Samstag, 1. Juni 2019

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Vom Umgang mit dem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit


05.05.19
Debatte, Sozialismusdebatte, TopNews

Von Dieter Braeg

Im österreichischen Nationalrat klärte vor einigen Wochen die der reaktionär nationalistisch Partei FPÖ angehörige Sozialministerin Beate Hartinger-Klein, bei einer Debatte, völlig unsozial: „Wer schafft die Arbeit? Wer schafft die Arbeit? Wer schafft die Arbeit? Na sorry, die Wirtschaft schafft die Arbeit. Bitte merkt's euch das einmal."

Als nach Ende des ersten Weltkriegs bei dem Millionen Menschen für nichts und wieder nichts auf den Schlachtfeldern Europas verbluteten, trafen sich vom 16. Bis 21. September in Berlin die Arbeiter und Soldatenräte. Dominiert durch die damalige Mehrheitssozialdemokratie angeführte Versammlung unter der Regie von Ebert und Scheidemann, die ein Rederecht den einige Tage später ermordeten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verweigerte, beschloss:

„Der Kongress der Arbeiter und Soldatenräte beauftragt die Regierung mit der Sozialisierung aller hierzu reifen Industrien, insbesondere des Bergbaus, unverzüglich zu beginnen.“ Dieser Antrag wurde mit 344 Stimmen angenommen. Gleichzeitig überwies dieser Kongress an dies Volksbeauftragten bzw. den Zentralrat den Beschluss: “Die Regierung wird beauftragt, mit der Vergesellschaftung des Bergbaus sofort zu beginnen. Bis zu deren Ausführung wird für alle Bergleute ein Mindestlohn gesetzlich festgelegt. Die Arbeitszeit soll von Beginn der Einfuhr bis zur Beendigung der Ausfuhr 8 Stunden täglich nicht überschreiten.“

Nach Ende des 2. Weltkriegs scheiterte die Chance eine andere Gesellschaftsordnung zu errichten. Es gab, vor allem im Ruhrgebiet, Vergesellschaftungs-Forderungen, die mit Demonstrationen und Streiks einhergingen. Der Zonenausschuss der CDU für die britische Zone beschloss in einer Tagung vom 1. bis 3. Februar 1947 in Ahlen das „Ahlener Programm“. Dieses antikapitalistische Programm der CDU dürfte bekannt sein. Verdrängt und vergessen ist, dass damals sogar die CDU für die Ver­staatlichung von Großkonzernen und Banken plädierte! Auf einem CDU-Wahlplakat des Landesverbandes Berlin aus dem Jahr 1946 stand wörtlich:

„Arbeiter der Stirn und der Faust! Wir stehen am Anfang einer Zeitenwende. Das bürgerlich-kapitalistische Zeitalter ist vorbei! Dem Sozi­alismus gehört die Zukunft! Arbeiter! Bist Du für eine sinnvoll gelenkte Planwirtschaft? Dann kämpfe mit uns für einen Sozialismus aus christlicher Verantwortung.“

Was aus diesem „Programm“ samt Wahlwerbung wurde, zeigt die tägliche Realität in diesem nicht-unserem Lande. Wer diesen Teil der Geschichte nach 1945 mit seinen vielen vertanen Chancen studieren will, kommt auch an Viktor Agartz (1897-1964) nicht vorbei. Vor nunmehr 60 Jahren hielt er auf dem DGB-Kongress des Jahres 1954 in Frankfurt am Main eine dreistündige Rede und kritisierte scharf den Weg des DGB samt seiner Illusionen zur Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft. Den Kampf, so Agartz, um eine Umgestaltung der Gesellschaft und Wirtschaft, hätten die Gewerkschaften schon fünf Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik verloren. Agartz nennt die betrieblichen Sozialleistungen „Industriefeudalismus“, die zu einer neuen Leibeigenschaft der abhängig Beschäftigten führen. „Sozialpartnerschaft“ ist für Agartz ein Schlagwort, das die Abhängigkeit der Arbeiter vom Kapital vernebeln soll, und die „Mitbestimmung“ soll Klassengegensätze verschleiern.

Vom 28. bis 30. Juli 1954 fanden „Europäische Gespräche“ im Rahmen der Ruhrfestspiele zum Thema „Die Gewerkschaften im Staat“ statt. Hier referierte auch Dr. Viktor Agartz „Zur Situation der Gewerkschaften im liberal-kapitalistischen Staat“. Seine Kernaussagen:

„Der liberal-kapitalistische Staat verdankt seine Entstehung der liberalen Revolution, die sich vor 160 Jahren im Laufe eines halben Jahrhunderts in den westlichen Staaten Europas und den Vereinigten Staaten durchgesetzt hat. Man ist gewohnt, den Begriff der Demokratie wie den der Freiheit und der Gleichheit mit dieser liberalen Revolution zu verbinden, sie sogar als einen integrierenden Bestandteil des Liberalismus zu erklären.

Der Begriff der individuellen Freiheit war politisch irreal, weil für das politische Einzelwesen eine Freiheit nicht möglich ist, wenn man sich nicht zur Schrankenlosigkeit, zum Anarchismus bekennen will. Die individuelle Freiheit ist für den Liberalismus die Grundlage der gesellschaftlichen Ord­nung. Der Liberalismus führt die Gesellschaft auf das Einzel­wesen zurück, und darum gehen in einem liberalen Staate die Grundrechte stets den Rechten der Gemeinschaft vor. Für den Liberalismus stehen die Einzelpersonen neben- oder gegen­einander in der Erwartung, dass die Vielfalt, der sich aus dem Nebeneinander und dem Gegeneinander ergebenden Wirkun­gen letztlich in einer Harmonie endet; und somit ist die Ge­sellschaft in einer liberalen Ordnung stets eine Summe von Einzelwesen, nicht aber eine Gemeinschaft vergesellschafteter Menschen.

Weil der Liberalismus von der Vereinzelung aus­geht, benötigt er für die Sicherung des Zusammenlebens eine Organisation, die kraft ihrer Herrschaft und ihrer Autoritäten Schutz aller zu sichern hat. Der Liberalismus will die Gewalt dieser Organisation zwar beschränkt wissen und die Herrschaft nur in den Grenzen sehen, die dem Schutzbedürfnis der einzelnen entsprechen. In dieser Weise bejaht der Liberalismus den Staat als Herrschaftsstaat.

Auch die Demokratie wird gewöhnlich mit der liberalen Revolution in Verbindung gebracht - nicht ganz zu Unrecht. Das liberale Bürgertum hat sich in seinem Emanzipationskampf die Idee der Volkssouveränität zu eigen gemacht, solange es selbst zu den Unterdrückten gehörte. Während über den Staat als eine Erscheinung des gesellschaftlichen Lebens eine Vorstellung vorhanden ist, kann eine gleiche Aussage für die Demokratie nicht gemacht werden. Die Demokratie ist kein Wesensbestandteil des Staates an sich, sondern bezeichnet immer nur eine ganz bestimmte Staatsform. Daher kann man auch nicht die Demokratie an sich begreifen, sondern nur als die Idee eines Staates unter bestimmten Voraussetzungen.

Rousseau hat die Idee der Demokratie als Volkssouveränität richtig als den allgemeinen Willen aller formuliert, das heißt nicht als den Willen einer Mehrheit über eine Minderheit. Er konnte diese ideal richtige, in der damaligen Zeit aber bereits frag­würdige Auffassung als Forderung aufstellen in dem Glau­ben, dass das revolutionäre Bürgertum die Mission habe, die Menschen von allen Herrschaftsgegensätzen zu befreien. Und wenn Rousseau, um das Prinzip der Demokratie zu verwirk­lichen, weiter fordert, „dass jeder etwas und keiner zu wenig hat“, so sah er bereits hier die Tragik der Demokratie im tat­sächlichen Zustande der Gesellschaft.

. . . Das Bonner Grundgesetz war in seinen wesentlichen Ent­scheidungen von den Besatzungsmächten vorgezeichnet. Es ist in seinen Restteilen geformt mit allein rückschauender Sicht auf die Verfassung von 1919. Es hat dagegen keine Kenntnis genommen von der völlig veränderten Wirtschafts- und Sozialstruktur, die der Krieg hinterlassen hat. Wichtiger aller­dings erscheint mir, dass das Grundgesetz durch die Art seines Zustandekommens nicht den Ausdruck der verfassunggeben­den Gewalt des Volkes darstellt. Das Volk ist vielmehr, wie Professor Werner Weber es ausdrückt, mediatisiert worden.

Besonders beachtlich scheint mir in diesem Zusammenhang die Stellung und die Funktion des Parlaments zu sein, das sich des politischen Elementes nach und nach begibt. Parlamente werden allmählich zu Sachverständigengremien, die mit der anwachsenden Exekutive zu konkurrieren versuchen. Ferner übertragen sie bei Ausbreitung justizstaatlicher Ele­mente höchste politische Entscheidungen auf nationale oder internationale Verfassungs- und Schiedsgerichte . . .

 . . . Wir beobachten eine Verlagerung des politischen Elemen­tes auf Gruppen und Verbände; das ist eine Erscheinung, die in allen westlichen Ländern mit unterschiedlicher Intensität beobachtet werden kann und die damit auch den Gewerk­schaften in diesen Staaten eine ganz besondere politische Aufgabe zuweist.

. . . Es ist das gewerkschaftliche Anliegen, eine Rechtsgleich­heit zu schaffen, die nicht durch die wirtschaftliche Macht einer Minderheit unterhöhlt ist. Diese Vorstellungen müssen sich notwendigerweise mit dem Prinzip des heutigen Staates im Gegensatz befinden und teilweise kollidieren. Die Gewerk­schaften haben nicht nur das Recht, sondern auch die staats­politische Pflicht, sich innerhalb des Staates für diese Neu­ordnung einzusetzen, und zwar einfach aus dem Grunde, weil sie bei der Labilität des heutigen - auch internationalen - gesellschaftlichen und staatlichen Zustandes die einzige große demokratische Kraftreserve darstellen, über die unsere mo­derne Gesellschaft verfügt.“

Wieso, frage ich mich, gehört Viktor Agartz zu den „vergessenen Linken“ - genauso wie Theo Pirker, der mit seinem Werk „Die blinder Macht - Die Gewerkschaftsbewegung in der Bundesrepublik“ (erschienen 1960 im Mercator Verlag München in zwei Bänden; Nachdruck 1979 bei Olle & Wolter auch in zwei Bänden - nur noch in wenigen Exemplaren antiquarisch erhältlich) den Weg und die Geschichte der Gewerkschaften dokumentiert, die in der Jetztzeit endet, wo man befürchten muss, dass kleinen Zusammenschlüssen abhängig Beschäftigter das sowieso fast aller Wirkungen entledigte Streikrecht entzogen werden soll.

Nachdem Kevin Kühnert seine berechtigten Forderungen stellte, die aus dieser nichtunseren Gesellschaft wieder eine dem Menschen und der Umqwelt dienende machen sollte, empörte sich die Medienwelt samt der sie bestimmenden Anhämngsel. BILD das Zentralorgan der Bildung der durch sie  Nichtgebildeten verkündete auf der Titelseite der Ausgabe vom 4.5.2019:

„Arbeiter-Wut und Warnungen wegen Enteignungs-Ideen der SPD. Betriebsräte laufen Sturm gegen Sozialisten-Kühnert.“

An der Spitze der Bewegung, das IG Metall Mitglied Manfred Schoch, der sich in der gängigen Press, ohne eigenen Widerspruch, als „BMW Betriebsratschef“ bezeichnen läßt. Er wurde eigentlich demokratisch von den abhängigen BMW Beschäftigten demokratisch bei Betriebsratswahlen zum Vorsitzenden gewählt. Er hat, samt seiner Gewerkschaft längst vergessen, das in der IG Metall einmal zum wichtigsten Bestandteil der Funktionärsschulung der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit gehörte. Mir wurde er von Jürgen Peters, dem späteren Vorsitzenden der IG Metall, in der IG Metallschule Lohr beigebracht und ich habe diesen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit vielen anderen Kolleginnen und Kollegen als Bildungsobmann der IG Metall weiter vermittelt. In Funktionsträgerlehrgängen, bei denen es noch keine „Betriebsratschefs“ gab. Anscheinend ist die Welt doch verkehrter als verkehrt. Wer den Vorbeterinnen und Vorbetern der schon lange asozialen Marktwirtschaft in den Hintern kriecht, der kriegt den Applaus einer Medienindustrie, die schon lange verlernt hat, dass es Interessen der LeserinnenLeser gibt, die man nicht der Meinung der Kapitalanzeigenkunden unterzuordnen hat.

Kommen wir zurück zu Frau Hartinger-Klein und der Kurz-Strache Regierung der sie angehört. Die Aussage zur Frage wer Arbeit schafft, entbehr, liebe Frau Asozialministerin allen gängigen Wirtschaftstheorien – klassische Nationalökonomie, Ordoliberalismus, Keynesianismus, Monetarismus und marxistischen Thesen. In Kurz/Stracheösterreich ist die 60 Stundenwoche Gesetz. Der Karfreitag, bisher zumindest Feiertag für alle Protestanden wurde abgeschafft. Die noch soziale Wohnungspolitik in Wien, noch regiert durch SPÖ und GRÜNE, nähert sich dem Ende. Sie soll, so die Idee der Kruz/Strache Partei durch „Wohnungseigentumsförderung“ ersetzt werden. Was schafft Arbeit? „Mir nehmens den Armen und geben’s den Reichen“ – sollte die Antwort an die Asozialministerin Hartinger-Klein lauten.

Auch die Firma Sixt liefert zur Aussage von Kevin Kühnert eine Meinung:“Lieber Kevin, gerne gleich alle Autobesitzer enteigenen.“

Ich wußte gar nicht, dass Sixt umstellen muss, auf Pferdekutschen, weil die Leasingflott ist ja enteignet!

Ey wie wär’s – kein Auto, kein Haus, kein Boot! Kapitalismus muss weg!

Dieter Braeg







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