Mittwoch, 13. November 2019

DIE RÜCKWENDE - KONTERREVOLUTION - von Arnold Schölzel

Entnommen:
http://www.rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2019/RF-262-11-19.pdf

Diese Wirtschaft tötet

Die geschichtliche Zäsur, für die der 9. November 1989 steht, bedeutet eine Rückwende in eine Ära der weltweiten Konterrevolution. Im Tingeltangel der imperialistischen Medien, die damals ihren eigenen Leistungen bei der „Befreiung“ Ostdeutschlands Beifall klatschten, ging ein Ereignis unter, das mehr noch als der 9. November zeigte, was weltweit bevorstand: Am Morgen des 16. November 1989 fand man in der Universität (Universidad Centroamericana – UCA) des zentralamerikanischen Staates El Salvador die Jesuiten und Wissenschaftler Ignacio Ellacuría (Rektor der UCA), Segundo Montes, Ignacio Martín-Baró, Joaquín López y López, Juan Ramón Moreno und Amando López erschossen im Garten liegend. Mit ihnen wurde auch die Köchin Elba Ramos und ihre Tochter Celina ermordet, die in dieser Nacht bei ihnen Schutz gesucht hatten.

Die Täter sind bekannt: Es handelte sich um die militärische Spezialeinheit Batallón Atlácatl, die drei Tage zuvor ein Training bei US-Streitkräften erhalten hatte. Die 20 namentlich bekannten salvadorianischen Soldaten führten die Nachtsichtgeräte ihrer US-Trainer mit sich – angeblich ohne deren Wissen. Niemand wurde bis heute für die Mordtat bestraft. Auf der Grabplatte der in der Bevölkerung El Salvadors hochverehrten „Märtyrer der UCA“ steht der Grund für den Mord. Es ist ein Zitat aus einem Grundsatzpapier des Jesuitenordens aus dem Jahr 1975: „Was heißt heute Jesuit, Gefährte Jesu sein? Sich unter dem Kreuz im entscheidenden Kampf unserer Zeit einzusetzen: im Kampf für den Glauben, der den Kampf für die Gerechtigkeit mit einschließt.“

Der am 16. November 1989 ermordete Ignacio Ellacuría war wie die anderen ein Vertreter der „Theologie der Befreiung“. Er hatte es sich zur Aufgabe gestellt, inmitten des Elends, in dem die Mehrheit der Bevölkerung ganz Lateinamerikas lebt, für gesellschaftliche Veränderung und Gerechtigkeit einzutreten. Das war sein und seiner Glaubensgenossen Todesurteil. Damals leitete in Rom ein polnischer Papst, Johannes Paul II., die katholische Kirche. Ihm wird zu Recht ein bedeutender Anteil an der Erosion des Sozialismus in seinem Heimatland und den anderen Ländern Zentral- und Osteuropas zugeschrieben. Seine Verabredung dazu mit dem damaligen USPräsidenten Ronald Reagan ist inzwischen dokumentiert. Er war ein Gegner der „Theologie der Befreiung“ ebenso wie sein Nachfolger, der deutsche Papst Benedikt XVI.

Der jetzige Papst Franziskus dagegen ist nicht nur Jesuit, sondern selbst ein Theologe der Befreiung. Es ist kein Zufall, daß er vor zwei Jahren die Einberufung der „AmazonienSynode“ anordnete, die vom 6. bis zum 27. Oktober in Rom stattfand. Ihr Hauptgegenstand war ein Brennpunkt der Verbrechen des heutigen Kapitalismus: das fortgesetzte Abschlachten der Ureinwohner im AmazonasBecken im Auftrag internationaler Rohstoffkonzerne und der globalen Agrarindustrie.

Der österreichische „RotFuchs“-Autor Georg Oberkofler hat für das vorliegende Heft die Vorbereitungsdokumente dieser Synode untersucht (siehe Seiten 17–20). Unausgesprochen stand über ihr der FranziskusSatz: „Diese Wirtschaft tötet.“ Wenn der November-„RotFuchs“ erscheint, liegt die Landtagswahl in Thüringen erst wenige Tage zurück. Ein Fazit der Wahlen des Jahres 2019 kann daher noch nicht gezogen werden. Eins steht allerdings fest: Eine linke Partei, die nicht in der Lage ist, dem internationalen und internationalistischen Konzept des Papstes im Kampf gegen Armut und Mord an Armen auch nur ansatzweise zu folgen, muß nicht nach Ursachen für Wahlverluste suchen.

Die Debakel der Linkspartei bei den Wahlen zum EU-Parlament am 26. Mai sowie in Sachsen und Brandenburg am 1. September haben auch damit zu tun, daß es unvorstellbar geworden ist, aus ihren Reihen einen Satz zu hören, der etwa lauten könnte: „Kapitalismus tötet.“ Ihre Vertreter ziehen es vor, die DDR, den ersten deutschen Friedensstaat, als „Unrechtsstaat“ zu kriminalisieren. Sie wirken mit am Propagandanebel, der zum 30. Jahrestag des 9. November 1989 wieder reichlich produziert wird. Sie helfen so dabei, dahinter auch 2019 die Märtyrer der UCA verschwinden zu lassen. Arnold Schölzel

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