SOLDATEN
FÜR DEN FRIEDEN (Teil zwölf)
Leseprobe
aus „AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder“ im 70.
Jahr der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949
Der
Autor Harry Popow wurde 1936 in Berlin-Tegel geboren, wuchs in der
DDR auf, arbeitete als Militärjournalist im Dienstgrad
Oberstleutnant in der NVA und betätigt sich heute als Blogger,
Buchrezensent und Autor. Er ist seit 1961 sehr glücklich
verheiratet.
- Posten auf dem Damm
- Hochwasser im Norden der DDR. Die Deiche
an der Oder/Neiße könnten brechen. Oder mutwillig zerstört
werden. Die Armee muss sie schützen. Auch Henrys Zug muss ran.
Henry hebt manches Schriftstück auf, so z. B. Briefe der
Einsatzleitung der KKK-Schwedt/Oder an ihn, den Vorgesetzten: „An
die Genossen Abschnittsleiter. Mit Kurier erfolgte die Auslieferung
von 20 Fackeln für die Ausleuchtung des Deiches bei der
Feststellung von Gefahrenstellen. Die Fackeln sind so im Abschnitt
zu lagern, dass die Verwendung bei Gefahr sofort möglich ist. Die
trockene Lagerung ist dabei zu berücksichtigen. Im Zuge der
Information ist über die Lagerungsorte zu berichten.“
2. Brief: „Gemäß gegebener Weisung war
bis zum 13.7.58 ein Plan über die im Abschnitt vorhandenen
Materialien für die Deichverteidigung zu erarbeiten ... Welche
Reservekräfte stehen den Abschnittsleitern zur Verfügung?
(Insassen von Internaten, Lehrlingsheime, Erntehelfer,
Bevölkerungsteile usw.) (...) Die gegenwärtige Kampfaufgabe,
Schutz unseres Kreises vor den Wassermassen der Oder, fällt in der
Zeit der Durchführung des V. Parteitages der SED. Die Lösung der
schweren Aufgabe zur Abwendung einer Katastrophe muss verbunden
werden mit der Information über die großen Perspektiven des
sozialistischen Aufbaus in der DDR. Das Studium der Dokumente des V.
Parteitages muss deshalb durch die rechtzeitige Bereitstellung der
Parteipresse gewährleistet sein. B., Oberleutnant der VP.“
Ein Brief von seiner Mutter, der Henry wieder einmal traurig stimmt: „Immer noch keine Post von Dir. (...) Meine Arbeit ist nicht schwer, aber die Menschen um mich machen es mir unerträglich schwer. Ich werde schief angeguckt, viele grüßen mich nicht - man gibt mir zu verstehen, dass ich eine ‚Fremdkörper‘ bin. Nur der Kaderleiter sagt mir ‚durchhalten, Kopf hoch‘. Seelisch leide ich aber sehr, da ich, welche seiner Zeit in Pommern im Jahre 1943-44 ohne Zögern Kriegsgefangenen Nachrichten aus Moskau hören ließ, und am Rande der Vergasungsbunker in einem KZ nur durch Zufall vorbeigegangen bin - alles um eine neu, besseres Deutschlands willen, heute nach 13 Jahren Sieges über den Faschismus, werde ich in einem rein Deutschem Unternehmen wie eine Ostarbeiterin im Jahre 1942 behandelt. (...) Es sind natürlich nur bürgerliche Kräfte, aber deren sind viele.“
Goethes „Faust“. Ein Reclamheft. Zerfleddert in Henrys Gesäßtasche. Auf dem Weg vom Mittagessen zur Baracke, wo seine Kompanie untergebracht ist, fragt er den „Polit“ des Bataillons, ob man eigentlich in der Armee auch schöpferisch arbeiten könne. Henry giert nach einem kleinen Rat, wie man irgendwie dem mitunter stubiden Dienst entrinnen könne, vielleicht wollte er aber nur ein ganz normales Gespräch anknüpfen, vielleicht auch ein wenig provozieren, doch mit einer befriedigenden Antwort hatte er ohnehin nicht gerechnet. Mit dem „ja, ja, im Allgemeinen schon“ des Hauptmanns kann Henry nichts anfangen, und er schwört sich, so schwerwiegende Fragen zukünftig besser für sich zu behalten. Er will selbst etwas schreiben, aber zu verschwommen sind seine Vorstellungen, zu gering seine Erfahrungen. Und doch - ein Drama vielleicht? Er macht sich Notizen. So ein Titel wäre nicht schlecht, würde seine Situation charakterisieren: „Roberto oder die Rebellion des Geistes“?
- Wieder
in Pinnow. Ein Sonnabend. Es ist spät am Abend. Henry ist
Wachhabender. Im Objekt ist es ruhig. Muße, etwas zu schreiben. Vor
kurzem las er das Buch „Das illegale Gebietskomitee arbeitet“.
Hat ihn stark beeindruckt. Doch ihn beherrscht eine freudige
Überraschung. Zugführer werden gesucht, die mehr Schwung in die
sportliche Ausbildung bringen sollen. Sie werden fit gemacht in
einem achtwöchigen Sportlehrgang. Und der findet in Plauen statt.
Henry meldet sich, ja, da ist er dabei. Sonst kann ihm der Sport
eigentlich gestohlen bleiben, aber unter diesen Umständen – Cleo
wiederzusehen? Nichts wie hin. Seit einem halben Jahr hatte er ihr
nicht mehr geschrieben. Er wird viel mehr Zeit für sie haben, denn
er steht nicht mehr unter Druck wie als Schüler. Die
Lehrgangsdauer, so erfährt Henry, erstreckt sich vom 07.10. bis zum
06.12.58. Henry hat über diese Zeit nichts festgehalten in seinem
Tagebuch, aber er erinnert sich, es war sehr lehrreich. Sechs
Stunden Sport pro Tag, mal Theoretisches, mal praktische Übungen.
Das Spitzenereignis: Ein Abfaller Rückwärts ins Schwimmbecken vom
Dreimeterbrett.
Zum
Inhalt
Ausgangssituation ist
Schweden und in Erinnerung das Haus in Berlin Schöneberg, in dem die
Ziebells 1945 noch wohnen. Der Leser erfährt
zunächst, wer die Eltern waren (seine Mutter stammt aus Moskau),
berichtet kurz vom Evakuierungsort 1943/44 in Pommern, von der
Rückkehr in das noch unter Bombenhagel liegende Berlin (Schöneberg),
von den Eindrücken nach Kriegsende und vom Einleben in der neuen
Gesellschaft, dabei auch von einer Begegnung der Jungen Pioniere mit
Wilhelm Pieck.
Die Lehrzeit
wird skizziert mit der Arbeit im Zwickauer Steinkohlenrevier, mit
Tätigkeiten in der Geologischen Kommission der DDR und mit dem
Besuch der Offiziersschule der KVP/NVA in Erfurt und in Plauen, wo er
seine spätere Frau kennenlernte.
Wie lebt ein
junger Offizier in der Einöde im Nordosten der DDR, welche Gedanken
und Gefühle bewegen ihn? Darum geht es in den nächsten
Aufzeichnungen seiner Impressionen. Seine Träume führen ihn
mitunter weg vom Kasernenalltag und so nimmt er die Gelegenheit wahr,
für fünf Monate im Walz- und Stahlwerk Eisenhüttenstadt als
einfacher Arbeiter tätig zu sein.
Durch
Versetzungen gelangt er nach Potsdam. Dabei kommen Querelen des
Alltags als Ausbilder und später als Politoffizier nicht zu kurz.
Ein Glücksfall für ihn, als er nach Neubrandenburg in einen höheren
Stab als Redakteur berufen wird. Er beginnt ein Fernstudium als
Diplomjournalist an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Inzwischen
ist er längst glücklich verheiratet. Die Höhen und Tiefen eines
Militärjournalisten – die zwingen ihn, vieles neu zu überdenken.
Vor allem als einstiger Ausbilder gelingt es ihm, die Probleme der
Soldaten immer besser zu verstehen und sie bildhaft zu schildern.
Die spätere
Arbeit als Abteilungsleiter in der Wochenzeitung „Volksarmee“
macht ihm nicht nur Spaß, er nimmt auch Stellung gegen
Ungereimtheiten, was ihm nach der Entlassung aus dem aktiven
Armeedienst und der Tätigkeit als Journalist im Fernsehen der DDR
nicht nur böse Blicke einbringt. So fährt er im September 1989
seiner Tochter nach Ungarn hinterher, um herauszukriegen, weshalb sie
mit ihrem Partner abgehauen ist; er gibt ihr dabei das Versprechen,
sie in keiner Weise als Tochter zu verurteilen. Nach seiner Rückkehr
wird er mit einer Parteistrafe gerügt, die Wochen später angesichts
der vermeintlichen Verstöße und Fehler durch die Politik nicht mehr
relevant scheinen und wieder gestrichen wird. Auf Unverständnis
stößt er auch bei seinen Mitarbeitern, als er nach der Teilnahme an
der Dokumentarfilmwoche1988/89 in Leipzig angeblich nicht die
erwarteten Schlussfolgerungen zieht.
Nach der
Wende: Versuche, arbeitsmäßig Fuß zu fassen, u.a in Gran Canaria
und in einer Steuerfirma. Die Suche nach Alternativen, günstiger zu
wohnen, sowie die Sehnsucht nach Ruhe führt das Ehepaar nach
Schweden.
Episoden aus dem Dorfleben und von vielen Begegnungen,
so z.B. bei der Geburtstagsfeier einer siebzigjährigen Schwedin,
machen den Alltag und die feierlichen Momente in der „Stille“
nacherlebbar. Keine der in der DDR erlebten Widersprüche und
politischen Unterlassungssünden wirft den überzeugten Humanisten
aus der Bahn, wogegen die Kapitaldiktatur mit ihren hörigen Medien,
politische Manipulationen und Lügen im angeblich so demokratischen
Deutschland ihn aufbringen – er bleibt ein Suchender!
Harry
Popow:
AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten.
©
Copyright
by Harry Popow, Verlag: epubli, Druck: epubli – ein Service der
neopubli GmbH, Berlin, Erscheinungsdatum 18.02.2019, ISBN:
9783748512981, Seiten: 500, Preis: 26,99 Euro
https://www.epubli.de//shop/buch/AUSBRUCH-AUS-DER-STILLE-Harry-Popow-9783748512981/83705?
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