Ein Buch ist im Entstehen. Der Titel:
DER
MENSCH
IM TEUFELSKREIS
Autor: Harry Popow
Bis zur
Veröffentlichung braucht es seine Zeit. Schon jetzt können Sie,
liebe Leser dieses Blogs, hin und wieder Textauszüge lesen und
kommentieren. Beste Grüße vom Autor.
TEXTAUSZUG
IM STILLEN PARK
Eine verdächtige Gestalt
Ein schriller Telefonanruf. Eilig hebt Polizist-1 den Hörer ab, im Mund noch eine glimmende Zigarette. Ein Schnüffler, der in der Nähe des alten Friedhofs bei Sanssouci Posten bezogen hat, um eventuelle Zwischenfälle beim Begraben der Pandemie-Opfer und die Absperrung des geschmähten steinernen Denkmals aus vergangenen Zeiten an die Obrigkeit zu melden, teilt mit aufgeregter Stimme mit, dass ein Unbekannter in ältlicher Kleidung gesichtet wurde. Offenbar, so die Meldung der Friedhofsverwaltung, sei er soeben einer Gruft entstiegen. Was sei also nun zu tun?
Polizist: „Sofort festhalten, Personalien feststellen, Wohnort, Geburt, Motiv, verstanden?“
Schnüffler: „Er eilt wie ein Betrunkener durch den Park, auffallend bekleidet mit einer alten Oberbekleidung, wie aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert. Zweifellos, er will zu diesem komischen Denkmal, das ja seit geraumer Zeit umzäunt ist und dem sich niemand nähern solle.“
Der Polizist brüllt aufgeregt in den Telefonhörer zurück: „Was soll denn das? Niemand hat das Recht, sich diesem Denkmal zu nähern. Etwa ein Linker? Sofort festnehmen. Wir melden das sofort dem Geheimdienst, schließlich müssen wir unsere Demokratie schützen, oder wollen wir alle unsere Posten verlieren?“
Der Schnüffler fasst sich ans Herz und tippt sich an die Stirn: Müssen wir denn gleich einsperren? Bei Hitler konnte man noch Bücher verbrennen und Leute sofort einsperren, wenn sie aufmuckten. Wir aber leben in einer Demokratie. Das schützt unsere Macht.
Wörtlich schnauzt er zurück: „Die Leute sollen wenigstens spüren, dass sie ihre Meinung sagen dürfen, verstanden? Desto notwendiger ist die heimliche Überwachung, ob auf den Straßen oder im Internet. Überall muss unser Ohr sein, ohne, dass jemand etwas merkt, kapiert?“
Stunden später: Aufruhr im Kriegsministerium. Ein neuer Feind sei entdeckt. Dieser Faust, erst recht dieser Urfaust, wurden als Oppositionelle bereits im 16. Jahrhundert als den Ketzern nahestehend entlarvt. Der Urfaust hetzte, so gab ein Literaturexperte vor den Uniformierten bekannt, gegen die orthodoxe Kirche. Er wurde des Teufels bezichtigt.
Gefährlicher aber war der von Goethe am Ende des 17. Jahrhunderts aus der Taufe gehobene Dr. Faustus. Der wollte gegen die feudale Ordnung opponieren und beschritt, mit Hilfe von Mephisto, den Weg eines angeblich modernen Menschen. Obwohl er selbst letztendlich Kapitalist wurde, ließ Goethe ihn retten vor dem Untergang, um so den Weg in die bürgerliche Gesellschaft zu ebnen. Im Grunde, dabei legte der Redner im Kriegsministerium den Finger bedeutungsvoll an den Mund, warnte Goethe, da machen wir uns nichts vor, vor den Gefahren einer von Geld bestimmten habgierigen Gesellschaft. Was folgt daraus? Dieser plötzlich aus seiner Gruft entstiegene Dr. Faustus will wohl die braven Bürger zu Ketzern gegen unsere bürgerliche Macht aufputschen. Deshalb müssen wir ihn überwachen, Tag und Nacht. Und mit wem er Kontakt hat. Notfalls werden unsere Sicherheitsleute ihn unter dem Verdacht der Corona-Krankheit ins Krankenhaus exportieren. Der Redner rief: „Es geht um Sein oder Nichtsein der weltweiten Macht um Profit und Macht. Wollt ihr den totalen Krieg gegen sämtliche Verschwörer und Widersacher, ob links, rechts oder Antisemiten?“ Der Jubel im Saal des Kriegsministeriums ließ die Ordnungskräfte vorsichtshalber alle Fenster schließen.
Mit Recht...
Faust steuert indessen, nicht ahnend, dass er bereits auf dem Schirm der Abwehr gegnerischer Aktivitäten erfasst wurde, auf eine Parkbank zu, auf der offensichtlich ein Liebespaar sitzt, in angeregter Unterhaltung vertieft. Plötzlich tauchen an dieser Bank einige wild gestikulierende Männer auf, in komischer Bekleidung, ähnlich den Uniformen der kaiserlichen Armee. Sie schreien die beiden auf der Parkbank an. Soviel versteht Faust: Sie sollen schnellstens ihre Masken aufsetzen und auf der Bank auseinanderrücken.
Faust erschrickt. Er versteht gar nichts. Wohin ist er geraten? Da er versucht, schnell diesen Ort zu verlassen, brüllen die Uniformierten hinter ihm her, er solle gefälligst ebenfalls seine Maske aufsetzen, oder komme er aus dem Ausland mit diesem alten Gewand, desto schlimmer sei dies.
Der Verbindungsmann der Polizei taucht im Laufschritt auf und übernimmt das Verhör: „Woher kommen sie? Warum steigen sie plötzlich aus der Gruft?“
Faust stellt sich als Dr. Faustus vor, er müsse sich zunächst einmal zurechtfinden. „Was oll das“, brüllt der Verbindungsmann der Polizei? „Wollen sie mich verscheissern. Ich kenne keinen Dr. Faustus.“ Ein zweiter Mann stößt dem Ersteren in die Rippen und flüstert ihm zu, dass dieser Faust ein von Goethe geschaffener literarischer Held sei. Egal, schimpft der erste Polizist, er soll mitkommen zur Polizeiwache, da müsse man seine Identität feststellen.
„Haltet inne, seid ihr des Teufels, lasst den Herrn sofort frei, er ist tatsächlich Goethes Literaturgestalt und nennt sich Dr. Faustus“. Die energische Aufforderung kam aus einer Richtung hinter wildem Gebüsch. Bückend schleichen die Beamten vor und entdecken das zu bewachende schmähliche Denkmal, allerdings umringt von allerlei staunendem Volk.
Erschrocken weichen sie zurück. „Der Bogenschütze“, flüstert einer der Männer. „Wir müssen diesen Kontakt melden“, meint ein anderer. Der winkt ab, das bringe nur Ärger, man müsse sich rechtfertigen, zu einem Unverbesserlichen gar bewusst Verbindung aufgenommen zu haben. Das bliebe nicht ohne politische und personelle Folgen. Die rettende Idee: Man wird schweigen. Sodann lassen sie den bisher widerrechtlich fest gehaltenen Faust frei und schleichen sich wie geprügelte Hunde durch den weiten und stillen Park von dannen.
Beide haben eine Gestalt hinter Büschen übersehen, die über Sprechfunk den Bundesnachrichtendienst über unliebsames Volk an dem berüchtigten Denke-Mal informiert. Sogleich alarmierte diese Stelle den Verfassungsschutz und der – für alle Fälle – die Bundeswehr. Wegen zu erwartender Provokationen während der Ansammlung im Park als auch wegen weiterer Demonstrationen gegen die Zwänge zur Niederhaltung von Pandemie-Zweiflern. Dem anrufenden Verbindungsmann wird empfohlen, diesem angeblichen Dr. Faustus, den kaum jemand aus den Reihen der Beamten kennt, bei passender Gelegenheit ein überwachendes Smartphone unauffällig – sozusagen als Willkommensgruß - zu überreichen. Was keiner ahnen konnte: In der darauffolgenden Nacht wurde das Denke-Mal, bekannt als „Bogenschütze“, mit Stacheldraht umgeben und mit einem Verbotsschild versehen: „Achtung – politische Ansteckungsgefahr – Betreten und Kontaktaufnahme strengstens untersagt!“
Ein rätselhaftes
Denke-Mal
Die Skulptur „Der Bogenschütze“ ist das
Modell für eines der bekanntesten Werke des Rixdorfer Künstlers
Ernst Moritz Geyger (1861–1941). Das Original steht im Schlosspark
von Sanssouci.
Manchmal träumt er, der alte
Bogenschütze: An seiner fast vier Meter hohen Skulptur im schönen
Park Sanssouci strömen die Touristen zu Hauf vorbei, begutachten die
starke jugendliche Figur, doch dicht daneben sitzt am Wegesrand auf
einem Hocker er, der einstige echte Bogenschütze, den Hut in die
Stirne gezogen, neben sich im niederen Gras im Auftrag von Verlagen
zahlreiche Sachbücher gegen Krieg und Kriegsgeschrei. Zum Verkauf.
Die Bücher, die sieht man nicht, aber man vermisst einen Hut vor dem
Alten. Und so gehen sie verständnislos weiter, die vorwiegend mit
ihren Smartphonen mit sich selbst beschäftigten jungen
Leute...
Ungläubig scheint auch die Figur des Denke-Mals
dreinzuschauen. Streift dessen Blick in dankbarer Erinnerung den am
Wegesrand hockenden Schützen? Als wolle er fragen: Ist der Mut des
Neubeginns vergessen? Fragt niemand nach dem Warum und Wofür und
Wohin? Sind Inhalte nicht mehr gefragt? Triumphieren
Oberflächlichkeit, Belanglosigkeiten. Substanzloses Gerede wie
Freiheit, Demokratie, Verantwortung in der Welt übernehmen - alles
eingängige aber hohle Worte? Ohne Maskierungen hat das Kapital keine
Chance. Es braucht die Täuschung, die Schminke. Doch man könne den
Hintern schminken wie man will, es wird kein ordentliches Gesicht
daraus, so zitiert Kurt Tucholsky in „Schloß Gripsholm“ seinen
Freund Karlchen.
Da entdeckt er, der echte alte Bogenschütze
eine Figur, der er bereits als ganz junger Mann begegnet war. Im
Traum natürlich. Ob auch dieser Faust sich an diesen jungen
literaturbeflissenen Schnösel erinnern mag?
Während Faust
nicht ohne Neugier die Polizisten schmunzelnd beobachtete ob ihres
ängstlichen Getues, grübelt er, ob er diesen Namen „Denke-MAL“
schon einmal vernommen hatte. Es muss schon viele Jahre her sein. Zu
einer Zeit, als Goethe wohl mit seinem Spruch, „freies Volk auf
freiem Grund“ breitesten Widerhall bei vielen Menschen gefunden
hatte. Als Geist spürte Faust seit jeher, wie er in dem bekannten
Faustbuch von Goethe gelesen und verstanden wurde, was ja mitunter in
den Jahre des 19. Jahrhunderts überhaupt nicht selbstverständlich
war. Und so blitzte es in seinem alten Hirn als angenehme Erinnerung
auf. Tatsächlich, dieser Bogenschütze las den Faust sogar in
Arbeitspausen, hatte das kleine Reclamheft gar in der Hosentasche
verstaut. Insgeheim hatten beide wohl eine innige geistige
Freundschaft geschlossen.
Soeben will Faust sich wieder auf
den Weg begeben, um einen Unterschlupf zu suchen, unbehelligt von
irgendwelchen Maskensuchern, da hört er das bereits hinter ihm
liegende Denke-Mal rufen: “Ich habe sie erkannt, lieber Faust. Kann
doch wohl nicht wahr sein, dass sie aus ihrer Gruft hervorgekrochen
sind, um etwa unsere moderne Gesellschaft kennen zu lernen? Es gibt
viel zu erzählen. Aber das wird schwierig sein, denn man will meine
Wenigkeit als DENKE-MAL völlig isolieren und möglicherweise einen
Zaun um mich herum als steinerne Mauer errichten. Deshalb gebe ich
Ihnen, lieber Herr Dr. Faustus, den Rat, sich ganz alleine
umzuschauen, zu beobachten, zu erkennen, zu urteilen. Gehen sie auf
die Straße. Und wenn Sie Lust und Zeit haben, dann kommen sie zu
mir, und wir sprechen über alles. Der Drahtzaun oder die Mauer soll
kein Hindernis sein, genau so wenig wie eine einstige Mauer manche
davon nicht abhielt, sie trotz Verbote und im Glauben, das Paradies
zu finden, zu überwinden. Ich lasse mich nicht einschüchtern und
bin bereit, ihnen neben ihren eigenen Erfahrungen und Beobachtungen
die Wahrheit über unsere Geschichte ab dem 19. Jahrhundert zu sagen.
Nur ein Tipp: Suchen sie Freunde, Gleichgesinnte. Nur gemeinsam macht
es schließlich Spaß, Neues zu entdecken.“
Dr. Faust,
aufgeschreckt durch die bisherigen Erlebnisse mit den Polizisten, die
auf der Jagt nach nicht tragenden Maskenträgern seien, erbittet
wissbegierig und mit Nachdruck um Auskunft, was denn nun in der Welt
los sei. Er nimmt den Rat gerne an, sich im Volk umzusehen, in der
täglichen Praxis das Geschehen zu erkennen und zu
beurteilen.
„Gut“, erwidert der Bogenschütze, „dann
will ich Dir, wir können doch Du zueinander sagen, eine persönliche
Beobachtung erzählen, die noch aus alten guten Zeiten stammt. Von
einem Ehepaar will ich kurz erzählen, das ich oft beobachtet habe in
diesem schönen Park, willst du das hören?“
Faust nickt.
Aber ja, das sei interessant, nichts ist wichtiger, als die Menschen
kennen zu lernen, die hier leben oder im Park spazieren gegangen sind.
Vergangenes ist immer interessant. So odr so. Es kommt doch wohl auf
die Sicht darauf an. „Ich höre...“
Der Bogenschütze
senkt den steinernen Kopf und erinnert sich: Er denke an den Anfang
seiner beruflichen Laufbahn. Tatsächlich, da sah er gerne in den
Faust Teil 1, und er vermerkte im Laufe der Zeit, dass er mit der
Gesellschaft gut im politischen Einklang stand. Widersprüche - ob
persönliche oder gesellschaftliche - , die es immer gibt, mussten
gesehen, gründlich beachtet und gemeistert werden, was aber leider
nicht immer gelingt.
Und später, als er zum Denkmal gekürt
wurde, sieht er oft dieses schöne Bild vor sich: Sooft sie Zeit
haben, spazieren zwei junge Leute am Denkmal vorüber in diesem
herrlichen und weitläufigen Park. Und immer, wenn sie an ihm, den
Bogenschützen, vorbeikommen, verharrt Greta, so nennt er seine
Geliebte, schweigend und versonnen vor ihrer wunderschönen
Lieblingsskulptur. Und wenn ihr Blick auf den muskulösen Waden
haften bleibt, dann kann sie nicht anders, dann stellt sie Vergleiche
an, und die fallen recht schmeichelhaft aus für den Buchnarr,
gesteht sie. Du bist mein Bogenschütze, du musst mich beschützen,
glaubt er in ihren schalkhaften Augen und in ihrem stillen Lächeln
zu lesen …
Ja, so war das, erinnert sich der Schütze und
Faust hört interressiert zu. Also damals - der Bogenschütze sieht
den beiden träumend hinterher: Greta, die „Plauener–Spitzen-Frau“
und ihr „Buchnarr“, wandern weiter auf ihren so sehr vertrauten
Wegen im Park von Sanssouci und schweigen und reden und reden und
schweigen. Und dann und wann sprechen sie auch darüber, erzählte er
später – irgendwann wird ihr Glücksweg abbrechen, wird ein Pfad
abzweigen, und den muss einer alleine gehen, während der andere
hoffnungslos zurückbleiben muss. Was dann? Alleine, einsam, durch
die Landschaft schleichen wie ein geprügelter Elch? Was zu tun
bleibt, das wissen sie. Sie werden es denen da oben gleichtun, denn
dort am blauen Herbsthimmel ziehen weiße Schwäne wieder in langer
Kette nach Süden. Greta und der Alte werden in der Erinnerung ihrer
Kinder bleiben... Sehr lange Zeit.
Faust nimmt sich vor: Er
wird sehen, bedenken und erkennen. Er will nicht mehr rettungslos
weder wildem Streben noch irgendwelchen Verlockungen von modernen
Mephistos erliegen. Man wird sehen: Er will an sich arbeiten, sich
selbst ändern und – wenn möglich – den heutigen Menschen des
21. Jahrhunderts eigene Erfahrungen übermitteln. Aber welche? Das
ist ihm völlig unklar. Umso gründlicher muss er mit viel Geduld und
Mühe hinschauen was Sache ist. Dabei freut er sich schon darauf,
gute Freunde zu finden.
In ihm ist die Neugier für diesen
Buchnarr und seine gleichgesinnten Bekannten geweckt und er fragt
sich, ob er ihn und seine Greta, diesen Namen erinnert ihn an sein
Gretchen in Goethes „Faust“, irgendwo noch sehen kann, die doch
inzwischen beide über 80 Jahre alt sein müssten. Der Bogenschütze
nickt, er solle nur suchen, aber Buchnarren gäbe es im Lande trotz
allem recht viele... Und außerdem wohl auch eine Helena...
Faust
bedankt sich, stellt dem Bogenschützen allerdings vorläufig noch
eine letzte Frage: „Warum spannst du den Bogen und gegen wen
richtet sich der Pfeil?“
Das DENKE-MAL vertröstet ihn
auf ein späteres Gespräch, denn das sei eine der wichtigsten
Fragen, die in Ruhe besprochen und durchdacht sein müssen. Faust
solle auf die Straße gehen, viel beobachten, sich auch amüsieren
und viel nachdenken. „Man sieht sich“, verspricht er, das
inzwischen eingezäunte, eingemauerte DENKE-MAL.
Faust
aber grübelt, weshalb wohl dieser Bogenschütze von der Obrigkeit so
gemieden wird? Woher komme diese Angst vor eine Statue? Was und wen
symbolisiert sie? Er will es herauskriegen...
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