Die „alternative“ List (Seite 233)
September 1994. Henrys „Nebenverdienst“: Kleine Werbeartikel schreiben für wenig Geld; Leute für Renten- und Lebensversicherungen gewinnen; bei Verlagen redigieren; für „Eismann“ Kataloge an Haustüren anbieten und Eis bestellen lassen; Kunden für ein Kleinunternehmen werben. Und wie geht es weiter? Wie kann man den Miethaien entfliehen? Blättert in Zeitungen, liest Immobilien-Anzeigen. Eine fällt immer wieder ins Auge, stimmt ihn nachdenklich: Haus in Schweden zu verkaufen. Mit Grundstück. Für erschwingliches Geld. Was? Kann man in so einem Haus leben? Auch im Winter? Zunächst schiebt Henry diesen Gedanken wieder weit weg. In Schweden! So weit im Norden. Sagt nichts zu Cleo. Doch eines Tages wirbt eine Agentur mit einer kleinen Ausstellung Schwedenhäuser. Neugier packt ihn. Was hat es damit auf sich? Informieren ist alles. Doch wie bekommt er Cleo dorthin, wie sie überreden? Sie wollte doch von „Häuserkauf“ usw. nichts mehr hören, da das nicht mehr zu schaffen sei. Henry trickst: „Wollen wir spazieren gehen, mal nach Friedrichsfelde?“ Dagegen ist nichts zu sagen. Also setzen sich Cleo und Henry in die S-Bahn. Im Schaufenster der Agentur sieht Henry die Prospekte mit Häusern. „Sieh mal“, sagt er scheinheilig. Sie darauf: „Was soll schon sein.“ Als sie jedoch die Situation erfaßt hat, wehrt sie entschieden ab: „So’n Quatsch nicht wieder, haben kein Geld dafür.“ Sie hat ja so recht, seine Finanzministerin. Aber sie gibt sich einen Ruck, läßt ihren Henry doch nicht alleine in die Ausstellung. Viele Besucher. Deutsche und schwedische Laute. An den Wänden Fotos von sehr schönen Häusern. Darunter auf kleinen Schildern die Preise: 200.000 Kronen, mal mehr, mal weniger. Cleo übersieht die Abkürzung „Kr.“. „Nein, komm, wir gehen, viel zu teuer ...“ Hinter ihr eine zarte Stimme, gebrochenes Deutsch: „Nein, es sind Schwedenkronen, sie müssen rechnen durch fünf.“ Cleo dreht sich um, sieht in ein freundliches Frauengesicht. Da fällt ihr der Denkfehler ein, und da sie superschnell rechnen kann, ruft sie aus: „Das wären ja dann nur etwa vierzigtausend D-Mark!“ Die Schwedin nickt. Henry holt tief Luft. Ein Hauptgewinn kündigt sich an. Diese Hürde wäre genommen. Und tatsächlich, das ist nun „das Thema“ auf dem Nachhauseweg. „Das ginge doch zu machen“, sagt sie nahezu atemlos vor innerer Erregung. Und schon werden Pläne geschmiedet, wird das Für und Wider abgewogen, wird das vielleicht Machbare durchgehechelt. Henrys List für einen guten Zweck.
(Harry Popow - „In die Stille gerettet“. Persönliche Lebensbilder. Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3)
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