„Angst
und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in
kapitalistischen Demokratien“ - Rainer Mausfeld
DIE
ZITTERPARTIE
DER
MACHT
Buchtipp
mit einer satirischen Vorbemerkung / von Harry Popow
Welch
ein Glück
im Unglück. Wie üblich nach einem Zwischenfall auf Leben und Tod so
auch diesmal, wie erwartet: Kaum war das Kind vom Bahnsteig auf die
Gleise zu Tode gestoßen worden, saßen auch schon die Oberen in
einem Glashaus mitten in einem riesigen Gelände privaten Grund und
Bodens beisammen und knobelten mit Hilfe künstlicher Intelligenz
daran, was gegen das unendlich zunehmend scheinende Ungemach (
Feindbilder im Osten, Rassismus, Korruption, Antisemitismus,
Nationalismus, rechter Populismus, Gewalt, sogenannte Gefährder,
Rechtsradikale und, und, und... ) im deutschen Lande umgehend in
Angriff genommen werden muss: Mehr Überwachung. Mehr Polizei. Null
Toleranz. Zum Beispiel gegenüber Drogendealern. Vielleicht auch neue
Mauern, so an Bahnsteigen? Mehr Rüstung, mehr Drohnen... Dies auf
jeden Fall!
Haben
sie als aufmerksamer Leser bemerkt, wie sich die Macht die Hände
reibt? Sie braucht sich nur zu bücken, wo im selbst angelegten und
gepflegten privaten Unkrautfeld der Vielfalt, des Pluralismus und der
gesellschaftlichen Alternativlosigkeit immer noch jene Giftpflanzen
sprießen, die man benötigt, um das kleine Volk in Angst und Apathie
zu halten, es als Konsumenten gefügig zu machen, damit es
gegebenenfalls wieder einmal „Gewehr bei Fuß“ steht? Wer schreit
da nach Alternativen? Was, das gesamte Feld umpflügen? Es in Volkes
Hände geben? Das mit über 14 Millionen in Armut lebenden
überflüssigen Schmarotzern? Und was wäre mit den Reichen? Was wäre
mit dem stolzen Wachstum? Außerdem: Die Pflugscharen wurden längst
wieder zu Schwertern umgeschmiedet. Alles soll bleiben wie es ist. So
brodelt der Eintopf aus Geschwätz und leeren Versprechungen weiter,
immer weiter... Ohne auch nur den wahren Gründen für die Störungen
im Gesellschaftsgefüge auch nur einen Deut näher zu kommen. Das
darf um Gottes willen nicht sein, das wäre der Untergang der nach
Maximalprofit jagenden Macht.
Wie
gut also, dass man in einer Demokratie lebt. Die einen glauben daran,
die anderen zweifeln. Die Reichen schwören auf „weiter so“, die
Armen ducken sich ab, mitunter demonstrieren sie. Die Nachdenklichen
machen sich Sorgen, die Nicht- oder Gar- Nicht-Denker verfallen auf
Meditation und beten vielleicht noch zu Gott, Die es allerdings ernst
meinen mit Widerstand gegen Verdummung - unzählige Demonstranten
oder auch Autoren - die brauchen weder Gefängnis noch ein
neuerliches Verbrennen ihrer Bücher fürchten. Im Unkrautfeld ist
alles erlaubt, soweit alles beim Alten bleibt, denn die Demokratie
schützt jedes Gift, solange keiner ans Umpflügen des Ackers denkt,
was dem freien Markt die endgültige Trockenlegung verpassen würde.
Einer
der vielen Mutigen im literarischen Blätterwald ist der emeritierte
Professor der Psychologie Rainer Mausfeld. Großen Dank an ihn, die
Tiefen des jahrzehntelang währenden Kampfes zwischen der Macht und
dem einfachen Volk aus seiner Sicht mit Vorträgen und diesem
123-Seiten-Buch ausgeleuchtet zu haben. Nicht nur als Beschreibung
der Zustände, sondern entlarvend und aufklärerisch.
Was nicht vereinbar ist
Trotz
technischem Fortschritt und der Errichtung einer demokratischen
Gesellschaftsordnung, so der Autor im Vorwort, habe „Angst eine
überraschend große Präsenz in dem Lebensgefühl unserer Epoche“,
wenn auch oftmals hinter einer kulturellen Fassade, „die vor allem
durch Konsumismus, Zerstreuung und eine alle Lebensbereiche
durchdringende Unterhaltungsindustrie geprägt ist“. Er schreibt
von Depressionen, Abstiegsängsten, Versagensängsten,
Identitätsängsten sowie auf politischem Gebiet von einer Zunahme
von Angstrhetorik.
Das
Ziel des Autors sei es, zu zeigen, wie die Macht in kapitalistischen
Demokratien stabilisiert, gesichert und in diesem unauflöslichen
Spannungsverhältnis verschleiert wird. Fundamental stellt er auf
Seite 17 klar, „Demokratie und Industrie- und Konzernkapitalismus
sind aus grundsätzlichen Gründen nicht miteinander vereinbar“.
Ausgeschlossen von einer demokratischen Kontrolle seien grundsätzlich
der Bereich der Wirtschaft sowie die Eigentumsordnung. (Wobei auch
der militärische Bereich zur verbotenen Zone zu zählen ist. H.P,)
Interessant folgender Gedanke von Rainer Mausfeld: Mit der
Entwicklung des Industriekapitalismus seien die potenziellen Kosten
der Repression höher als die der Demokratie. Deshalb ziehe man es
vor, „den unzufriedenen Bürgern die Demokratie zu geben, anstatt
Gewalt gegen sie anzuwenden“. Angewiesen sei man deshalb auf
geeignete Techniken von Propaganda, Meinungsmanagement und
Demokratiemanagement, „durch die sich die unaufhebbaren
Widersprüche zwischen Kapitalismus und Demokratie verdecken lassen“.
(S. 19) Der Autor verweist auf eine seit Anfang des vergangenen
Jahrhunderts verfolgte Tradition der Angsterzeugung, auf dem nunmehr
der Neoliberalismus aufbaut.
Der Schoß ist
fruchtbar noch
Auf
Seite 25 wird auf die eigentlichen Ursachen der Angsterzeugung
verwiesen. Der Kapitalismus beruhe darauf, (was ja nicht neu ist,
Marx lieferte schließlich die grundlegenden Aussagen hierzu, H.P.),
„Kapital zu akkumulieren, indem ein erzielter Mehrwert in
vermehrtes Kapital rückverwandelt wird“. So übe eine Minderheit
von Besitzenden Macht über eine Mehrheit Nichtbesitzender aus. Es
herrsche der Zwang zur Lohnarbeit, deren soziale Schutzmechanismen
sich allerdings in Auflösung befinden. Stattdessen ziehe
Unberechenbarkeit ein: Minijobs, Leiharbeit. Man lebe in der
permanenten Bedrohung eines sozialen Abstiegs, da diese prekären
Arbeitsverhältnisse jederzeit widerrufen werden können“. (S. 79)
Arbeit im Kapitalismus sei grundsätzlich ohne Angst nicht denkbar.
Die illusionserzeugende Kraft des Kapitalismus werde vor allem „durch
die dem Kapitalismus innewohnenden Krisendynamiken“ immer wieder
brüchig, wodurch zusätzliche Herrschaftstechniken der
Angsterzeugung benötigt werden. Wenn mehr als 13 Millionen Menschen
zu den Armen gezählt werden und dies nicht einmal als Ideologie des
Neoliberalismus wahrgenommen wird und „lediglich als eine
bedauernswerte, aber unvermeidliche Nebenwirkung einer Anpassung an
die `Gesetzmäßigkeiten des Marktes` gesehen wird, dann ist die
gewünschte politische Lethargie der Bevölkerung vorprogrammiert.
Professor
Mausfeld untersucht z.B. die Entformalisierung des Rechts sowie die
propagandistische Deklaration einer großen Gefahr. Das Böse könne
ziemlich alles sein, was Angst erzeugt. So die Bezeichnungen
Kommunist, Migrant, Sozialschmarotzer, Terrorist, Fake News,
Desinformation, Rechtspopulismus, Islamismus. Damit lassen sich
„demokratische Strukturen abbauen und auf allen Ebenen der
Exekutive und Legislative autoritäre Strukturen etablieren“. (S.
39)
Der „HEILIGE FREIE
MARKT“
Dem
sogenannten freien Markt, so der Autor auf Seite 66, wird vom
Neoliberalismus die Eigenschaft zugeschrieben, „die einzig
rationale und effiziente Form gesellschaftlicher Problemlösungen zu
verkörpern“. Er ersetze „alle menschlichen Bemühungen um eine
rationale Erfassung gesellschaftlicher Phänomene“. Alles drehe
sich um das Funktionieren des Marktes, und ist dessen Rationalität
gefährdet, so sei dies als Marktstörung zu betrachten. Seite 65:
Das Ende der Aufklärung sei gekommen, als Mythen zu entlarven seien
insbesondere Vernunft, Freiheit und Autonomie. Damit ist die
Täuschung, der freie Markt gebe sich „als rationale Form des
gesunden Menschenverstandes“ perfekt, er mache sich als Ideologie
nahezu unsichtbar, womit der Neoliberalismus in allen
meinungsprägenden gesellschaftlichen Schichten eine enorme
Breitenwirkung verschafft habe, „wie sie keine totalitäre
Ideologie je zuvor erreicht hat“. (S. 73)
Somit
bläut man den Bürgern die Undurchschaubarkeit der
Wirkungsmechanismen des Marktes und des Staates ein, in dieser
Unwissenheit erscheine „der Markt als gleichsam gottgleiche
Instanz“, alles erscheine nur als Chaos, was weder steuerbar noch
vorhersagbar“ sei. (S. 77) Was darauf folgt: Man könne als
Einzelperson nichts mehr tun, dem eigenen Handeln seien Grenzen
gesetzt und damit sind „die Wege zu einer solidarischen Bewältigung
der aus diesen Kontrollverlusten resultierenden Ängste verstellt“.
(S. 78) Der Autor warnt auf Seite 81 vor der totalen Macht des
Neoliberalismus, vor der Unterordnung der Gesellschaft unter die
Wirtschaft, vor der „Demoralisierung von Bürgern zu passiven
Konsumenten“. (S. 81) Die negative und zerstörerische Angst
erzeugende Ideologie z.B. des „unternehmerischen Selbst“ habe
nicht nur im privaten Bereich, sondern im gesamten Bereich der Kultur
tiefe Spuren hinterlassen. Dies zeige sich u.a. in der „Überbewertung
narzisstischer Bedürfnisse und in der Kultur extremer
Individualisierung, Konkurrenz und sozialer Fragmentierung“. (S.
83)
Flucht ins ICH?
Welche
Wirkungen die Ideologie des Selbst, der Individualisierung und
Entsolidarisierung und damit auch der Undurchschaubarkeit der
gesellschaftlichen Verhältnisse haben, zeigt sich in
emanzipatorischen Bewegungen, sprich in der Flucht aus der
Wirklichkeit. Statt gesellschaftlich etwas ändern zu wollen, solle
man mit der eigenen Veränderung beginnen. Konzentriere dich also auf
dein ICH, nimm innere Einkehr, verwirkliche dich selbst, meditiere,
glaube an das Gute. Keine Frage, diese „frohe Botschaft zur
Individualisierung des Glücks (…) wird sicherlich von den
Herrschenden gerne begrüßt“. Professor Mausfeld zweifelt jedoch
diesen Zustand an, denn Glück hänge nicht allein von unserer
individuellen Selbsterfahrung und Selbstverwirklichung ab, „sondern
wesentlich auch von unseren sozialen Lebensverhältnissen,
insbesondere von einem Gefühl von Zugehörigkeit, und damit auch von
unseren materiellen Lebensverhältnissen“. Diese Flucht aus der
Realität trage „zur Stabilisierung der gegebenen Machtverhältnisse
bei“ und führe zu einer weiteren Entleerung des politischen
Raumes. (S. 85)
Wenn
es um tatsächliche und notwendige gesellschaftliche Veränderungen
gehe, die wie anfangs formuliert, den gesellschaftlichen Acker um und
um wälzen müssten, also die Machtverhältnisse umkehren sollen,
dann trifft Professor Rainer Mausfeld auch in dem folgenden Resüme
auf den Seiten 99 bis 102 den Nagel auf den Kopf: Demokratie und
Kapitalismus sind nicht miteinander vereinbar. Der Neoliberalismus
ist gescheitert. Er „irrlichtert als wirres Ideologiegestöber
durch die Köpfe der herrschenden Klasse und ihrer ideologischen
Lakaien“. Sich auf Chomsky (2004, S. 88) beziehend, hält der Autor
auf den Seiten 101/102 fest: Wenn wir uns von den Fesseln
gesellschaftlicher Angst befreien wollen, müssen wir entschlossen an
die Wurzeln der Macht gehen. „Solange die Wirtschaft unter privater
Kontrolle steht, ist es egal, welche Formen das System annimmt, weil
sich mit der Form nichts erreichen lässt.“ Der Zerstörung unserer
„gesamten Lebensgrundlagen“ durch den Neoliberalismus könne nur
entgegengewirkt werden durch ein wirksames zivilisatorisches
Gegenmittel von unten. Aber: „Uns scheint weitgehend die Fähigkeit
abhandengekommen zu sein, uns überhaupt noch vorzustellen, wie eine
menschenwürdigere Gesellschaft aussehen könnte.“ (S. 99)
Der
Autor des weithin bekannten Buches „Das Schweigen der Lämmer“
hat mit „Angst und Macht“ ein vortreffliches Buch aus der Sicht
eines Psychologen vorgelegt, dass allein mit dem Begriff der „Angst“
nahezu alle politisch interessierten Menschen nahegehen sollte. In
Verbindung mit der Wortverbindung „Demokratie im Kapitalismus“
steht bereits außer Frage, dass hier kein Loblied auf die
Verheißungen der Kapitalelite und des Finanzkapitals zu erwarten
ist. Es regt deshalb umso mehr zum selbstständigen Nach- und
Weiterdenken an. Nicht näher bin ich als Rezensent auf bestimmte
vom Autor benutzte Fachbegriffe wie zum Beispiel „Binnenangst“
und auf weitere Spezialausdrücke eingegangen. Es kam vielmehr darauf
an, den Text besonders auf eine Frage zu konzentrieren, dass es trotz
aller zivilisatorischer Einzelbemühungen, trotz unzähliger Debatten
im Politischen, trotz aller Demonstrationen in Einzelfragen es schier
unmöglich ist, die tiefsten Ursachen der verfahrenen Gesellschaft im
Kapitalismus so ohne weiteres zu erkennen, dies überhaupt sehen zu
wollen. Ohne eine wissenschaftliche, sprich ideologische
Herangehensweise, ohne die grundlegende Beseitigung des
Privateigentums an Produktionsmitteln lässt sich der Unkrautacker
der wiederholten Kriege und der Ausbeutung keinesfalls umpflügen.
Der Kapitalismus ist nicht reformierbar. Da kann man schwatzen was
man will. Es bleibt dann wie es ist: Angstzustände, geistiger
Zerfall, Leere und Alternativlosigkeit. Nochmals danke Herr Professor
Rainer Mausfeld für Ihre tapfere Aufklärungsarbeit. Die Angst vor
der Macht wird sich umkehren lassen müssen... Aus Ihrem Buch spricht
Hoffnung und Zuversicht.
„Angst und Macht“; Rainer Mausfeld; Verlag:
Westend Verlag; Auflage: 2 (2. Juli 2019); Sprache: Deutsch, ISBN-10:
3864892813, ISBN-13: 978-3864892813
Größe und/oder Gewicht: 13,1 x 1,5 x 20,5 cm; Preis: 14 Euro
Größe und/oder Gewicht: 13,1 x 1,5 x 20,5 cm; Preis: 14 Euro
(Erstveröffentlichung am 14.08. in Neue Rheinische
Zeitung)
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