In allen Kriegen versuchen die Konfliktparteien, die Öffentlichkeit durch Desinformation und Propaganda auf ihre Seite zu ziehen.
von Joachim Guilliard
Die Berichterstattung zu Syrien ist hierzulande aber in einem Maß davon dominiert wie vermutlich seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr. Einen Höhepunkt bildete dabei der Kampf um Aleppo, für den westliche Regierungen und Medien alle Register zogen. Kaum etwas verdeutlicht das Ausmaß der Propaganda, die wir konsumieren müssen, deutlicher als eine diesbezügliche Medienanalyse.
Fake News und andere Formen der Desinformation
„Fake News“ sind in letzter Zeit zum Top-Thema geworden, meist in Zusammenhang mit dem neuen US-Präsidenten Trump, „den Russen“ und den sogenannten Sozialen Medien. Die öffentlich-rechtlichen Medien und die großen Medienkonzerne reagieren mit der Gründung von Abteilungen für „Faktencheck“. (1)
Unter „Fake News“ werden dabei meist nur frei erfundene oder stark verfälschte Nachrichten, also Falschmeldungen oder Falschnachrichten im engeren Sinne verstanden, die politisch motiviert und gezielt auf Täuschung angelegt sind. Sie werden zudem nur in den sogenannten Sozialen Medien verortet, sowie in den Nachrichtenportalen gegnerischer Staaten. Geht es nach dem politischen Mainstream, so könnte man „Fake News“ als die Falschmeldungen und Unwahrheiten definieren, die nicht von den etablierten Medien selbst verbreitet werden. Angesichts des Glaubwürdigkeitsverlusts, den sie in den letzten Jahren erlitten, sind ihre Einrichtungen zur Faktenprüfung daher auch ein Mittel, die Definitionshoheit darüber, welche Informationen noch innerhalb eines als seriös anerkannten Spektrums liegen, zu bewahren.
Kriegslügen — die verhängnisvollsten Fake News
Nun steht natürlich außer Frage, dass die „Sozialen Medien“ einen besonders guten Nährboden für „Fake News“ bilden, wo sie sich leicht säen und sehr schnell verbreiten lassen, bei Bedarf durch Computerprogramme, den sogenannten Social Bots auch automatisiert.
Wenn wir aber in der Geschichte zurückblicken, müssen wir feststellen, dass die Falschmeldungen, die die schlimmsten Schäden anrichteten, aus der Politik und etablierten Medien selbst kamen beziehungsweise von ihnen verbreitet wurden. Ein berühmt-berüchtigtes Beispiel dafür ist die sogenannte Brutkasten-Lüge, die von einer Werbeagentur kreierte Story über Babys, die irakische Soldaten 1990 in Kuwait aus Brutkästen gerissen hätten. Sie wurde damals von den meisten Medien weiter verbreitet und auch von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Sie trug damals maßgeblich dazu bei, die öffentliche Meinung in den USA zugunsten des ersten US-Krieges gegen den Irak zu drehen. Weitere berühmte Beispiele sind die angeblichen Belege über irakische Massenvernichtungswaffen, die 2003 der damalige Außenminister Colin Powell dem UN-Sicherheitsrat vorlegte, oder die angeblichen Massaker im Kosovo und der „Hufeisenplan“, den Rudolf Scharping der jugoslawischen Regierung angedichtet hatte, um den NATO-Krieg gegen Jugoslawien zu rechtfertigen. Noch gut in Erinnerung sind sicherlich auch die Propagandameldungen über afrikanische Söldner und angeordnete Massenvergewaltigungen in Libyen, mit denen Stimmung für den Libyenkrieg gemacht wurde.
Weit häufiger als mit eindeutigen Falschmeldungen wird jedoch mit sehr einseitigen oder stark übertreibenden Beiträgen versucht, die gewünschte Stimmung für ein politisches Anliegen zu schaffen. Auch wenn es nicht so gewertet wird und auch leicht abzustreiten ist, ist das Weglassen essentieller Teile einer Geschichte, die zum Verständnis und zu ihrer Einordnung nötig sind, letztlich ebenfalls Fake, das heißt eindeutige, klare Desinformation. Im Folgenden wird es daher um alle Formen von Desinformation gehen.
Aleppo und Mossul — Beispiele für Doppelmoral und Propaganda
Wie stark solche Desinformationen zur Durchsetzung herrschender Politik hierzulande eingesetzt werden, lässt sich sehr gut am Umgang von Politik und Medien mit den Kämpfen um Mossul und Aleppo zeigen. Beide zählen zu den schlimmsten Schlachten in jüngster Zeit. Sie stehen aber nicht nur als drastische Beispiele für die Brutalität der Kriege in Syrien und dem Irak, sondern auch für eine extreme Doppelmoral in ihrer Bewertung und für eine Berichterstattung, die weit mehr an den strategischen Interessen der herrschenden Kreise im eigenen Land, als am tatsächlichen Kriegsgeschehen ausgerichtet sind.
„Die Berichterstattung über den Syrienkrieg wird als eine der schändlichsten Episoden in der Geschichte der US-amerikanischen Presse eingehen“, schrieb der renommierte Journalist und Autor Stephen Kinzer in der US-Zeitung Boston Globe. Die Reportagen über Aleppo seien die jüngsten Beispiele dafür, so der einstige langjährige Auslandskorrespondent der New York Times.(2) Wer Berichte über Mossul und Ost-Aleppo vergleiche, könne sehr viel über die Propaganda lernen, die wir konsumieren, meint auch der erfahrene Nahost-Korrespondent des britischen Independent, Patrick Cockburn. (3)
Ein Vergleich der beiden Militäroffensiven zeigt zudem auch große Unterschiede im Vorgehen der syrischen Armee und ihrer Verbündeten und dem der US-geführten Allianz in Syrien und im Irak.
Die Ausgangslage war in den beiden großen Metropolen ähnlich: Sowohl Ost-Aleppo als auch Mossul standen unter Kontrolle radikaler islamistischer Kräfte. Beide wurden von Regierungstruppen mit ausländischer Unterstützung belagert, bombardiert und schließlich gestürmt. Die Darstellung von Politik und Medien hätte jedoch unterschiedlicher kaum sein können.
Die Schlacht um Mossul, wo sich nach Schätzung westlicher Geheimdienste 7.000 bis 10.000 Dschihadisten des sogenannten Islamischen Staat (IS oder arabisch despektierlich Daesch) unter rund eineinhalb Millionen Einwohner verschanzt hatten, wurde durchgehend als Feldzug für die Befreiung begrüßt. Die Offensive zur Rückeroberung Ost-Aleppos hingegen, wo noch 150.000 bis 250.000 Bewohner verblieben waren, aus den Händen von rund 8.000 islamistischen Kämpfern, als ungerechtfertigter, grausamer, verbrecherischer Angriff auf die „Opposition“, die „Rebellen“ oder gar die gesamte Bevölkerung der Stadt verurteilt.
Aleppo — „Inbegriff des Schreckens“
Den Charakter dieser „Opposition“ oder „Rebellen“ im Ostteil Aleppos blendete man dabei völlig aus, wie auch ihr tatsächliches Verhältnis zur Bevölkerung der Stadt. Man ließ so den Eindruck entstehen, es handele sich um fortschrittliche Kräfte und um Stadtviertel, die von der Mehrheit der Einwohner als „befreit“ angesehen würden. Ausgehend von diesem Narrativ entwickelte sich die wohl größte Propagandaschlacht im Rahmen des Krieges in und gegen Syrien. „Aleppo!“ — der Name wurde in deutschen Medien, so Daniela Dahn, geradezu zum „Synonym für einen mythischen Kampf zwischen Gut und Böse.“ (4)
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