Multipolare
contra unipolare Welt
- Geschrieben von Dominic H — http://domiholblog.tumblr.com
- Hauptkategorie: Ausland
- Kategorie:Naher Osten
- Veröffentlicht: 07. November 2015
Multipolare
contra unipolare Welt
(Textauszüge)
Was
will Putin in Syrien?
Seit
dem Krieg in Afghanistan ist es das erste militärische
Engagement Moskaus ausserhalb der Grenzen der
ehemaligen Sowjetunion. Die Russische
Föderation unterstützt militärisch die
Regierung unter Präsident Bashar al-Assad im Kampf gegen
verschiedene Gruppen des islamistischen Extremismus.
Warum dieser Einsatz in Syrien und warum gerade jetzt,
nachdem dort schon vier Jahre lang ein Krieg
herrscht?
Doktrin,
nicht Putin
«Putins
Bomben zerstörten Yassirs Hoffnung», steht am 23.
Oktober 2015 beim Nachrichtensender ‹n-tv›
im Titel zu einem Online-Bericht über einen Syrer namens Yassir,
der angeblich vor dem russischen Einsatz flüchten
musste. Journalisten personalisieren
gerne ihre Geschichten, um für Spannung zu sorgen.
Allerdings kommt hier der Verdacht auf Propaganda
hoch. Da Niemand auf Dauer eine Gruppe von Menschen
insgesamt hassen kann, lenkt geschickte
Manipulation den Hass auf eine
Führungspersönlichkeit. Der Gegner bekommt so ein
Gesicht — in diesem Fall dasjenige des russischen
Staatschefs Vladimir Putin.
Die eigene Seite wird unter diesem
Schema natürlich immer als Pazifist dargestellt —
in diesem Fall der von den Vereinigten Staaten geführte Westen,
welcher — so will es die Propaganda — unwillig aber
legitim gedrängt von moralischen Werten in den Konflikt
hineingezogen wurde. Wer sich an diese
Manipulations-Formel hält, würde also nie über einen Yassir
schreiben, welcher vor US-Bomben fliehen musste. Was man im hier
ebenfalls zu suggerieren scheint, ist ein Russland
das von einem Monster geführt wird, dessen ganz persönliche
Bomben gezielt «Yassirs Hoffnung» zerstören.
Es
sind natürlich nicht «Putins Bomben» sondern die
planvoll eingesetzte militärische Gewalt der
Russischen Föderation. Diese Atommacht hat
bis jetzt immer rational gehandelt. Dazu erkennt man auch
noch eine erstaunliche Kontinuität in Moskau.
Konzepte von Leopold von Ranke und Carl von Clausewitz formen
dort seit dem Zarenreich Grundlagen zu Fragen
internationaler Beziehungen. Auch heute noch gilt das
Hauptaugenmerk der Peripherie. Ein neuer
aussenpolitischer Schwerpunkt Russlands
ist sich für eine multipolare Weltordnung
einzusetzen, worin «Integration» nicht ein
Zusammenschluss mit den erweiterten Strukturen
der Amerikaner bedeutet, sondern die Entwicklung der
Beziehungen mit der Weltgemeinschaft als
solcher.
Man
darf sagen, dass vom derzeitigen Präsidenten
viele Impulse ausgingen. Bereits in seiner
Eigenschaft als Regierungschef und Sekretär des russischen
Sicherheitsrates und dann ab 31. Dezember 1999 als
Staatschef verlieh Putin schon früh in seiner Karriere den
konzeptionellen Grundlagen und der Praxis der Aussen–
und Sicherheitspolitik neue Schwerpunkte:
Anfang 2000wurde ein neues nationales Sicherheitskonzept
in Kraft gesetzt; drei Monate später folgten die Grundlagen
für eine neue Marinedoktrin; nach einem weiteren
Monat konnte die endgültige Fassung einer neuen
Militärdoktrin unterzeichnet werden;
und im Juli stand auch ein neues aussenpolitisches
Konzept bereit.
Das
neue Sicherheitskonzept folgte einem zwei Jahre-alten
Vorgänger-Dokument — war aber mehr als nur eine Anpassung
an neue Bedingungen, sondern unterschied sich in
wichtigen Details. Militärischen Faktoren in der
internationalen Politik wurden eine grundlegende
Bedeutung gegeben. Man geht jetzt von einem Kampf zweier sich
gegenseitig ausschliessender Tendenzen aus: Gegen
Russlands Konzept der Multipolarität
strebt der Westen unter US-Führung nach Dominanz. Diese
würde oft einseitig mit militärischer Gewalt und unter
Umgehung grundlegender Normen des Völkerrechts
erzwungen. Innere Probleme stehen weiterhin
über allen anderen Risikofaktoren. Diese Schwachstellen
werden aber von nun an deutlich mit zunehmenden äusseren
Gefahren verknüpft. Fragen des «Ethnoegoismus»,
Separatismus oder politischen und religiösen
Chauvinismus innerhalb Russlands
werden mit den Gefahren des internationalen
Terrorismus in Verbindung gebracht. An den Konflikt
in Tschetschenien wird mit der Erklärung erinnert,
dass globaler Terror das Ziel habe, Russland zu
zerrütten
(…)
Am 24. Oktober 2014 fand
im russischen Sochi der jährliche Valdai-Club statt —
ein hochrangiges Expertentreffen zu Fragen
der russischen Innen– und Aussenpolitik. In
seiner Ansprache zu diesem Forum war von Putin über Partnerschaft
mit den Amerikanern nichts mehr zu hören. Seine ursprüngliche
Sicht von 2007 dass Unipolarität untragbar
sei und dass bestehende Regeln der Weltpolitik
respektiert werden müssten, ist der Erkenntnis
gewichen, dass das Untragbare nun Realität ist: eine
unipolare USA-dominierte Welt, in der Spielregeln mit
Füssen getreten werden
Die USA und ihr verlängerter
Arm das Militärbündnis ‹NATO› sind jetzt mehr
oder weniger unausgesprochen Russlands Feinde.
Beide Seiten bereiten sich aktuell auf einen gegenseitigen
Konflikt vor — oder dramatischer ausgedrückt,
üben den Weltkrieg. Das geänderte Profil zunehmend
häufiger werdender militärischen Übungen
spricht Bände. Bei den Vorbereitungen zur Rückkehr
der Krim nach Russland wurden anscheinend die
russischen Atomstreitkräfte in
Alarmbereitschaft versetzt
(…)
Eine multipolare
Weltordnung als Gegenmodell zum
US-amerikanischen Unilateralismus ist
unter Putin zur Konstante der russischen
Aussenpolitik geworden. Dieses politische
Glaubensbekenntnis bedeutet allerdings nicht
unbedingt multilaterales Handeln. Auch
bei seinem letzten Valdai-Auftritt machte dies der
russische Staatspräsident wieder deutlich:
Ideologische Spannungen seien nach dem
Kalten Krieg zwar reduziert worden, aber die geopolitischen
Widersprüche blieben. Jeder Staat habe seine Interessen,
was «natürlich» sei, aber daraus entstehende Konflikte
müssten im Rahmen von «Normen und Regeln» stattfinden,
meinte Putin. Objektiv gesehen, betreibt auch Moskau
Interessenpolitik, die gelegentlich bereit ist
Konsens und Kooperation mit Alleingängen
zu verbinden. Das Konzept der Multipolarität
beinhaltet offensichtlich auch die realistische
Erkenntnis, dass grosse Staaten nun mal souveräner
sind als kleine. Internationaler Multilateralismus
mag somit kein absolutes Prinzip der russischen
Aussenpolitik sein, wird aber trotzdem gestärkt durch
die Betonung der Bedeutung der Vereinten
Nationen mit der sich Moskau gegen die internationale
Dominanz der USA richtet. Bisher wurde Russland
als ein regionaler Akteur mit begrenzten Mitteln
abgeschrieben. Das Monopol alleine als globaler Akteur
aufzutreten hatten dieUSA. In Syrien hat sich Moskau neu
profiliert, was auch anderen aussenpolitischen
Fragen dienen kann. Dem russischen Konzept eines neuen
Sicherheitsvertrags wird man deshalb wohl in Europa neue
Aufmerksamkeit schenken.
Amerika hatte gegen Ende der 1990er
Jahre die Gelegenheit verpasst, sein
Wirtschaftssystem zu reformieren und hat statt dessen
weiterhin mit der Petrodollar-Kredikarte bezahlt. Jetzt
müssen dieUSA um ihren Alleinstellungsstatus
bangen — aber der Petrodollar funktioniert nun
mal nur mit der Aura uneingeschränkter Macht. All das macht
Amerika derzeit gefährlich für die ganze Welt. Auf Dauer kann aber
US-amerikanischer Unilateralismus nicht
nachhaltig funktionieren, sondern nur eine
multipolare Weltordnung. Um diese Zukunft
geht es. Das will Putin in Syrien.
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