Eine
Dokumentation zu Staatsjagden in der DDR / Autor Peter Schreiber
Buchtipp
von Harry Popow
Der
sehr verständliche Strom von Erinnerungslektüre ehemaliger DDR-Bürger reißt
nicht ab. Gott sei Dank, möchte man da sagen. Es wird noch eine lange Zeit
dauern, ehe Rot- und DDR-Hasser akzeptieren, was war: Die DDR als bitter
notwendigen Versuch einer Alternative zu einem kapitalistisch geprägten
Deutschland, um jegliche Gefahr eines neuen Völkermordens von vornherein in die
Schranken zu weisen – ein für allemal. Nun ist es anders gekommen, und gerade
deshalb ist es so sehr wichtig, die Erinnerung an die Startversuche zu einem
echten Friedensstaat wie die DDR einer war, aufrecht zu erhalten. Um der
Zukunft willen.
Deshalb
sei all denen, die mit ihren Lebenserinnerungen im Grunde genommen zur
Geschichtsschreibung beitragen, um so jeglichen Wahrheitsverschleierungen und Fälschern
Paroli zu bieten, zu danken. Nun stehen private Lebenserinnerungen nicht
unbedingt als pars pro toto für die Komplexität der DDR-Geschichte und ihrem
Wirken im Bund der sozialistischen Länder, aber sie fügen sich letztendlich wie
ein Mosaik zu einem Gesamtgemälde zusammen. Das trifft besonders auf jene Texte
zu, die hinter die Kulissen staatlicher und parteilicher Macht schauen und so
die Vielfalt der kollektiven Anstrengungen beleuchten, die den im Kalten Krieg
so störanfälligen Arbeiter-und Bauern-Staat zu schützen suchten.
Einer
der DDR-Bürger, die mutig zur Feder griffen, ist Peter Schreiber aus Erfurt.
Der 1940 in Arnstadt Geborene erlernte den Beruf eines Fleischers, was sich
später in den Reihen der Nationalen Voksarmee als sehr nützlich erwies: Er
wurde im Stab der 4. Mot.-Schützendivision in Erfurt Oberoffizier für Planung
und Beschaffung und Leiter der Unterabteilung Verpflegung. Mehr noch – ihn
befahl man zum Aufbau der Jagdlager für die Staatsjagden im Bezirk Erfurt. Wie
im Klappentext zu lesen, war der Oberstleutnant a. D. mit dafür verantwortlich,
sowohl die jeweilige Jagd als auch die Betreuung und Versorgung der Jagdgäste,
also vor allem der Staatsführung und deren Gäste, die Vertreter des
Diplomatischen Corps, sicherzustellen.
Man
kann sich vorstellen, welche hohe Verantwortung den Organisatoren solcher
Staatsjagden oblagen: Besonders auch für die Sicherheit der Gäste. Ging es doch
darum, zu Beginn der sechziger Jahre, wie der Autor schreibt, alles zu
unternehmen, um die internationale Anerkennung der DDR weiter auszubauen.
Selbstverständlich wurden dazu auch Staatsjagden genutzt.
In
einem 82 Seiten umfassenden Büchlein mit 79 Abbildungen, der Autor nennt den
Text „dokumentierte Erinnerungen“, berichtet er von insgesamt zwölf Jagden, die
von 1965 bis 1989 im Bezirk Erfurt stattfanden. Was unvermeidbar bei dieser
Aufeinanderfolge von immer wiederkehrenden Abläufen ist: Wiederholungen von
Eindrücken, Erlebnissen, Schwierigkeiten.
Nichtsdestotrotz
ist man beim Lesen stets gespannt, welche Episoden und Begegnungen Peter
Schreiber in seinen Erinnerungen besonders lebendig hervorhebt. Sind schon die
Jagd und die Vorbereitung für manche Leser interessant genug, so erst Episoden,
die die große Fürsorge für die hohen Staatsgäste, deren Sicherheit und auch die
vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Organisatoren betreffen.
Wer
weiß schon, dass zum Beispiel darauf verzichtet wurde, auf Hochwild zu
schießen. Der Grund: Dazu wären Kugelwaffen nötig gewesen, in deren Gebrauch
allerdings nicht alle Vertreter des Diplomatischen Corps geübt waren. Wer hatte
nun das Glück, ins Schußfeld der Jäger zu kommen? Die Feldhasen!
Der
Autor versteht es, die Staatsjagden in den Kontext der zunehmenden weltweiten Anerkennung
der DDR zu stellen. So entwickelten diese sich nach der Aufnahme der DDR und
der BRD in die Vereinten Nationen im Jahre 1973, und nachdem Erich Honecker das
Amt des Vorsitzenden des Staatsrates übernahm „zu einer Tradition in der DDR,
(…) zu einem gesellschaftlich bedeutenden, medienwirksamen Ereignis.“ (S. 14)
Vor allem nach der Konferenz in Helsinki 1975 seien immer mehr Diplomaten
akkreditiert worden.
Bisher
legten die Jagdgäste darauf Wert, von keiner Partei eingeladen zu werden,
sondern vom Staatsoberhaupt. Nun gab es eine Änderung: Seit 1976 lud nun auch
der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED zur Jagd ein. Nichts wurde dem
Zufall überlassen, so besonders dann nicht, als erstmalig der Ständige
Vertreter der BRD in der DDR, Günter Gaus, am organisierten Sonderprogramm
teilnahm sowie ein Kamerateam des ARD-Studios unter Leitung des Korrespondenten
Fritz Pleitgen eine Sendung über die Arbeit des Ständigen Vertreters vorbereitete.
Nicht
dem Zufall überlassen wurde auch die Sitzordnung im Speisezelt, denn hier
sollten „bestimmte Verhandlungen“ angebahnt werden. Streng überprüft wurden
auch alle Teilnehmer der Jagdgesellschaften wie Jagdhelfer, Jagdhornbläser,
Hundeführer und Ordonanzen, ob sie auch eine „reine Weste“ hatten, also
vorwiegend um Westverwandtschaft usw. „Besonderer Wert wurde darauf gelegt,
dass die Begleiter der Diplomaten einen guten Leumund“ hatten und „in allen
Fragen gute Staatsbürger waren.“ (S. 70)
Was
die Verpflegung anbetraf, so wurden u.a. Erbseneintopf mit Bockwurst, Tee mit
und ohne Rum, Erfurter Braugold Bier sowie alkoholfreie Getränke gereicht.
Dabei wurden nur Produkte aus dem Bezirk Erfurt verwendet.
Verständlich,
dass die Organisatoren auch auf die verschiedenen Bedürfnisse und Gewohnheiten
der hohen Gäste zu achten hatten. So wurden für jene Gäste, die aus religiösen
Gründen kein Schweinefleisch essen durften, aus dem Geflügelschlachthof Nohra
Suppenhühner besorgt, die übrigens, so der Autor, stets eine hervorragende
Qualität hatten. Einmal baute man auch ein Gebetszelt auf, dass, mit Teppich
ausgelegt und nach Osten ausgerichtet, allerdings nicht genutzt wurde. Und für
die Hasen wurden im Gelände extra Zuckerrübenschwänze und –blätter ausgelegt,
denn sie sollten sich „wohlfühlen“.
Vonnöten
war eine umfangreiche materielle Sicherstellung: Das betraf die Speisezelte,
die Telefonverbindungen für die Gäste und für die Regierungsmitglieder, z. B.
spezielle abhörsichere SAS-Telefonapparate und auch selbstverständlich eine
größere Wachsamkeit und Sicherheit in Vorbereitung und während der Jagden.
Mitunter
gerieten die Gastgeber auch in Bedrängnis. So, als der französische Botschafter
sich zum Erbseneintopf ein Glas Weißwein aus der Region wünschte, der jedoch vor
Ort nicht vorrätig war. Starkes Klopfen an der aus „Sicherheitsgründen“
geschlossenen Konsumverkaufsstelle bewirkte, dass doch noch ein regionaler Wein
„erbeutet“ werden konnte, der den Namen „Natalie“ trug. (Er war, so der Autor,
nur Kennern geläufig und zählte mit seiner lieblichen Süße zu den „Trockenen
Weinen“.) So wurde der Botschafter zufriedengestellt.
Wer
das Büchlein liest, das ist in wenigen Stunden zu schaffen, der kommt nicht um
ein vergnügliches Schmunzeln herum, und das ziemlich oft. Beispielsweise
durften die von Militärattaches erlegten Feldhasen (es waren zeitlich getrennte
Jagden) nicht die Anzahl der von den Diplomaten erlegten Tiere übersteigen.
Andererseits sollte die Trefferquote von Jagd zu Jagd übertroffen werden. Man
verfiel auf die Idee, etliche Hasen bereits vor der eigentlichen Jagd zu
erlegen, um sie dann auf die „Strecke“ zu legen. Doch ohne Erfolg, denn die
zuvor geschossenen hartgefrorenen Tiere verschwanden unter dem Schnee oder,
falls aufgewärmt, nahmen eine „stramme Haltung“ ein und „fielen wie ein steifes
Brett auf den Streckenplatz.“ (S. 57)
Was
die sprachliche Gestaltung dieser Dokumentation betrifft, so möge man Nachsicht
haben und eher den Mut und die Energie bewundern, die der Autor Peter Schreiber
aufbringt, ordentlich aus der Schule seines sinnerfüllten Lebens zu plaudern.
Der
Oberstleutnant a. D. freut besonders, dass Erich Honecker bei keiner Jagd
vergass, die Leistungen der NVA-Angehörigen bei der Sicherstellung der Jagd
extra hervorzuheben. Ob er sich auch bei den sich für den Staat aufopfernden
Feldhasen bedankte, dürfte ein Gerücht sein. Allerdings gerieten sie auf der
anderen Seite der Staatsgrenze zur BRD möglicherweise auf die schwarzen Listen
des Verfassungsschutzes, denn sie waren ja immerhin „staatsnahe“ Tiere. Nach
Aussagen von schwatzhaften Gernegrößen, die es ja wie Sand am Meer gibt, seien
sie auf den Listen noch nicht gestrichen worden…
(„Staatsjagden
im Bezirk Erfurt 1971 – 1989“ / Autor Peter Schreiber. Verlag Rockstuhl, Bad
Langensalza/Thüringen, ISBN 978-3-86777-460-4, 1. Auflage, 82 Seiten mit 79
Abbildungen, Preis: 12.95 Euro)
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