„Weltmacht IWF –
Chronik eines Raubzugs“ - Ernst Wolff
Völker im Würgegriff
Buchtipp von Harry Popow
Es sind Wolfszeiten, in
denen wir leben. Warnte nicht schon Aristoteles (384 v. Chr. - 322 v.
Chr.), immer gebe die Ungleichheit „Veranlassung zu bürgerlichen
Unruhen und Revolutionen“? Über zweitausend Jahre später
registrieren die Menschen eine noch nie dagewesene soziale
Ungleichheit: Heute verfügen 85 der reichsten Einzelpersonen der
Welt über 1,7 Billionen US-Dollar und damit über genau soviel wie
3,5 Milliarden Menschen oder die Hälfte der Menschheit. Das stelle
man sich einmal vor: Nur wenige Prozent der Menschen herrschen
diktatorisch über die gesamte Menschheit.
Nachzulesen ist dies in dem von Ernst Wolff
veröffentlichten Buch „Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs“
auf Seite 212. Bezogen lediglich auf den Internationalen
Währungsfonds heißt es im Klappentext: Er erpresst Staaten. Er
plündert Kontinente. Er hat Generationen von Menschen die Hoffnung
auf eine bessere Zukunft genommen und ist dabei zur mächtigsten
Finanzorganisation der Welt aufgestiegen. Die Geschichte des
Internationalen Währungsfonds (IWF) gleicht einem modernen Kreuzzug
gegen die arbeitende Bevölkerung auf fünf Kontinenten.
Der Autor, 1950 geboren,
wuchs in Südostasien auf, besuchte in Deutschland die Schule und
studierte in den USA. Er arbeitete als Journalist, Dolmetscher und
Drehbuchautor. Seit vier Jahrzehnten beschäftigt er sich mit der
Wechselbeziehung von Wirtschaft und Politik.
Ernst Wolff legt mit
seinem Buch faktenreich die dramatischen Folgen einer Politik dar,
die darauf aus ist, neoliberale Reformen durch die Vergabe von
Krediten zu erzwingen. Wenn der IWF neben der Weltbank und der Bank
für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) sowie die
Welthandelsorganisation World Trade Organization (WTO), die EZB und
die EU als ganzes auch keine unbekannten Finanzgrößen sind, so
erschrickt der Leser bei der Unzahl ihrer Feldzüge und
kriegführenden Armeen, um das globale Finanzsystem zu stabilisieren.
Bemerkenswert ist folgende Aussage des Autors auf Seite 131: „Bei
der Suche nach neuen globalen Anlagemöglichkeiten spielten das
Urteil des IWF über die Kreditfähigkeit des jeweiligen Landes“
und seine Folgsamkeit bei der Durchsetzung neoliberaler
Strukturreformen eine entscheidende Rolle. Mit anderen Worten: Um das
zu Bruch gehende kapitalistische System als ganzes zu retten, bediene
man sich der Kreditvergabe. Wer diese in Anspruch nimmt, kommt
bekanntermaßen in Teufels Küche, verstrickt sich in ein Krakennetz
der Verschuldung. Dafür kommen nicht etwa die Schuldigen des
Finanzsektors auf, sondern sage und schreibe die abhängig
Beschäftigten und die Armen.
Mit unglaublicher Akribie
hat der Autor auf 234 Seiten das raubtierhafte Vorgehen des IWF auf
internationalem Parkett dargestellt. Er berichtet über die von den
USA initiierten Anfänge bereits 1944, „die Grundzüge einer
Wirtschaftsordnung für die Nachkriegszeit festzulegen“. (S. 23).
Es ging um „die Fixierung aller Kurse an den US-Dollar“ und um
die „Beschneidung der Souveränität des Rests der Welt durch
die von nun an dominierenden USA“. (S. 15) Mitspracherecht
erhielten die Länder nur entsprechend ihrer eingezahlten Beiträge.
Um diesen Trick und die wahren Ziele des IWF zu verschleiern, sprach
man vom „freien Handel“ und von der „Abschaffung des
Protektionismus“. (S. 16)
Ich halte diese
geschilderte Ausgangsposition des Internationalen Währungsfonds für
überaus wichtig, handelt es sich doch „um eine von den USA ins
Leben gerufene , von ihnen beherrschte und allein auf ihre Interessen
zugeschnittene Einrichtung, mit der die neue Supermacht sich neben
der militärischen auch die wirtschaftliche Weltherrschaft sichern
wollte“. (S. 18)
Mit diesem
Hintergrundwissen ist die aggressive Politik des Kapitals nach 1945
zur ökonomischen Zurückdrängung des Ostblocks, die Einmischung und
die Unterordnung gegenüber solchen Ländern wie Afrika, Chile,
Irland, Jugoslawien oder gar Zypern und Griechenland klarer als
Klassenauseinandersetzung und nach 1989 als Versuch der
Osterweiterung zu verstehen.
So wird Volk für Volk
ausgebeutet, ökonomisch geknechtet - ob Mexiko und Argentinien,
Südafrika und Indonesien. Sogar vor Kriegseinsätzen scheut das
Großkapital nicht zurück, siehe Jugoslawien oder Libyen. Reformen
im Zuge des Neoliberalismus, Armutsbegrenzung, strukturelle
Anpassung, Re-Finanzierung und Schocktherapie – sie führen
unabdingbar zu Armut, Knechtung und größere Abhängigkeit, zu
größeren Ausgaben, zu Entlassungen im öffentlichen Dienst,
Privatisierungen im Gesundheits- und Bildungswesen, zu Lohnkürzungen
und Steuererhöhungen für die lohnabhängige Bevölkerung.
Obwohl der Autor den engen
Zusammenhang zwischen dem IWF und dem Streben des Kapitals nach
Maximalprofit und Weltherrschaft durchaus nachvollzieht, bleibt er –
vor allem bei der nahezu neutralen Beurteilung des
Ost-West-Konfliktes – bei der Charakterisierung der Finanzmärkte
als fehlerhafte Entwicklungen stehen und berührt die tieferen
Ursachen des Konfliktes zwischen Arm und Reich nicht nach den
objektiv herrschenden Eigentumsverhältnissen. Immerhin entlarvt er
die Finanzelite als im Stillen agierende Marionettenspieler, die „als
Inhaber von Banken, Hedgefonds, Versicherungen und Großkonzernen“
das wirtschaftliche Geschehen bestimmen und als Besitzer der globalen
Medien auch das Bild festlegen, „das den Menschen von der Welt
vermittelt wird“ und in denen die Rolle der Finanzmächtigen
weitgehend verschleiert wird. (S. 136)
Fragt man nach der
Veränderbarkeit der Welt, nach Lösungen im Interesse der Menschen,
die ohnehin unter der Kreditwirtschaft – und nicht nur dabei – zu
leiden haben und deren Widerstand immer brutaler unterdrückt wird,
dann muss Ernst Wolff passen, wie viele andere Autoren mit ihm. So
gesteht er auf Seite 217, dass das bestehende System mit zunehmender
sozialer Ungleicheit gezwungen sein wird, „auf immer härtere
Polizeistaatsmethoden zurückzugreifen. Wenn auch diese nicht mehr
wirken, bleiben ihnen nur noch zwei Optionen – die Einsetzung von
Diktatoren und die Entfesselung von Kriegen“.
Der Mensch in der
Zwangslage, ja, ganze Völker, ausgeliefert den wenigen aber
milliardenschweren Finanzoligarchen? Wer als Leser dieses spannenden
Sachbuches die verbrecherischen Machenschaften des IWF und der
Finanzelite im Zusammenhang mit der Allgemeinen Krise des
Kapitalismus und dem anfälligen Epochenumbruch herauszufiltern
vermag, wird auf seine Kosten kommen – und – mehr tun, als nur
den großen Crash abzuwarten. Auch der Autor lässt den Mut nicht
sinken. Er setzt auf neue Chancen, wenn wir die Lügen der Politiker
und der Medien durchschauen und neue „Kampf- und
Organisationsformen“ entwickeln. Eine neue Gesellschaftsordnung
muss her, in der die sozialen Bedürfnisse der Mehrheit im
Mittelpunkt stehen. Für den IWF und andere derartige Organisationen
wird darin aber kein Platz sein. (S. 215) Bis dahin bleiben die
Völker im Würgegriff der Finanzoberen - die Alarmzeichen stehen auf
Rot.(PK)
Ernst Wolff: „WELTMACHT
IWF — Chronik eines Raubzugs“. Tectum Verlag, Marburg 2014, 1.
Aufl. (17. September 2014), Broschiert: 234 Seiten, Sprache:
Deutsch, ISBN-10: 3828833292, ISBN-13: 978-3828833296, Größe
und/oder Gewicht: 15 x 1,8 x 21,3 cm, Preis: 17,95 Euro
Erstveröffentlichung dieser
Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung
NEU: Kritischer geht es nicht – dieser und weitere 55 Buchtipps sowie Notizen zum politischen Zeitgeschehen, gebündelt in diesem Buch:
Harry
Popow: „Platons Erben in Aufruhr. Rezensionen, Essays, Tagebuch-
und Blognotizen, Briefe“, Verlag: epubli GmbH, Berlin, 316 Seiten,
www.epubli.de
, ISBN 978-3-7375-3823-7, Preis: 16,28 Euro
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