Die
Chamäleon-Dame
Buchtipp
von Harry Popow
Ein
Chamäleon kann seine Farbe blitzschnell wechseln, wie mitunter auch ein Mensch,
besonders in Gefahrensituationen. Das dient der Tarnung und der Kommunikation
mit Artgenossen. Was die Echse vom Menschen unterscheidet - sie ist im Aussterben
begriffen. In der menschlichen Gesellschaft aber ist das Chamäleon stark im
Kommen. Wer hätte dies nicht schon - auch an sich selbst - beobachtet. Brisant wird
die Sache nur, wenn der Farbwechsel, oder auch Gesinnungswechsel, bei der
Gattung Mensch aus politischen Gründen erfolgt. Bei Leuten, die das
Gesellschaftsschiff zu steuern haben, denn bei dieser charakterlichen Schwankungsbereitschaft
weiß man nie so genau, wohin die Reise gehen soll.
Zwei
Bundesbürger haben so einer markanten Persönlichkeit mit eben dieser Perfektion
des Standpunktwechsels und des irritierenden Schwadronierens, des Lavierens
zwischen allen Fronten und des ewigen gewinnenden Lächelns mit jedermann Namen
und Gesicht gegeben. Der Titel: „Das erste Leben der Angela M.“ Die Autoren:
Ralf Georg Reuth, 1952 in Oberfranken geboren, studierte Geschichte sowie
Germanistik und promovierte 1983 über Hitlers Strategie. Günther Lachmann wurde
1961 in Papenburg geboren. Sein Studium galt der Vokswirtschaft. Er ist
verantwortlicher Redakteur der WELT-Gruppe in Berlin.
Das
fängt in dem 336 Seiten zählenden Buch interessant an: Das Autoren-Team überrascht
die Leser mit einer nicht gerade löblichen Einschätzung: Sie sei sehr
zurückhaltend, wenn es um ihre inneren Befindlichkeiten gehe, verschlossen, um
nicht zu sagen verschwiegen. Bei der Schilderung des nur über 20 Jahre
zurückliegenden Geschehens bleibt sie „vage, ganz so, als seien die damals
handelnden Personen bis heute in einem dichten Nebel verborgen“. (S. 9) „Bis
heute rätseln Zeitgeschichtler und Journalisten über ihr Weltbild, ihre
Antriebskräfte, ihre Ziele und ihre Unnahbarkeit, die sie, die doch ganz oben
angekommen ist, immer noch umgibt.“ So zitieren Reuth und Lachmann die
„Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.12.2004. (S. 11) Allerdings: Sie sei
immer gegen den Sozialismus gewesen, sie habe schon immer die staatliche
Einheit und die soziale Marktwirtschaft „im Blick“ gehabt. So nährte sich „die
Legende von der patriotischen Pfarrerstochter, die in der Wende auszog, um
mitzuhelfen, die gespaltene Nation zusammenzufügen“. (S. 285)
Welch
ein Frontenwechsel der Angela M.! Von einer engagierten FDJlerin, von der
Sekretärin für Agitation und Propaganda zu einer marktkonformen Staatenlenkerin!
Steckt dahinter nur ein klatblütiges Kalkül, mit dem Strom der Zeit zu
schwimmen, ganz oben sein zu wollen? Antworten finden auch die beiden Autoren
nicht, denn die Merkel beherrsche die Kunst, „sich nicht festzulegen, nichts zu
sagen“ und sie habe die Fähigkeit „eine Maske zu tragen“. (S. 14) So bleibt nur
übrig festzustellen, sie habe sich dem Zeitgeist angepasst, damals wie heute.
Statt ihrer basteln die Autoren an unterbelichteten
gesellschaftlichen Tatsachen und Zuständen, die für eine frühe Absage an den
Sozialismus bei der DDR-Bürgerin herhalten muss. Bienenfleißig quetschen sie Augenzeugen
aus, wühlen und schnüffeln wie Spürhunde in Stasi-Akten. Ihr „bewährtes“
Angriffsziel für Einäugige: Das Verhältnis von Staat und Kirche. Sie erspähen aus
der Froschperspektive – das ist ja nichts Neues - ,dass die Stasi überall war. Sie entwerfen ein
DDR-Bild - obwohl sie dort nicht groß geworden sind - , das aus der
Manipulationskiste von BILD zu stammen scheint. Haben die Autoren Angela
Merkels Leben lediglich dazu benutzt, um wiederholt auf die einstige DDR mit
ihren großen Visionen für ein friedliches Dasein einzudreschen? Um nach wie vor
den Antifaschismus der DDR-Gesellschaft in Abrede zu stellen und die auf Gesellschafteigentum
an Produktionsmitteln beruhende echte Friedensliebe? Das also soll der dunkle
Hintergrund vom Leben in der DDR und damit von Merkels Leben sein?
Um
nur einige wenige, der Gedankenakrobatik entsprungene und die Geschichte
verfälschende phraselologische Fügungen zu nennen: Die DDR-Gründung 1949 sei
eine Antwort von sowjetischen Besatzern und ihren deutschen Helfern auf die
Gründung der BRD gewesen. (S. 18) Diffamiert wird der Staat DDR auch durch die
Unterstellung, die Kirche und die „Junge Gemeinde“ hätten im Mittelpunkt des
„staatlichen Terrors“ gestanden. (S. 19) Horst Kasner, dem Vater der Angela
Merkel, man nannte ihn den „Roten Pastor“, der für eine Kirche im Sozialismus
eintrat, wird Naivität „vorgeworfen“, er würde „das wahre Wesen des zweiten
deutschen Staates“ nicht verstehen. (S. 26) Auf Seite 35 wird ihm missbilligend
vorgeworfen, mitverantwortlich für folgende Aussage zu sein: Die Kirche habe
sich in den „Dienst der sozialistischen Gesellschaft zu stellen“, um eine
Wiederholung der Hitler-Barbarei zu verhindern. Weiter: Die „Christliche
Friedenskonferenz“ (CFK) 1958 in Prag stünde „unter dem Dogma der Notwendigkeit
des Friedens in einer atomar hochgerüsteten bipolaren Welt…“ (S. 28)
Unverzeihlich schmettern die Autoren auch diese die Nazidiktatur
verniedlichende Lüge von der „zweiten deutschen Diktatur“, die DDR anprangernd,
wiederholt in die Welt. (S. 43) Natürlich wurde auch die Worthülse von
„Freiheit und Demokratie“ strapaziert, die ein täuschendes pars pro toto für das
wahre Wesen des Kapitalismus sein soll. So täuscht man das angeblich „dumme“
Volk.
Die
Autoren kommen nicht umhin, der Wahrheit entsprechende Ausssagen zur deutschen
Geschichte nach 1945 zu zitieren. So lehnten sich führende linke
protestantische Kreise Westdeutschlands gegen „Adenauers
West-Integrations-Politik, seinem Wiederbewaffnungskurs und seiner konseqenten
Ablehnung des Moskauer Angebots, ein neutrales Gesamtdeutschland zu schaffen“
auf. „Mehr Sozialismus lautete dort die Losung.“ (S. 20) Ergänzend wird von den
Autoren registriert, dass die neue Generation im Westen nach der Rolle der
Väter während Nazidiktatur und Völkermord gefragt habe, dass sie den
Vietnamkrieg des US-Imperialismus verurteilte und bald in der DDR weniger die
kommunistische Diktatur sah als den „antifaschistischen“ und damit den moralisch
legitimierten zweiten deutschen Staat…(S. 78)
Zurück
zur Angela Merkel. Wie hat sie als spätere Studentin und Sekretärin für
Agitation und Propaganda in der FDJ an der Karl-Marx-Universität und später an der
Akademie der Wissenschaften der DDR solche und ähnliche Wahrheiten über die
Geschichte verinnerlicht? Es liegt auf der Hand: Offensichtlich ließ sie
weltanschauliche Themen überhaupt nicht an sich heran, denn sie besaß das
Talent, stets zuzuhören ohne ihre Meinung zu sagen. Sie wollte nicht auffallen.
Trotz Blautuch bei den Jungen Pionieren und später im Blauhemd der FDJ („ich
war gerne in der FDJ“) habe sie sich so verhalten, „dass ich mit diesem Staat
nicht dauernd in Konflikt leben musste“. (S. 12) Weshalb habe sie dann trotzdem
mitgemacht, ohne „aufzumucken“?
Die
Autoren finden es heraus: Sie war gemeinschaftshungrig. Die Hauptsache war für
die junge FDJlerin, dass sie vorwärts kam, ob auf der Erweiterten Oberschule
oder als Studentin der Physik. Sie spricht es auch unverblümt aus: Du musst nur
für dich da sein. (S. 146) Später wird sie zugeben, immer schon für das
westliche Wirtschaftsmodell geschwärmt zu haben. Die Wirtschaft sei nur noch über
Wettbewerb und Markt zu steuern. (S. 223)
Zur
Wendezeit wurde sie plötzlich sehr lebendig und neugierig. Sie roch den Braten,
denn das Private hatte bei ihr stets Vorrang. So nimmt es nicht Wunder, wenn
die junge und „intelligente“ Frau schnell mit ihrer Vergangenheit abschloss und
mir nichts dir nichts die „Nähe zum Sieger“ suchte. (S. 232) Mit großer
Verwunderung und Befremden nahmen ihre ehemaligen Freunde und Mitstreiter an
der Akademie die politisch-moralische Kehrtwende wahr. „Wer eine solche Wendung
mitmacht - für den können politische Inhalte nicht im Mittelpunkt stehen. Für
den geht es um Karriere und Macht. Für den ist Macht Selbstzweck.“ (S. 286)
Fest
steht, das Anliegen der Autoren, den Hintergrund des Lebens in der DDR
darzustellen, um daraus Schlüsse für das Denken und Fühlen der Angela Merkel zu
ziehen, ist ihnen kaum gelungen. (Wollten sie das wirklich?) An äußeren Taten
und Mitmachaktionen ist ihr damaliges Innenleben nicht sichtbar geworden. Solche
wie sie gab es zuhauf, die nur Lippenbekenntnisse zur Schau trugen, um sich
persönliche Vorteile zu ergattern. Allerdings ist folgende inhaltliche Aussage von
geborenen DDR-Gegnern, deren Sicht nur auf ein Zerrbild gerichtet ist, nicht
von der Hand zu weisen: In so einem „Stasiland“ sei inhaltliches Engagement
unmöglich gewesen! Womit wir dann wieder bei den „Hintergründen“ für ihr erstes
Leben gelandet wären.
Denn
auch dies ist die Botschaft dieses Prügelbuches: Es gibt kein Schwarz, Grün, Gelb.
(Rot existiert für diese Rückläufer der Geschichte nicht.) Es ist aus mit
eindeutigen Farbzuweisungen für Parteien und Gruppierungen. (Siehe Regierungskoalition.)
Gefragt ist Beliebigkeit, Austauschbarkeit und Unberechenbarkeit. Vorbei mit
einer klaren politischen Orientierung. Es ist die Zeit angebrochen fürs Lavieren,
um das Volk zu täuschen. Zeit ist da für die Mitte, fürs Zulächeln gegenüber jedermann.
Jeder färbe sich selbstbestimmend ein, je nach Lust und Laune. Es lebe der
Pluralismus und die vielgepriesene Individualität. „Jedem das Seine.“ Die Angela
M. machts vor. Nie wieder Ideologie. Nie wieder Kollektivismus. Habt Spaß, aber
stört die Wirtschaft nicht beim Wachstum.
Für
die Kanzlerin ist die Steuerbrücke also genau der richtige Platz. Die Geldmacht
braucht sie zur Tarnung. Was wird sie antworten, wenn einmal das „Regierende
Volk“ die Maskenfrau zur Rechenschaft ziehen würde, warum sie sich von einer
Humanistin - denn schließlich trat sie vor und während der Wende für einen
demokratischen Sozialismus ein - zu einer absolut marktkonformen und dem
Zeitgeist angepassten Staatenlenkerin hatte hinreißen lassen? Vielleicht fiele
die Antwort so aus: Ich wollte stets das Beste, war doch immer brav zu jedermann… So würde sich halt
ein Chamälion rechtfertigen, dass dem Kapitalismus selbst im Zerfallsprozeß noch
kräftig zu Diensten war. Den Autoren sei gedankt.
Ralf Georg Reuth, Günther Lachmann: „Das erste Leben
der Angela M.“, Gebundene Ausgabe: 336 Seiten,
Verlag: Piper; Auflage: 4 (14.
Mai 2013), Sprache: Deutsch , ISBN-10: 3492055818 , ISBN-13: 978-3492055819
Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung
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