Lieber Harry,
wieder eine interessant
geschriebene Rezension, auch diesmal aus der bürgerlichen Ecke,
Stephan Hebel von der „Frankfurter Rundschau“ macht sich Gedanken
über die deutsche Welt und das Darüberhinaus.
Deine Zusammenfassung
des Sachbuches geht auf die wesentlichen Momente ein, wobei du
versuchst, deine eigene Sicht draußen zuhalten. Interessanter wäre
für mich aber, wenn du deine Standpunkte mit einbringen würdest,
aber das ist wohl nicht dein Konzept.
Meine Ansicht zu den
Hebelschen Überlegungen will ich dir aber nicht vorenthalten.
Hier äußert ein Mann
aus dem bürgerlichen Spektrum der Gesellschaft Bedenken, dass es so
nicht weitergehen kann und darf mit Deutschland, und dies tut er auf
sehr geschickte Weise, indem er Schwachpunkte und Defizite benennt,
jeder Politikinteressierte dürfte ihm zustimmen. Ja, er hat recht,
wenn er meint, dass das „Weiter so“ der Regierenden über die
Köpfe der Bevölkerung entschieden wurde, dass sie keinen Widerstand
aufbringt gegen die unsozialen Maßnahmen, dass sie die Rationalität
der Anpassung nicht durchschaut und es folglich keinen Widerstand
gegen noch so große Ungeheuerlichkeiten gibt. Ich erinnere in diesem
Zusammenhang an das heute im Bundestag zu debattierende
Tarifeinheitsgesetz, das den Gewerkschaften auf die kalte Tour das
Recht auf Streik abwürgen wird. Und das von der Einheitspartei
CDU/CSU/SPD/Grüne ganz lässig durchgewinkt werden wird. Kein
Aufschrei vom DGB und selbstverständlich auch nicht von der
Sozialdemokratie, wir sind eine Gesellschaft des heimlich murrenden
Konsenses geworden.
Stephan Hebel will den
Kapitalismus in seiner heutigen Form überwinden, das hört sich ja
fast nach dem Programm der Linkspartei an, allerdings scheute die
sich noch vor dem Einschiebsel „in seiner heutigen Form“. Den
Kapitalismus überwinden – eine schöne Vorstellung. Rechnet er mit
einer Revolution? O nein, Gott bewahre, nur ein bisschen Widerstand
sollte es schon geben, die angepassten Deutschen erscheinen ihm
vielleicht etwas zu widersinnig, allzu schafsmäßig.
Hebel gehört zu dem
intelligenteren Teil der bürgerlichen Fraktion, der elastisch an das
Problem herangeht, nicht auf Konfrontation setzt, sondern ganz
ähnlich wie einst Rathenau nach dem ersten Weltkrieg der Revolution
mit der Einbindung der rechten Sozialdemokratie in die Regierung, in
den Parlamentarismus, den Boden entzog. Und die rief aus: „Der
Sozialismus marschiert!“,während sie jeden sozialistischen
Gedanken in der Arbeiterschaft bekämpfte. Neueres Beispiel der
Sozialdemokrat Brandt mit seiner „neuen Ostpolitik“, die ja kein
anderes Ziel hatte, als den Sozialismus zu erschöpfen und am Ende zu
beseitigen, sozusagen die „Konterrevolution auf Filzlatschen“.
Genau dieselbe Überlegung treibt den Autor Stephan Hebel, ob bewusst
oder unbewusst: systemerhaltende Maßnahmen und Mittel herbeirufen,
aber an den Grundlagen des Systems nicht rühren, damit nicht eine
alles hinwegfegende Revolution, die wir uns heute noch nicht
vorstellen können, das derzeit bestehende Deutschland beseitigt.
Wobei beide Formen der Auseinandersetzung einander bedingen: das
konfrontative Herangehen als Staat, der jede Äußerung seiner Bürger
überwacht, die Gesellschaft militarisieren will, um Eroberungskriege
zu führen, und die sozialen Rechte seiner Bürger beschneidet, wenn
nicht gar beseitigt - und das anscheinend nachgebende, klügere
Herangehen, das Einbinden potentieller revolutionärer Elemente.
Lenin übrigens hielt die zweite Spielart der Auseinandersetzung mit
dem Proletariat für gefährlicher als die erste.
Dass du diesen Gedanken
in deiner Rezension nicht herausgearbeitet hast, empfinde ich als
Defizit, du hast eine „neutrale“ Rezension verfasst, keine aus
marxistischer Sicht. Vielleicht solltest du wirklich überlegen, in
deine Rezensionen Fragen, die du dir stellst, von denen es sicher
sehr viele gibt, einzubringen, um so den Hintergrund solcher sich
aufmüpfig gebender Bücher zu erhellen, die mit ihrer Aufmüpfigkeit
doch nur das System erhalten wollen.
In
einem aber irrt sich Hebel gewaltig: Diese Bundesregierung schläft
nicht, sie wurschtelt, aber sie schläft nicht, stur geht sie ihren
Weg direkt in den eigenen Untergang, sobald sich die Völker ihrer
eigenen Kraft bewusst sind. Wenn es momentan auch nicht so aussieht,
dass das geschehen könnte. Aber Griechenland sollte ihr schon eine
erste Warnung sein.
Liebe Grüße, Hanna
Fleiss
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