1.
Mai 1957 – Parade in Berlin
Harry
Popow
Unter dem Titel „AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in
Umbruchzeiten“ veröffentlichte der Diplom-Journalist, Rezensent, Autor
und Blogger Harry Popow im Eigenverlag epubli seine in der DDR als
Militärjournalist authentischen Lebensdaten sowie seine Erlebnisse und
Erfahrungen während eines neunjährigen Aufenthaltes in Schweden (1996 –
2005) als auch nach der Rückkehr nach Deutschland.
Der
Titel, so das Anliegen des Autors, möge vor allem an jene Generation
erinnern, die nach der Befreiung vom Faschismus mit viel Mühe aus
den Trümmern an materiellen Werten und denen in den Köpfen versucht haben,
zunächst mit gutem Erfolg, einen neuen Staat zu errichten, dem als
Wichtigstes nicht nur die Entmachtung der einst herrschenden
Geldeliten, die Beerdigung sämtlicher Kriegsgelüste als
geschichtliche Notwendigkeit oblag, sondern vor allem dem friedlichen
Aufbau sowie dem militärischen Schutz der DDR.
Textauszug
Parade in Berlin
Abfahrt
vom Oberen Bahnhof in Plauen. Schlager aus Kofferradios fast in jedem
Güterwagen. Einige greifen zur Gitarre. Die Jungs sind lustig. Es
geht nach Berlin. Der 1. Mai 1957 steht vor der Tür. Auf dem
Marx-Engels-Platz sollen die Jungs paradieren. Sie freuen sich.
Immerhin eine Abwechslung. Vielleicht wird man paar Mädchen sehen,
wer weiß. Fit sind sie jedenfalls für den Vorbeimarsch. Wie haben
sie sich geschunden. Abend für Abend – tagsüber ging schließlich
der Schuldienst weiter – auf dem Exerzierplatz: Gewehrgriffe
gekloppt, den Exerzierschritt geübt, erst einzeln, dann in Rotten,
dann in ganzen Marschblöcken. Acht geschlagene Wochen lang. Gegen
Mittag treffen die Schüler in Berlin-Stahnsdorf ein. Hier in einer
alten Kaserne werden sie schlafen und essen. Am Abend vier Stunden
Fahrt mit Kraftfahrzeugen der NVA um das südliche Berlin herum zum
Marx-Engels-Platz. Kräftiges Essen aus der Feldküche auf dem Hof
des Finanzministeriums. Mitternacht wird es empfindlich kühl, doch
die nächtliche Probe hält einen warm. Deutlich sieht man die
erleuchtete Uhr vom Rathaus. Die Uhr geht auf Mitternacht zu. Man
wird müde.
Früh
7 Uhr waren die Paradeleute wieder in Stahnsdorf, dem Ort, der für
ihn und Cleo einst das erste gemeinsame Zuhause sein wird. Aber davon
kann Henry nichts ahnen, er hat wie immer ein Auge für das herrliche
Frühlingsgrün, für die wunderschön weiß blühenden Obstbäume.
Er schreibt: Als wir gestern die Stalinallee entlang fuhren - überall
Lichterglanz, Reklame, sich küssende Pärchen, viele Spaziergänger.
Alles ist sehr amüsant. Ich spüre, dass das Leben noch mehr zu
bieten hat als das Armeeleben. Manchmal muss man dies schnuppern
können, um Kraft zu erhalten, um nicht zu verzagen. Ohnehin: In mir
erwacht der Städter. Seit 1954 war ich nicht mehr in Berlin.
Herrlich ist es hier. Gute Nacht Cleo.
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