(VI)
ERLESENES (Brecht)
Gehortete
Zitate aus der schönen Literatur, die ich sehr mag, geschrieben von
gerne gelesenen Autoren, sowohl aus der Belletristik als auch aus
politischen Streitschriften. In loser Folge ab sofort in meinem Blog
nachzulesen. Warum? Weil die Textauszüge oftmals Dinge benennen, die
aktueller nicht sein können. Wer mag, leiste sich das geistige
Vergnügen.
Werner
Mittenzwei: „Das Leben des Bertholt Brecht oder Der Umgang mit den
Welträtseln“, Bd. 1,
Aufbau-Verlag
Berlin 1986
Marktgängige
Seichtheit, Seite 262:
Zu
den literarischen Vertretern
einer
„erschöpften Bourgeoisie“ zählte Brecht nicht nur die Dichter
der älteren Generation, (…). Das ganze Gesindel (…), korrupt bis
zur Marktgängigkeit, hat mit uns nichts zu tun. Ihre demokratische
Seichtheit, Geistesschwäche und Harmlosigkeit sind für uns
keineswegs wie für einige unserere Freunde die folgen von
Talentmangel, sondern von angeborener Bestechlichkeit, Trägheit und
Willensschwäche.
Radikale
Lösungen, Seite 347:
Auch die bevorzugte Form
deutscher Intellektueller, sich in Manifesten, in Bekenntnissen und
Warnschriften zu äußern, lag ihm nicht. Entsprechend seiner
Vorstellung vom „Gang in die Tiefe“, zu wirklicher Erkenntnis,
experimentierte er mit Verfahren, die dem Menschen alles abverlangen
sollten, um ihn bereitzumachen, nicht die erste beste, sondern die
radikale Lösung zu wählen. Zur richtigen Lösung sollten die
Menschen nicht verführt, sondern vorbereitet werden. Dazu bot Brecht
ihnen die Literatur als Trainingsfeld an.
Totes
Theater, Seite 265:
Warum hielt er denn dieses
Theater für tot, für gestorben? Weil es keine wirklichen Interessen
mehr ansprach; weil es ein Publikum bediente, das gar keinen Appetit
mehr zeigte, das mäklig war oder einfach hinunterwürgte, was es
vorgesetzt bekam; weil dieses Theater nicht auf die Phantasie des
Körpers und die Phantasie des Geistes baute, sondern nur Gefühl
offerierte; weil es kein Interesse am Stoff mehr hatte, sondern nur
noch an der Verpackung; weil es letztlich seinen Produzenten selber
keinen Spaß mehr bereitete, der doch die Lebendigkeit des Theaters
ausmacht.
Um
Aufhellung und Veränderung, Seite 426:
Freuds
Analyse verstand sich als
Lebenshilfe, Aristoteles´ methodisches Verfahren lief auf Reinigung,
auf Entlastung aufgestauter Spannung und Furcht hinaus. Beide
Methoden dienten dazu, den Menschen in ihrem unerbittlichen
Existenzkampf Erleichterung zu verschaffen. Brecht jedoch wollte
nicht Milderung, sondern Aufhellung dessen, was die menschliche
Existenz, das menschliche Zusammenleben bedrohte. (…) Im
Unterschied zu den Linderungsmitteln, die die bisherige Kunst mit
Einsichten verbinden, wie sie die materialistische Dialektik
erschloß. Nicht Linderung, nicht Beistand, nicht Hilfe, sondern
vielmehr Abhilfe sollte sie schaffen, auf Veränderung sollte sie
aussein.
Willig
dem Metzger folgen?, Seite 437:
Mit
unbarmherzig satirischer Diktion schrieb er (Brecht, H.P.) dagegen
die „Hitler-Choräle“. Hier wollte er die Dummheit, die korrupte
Bereitwilligkeit des Kleinbürgers treffen, aber auch das
Kleinbürgerliche, das selbst in der Arbeiterklasse steckte. Vor
Augen hatte er dabei ein Verhalten, das vor jeder entschiedenen
Maßnahme zurückschreckte, das keine Erkenntnis mehr scheute als
die, daß es Ausgebeutete und Ausbeuter gibt. Ihm lag daran, jene
Haltung anzuprangern, die immer nach den versöhnlichen, den
bequemen, den im Grunde folgenlosen Lösungen verlangte und so mit
einer gewissen Zwangsläufigkeit jeder gemeinen Lüge, jedem brutalen
Betrug aufsaß. Dafür prägte Brecht die Metapher vom Kalb, das
willig seinem Metzger folgt.
Dialektische
Denkkultur, Seite 640/641:
Über
die materialistische Grundlage der neuen dialektischen Denkkultur
notierte er in sein „Arbeitsjournal“: (…) ... es ist hohe zeit,
daß die dialektik aus der wirklichkeit abgeleitet wird, anstatt daß
man sie aus der geistesgeschichte ableitet und aus der wirklichen nur
beispiele für die gesetze auswählt.“ In diesem Zusammenhang kam
er ganz zwangsläufig auf die Demokratie zu sprechen. Er schlug vor,,
eine formale Demokratie anzustreben, von der man aber schon vorher
wisse, sie werde nur bestimmte Zwecke zu erfüllen haben. Erst die
Diktatur des Proletariats könne als eine nichtformale Demokratie
aufgefaßt werden, nur so habe die Menschheit eine Chance, zu
verträglicheren Formen des Zusammenlebens zu gelangen.
Werner
Mittenzwei: „Das Leben des Bertholt Brecht oder Der Umgang mit den
Welträtseln“, Bd. 2,
Aufbau-Verlag
Berlin 1986
Menschlich
Allgemeines? Seite 303/304:
An die Stelle allgemeiner
Wandlungsaufrufe – hier polemisierte er mit Johannes R. Becher –
müsse die klare Erörterung der politischen Lage treten. Doch gerade
hier vermißte er jeden Ansatz. Statt dessen beobachtete er eine
Wendung ins menschlich Allgemeine, so, wenn Johannes R. Becher (…)
erläuterte, daß demokratisch nur bedeuten könne, einfach
menschlich zu sein, den anderen achten und als gleichberechtigt
respektieren, daß ein tiefes Gefühl „der Zusammengehörigkeit und
des Aufeinaderangewiesenseins aller menschlichen Kreatur“ die Basis
einer menschlichen Haltung sei, ausgerichtet auf Menschenwürde,
Gerechtigkeit und Frieden. In einer derartigen Wandlungsideologie
fand Brecht zuviel marxistische Denkkultur preisgegeben.
Befohlener
Sozialismus, Seite 306:
Er befürchtete eine neue
deutsche Misere, weil das Proletariat auch im Osten Deutschlands
nicht zu begreifen schien, daß, wie er formulierte, „ein
befohlener sozialismus besser ist als gar keiner“. (…) Die so
etablierte Diktatur des Proletariats betrachtete er jedoch als eine
Möglichkeit, eine neue Gesellschaftsordnung aufzubauen.
Kritisches
Verhalten, Seite 538/539:
Für unentbehrlich in jeder Zeit
und jeder Lage hielt er kritisches Verhalten. Angewandter Marxismus
galt ihm als kritische Einsicht in die jeweilige politische
Situation. Für ihn ließen sich Berge nicht einfach durch
Begeisterung und Elan versetzen, dann schon eher durch schoningslose
Analyse. Im Unterschied dazu ging die politische Propaganda mehr
davon aus, daß, wenn das Ziel gesetzt ist, alle zu zu ihm führenden
Unternehmungen in ihren Mitteln und Methoden gleichfalls als
uneingeschränkt positiv zu gelten haben. Fehler, Mißgriffe,
Schädigungen wurden nicht als beträchtliche Spesen auf dem Weg des
Fortschritts begriffen, sondern lediglich als Machenschaften des
Gegners hingestellt. (…) Gegen diese pragmatische Politik setzte
Brecht die harte These, die Hoffnung in den Widersprüchen zu suchen.
(…) Marxistische Politik bestand für ihn darin, mit Hilfe der
marxistischen Dialektik die Widersprüche so zu diagnostizieren, daß
für die arbeitenden Menschen die gegenwärtig mögliche
Lösungschance berechenbar wurde.
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