Reaktionen auf Landtagswahlen
Von Arnold Schölzel
Bereits am Abend der Wahlen in Sachsen und Brandenburg hakten die deutschen Großmedien die Ergebnisse ab. Spiegel online titelte »Gewohnheits-Rechte« und behauptete: »Der Triumph der Rechten wird im Osten zur Normalität«. Faz.net folgte am Montag mit der Frage, ob die AfD »auf dem Weg zur neuen Ostpartei« sei.
Der rassistische Reflex auf Ostdeutsche ist spätestens seit 1990 koloniale Pflicht. Wer Treuhand-Enteignung, Abwicklung Hunderttausender, eine zu Terrorurteilen neigende Straf- und Sozialjustiz, Strafrenten, Auswanderung von mehr als fünf Millionen und die Entvölkerung ganzer Landstriche, also eine komplette Konterrevolution, auch 30 Jahre nach deren Beginn zu einer »friedliche Revolution« blähen muss, der hat mit den in Ostdeutschland Verbliebenen ein Problem. Da gilt die Devise, die können wirtschaftlich nichts und sind, weil Rot gleich Braun, durchs Herkommen Nazis. Ein Wahlergebnis der AfD wie bei den Landtagswahlen im März 2016 in Baden-Württemberg mit 15,1 Prozent fällt durchs Raster, 13,1 Prozent in Hessen im vergangenen Jahr werden nicht wahrgenommen.
Selbstverständlich sind Wahlergebnisse, bei denen die AfD um die 25 Prozent erreicht, von anderer Qualität. Die Ursachen im Osten dafür sind aber kaum andere als in der 120.000-Einwohner-Stadt Pforzheim, in der in manchen Stadtteilen bis zu 44 Prozent der AfD die Stimme geben. Das Spitzenpersonal stammt aus westdeutschen Regionen. Führungsfaschisten und Reaktionäre jeder Couleur waren und sind ein bundesdeutscher Exportartikel Richtung ganz Osteuropa, dem heutigen wirtschaftlichen Hinterhof der Bundesrepublik. Die Konterrevolutionäre von heute vermuten – offenbar zu Recht – im Osten immer noch ein beachtliches Stimmenpotential, das bislang vor allem von der Ost-CDU ausgeschöpft wurde. Schließlich erhielt am 18. März 1990 bei den Wahlen zur Volkskammer der DDR die damalige AfD, die »Allianz für Deutschland« unter Führung Helmut Kohls, mehr als 48 Prozent der Stimmen.
Enttäuschte Anhänger hat nicht nur die CDU, sondern haben alle Parteien, die den DDR-Anschluss 1990 als Ankunft in der besten aller möglichen Welten feiern, zur Genüge. Am Wochenende veröffentlichten verschiedene Medien, dass mitten im angeblichen Beschäftigungswunder, das hierzulande stattfinden soll, mehr als vier Millionen in Vollzeit Arbeitende Niedriglöhne erhalten. Nur: In Ostdeutschland außer Berlin sind es nicht ungefähr 20 Prozent aller Beschäftigten wie im Bundesdurchschnitt, die damit abgespeist werden, sondern zumeist mehr als 35 Prozent. Es ist eine andere Welt.
Das erklärt nicht alles. Vor allem lässt sich feststellen: Fast 29 Jahre nach der Einverleibung der DDR unter Zustimmung großer Teile der Bevölkerung sind solche Differenzen zwischen West und Ost, die sich vergrößern, statt verkleinert zu werden, politisch gewollt. Die hektische Eile, mit der kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg Dutzende Milliarden Euro für wirtschaftliche Strukturveränderungen angekündigt wurden, hat ein Vorbild: Kohls »blühende Landschaften« waren der Beginn einer der größten Ausplünderungsgeschichten einer Bevölkerung in der Geschichte. Meinte jedenfalls einmal der verstorbene SPD-Politiker Egon Bahr.
Gegenüber Ostdeutschland wie gegenüber der AfD befindet sich die deutsche Bourgeoisie in der Rolle des Zauberlehrlings, dem die selbstgeschaffenen Mächte über den Kopf wachsen. Der bemerkenswerteste Kommentar zum AfD-Ergebnis am Sonntag erschien so schon am Tag zuvor in der FAZ. Die »Zeitung für Deutschland« erläutert schon lange nicht mehr dem politischen Personal in Bonn beziehungsweise in Berlin, der Bundesregierung, die politischen Richtlinien, nennt aber von Zeit zu Zeit, was ist. Am Sonnabend erläuterte FAZ-Koherausgeber Berthold Kohler in einem Kommentar zum 80. Jahrestag des Weltkriegsbeginns, Europa müsse »ein Kontinent der Vernunft, der Mäßigung und des Ausgleichs bleiben«. Angesichts des neusten deutschen Triumphalismus auf dem Kontinent ist das bemerkenswert. Darum ging es dem Autor aber nicht, sondern um das Aufkommen solcher Parteien wie der AfD in EU-Europa, die dem klassischen Konservatismus fast überall Stimmen abjagen. Laut Kohler reife da ein Hass heran, der sich irgendwann entladen müsse. Die »Unkultur« sei »noch nicht auf das Niveau der frühen dreißiger Jahre gesunken«. Doch wer sich frage, »wie die damaligen, zunächst schleichenden Fanatisierungsprozesse in Gang kommen konnten«, dem liefere »die Verrohung und Entgrenzung des politischen Diskurses in der Gegenwart durchaus schon Anschauungsmaterial«.
Wer einmal eine Konterrevolution durchgesetzt hat und sich mit der AfD eine Truppe organisiert, die Sympathien für nazistische Totschläger öffentlich zelebriert, sollte über die Folgen nicht allzu erstaunt sein. Die Partei ist eine Speerspitze des BRD-Establishments. Die FAZ hat selbst an ihrem Erfolg über Jahre tatkräftig mitgewirkt. Wenn Warnungen von dort kommen, sollten sie besonders ernst genommen werden. Die neuen Koalitionen in Sachsen und Brandenburg werden so weitermachen wie bisher, so wie sich beim Umgang des Spiegel mit Ostdeutschland nichts ändern wird. Auf Kriegsgegner und Antifaschisten kommen unruhige Zeiten zu, zumal nach der Selbstaufgabe der Partei Die Linke.
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