Spannung,
Spannung über alles...
Wie tief sollte heutzutage ein Schriftsteller – mögen es denn auch Krimis sein – die Wirklichkeit mit den zahllosen Widersprüchen ausloten, um Leser im Wirrwarr der „Geschehnisse“ zumindesten einen Wink zu geben, eine Leuchtspur, um sich im Leben zurecht zu finden? Da reizt ein Krimi, das Cover ist interessant genug (Hundstage für Greetsiel)-, ihn zu lesen. Ein Tagebuch eines Anwalts, in dem er viel von seinem Leben und seinen Gewohnheiten preisgibt. Das ist menschlich, der Anwalt wirkt sympathisch. Auch durch seine zahlreichen Fingerzeige, wie man sich behaupten muss. Auch Kochrezepte und der liebevolle Umgang mit seinem Hund kommen gut rüber. Natürlich auch die Liebe. Fast ist man geneigt, dem Schreiber den Titel „Handreicher für ein solides Leben“ zu geben. Wären da nicht fünf rätselhafte Morde, die, gespickt mit der mühevollen und gefährlichen Suche nach den Mördern, den Spannungsbogen von Anbeginn aufrecht erhalten.
Das in ICH-Form
geschriebene Buch lässt allerdings nur den jeweiligen schmalen Blick
des Autors auf die Realität zu, weshalb man als Leser gezwungen ist,
dem Autor auf Schritt und Tritt mit all seinen Bedenken, Fragen und
gefährlichen Situationen zu folgen. Gerne zu folgen!! So reiht sich
ein Mord an den anderen, der Anwalt ist der gehetzte Mensch, wo
bleiben die offiziellen Polizeikräfte, die sogar nicht immer mit
viel Feingefühl ihre Aufklärungsarbeit leisten? Ein Einzelgänger,
dieser Anwalt, was ja in der Geschichte der Krimis oft vorkommt. Am
Ende die große Enttäuschung: Eine Geburt eines durch Vergewaltigung
erzeugten Enkelkindes veranlasst den Vater der Frau zu den
wahnsinnigen Versuchen, alle an den Vergewaltigungen beteiligten
Männer möglichst nacheinander aufzulauern und kaltblütig zu
ermorden.
Gewalt in der zunehmend verrohenden kapitalistischen
Gesellschaft – das bleibt als Thema unberührt. Und so legt man das
Buch beiseite und zuckt mit den Schultern: „Spannende Geschichte,
schlimm und schlimm...“ Was bleibt? Es bleibt das spannungsgeladene
Glotzen auf Verhältnisse, im Grunde das Einlullen durch Einfühlung,
weitgehend ohne Fragen nach den gesellschaftlichen Bedingungen, in
denen sogar Polizisten zu Verbrechern werden, ohne Fragestellungen
nach der Politik und nach den Medien,die der Vermarktung jeglichen
Schwachsinns Tür und Tor öffnen. Entpolitisierung durch spannende
Krimis, das steht dem Neoliberalismus gut zu Gesicht. Botschaften
bleiben wieder einmal auf der Strecke.
Harry Popow
Harry Popow
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