„Die Rote Armee
Fraktion. Eine kurze Einführung in die Geschichte der RAF“
Buchtipp
von Harry Popow
Angenommen,
du sitzt in einem Theater und es hagelt von der Bühne Gewalt, Nacktheit, Sex, Geschrei
– ohne Inhalt. Nur Leere, Flachheit, Dekadenz pur. Empörtes Publikum. Hilflose
Wut. Einer pfeift. Dann ein Schuss. Der Hauptdarsteller fällt. Doch superschnell
wird er ausgewechselt. Das Stück geht weiter. Zutiefst erschrocken die
Zuschauer. Sie schweigen. Sie haben sich angepasst…Ein Albtraum!
Das
Leben ist konfliktreicher als ein Albtraum, wie ein neuerliches „heißes Eisen“
auf dem Büchermarkt beweist. Es geht um berechtigte Wunschträume von einer intakteren
Welt und gleichzeitig um Tod und Leben. Es geht um Schüsse, Bombenanschläge,
Attentate. Es geht um den längst fälligen Bruch mit dem Kapitalismus und den
Methoden, dies zu erreichen. Und genau das ist der Knackpunkt: Heiligt ein noch
so hehres Ziel alle Mittel? Ist diese Frage so leicht zu beantworten? Die
Herausgeber einer Broschüre wollen dem nachgehen. Es geht um das im
Selbstverlag erschienene Buch „Die Rote Armee Fraktion. Eine kurze Einführung
in die Geschichte der RAF“.
Was
war die RAF, was wollten deren Mitglieder? Warum wurden sie verteufelt? Waren
sie wirklich nur Abenteurer und Kriminelle, wie die Behörden und bürgerlichen
Medien die RAF-Aktivisten entpolitisierenderweise darzustellen versuchen? Kurz:
Die Erinnerung an sie soll ausradiert werden. Um dem aufklärerisch
entgegenzuwirken hat das „Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen“ dieses
Buch neu aufgelegt. Im Vorwort wird festgestellt, dass es leider keine
zusammenfassende Broschüre über die 28 Jahre währenden RAF-Aktionen gibt. Aber
es will „ein kleines Stück dazu beitragen, der bürgerlichen, diffamierenden
Geschichtsschreibung die Vermittlung von authentischer Geschichte
entgegenzusetzen“. Die Herausgeber erklären einschränkend, die Dokumentation könne
auf den wenigen 72 Seiten nicht alle Aspekte der Geschichte der RAF
verarbeiten.
Berichtet
wird über den Anfang der RAF, über die Chronik der Bombenanschläge und Morde an
Politikern und Wirtschaftsleuten, über die Absichten der Stadtguerilla, über die
Haftbedingungen für festgenommene RAF-Mitglieder, die Isolationshaft, die
Hungerstreiks und über die angeblichen Selbstmorde einiger Gefangener. Eingefügt
in das Zeitdokument sind Mosaike (Paolo Neris) von Gefangenen aus der RAF, die
die Gefängnishaft nicht überlebten.
Den Herausgebern ist es gelungen, besonders die politischen Motive der Mitglieder dieser Gruppe von Protestbürgern und aktiven Widerständlern herausgearbeitet zu haben. Wenn zum Beispiel festgestellt wird, dass nach der Befreiung vom Faschismus keine grundlegende gesellschaftliche Veränderung eingetreten ist und die BRD als Bollwerk gegen den Bolschewismus mit Unterstützung der Westmächte sowie mit alten Nazikadern hochgepäppelt wurde, dann war der Widerstand hellsichtiger Leute, zunächst in der Studentenbewegung, vorprogrammiert. Im Aufbruch befanden sich nicht nur junge Menschen. Es gab starke Streikwellen in den Betrieben. Das Wort führten auch die DKP und die 1968 neu gegründete SDAJ sowie der seit 1971 agierende Marxistische Studentenbund Spartakus. Wie sollte das der BRD-Elite passen? Natürlich bot sie der "roten Kampfansage" die politische und juristische Stirn. Da kamen ihnen die militanten Aktionen der RAF gerade zupass, um zurückzuschlagen.
Den Herausgebern ist es gelungen, besonders die politischen Motive der Mitglieder dieser Gruppe von Protestbürgern und aktiven Widerständlern herausgearbeitet zu haben. Wenn zum Beispiel festgestellt wird, dass nach der Befreiung vom Faschismus keine grundlegende gesellschaftliche Veränderung eingetreten ist und die BRD als Bollwerk gegen den Bolschewismus mit Unterstützung der Westmächte sowie mit alten Nazikadern hochgepäppelt wurde, dann war der Widerstand hellsichtiger Leute, zunächst in der Studentenbewegung, vorprogrammiert. Im Aufbruch befanden sich nicht nur junge Menschen. Es gab starke Streikwellen in den Betrieben. Das Wort führten auch die DKP und die 1968 neu gegründete SDAJ sowie der seit 1971 agierende Marxistische Studentenbund Spartakus. Wie sollte das der BRD-Elite passen? Natürlich bot sie der "roten Kampfansage" die politische und juristische Stirn. Da kamen ihnen die militanten Aktionen der RAF gerade zupass, um zurückzuschlagen.
Auf
Seite 8 schreiben die Autoren: „Große Teile der Jugenlichen wollten sich in den
60er Jahren nicht in dieser muffigen, verlogenen BRD-Gesellschaft einrichten.
Sie suchten nach Alternativen (…)“ Die berechtigte Empörung fand ihren
Höhepunkt, als die USA den Vietnam-Krieg vom Zaune brachen. Und was taten die
Medien? BILD, so die Herausgeber, „entfachte eine massive Hetze gegen die
Protestbewegung“. Der Berliner Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) schürte das
Feuer, indem er folgenden Satz vom Stapel liess: „Ihr müsst diese Typen sehen.
Ihr müsst ihnen genau ins Gesicht sehen. Dann wisst ihr, denen geht es darum,
unsere freiheitliche Grundordnung zu zerstören.“ (S. 9) So kam es, wie es
kommen musste: Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg von der Polizei
erschossen und im darauffolgenden Jahr, am 10. April 1968, schoss ein von der
Springer-Presse Aufgehetzter auf Rudi Dutschke und verletzte ihn lebensgefährlich.
Vor
diesem Hintergrund verschärfter Klassenauseinandersetzungen gründeten sich
verschiedene kommunistische Gruppen sowie „undogmatische“ Basisgruppen, so 1970
die „Rote Armee Fraktion (RAF)“. Man entschied sich für den bewaffneten Kampf,
begründet u.a. durch die Erfahrungen mit der „postfaschistischen
BRD-Gesellschaft“, dem US-Krieg in Vietnam und durch den Willen, die 68er
Revolte weiterzuentwickeln. (S. 13) Auch führte sie folgendes Argument ins Feld:
„Es ist klar und gerade aus der Geschichte bis zum 3. Reich deutlich, dass
Verarmung und Verelendung und Massenarbeitslosigkeit nicht von allein zu einer
Mobilisierung für menschliche Ziele und gegen die Herrschenden führen.“ (S. 45)
Sie betonte in einer Schrift des Jahres 1971: „Wir sagen nicht, dass die
Organisierung illegaler bewaffneter Widerstandsgruppen legale proletarische
Organisationen (…) und nicht, dass der bewaffnete Kampf die politische Arbeit im Betrieb und
dem Stadtteil ersetzen könnte“. (S. 14)
Auf
Seite 35 konstatieren die Autoren wachsenden militanten Widerstand „gegen die
NATO-Kriegspolitik“ Ende der 70er bis Mitte der 80er Jahre. Es gab eine Welle
von radikaler Rebellion gegen die Atomkraftwerke sowie „bewaffnete,
revolutionäre Organisationen in der BRD, Italien, Frankreich, Spanien,
Griechenland und Portugal…“ International, so die Buchverfasser, waren die 80er
Jahre „die Zeit eines koordinierten Rollback-Versuchs: Die Sowjetunion sollte
mit Mittelstreckenraketen totgerüstet werden, der Libanon wurde von Israel
bombardiert, Großbritannien präsentierte sich im Malvinenkrieg als
Kolonialmacht, (…)“ (S.37)
Sah
sich die RAF als Elite, als alleinwissend im Kampf um grundlegend veränderte
gesellschaftliche Verhältnisse? Offensichtlich war das ihr Fehler. Sie agierte im
Alleingang, ohne die Unterstützung in der Arbeiterklasse und im Volk zu suchen.
Es war keine revolutionäre Situation entstanden, auf die man hätte bauen können.
Da täuscht auch nicht darüber hinweg, dass laut Aussagen der Herausgeber 1972
„jeder fünfte Bundesbürger den Schutz der RAF vor Verfolgung und Verhaftung“
tolerierte. Sechs Prozent würden sich als „potentielle Helfer“ bezeichnen. (S.
18)
Nach
zweiundzwanzig Jahren erklärte die RAF im April 1992 die tödlichen Aktionen für
beendet. 1998 löste sich die RAF auf, da nach der Konterrevolution und dem
Niedergang der DDR und des Ostblocks keine Erfolgsaussichten mehr für eine
grundlegende Veränderung des kapitalistischen Gesellschaftssystems zu erwarten
war. „Wir stehen zu unserer Geschichte“, heisst es in deren Auflösungserklärung,
„die RAF war der revolutionäre Versuch einer Minderheit, (…) zur Umwälzung der
kapitalistischen Verhältnisse beizutragen.“ (S. 55) Nach Faschismus und Krieg
habe „die RAF etwas Neues in die Gesellschaft gebracht: das Moment des Bruchs
mit dem System und das historische Aufblitzen von entschiedener Feindschaft
gegen Verhältnisse, in denen Menschen strukturell unterworfen und ausgebeutet
werden (…) (S. 55)
Etwas
Neues? Das war wohl zweifelsfrei die DDR. Und dennoch: Die RAF-Mitglieder
hatten eine Vision. Wie hunderttausende andere weitblickende Menschen. Sie pusteten
frischen Wind in die politische Landschaft. Trotz Wirtschaftswunder fragten
sich immer mehr kluge Leute, wohin die Reise im Kapitalismus gehen soll. Doch
die RAF bot mit ihrem individuellen Terror keine Alternative. Im Gegenteil, sie
landete mit ihrer zwar kritischen Sicht aber Selbstisolierung im Land Utopia.
So
aufschlussreich das „heiße Eisen“ über die RAF auch als neuen Auftakt zur
Zurückdrängung von Legenden und Diffamierungen ist, es wirft viele Fragen auf: Weshalb
hatten sie nur ein DAGEGEN zu bieten und kein DAFÜR? Da findet man kein Wort
darüber im Buch, wie sich die RAF eine andere Gesellschaft vorstellte. In einer
Erklärung von 1992 heißt es lediglich, es gehe um soziale Aneignungsprozesse,
„in denen die Solidarität lebendig ist und aus denen heraus viele die
Verantwortung für gesellschaftliche Entwicklungen in die Hand nehmen…“ Weiter: Warum
hoben sie sich vom Bewußtsein der Massen ab, von der realen Situation in der
damaligen BRD, die mit ihrer Wohlstands- und Konsumideologie den Leuten Denkschablonen
auferlegte, die auch heute noch ihr böses Manipulationsspiel treiben? Warum
verbanden sie sich nicht mit den neuen Linksbündnissen, vor allem mit der DKP,
die nach dem Verbot der KPD gegründet wurde? Warum sahen sie im Ostblock und vor allem in der
DDR nicht die eigentliche Alternative zum Kapitalismus, nach der die RAF ja strebte?
Weshalb orientierte sich die RAF, zwar nicht ausschließlich, aber sehr tödlich,
auf den bewaffneten Kampf und berücksichtigte in keiner Weise die Dialektik
zwischen Ziel und Mitteln?
Zum
Klassenkampf, will er erfolgreich sein, gehört die kritische Analyse der Lage, gehört
die Frage, ob es eine revolutionäre Situation gibt oder nicht? Was denken und sagen
die Massen? Diese und andere Fragen mögen in einer weiteren Aufarbeitung der
Geschichte der RAF berücksichtigt und beantwortet werden. Natürlich nicht aus
bürgerlicher Sicht, sondern aus der Sicht einer klaren gesellschaftswissenschaftlichen
Orientierung. Erst dann kann der interessierte jüngere Leser Schlußfolgerungen
für heutige politische Auseinandersetzungen ziehen, ohne auf die Lügen und
Geschichtsverfälschungen der Herrschenden angewiesen zu sein. Somit ist das
Buch ein Teil der Aufarbeitung der Geschichte nach 1945 und dem Versuch, mit
einer gesellschaftlichen Alternative zum schuldbeladenen Kapitalismus endlich Lehren
aus dem zweiten Weltkrieg zu ziehen. Insofern haben die einsamen Rebellen
Zeichen gesetzt – nicht mehr und nicht weniger.
Robert
Steigerwald, Philosoph und Politiker, seit Jahrzehnten einer der
theoretischen Vordenker der DKP und Mitglied des Parteivorstandes, meinte zur
damaligen Haltung der Partei zur RAF: „Wir haben damals zur RAF und ähnlichen Kräften
eine völlig ablehnende Position bezogen. Als einer ihrer juristischen
Vertreter mich bat, wir sollten Solidarität mit diesen Leuten üben,
habe ich ihm gesagt: Vor Gericht der Bourgeoisie gehören sie nicht, wohl
aber vor ein solches der Arbeiterbewegung, denn sie liefern mit ihren
Taten der Reaktion alle Vorwände, den Repressionsapparat auszubauen.
Die RAF ist der Sack, den sie schlagen, wir aber sind – um im Bild zu bleiben
– der Esel, der gemeint ist.“ (Quelle: http://rote-predigt.over-blog.com/article-robert-steigerwald-uber-revolutionare-ungeduld-und-anarchismus-8-46104777.html)
Herausgeber:
Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, „Die Rote Armee Fraktion – Eine kurze
Einführung in die Geschichte der RAF“, Selbstdruck im Eigenverlag, 2012, 72
Seiten, ISBN: 978-3-00-039885-8, Bezug: c/o Stadtteil- und Infoladen Lunte,
Weisestraße 53, 12049 Berlin.
Erstveröffentlichung
der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19007
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