Entnommen:
https://rtnewsde.site/meinung/243523-berliner-koalitionsvertrag-verstoerende-offenbarung/
Von Wolfgang Bittner
Ein Bedrohungsszenarium und die Rolle Deutschlands
Seit Jahren schon befindet sich Deutschland auf einer abschüssigen Bahn
in den Totalitarismus. Ein weiterer Schritt auf diesem Weg ist der
Koalitionsvertrag der CDU/CSU mit der SPD vom 9. April 2025. Darin heißt
es gleich zu Anfang:
"Klarheit über den richtigen Weg der nächsten Jahre erfordert zunächst
Klarheit in der Standortbestimmung: Im Äußeren greifen die Gegner
unserer liberalen Demokratie unsere Freiheit an. Autoritäre Mächte
erstarken. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bedroht auch
unsere Sicherheit. Wir erleben hybride Angriffe auf unser Land mit dem
Ziel, den Zusammenhalt in Deutschland zu zerstören, unsere Demokratie zu
untergraben und unsere Sicherheit zu gefährden. Aber auch in unserem
Land wird die Demokratie von ihren Gegnern täglich angegriffen."
Drohnen, Satelliten, Rekruten: Deutschland investiert in den Krieg
Meinung
Drohnen, Satelliten, Rekruten: Deutschland investiert in den Krieg
Allein schon diese "Standortbestimmung" verdeutlicht, wes Geistes diese
Politiker sind, in deren Hände die deutsche Bevölkerung nach der
Koalitionsbildung gefallen ist. Denn weder greifen äußere "Gegner
unserer liberalen Demokratie unsere Freiheit an", noch bedroht der
"russische Angriffskrieg gegen die Ukraine" unsere Sicherheit. Vielmehr
bedroht der Kollektive Westen unter Führung der USA seit Jahren
Russland, und der Ukraine-Krieg ist eine Folge existenzbedrohender
Provokationen gegenüber Russland.
Es gibt auch nicht die hybriden Angriffe, von denen die Rede ist,
vielmehr wird eine uns gefährdende Aggression und Hetze gegen Russland
geschürt. Und von wem wird die Demokratie in unserem Land täglich
angegriffen, wenn nicht von Politikern, die dabei sind, sie
abzuschaffen, wie der Koalitionsvertrag in vielen Passagen beweist?
Weiter heißt es: "Im Inneren ist unsere Wirtschaft in einer anhaltenden
Wachstumsschwäche. Das Leben in Deutschland ist komplizierter, teurer
und anstrengender geworden." Warum das so ist, wird nicht gefragt und
erst recht nicht beantwortet. Kein Wort über die gesprengten
Ostsee-Pipelines und die dadurch verursachten ruinösen Energiepreise,
die viele Unternehmen in die Insolvenz oder ins Ausland treiben.
Gleich darauf wird versprochen, die Regierung unter Friedrich Merz werde
"Wohlstand für alle" schaffen, die Verteidigungs- und
Abschreckungsfähigkeit stärken und "an der Seite der Ukraine stehen, die
auch unsere Freiheit und die Prinzipien der regelbasierten Ordnung
verteidigt". Das alles liest sich wie die Werbung eines
Waschmittelkonzerns. Wohlstand für viele hatten wir beinahe schon, und
Verteidigung oder Abschreckung waren sekundär, weil es keine
potenziellen Angreifer gab. Das Bedrohungsszenarium ist erst im Zuge
einer zerstörerischen Politik des Westens konstruiert worden.
Was aber verteidigt die Ukraine, die nach dem Putsch von 2014 unter das
Regime von Nationalisten und Faschisten geraten ist und – angestachelt
aus Washington – einen Krieg mit Russland provoziert hat? Und was ist
das für eine "regelbasierte Ordnung", deren Prinzipien angeblich von der
Ukraine verteidigt werden? Wer stellt die Regeln für eine derartige
Ordnung auf? Ist denn die Charta der Vereinten Nationen, die das
Völkerrecht im Sinne von Humanität und einem friedlichen Zusammenleben
regelt, außer Kraft gesetzt? Und falls dem so ist: von wem?
Berlin drängt wieder nach Osten
Meinung
Berlin drängt wieder nach Osten
Kritiklos wird in dem Koalitionsvertrag mehrfach die Bindung zur NATO
und zu den USA beschworen, auch zu Großbritannien und Frankreich;
dagegen soll – in Anbiederung an Washington – die "destruktive Rolle"
des "iranischen Regimes" in der Nahost-Region zurückgedrängt werden. Und
Deutschland soll "wegen seiner geografischen Lage in Europa" als
"zentrale Drehscheibe der NATO weiter ausgebaut" werden. Die Ausgaben
für Verteidigung sollen "deutlich und stringent" steigen und für "eine
Wehrerfassung und Wehrüberwachung die Voraussetzungen geschaffen
werden".
Auf vielen Seiten des Papiers geht es ums Militär, um Aufrüstung, die
Gegnerschaft zu Russland und die Unterstützung der Ukraine bis zum
angestrebten Sieg gegen den Erzfeind in der Person Wladimir Putins.
Feindbild Russland
Die Hetze gegen Russland nimmt kein Ende. Während Wladimir Putin alles
daran setzt, einen Krieg mit der NATO zu vermeiden, gehen die
Provokationen der um die USA reduzierten westlichen Allianz weiter. Die
Koalitionspartner sind der Ansicht: "Unsere Sicherheit ist heute so
stark bedroht wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr." Das ist
richtig, nicht aber die Schlussfolgerung: "Die größte und direkteste
Bedrohung geht dabei von Russland aus, das im vierten Jahr einen
brutalen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt
und weiter massiv aufrüstet. Das Machtstreben von Wladimir Putin richtet
sich gegen die regelbasierte internationale Ordnung."
De facto geht die größte und direkteste Bedrohung aber vom Westen aus,
der seit Jahren einen Regime Change in Moskau anstrebt. Wladimir Putin
hat seit seiner denkwürdigen Rede 2001 im Deutschen Bundestag immer aufs
Neue die Kooperation angeboten und die Hand ausgestreckt. Er wurde
zurückgewiesen, belogen (Minsker Verträge) und von den USA unter Barack
Obama und Joseph Biden in einen Abnutzungskrieg mit der Ukraine
getrieben.
Michail Gorbatschow hat 1990 wesentlich zur Vereinigung der DDR mit der
BRD beigetragen, aber das wird heute ignoriert. Seinerzeit wurde der
Zwei-plus-Vier-Vertrag abgeschlossen, der am 15. März 1991 in Kraft
trat. Darin wurde erklärt, "dass von deutschem Boden nur Frieden
ausgehen wird. Nach der Verfassung des vereinten Deutschland sind
Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das
friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung
eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar."
Auch wurde der Verzicht auf atomare Waffen bekräftigt. Sollte das alles
Makulatur sein?
Neues NATO-Hauptquartier in Rostock: Völkerrechtswidriger Verstoß gegen Einigungsvertrag?
Neues NATO-Hauptquartier in Rostock: Völkerrechtswidriger Verstoß gegen Einigungsvertrag?
Jetzt versprechen die Koalitionspartner: "Die Ukraine werden wir
umfassend unterstützen, sodass sie sich gegen den russischen Aggressor
effektiv verteidigen und sich in Verhandlungen behaupten kann." Und der
Verteidigungsminister sagt, Deutschland müsse bis 2029 "kriegstüchtig"
sein. Das ist nichts Anderes als ein Verbrechen gegenüber der eigenen
Bevölkerung und ein existenzbedrohender Irrweg.
Die Berliner Politiker haben in ihrer Mehrheit immer noch nicht
realisiert, dass Donald Trump und Wladimir Putin miteinander sprechen
und verhandeln, und dass die USA und Russland Frieden, mindestens aber
keinen Krieg mehr wollen. Anstatt diese Situation zugunsten Deutschlands
zu nutzen, zieht Friedrich Merz das eigene Land immer tiefer in die
Auseinandersetzung mit Russland hinein.
Anlässlich eines Besuchs in Kiew im Dezember 2024 sagte er: "Wenn unsere
Unterstützung für die Ukraine schwächer wird, dann wird dieser Krieg
länger dauern. Wenn unsere Unterstützung für die Ukraine konsequent ist,
dann wird dieser Krieg schneller enden." Er sprach sich dafür aus,
Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern: "Unsere Position ist
klar: Wir wollen ihre Armee in die Lage versetzen, Militärbasen in
Russland zu erreichen …" Selenskij erwiderte: "Wir zählen auf stärkere,
entschlossenere Taten Deutschlands, von Ihnen persönlich. Wir verlassen
uns sehr darauf."
Mit Merz ist also eine Verlängerung des Ukraine-Krieges auf unabsehbare
Zeit zu erwarten. Seine Bereitschaft, die ukrainische Armee mit Taurus
zu beliefern, wiederholte er am 13. April 2025 in einem Interview bei
Caren Miosga, in dem er auch auf seine Einstellung gegenüber dem
russischen Präsidenten einging: Putin begehe "schwerste
Kriegsverbrechen", er interpretiere "unsere Bereitschaft, mit ihm zu
verhandeln, nicht als ernsthaftes Angebot, Frieden zu ermöglichen,
sondern als Schwäche". Die ukrainische Armee müsse jetzt "aus der
Defensive herauskommen" und zum Beispiel in die Lage versetzt werden,
die Krim-Brücke zu zerstören.
Der Brüsseler Russland-Experte und Historiker Gilbert Doctorow warnte,
Friedrich Merz mit seiner "kriegerischen Rhetorik" sei "der
gefährlichste deutsche Führer seit Adolf Hitler". Er wolle
Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern und habe signalisiert,
"dass die Ukraine die Taurus zur Zerstörung der Kertsch-Brücke und
anderer Ziele auf der russischen Krim einsetzen dürfe". Die Russen
hätten diese Aussagen sofort zur Kenntnis genommen, und sie seien
"bereit, Deutschland einen vernichtenden Gegenschlag zu versetzen, wenn
Merz seine Politik fortsetzt, die den schlimmsten deutschen Revanchismus
widerspiegelt". Merz sei mit "seinen erklärten Plänen, Russland zu
bestrafen, völlig außer Rand und Band geraten".
Auch der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrates der
Russischen Föderation und ehemalige Präsident Dmitri Medwedew nannte
Friedrich Merz einen Nazi, und Kreml-Sprecher Peskow beklagte einen
fehlenden Willen der westeuropäischen Regierungen, "sich um Wege zu
Friedensgesprächen zu kümmern". Sie seien "eher geneigt, die Fortsetzung
des Krieges weiter zu provozieren".
Der persönliche Einsatz des Friedrich Merz für die Ukraine
Merz legt sich fest: Kertsch-Brücke mit Taurus zerstören und Russland ausbluten lassen
Merz legt sich fest: Kertsch-Brücke mit Taurus zerstören und Russland ausbluten lassen
Friedrich Merz gibt den Kiewer Machthabern mit seiner Unterstützung
Auftrieb. Der ehemalige ukrainische Botschafter Andrei Melnyk, der den
Faschisten Bandera verehrt und sich mit Beleidigungen und Dreistigkeiten
hervorgetan hat, ist öffentlich mit einem geradezu irren
Forderungskatalog an ihn herangetreten: Die Koalition möge einen
Beschluss fassen "über die Finanzierung der Waffenlieferungen für die
Ukraine in Höhe von mindestens 0,5 Prozent des BIP (21,5 Milliarden Euro
pro Jahr) oder 86 Milliarden Euro bis 2029. … Die gleiche
0,5-Prozent-Regelung initiieren und durchführen auf EU-Ebene (372
Milliarden Euro bis 2029)" sowie "die sofortige Lieferung von 150
Taurus-Marschflugkörpern" und "30 Prozent der verfügbaren deutschen
Kampfjets und Hubschrauber".
Es ist davon auszugehen, dass solche Forderungen nicht ohne Absprache
mit Selenskij gestellt werden. Deutlicher lässt sich der Wahnsinn, der
von der Kiewer Kriegsregierung ausgeht, nicht darstellen. Entlarvend ist
die Belobigung, die Merz von Melnyk erfährt: "Sie wissen, wie sehr ich –
als langjähriger Botschafter – den vertraulichen Austausch mit Ihnen
als CDU-Vorsitzender und CDU/CSU-Fraktionschef im Bundestag immer
geschätzt habe. Es wäre keine Übertreibung zu sagen, dass es uns im
April 2022 dank Ihres persönlichen Einsatzes und dem massiven Druck
seitens der Opposition im Parlament gelungen ist, Kanzler Scholz und die
Ampel dazu zu bewegen, nach langem Zögern schwere Waffen an die Ukraine
zu liefern. Auch Ihr mutiger Besuch in Kiew Anfang Mai 2022 – als
erster deutscher Staatsmann – war ein starkes Zeichen, um die damalige
Bundesregierung anzuspornen, der Ukraine viel stärker militärisch unter
die Arme zu greifen."
Dem entspricht der folgende Passus im Koalitionsvertrag: "Die Ukraine
als starker, demokratischer und souveräner Staat, der eigenständig und
mit euro-atlantischer Perspektive über seine Zukunft bestimmt, ist von
zentraler Bedeutung für unsere eigene Sicherheit. Wir werden deshalb
unsere militärische, zivile und politische Unterstützung der Ukraine
gemeinsam mit Partnern substanziell stärken und zuverlässig fortsetzen.
Wir werden uns im engen Schulterschluss mit unseren Partnern für eine
gemeinsame Strategie hin zu einem echten und nachhaltigen Frieden
einsetzen, in dem die Ukraine aus einer Position der Stärke und auf
Augenhöhe agiert. Dazu gehören auch materielle und politische
Sicherheitsgarantien für eine souveräne Ukraine. Deutschland wird sich
an dem Wiederaufbau der Ukraine beteiligen."
Merz und seinen Koalitionspartnern scheint völlig entgangen zu sein,
oder sie wollen es einfach nicht wissen, dass die Ukraine ein ruinierter
Staat (failed state) ist, dessen Machthaber ihre zum Teil
zwangsrekrutierten Soldaten unter der Regie westlicher Bellizisten bis
zur letzten Patrone gegen Russland kämpfen lassen wollen. Dass die
Atommacht Russland nicht besiegt werden kann, ist den Anstiftern fremd,
und sie planen bereits ihre Geschäfte beim Wiederaufbau der zerstörten
Gebiete.
Wenn es im Koalitionsvertrag heißt, "das Ziel unserer Außen- und
Sicherheitspolitik ist die Bewahrung eines Friedens in Freiheit und
Sicherheit", sind das – wie aus den weiteren Absichtserklärungen
hervorgeht – nichts als hohle Worte. Das gilt auch für das Bekenntnis
zur NATO, das besonders hervorgehoben wird, ebenso wie zu den USA und zu
Großbritannien: "Das transatlantische Bündnis und die enge
Zusammenarbeit mit den USA bleiben für uns von zentraler Bedeutung. Wir
stärken die Handlungsfähigkeit Europas, vertiefen bestehende
strategische Partnerschaften, bauen insbesondere mit Ländern des
Globalen Südens neue auf und unterstützen multilaterale Formate mit
ganzer Kraft … Das Vereinigte Königreich ist einer der engsten Partner
der EU und Deutschlands – bilateral und im Rahmen der NATO."
Deutschland allein zu Haus – Da hilft nur Neutralität statt Militär
Meinung
Deutschland allein zu Haus – Da hilft nur Neutralität statt Militär
Es ist fraglich, ob die Länder des Globalen Südens an strategischen
Partnerschaften mit Kriegshetzern interessiert sind. Und
transatlantisches Bündnis und enge Partnerschaft mit den USA?
Offensichtlich haben Merz und seine Partner noch nicht begriffen, dass
es sich damit seit der Präsidentschaft von Donald Trump um eine Schimäre
handelt und sich Deutschland immer noch im Status einer bedingungslosen
Kapitulation befindet und nach der UN-Charta ein Feindstaat gegenüber
den Gegnern des Zweiten Weltkriegs ist, also auch gegenüber Russland.
Hinzu kommt in vielen Aussagen eine unglaubliche Impertinenz und
Schamlosigkeit. Da heißt es beispielsweise: "Wir suchen in Abstimmung
mit unseren Partnern nach Möglichkeiten, das eingefrorene russische
Staatsvermögen zur finanziellen und militärischen Unterstützung der
Ukraine wirtschaftlich zu nutzen." Was bedeutet das anderes, als
Diebstahl, und zwar mit schwerwiegenden Folgen für die Sicherheit des
globalen Finanzsystems. Damit wird das ohnehin schon rückläufige
Vertrauen in die westlichen Pseudodemokratien endgültig verspielt.
Bedrohliche Vorstellungen zur Innenpolitik
Auch zur Innenpolitik enthält der Koalitionsvertrag in dem Kapitel
"Bürokratierückbau, Staatsmodernisierung und moderne Justiz" äußerst
brisante Ankündigungen. Es beginnt mit einer Floskel: "Die
Modernisierung braucht neue Impulse. Die Koalition will in den kommenden
vier Jahren zeigen, dass Deutschland zurück ist. Dafür müssen wir in
vielen Bereichen besser werden und staatliche Entscheidungen, Prozesse
und Strukturen modernisieren. Wir wollen als Bundesregierung zeigen,
dass es geht, und vorangehen."
Dann aber heißt es: "Deutschland braucht eine echte Staatsreform." Und
weiter: "Wir setzen auf konsequente Digitalisierung und 'Digital-Only':
Verwaltungsleistungen sollen unkompliziert digital über eine zentrale
Plattform ('One-Stop-Shop') ermöglicht werden, das heißt ohne
Behördengang oder Schriftform. Jeder Bürger und jede Bürgerin erhält
verpflichtend ein Bürgerkonto und eine digitale Identität. Wir werden
die EUDI-Wallet für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen
bereitstellen, mit der Identifikation, Authentifizierung und Zahlungen
ermöglicht werden. Wer den digitalen Weg nicht gehen will oder kann,
erhält Hilfe vor Ort."
Das klingt nach einem Schafstall, in dem jedes Schaf eine Marke ins Ohr
gestanzt bekommt, auf der sämtliche persönliche Daten gespeichert sind.
Der Wirtschaftsjournalist und Handelsblatt-Redakteur Norbert Häring
schreibt dazu: "'Digital only' bedeutet, dass die althergebrachten
Möglichkeiten zum Erhalt staatlicher Leistungen und von
Beförderungsleistungen, sowie zur Erfüllung der vom Staat auferlegten
Pflichten systematisch beseitigt werden, um die Menschen zu zwingen,
ihre Angelegenheiten auf digitalem, automatisiert abzuwickelndem Weg zu
erledigen. Das gilt denknotwendig auch für das Bezahlen, wo das Bargeld
zu den abzuschaffenden analogen Lösungen gehört. Das bedeutet nicht nur,
dass die Bürger lückenlos überwachbar werden. Es bedeutet auch, dass
sie sich komplett an das System anpassen müssen, das die Bürokraten
zusammen mit den Technokraten erdacht und programmiert haben."
Gehorchen oder verhungern: Union und SPD starten Großangriff auf Lohnabhängige
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Gehorchen oder verhungern: Union und SPD starten Großangriff auf Lohnabhängige
Häring befürchtet eine dystopische Entwicklung: "Das System bietet keine
Menschen als Ansprechpartner mehr auf, die dafür sorgen können, dass es
sich flexibel an die Bedürfnisse der Menschen anpasst, auch an Menschen
mit speziellen Bedürfnissen, an die die Programmierer nicht gedacht
haben, und an solche in speziellen Situationen. Mit anderen Worten: Die
neue Regierung arbeitet intensiv an der Verwirklichung des
Technokratentraums einer zentral gesteuerten Gesellschaft, aus der der
Mensch als autonomer Entscheidungsträger eliminiert und stattdessen zu
einem funktionierenden Rädchen in einer zentral gesteuerten sozialen
Megamaschine gemacht wird."
Die Ankündigung eines verpflichtenden Bürgerkontos und einer digitalen
Identität ist in der Tat beängstigend. Denn damit könnten staatliche
Institutionen über alle Informationen sämtlicher Bürger verfügen. Wenn
diese Informationen dann noch genutzt werden, "um auf mögliche
Leistungsansprüche hinzuweisen und die Beantragung zu vereinfachen",
gibt es keine Privatsphäre mehr. In vorgetäuschter Fürsorge bieten die
Koalitionspartner an: "Wir werden dabei zunehmend antragslos arbeiten.
Etwa nach der Geburt eines Kindes sollen Eltern automatisch einen
Kindergeldbescheid erhalten."
Antragslos kann der Staat also Leistungen gewähren – folglich kann er
sie aber auch aberkennen. Er kann den Bürgern helfen, er kann sie sogar
vor "Desinformation" oder "Hass und Hetze" schützen, er kann sie aber
auch von Informationen abschneiden, desinformieren, rügen, sanktionieren
und bei Unbotmäßigkeiten bestrafen. Der Staat weiß alles, bedeutet das,
und er kann damit nach Belieben umgehen. Das ist dann der Orwellsche
Überwachungsstaat in Perfektion.
Dementsprechend wollen die Koalitionspartner einen "Kulturwandel und
moderne Führung" einleiten, offenbar mit einer Führungselite: "Die
Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind Stabilitätsanker des
deutschen Staates. Wir werden eine moderne und wertschätzende
Führungskultur etablieren und fördern." Nachdem in höchst unsicheren
Zeiten inzwischen viele Menschen Sicherheit im öffentlichen Dienst
suchen, werden diese privilegierten Bürger dann die Herden anführen, die
mit den Politikern, die einen derartigen Koalitionsvertrag abschließen,
auf die Straße gehen, um für Demokratie oder Parteiverbote zu
demonstrieren. Die Teilung der Gesellschaft schreitet schon länger
voran, staatlich gelenkt könnte es explosiv werden. Aber dagegen wird
sich gewappnet.
Dazu passt die Ankündigung: "Was die Feinde der Demokratie angeht, gilt
der Grundsatz 'Null Toleranz'. Es ist die gesamtstaatliche und
gesellschaftliche Verantwortung, jedweder Destabilisierung unserer
freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegenzuwirken und dabei
auch unsere Sicherheitsbehörden nicht allein zu lassen … Die
Sicherheitsbehörden sollen für bestimmte Zwecke eine Befugnis zur
Vornahme einer automatisierten (KI-basierten) Datenanalyse erhalten.
Unter bestimmten, eng definierten Voraussetzungen bei schweren
Straftaten wollen wir den Strafverfolgungsbehörden eine retrograde
biometrische Fernidentifizierung zur Identifizierung von Täterinnen und
Tätern ermöglichen."
Die problematische "biometrische Fernidentifizierung" wird demnach
voraussichtlich Standard werden und die Verfolgung Andersdenkender unter
dem Vorwand gesellschaftlicher Verantwortung zunehmen. Denn
erfahrungsgemäß haben sich die Sicherheitsorgane weitgehend
verselbständigt, Demokratiefeindschaft sowie "eng definierte
Voraussetzungen" sind auslegbar, und unter "Destabilisierung unserer
freiheitlichen demokratischen Grundordnung" können bereits
systemkritische Äußerungen in Internetforen oder im geheimdienstlich
kontrollierten privaten Mailverkehr fallen.
Die Kontrolle soll intensiviert werden: "Wir verschärfen die
Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Plattformen, insbesondere bei
systemischen Mängeln bei der Entfernung strafbarer Inhalte." Zu diesem
Zweck soll die Medienaufsicht gesetzliche Vorgaben erhalten, anhand
derer sie gegen "Fake News, Hass und Hetze" verstärkt vorgehen kann. Was
als Desinformation aufgefasst wird, sollen die Social-Media-Plattformen
aktiv bekämpfen, andernfalls drohen Strafen oder Sperrung.
Regierungskritik wird also noch riskanter werden, zumal Denunziation und
Meinungsmache gegen Kritiker zum Programm gemacht werden: "Die
Unterstützung von Projekten zur demokratischen Teilhabe durch das
Bundesprogramm 'Demokratie leben!' setzen wir fort."
Der Koalitionsvertrag: Es wird weiter gefaesert (Teil II)
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Der Koalitionsvertrag: Es wird weiter gefaesert (Teil II)
Deutschland soll eine "KI-Nation" werden, und die Sicherheitsbehörden
sollen "KI-basiert" Daten analysieren dürfen, wobei offenbar auf
Datenschutz verzichtet werden kann. Dafür braucht es dann wohl ein
"offeneres und positiveres Datennutzungsverständnis", das anempfohlen
wird. Für diejenigen, die sich verweigern oder ausscheren, gilt dann:
"Im Rahmen der Resilienzstärkung unserer Demokratie regeln wir den
Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Verurteilung wegen
Volksverhetzung."
Das Koalitionspapier wendet sich auch der Migration und Integration zu:
"Deutschland als Einwanderungsland ist geprägt von Menschen
unterschiedlicher Herkunft. Wir wollen ein einwanderungsfreundliches
Land bleiben und eine qualifizierte Einwanderung in unseren Arbeitsmarkt
attraktiv machen." Zu diesem Zweck seien legale Zugangswege zu
schaffen. Die Integration soll intensiv gefördert werden, dagegen müsse
die irreguläre Migration "reduziert" und Zurückweisung an den
Staatsgrenzen auch bei Asylgesuchen ermöglicht werden.
Wieder viele hohle Worte und nur bescheidene Ansätze zur Lösung der
wachsenden Probleme, die durch eine rechtswidrige "Einwanderungspolitik"
entstanden sind. Deutschland ist nicht, wie die USA, Kanada, Australien
oder Neuseeland, ein Einwanderungsland, es ist ein Zuwanderungsland und
dieser Fehler der Merkelschen Migrationspolitik sollte endlich erkannt
und behoben werden. Wenn jedes Land, in das Menschen aus anderen
Bereichen der Welt einwandern wollen, ein Einwanderungsland wäre, dann
würde zum Beispiel auch die Schweiz dazu gehören. Aber das würden die
Schweizer sicherlich strikt ablehnen.
Der Weg in eine ungewisse Zukunft
Der Koalitionsvertrag soll Klarheit über den richtigen Weg der nächsten
Jahre bringen. Stattdessen offenbart er beunruhigende, bedrohliche und
zum Teil erschreckende Absichten einer politischen Gruppe, die sich
anmaßt, die Bürger wie in einem Figurentheater zu lenken, zu kujonieren,
zu überwachen und womöglich in einen Krieg zu führen. Darauf, das in
die Wege zu leiten, sind die Koalitionspartner stolz.
Friedrich Merz, bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender der BlackRock Asset
Management Deutschland, der die Ukraine mit Taurus-Marschflugkörpern
beliefern will, sieht sich offenbar schon als oberster Kriegsherr im
Kampf gegen Russland. Und der bisher eher farblose Co-Vorsitzende der
SPD, Lars Klingbeil, renommiert: "Wir sind das wichtigste Land und das
stärkste Land in Europa, und von uns geht Stabilität aus, wenn wir es
hinkriegen, hier eine stabile Regierung zu haben."
Aber kaum war der Koalitionsvertrag unterzeichnet, gab es zwischen den
Partnern schon Streit um den Mindestlohn und die Senkung der
Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen. Und Stabilität in
einem Land, das sich gerade selbst ruiniert? Großmachtstreben in einem
Land, das sich nach wie vor als potenzieller Feindstaat im Status einer
bedingungslosen Kapitulation befindet?
Klingbeil und Merz wollen die Ukraine in ihrem Krieg weiter mit Waffen
und Geld unterstützen, und es ist davon auszugehen, dass Klingbeil sich
letztlich der Absicht von Merz in der Taurus-Frage anschließen wird,
obwohl die überwiegende Meinung in der SPD dagegen ist. Seinen geistigen
Standort verrät er, wenn er sagt: "Ich war dabei – was ein echt
bewegender Moment war – als der erste ukrainische Soldat einen Schuss
mit einem Leopard-2-Panzer abgegeben hat" (RT DE berichtete).
Lars Klingbeil: ein neuer Tiefpunkt in der Geschichte der SPD
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Lars Klingbeil: ein neuer Tiefpunkt in der Geschichte der SPD
Der Sohn eines Bundeswehrsoldaten, der in der Garnisonsstadt Munster
aufwuchs, hält sich offensichtlich für einen begnadeten Politiker, wenn
er von seiner "verdammt hohen Verantwortung" spricht und sinniert: "Ich
glaube, wir sind gerade in einer historischen Phase, auf die man
zurückguckt in zwanzig Jahren und sich fragt, hat man damals die
richtigen Entscheidungen getroffen und die Weichen richtig gestellt." Er
scheint, ebenso wenig wie sein Koalitionspartner, zu begreifen, wie
sehr sie der Demokratie schaden und was sie "unserem Land" von dem sie
ständig sprechen, antun.
Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner ist Autor
zahlreicher Bücher, u.a. "Die Eroberung Europas durch die USA" und
"Deutschland – Verraten und verkauft". Kürzlich ist im Verlag zeitgeist
sein Buch "Niemand soll hungern, ohne zu frieren. So wie es ist, kann
und wird es nicht bleiben" erschienen.