Freitag, 1. Mai 2020


1. Mai 1957 – Parade in Berlin
Harry Popow



Unter dem Titel „AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten“ veröffentlichte der Diplom-Journalist, Rezensent, Autor und Blogger Harry Popow im Eigenverlag epubli seine in der DDR als Militärjournalist authentischen Lebensdaten sowie seine Erlebnisse und Erfahrungen während eines neunjährigen Aufenthaltes in Schweden (1996 – 2005) als auch nach der Rückkehr nach Deutschland.

Der Titel, so das Anliegen des Autors, möge vor allem an jene Generation erinnern, die nach der Befreiung vom Faschismus mit viel Mühe aus den Trümmern an materiellen Werten und denen in den Köpfen versucht haben, zunächst mit gutem Erfolg, einen neuen Staat zu errichten, dem als Wichtigstes nicht nur die Entmachtung der einst herrschenden Geldeliten, die Beerdigung sämtlicher Kriegsgelüste als geschichtliche Notwendigkeit oblag, sondern vor allem dem friedlichen Aufbau sowie dem militärischen Schutz der DDR.



Textauszug
Parade in Berlin

Abfahrt vom Oberen Bahnhof in Plauen. Schlager aus Kofferradios fast in jedem Güterwagen. Einige greifen zur Gitarre. Die Jungs sind lustig. Es geht nach Berlin. Der 1. Mai 1957 steht vor der Tür. Auf dem Marx-Engels-Platz sollen die Jungs paradieren. Sie freuen sich. Immerhin eine Abwechslung. Vielleicht wird man paar Mädchen sehen, wer weiß. Fit sind sie jedenfalls für den Vorbeimarsch. Wie haben sie sich geschunden. Abend für Abend – tagsüber ging schließlich der Schuldienst weiter – auf dem Exerzierplatz: Gewehrgriffe gekloppt, den Exerzierschritt geübt, erst einzeln, dann in Rotten, dann in ganzen Marschblöcken. Acht geschlagene Wochen lang. Gegen Mittag treffen die Schüler in Berlin-Stahnsdorf ein. Hier in einer alten Kaserne werden sie schlafen und essen. Am Abend vier Stunden Fahrt mit Kraftfahrzeugen der NVA um das südliche Berlin herum zum Marx-Engels-Platz. Kräftiges Essen aus der Feldküche auf dem Hof des Finanzministeriums. Mitternacht wird es empfindlich kühl, doch die nächtliche Probe hält einen warm. Deutlich sieht man die erleuchtete Uhr vom Rathaus. Die Uhr geht auf Mitternacht zu. Man wird müde.


Früh 7 Uhr waren die Paradeleute wieder in Stahnsdorf, dem Ort, der für ihn und Cleo einst das erste gemeinsame Zuhause sein wird. Aber davon kann Henry nichts ahnen, er hat wie immer ein Auge für das herrliche Frühlingsgrün, für die wunderschön weiß blühenden Obstbäume. Er schreibt: Als wir gestern die Stalinallee entlang fuhren - überall Lichterglanz, Reklame, sich küssende Pärchen, viele Spaziergänger. Alles ist sehr amüsant. Ich spüre, dass das Leben noch mehr zu bieten hat als das Armeeleben. Manchmal muss man dies schnuppern können, um Kraft zu erhalten, um nicht zu verzagen. Ohnehin: In mir erwacht der Städter. Seit 1954 war ich nicht mehr in Berlin. Herrlich ist es hier. Gute Nacht Cleo.



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