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Mein Leben mit Rindviechern … / Dr. Rolf Funda
Mein Leben mit Rindviechern … / Dr. Rolf Funda
Meine Meinung
zu einem Buch der privaten Erinnerungen / Harry Popow
Hellwach
ist der Mann. Aktiv ist der Mann. Will als über Siebzigjähriger eine feste
Bleibe für Erinnerungsliteratur einstiger DDR-Bürger aus dem Boden stampfen.
Kommt in die Zeitung. Wird interviewt. Dr. Rolf Funda heißt unser Mann. Ziemlich
bekannt als Tierarzt im Norden der damaligen Republik. Nach der sogenannten
Wende im Landtag von Sachsen-Anhalt tätig. Und als Bürgermeister in Löderburg.
Und, und, und… Ein Tausensassa!
Und
nun hat er sein Fühlen, Denken und Handeln zu Papier gebracht. Mit einem
schwerwiegenden Buch, das immerhin 410
Seiten umfasst. Titel: „Mein Leben mit Rindviechern, Politikern und Menschen“. Das
erste Schmunzeln beim Leser ist ihm damit schon sicher. Da steht er nun,
blättert all seine Erlebnisse, Träume, Abenteuer, Erfahrungen und auch Missgeschicke
hin, nimmt zur Genugtuung der Leser manche Ungerechtigkeiten und Borniertheiten
aufs Korn. Das alles allerdings zu lesen nur für seine Kinder, Enkelkinder, nahe
Verwandte und gute Bekannte.
Ein
starker Charakter, der sein sinnerfülltes Leben, sein Wirken, seine erlebten
Werte nicht unter Verschluss hält. Ich jedenfalls habe sein Buch mit
zunehmender Atemlosigkeit verschlungen. Was für ein kraftvolles Menschenleben!
Was für eine selbstlose Hingabe – nicht für sich selbst, für mehr, für die
anderen, für die große Gemeinschaft!
Was
für hörige BILD-Leser und andere leicht geistig vernebelte Kleingeister nahezu
unmöglich erscheinen mag: Ein kleiner Junge im Osten Deutschlands, nach 1945 in
der einstigen DDR als Kuhjunge in der bäuerlichen Landwirtschaft aufgewachsen,
hatte alle Chancen, sich bis zum Tierarzt ohne Kostenbeteiligung
hochzuarbeiten. Was besonders ins Auge sticht: Er hat ein gutes, ein
nutzbringendes Leben hinter sich gebracht. Darauf kann er stolz sein, sehr
sogar.
Ich,
der gleichen Generation wie der Autor angehörend, habe selten eine so
interessante und spannende Autobiographie gelesen wie diese. Allein der große
Abschnitt seiner Kindheitserinnerungen spiegeln ein nicht leichtes aber
vielseitiges und in sozialer Sicherheit vollbrachtes Dasein wider. Dies mag
nicht einmalig sein, dafür aber hat der Autor aus dem Gedächtnis, wie er
schreibt, so eine Menge an Details ans Licht befördert, dass allein schon
deswegen Bewunderung angebracht ist.
Unser
Mann hat etwas zu erzählen und er kann es auch - angefangen von der Kindheit, über
Schule, Soldatsein, Universität, Kreistierarzttätigkeit, Landtagsabgeordneter (nach
der Wende) bis zu den Mühen eines Bürgermeisters. Was zunächst aussehen mag
nach einer etwas langweiligen Chronologie – sie ist es aber nicht. Im
Gegenteil. Der Autor versteht es, in kurzweiligen - nahezu literarisch gestalteten
– Episoden, sein Leben wie ein schönes Mosaik zusammenzusetzen. Es trägt dazu
bei, den Text sehr anschaulich und bewegend zu gestalten. Auch läßt er die
Leser nicht im Regen stehen, wenn er mal
gedanklich vorauseilt, mal zurückblickt und mal kurze Kommentare einfügt. Man
weiß halt, wo man bei ihm dran ist.
Manch
einer mag sich zunächst auch nicht so recht mit zahlreichen Fakten auf dem
Gebiet z. B. der Veterinärmedizin anfreunden, sollte jedoch bedenken, daß
gerade berufsspezifische Details dazu beitragen, die Anstrengungen und Erfolge
der handelnden Personen richtig einzuschätzen.
Auf
entscheidende Werte möchte der Rezensent aufmerksam machen: Das ist die Liebe des
Dr. Funda zu den Menschen, zur Arbeit, zu einem ausgeprägten Verantwortungsbewußtsein
für das, was er tut. Er formuliert das so: „Wenn ich irgendwo mitmache, mache ich
das auch auch immer gründlich…“ Das ist sein hohes Engagement, ob im Kuhstall
oder später als Tierarzt. Das ist nicht zuletzt seine Fähigkeit, sich bei
Widrigkeiten durchzuboxen, dem Mittelmäßgen die Stirn zu bieten. Der Mann hat eben
Charakter. Punkt.
Es
ist eine Freude zu lesen, wie er seinen Vater beschreibt, der als Melker, als
Rindernarr und Rinderfachmann in seinem Kuhstall beste, im ganzen Kreis
bekannte, Ergebnisse erzielte. Dessen Leitspruch: „Der Mensch bestimmt den
Milchstrom.“ Er hatte „während seines gesamten beruflichen Lebens
Pünktlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Sauberkeit zu seinen höchsten Maximen
gemacht“, so sein Sohn Rolf und Autor dieses Buches. Die Arbeiter-und
Bauern-Macht hätte ihn, der seit 1923 Mitglied der KPD war, gerne als
Funktionär eingesetzt, doch er blieb bis zu seinem Tode seinem Kuhstall treu.
Was
Wunder, wenn bereits der fünfjährige Sohn Rolf seine Liebe für den Kuhstall und
für Rinder entdeckte. Er notiert: „Sehr frühzeitug habe ich das Melken erlernt.
Manchmal habe ich unter einer Kuh gesessen und an den Zitzen genuckelt (…)“ Den
Wert der Arbeit auf dem Bauernhof, die körperlichen Plagen und den notwendigen
Fleiß besingt der Autor förmlich mit charakterisierenden Schilderungen: Halb vier ging Vater in den Kuhstall. Er
mußte die Einstreu erneuern, die Kuhfladen der Nacht nach hinten befördern, den
Kühen Schrot und andere Konzentrate geben, melken, füttern, misten, Kühe
putzen, Da auch noch die größeren Kälber, Jungrinder und Schweine zu versorgen
waren, kam der Vater selten vor halb zehn Uhr nach Hause. Nach dem Frühstück Garten
graben, Brennholz hacken, Ziegenstall ausmisten. Und er, der Autor? Er mußte
als Fünfjähriger `Scheiße wegräumen´, das heißt mit der Mistgabel die Haufen
der Kühe wegräumen, damit diese sich ins trockene Stroh legen konnten.
In
späteren Jahren, da war er bereits Wachsoldat und im Personenschutz tätig,
berichtet er von seiner beginnenden Liebe zu Anne, das ist so schön zu lesen
und macht den Autor sympathisch, zumal er noch heute mit seiner Angebeteten
zusammen und sehr glücklich ist. Schmunzelnd nimmt man auch seinen Witz, seinen
draufgängerischen Humor zur Kenntnis. So, als er von einem Propusk (Ausweis)
der Sowjetarmee berichtet, den er einst für Hilfeleistungen in einem Objekt der
Waffenbrüder, das er sehr oft wegen kranker Tiere betreten musste, erhalten
hat. Diesen Ausweis DDR-Behörden vorlegend, bekam er umgehend Zutritt. So hatte
er seinen Spass…
Charakteristisch
für den Bauernjungen und späteren Tierarzt: Seine Ungeduld gegenüber allzu gleichgültigen
Leuten, Feiglingen, Angsthasen, Philistern, Schmarotzern, Wendehälsen… Er
beschreibt seine Haltung so: Er sei immer ans Limit gegangen. Ohne Schonung,
was er auch von anderen verlangte. „Ob es sich um Leute über mir, Partner neben
mir oder mir Unterstellte handelte, war mir völlig egal. Wenn sie nur
halbherzig, ohne Lust und Engagement an die Lösung einer Aufgabe gegangen sind,
habe ich sie heftig und nachhaltig kritisiert“, schreibt der Autor. Sein Vater
sei ja auch so unduldsam gewesen.
Die
Arbeitsweise des Bürgermeisters Funda zum Beispiel: In einer wichtigen
kommunalen Angelegenheit schrieb er nicht ellenlange Briefe, sondern klingelte
bei den Bürgern und suchte das persönliche Gespräch. (S. 359) So handelt einer,
dem die Menschen wichtig sind. Mit innerem Groll denkt er dabei auch an
DDR-Zeiten zurück, da es mit einer der größten Fehler war, „den Bauern alles, aber
auch alles vorzuschreiben und es dann mit aller Macht durchzusetzen“. (S. 260)
Beeindruckend,
wie der Tierarzt die Tierseuchenbekämpfung in der DDR beschreibt. Da mußte
unter der Zeitangabe „X plus zwei Stunden“ nach Feststellung einer Seuche oder
eines begründeten Verdachts das Seuchenobjekt hermetisch abgeriegelt sein. Der
betroffene Landkreis erhielt dann mit Unterstützung des Bezirkstierarztes und
seinen Leuten sehr schnelle Hilfe. „Wenn ich mir heute die
Tierseuchenbekämpfung in diesem Land anschaue, kriege ich das kalte Gruseln“,
so Rolf Funda. Schließlich hatte er zu DDR-Zeiten als Kreistierarzt und damit
im Kreis als oberster Tierseuchenbekämpfer eine zwanzigjährige Erfahrung. So
schreibt er weiter: „Und deshalb kann ich den Dilletantismus der Gegenwart gut
beurteilen. Tritt eine Seuche auf, hüpfen –zig Journalisten zwischen Bauern,
Feuerwehr und THW-Leuten , Beamten und anderen angeblich wichtigen Personen
herum.“
Ob
zu DDR-Zeiten oder dann im Landrat oder als Bürgermeister – Rolf Funda hält
nicht still, wenn er auf Borniertheit und Arroganz trifft, wenn klug
durchdachte Vorschläge im Interesse der Menschen in den Wind
geschlagen werden. Da kann er mitunter mit der Faust auf den Tisch hauen, auch
in Form von Protestbriefen wegen des Sputnikverbotes vor der Wende. Auf Seite
302 schreibt Dr. Funda: „Erst angesichts des drohenden Zusammenbruchs gab ich
mein Schweigen auf und wurde aktiv.“ Am 9. Oktober 1989 schrieb er einen Brief
an den 1. Sekretär der Bezirksleitung Magdeburg, Politbüromitglied Werner
Eberlein. Er forderte dringende Veränderungen, kritisierte scharf die
Stagnation in der SED. Doch „Antwort bekam ich
nicht.“ Ein weiterer Brief folgte. An die Kreisleitung der SED. Auch hier
Sendepause! Nach der Wende protestierte er gegen Berufsverbote (kletterte sogar
über eine Absperrung) und gegen Diskriminierungen gegenüber DDR-Bürgern. Mit
Widerwillen registrierte er vor allem diejenigen ehemaligen SED-Leute, die
schnell ihre Fahnen nach dem neuen Wind drehten, den Schleimern, wie er
schreibt.
Er
macht keinen Hehl daraus, als Wachsoldat dem MfS gedient zu haben.
Gleichermaßen ehrlich gesteht er die Fehler ein, die u.a. auch durch die
„flächendeckende Überwachungstätigkeit“ durch das MfS als einen wesentlichen
Grund für den Zusammenbruch der DDR sieht. Nicht ohne Wehmut stellt auch er –
wie zahlreiche ehrlich gebliebene einstige DDR-Bürger - fest, dass mit „dem traurigen Ende dieser
versuchten Alternative (…) der Kapitalismus seine Tarnmaske vom Gesicht genommen
(hat), zeigt er sich so unersättlich, wie ihn Marx schon beschrieben hat.“
Bleibt
nur hinzuzufügen: Der lebendige Lebensbericht des Dr. Rolf Funda erhält sein
besonderes Gewicht durch die kostbaren Erfahrungen, die der Autor auch nach der
Wende in den verschiedensten Funktionen ausgeübt hat, da er so Vergleiche
anstellen konnte und immer öfter bestätigt bekam – wie kann es anders sein - ,
dass dieses kapitalistische System keine Perspektive hat, keine, die für die
Menschen vor allem in sozialer Hinsicht bitter notwendig wäre. Das Buch des Dr.
Funda - es ist der aufrechte Gang einer starken Persönlichkeit, die den Sinn
des Lebens in einer zukünftigen Zivilgesellschaft, frei von Ausbeutung und
Krieg, sieht. Wie lautete der Spruch seines Vaters? Der Mensch ist es, der den
„Milchstrom bestimmt“. Eben…
Deshalb
der uneingeschränkte Dank an den Trutz-Bauer mit Doktorhut mit guten Wünschen
für seine Bemühungen um eine Erinnerungsbibliothek zur DDR-Geschichte.
(„Mein Leben mit Rindviechern, Politikern und Menschen, Dr. Rolf Funda, Selbstverlag, 410 Seiten)
(„Wer sich ins
Privatleben zurückzieht, ist deshalb kein Feigling, aber wer kämpft, ist kein
Narr.“ Das schrieb Michael Benjamin in seinem Buch „Das Vermächtnis“ auf Seite 67, edition ost)
PS.: Wer sich mit der Erinnerungsbibliothek näher vertraut machen möchte, der wähle folgende E-Mail-Adresse: http://www.erinnerungsbibliothek-ddr.de/
PS.: Wer sich mit der Erinnerungsbibliothek näher vertraut machen möchte, der wähle folgende E-Mail-Adresse: http://www.erinnerungsbibliothek-ddr.de/
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