch - aufklärerischen Bann ziehen und ebenso eine klare
politische Haltung erzeugen. Ohne Wenn und Aber.
Jochen Mitschka: „Die vergessenen Lehren von Auschwitz. Wenn Staatsräson
gegenüber Israel wichtiger ist als Menschenrechte und Völkerrecht“;
Taschenbuch: 348 Seiten, Verlag: NIBE-Media; Auflage: 1 (22. Juli
2019),Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3966070383, ISBN-13: 978-3966070386,
Euro: 19,95
(Erstveröffentlichung in der NRhZ)
(Erstveröffentlichung in der NRhZ)
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