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Der Kanzler mit dem kurzen Gedächtnis: Olaf Scholz in Vietnam
In der Bundesregierung muss es einen internen Wettbewerb geben, wer
peinlichere Auftritte hinlegen kann als Außenministerin Annalena
Baerbock. Bundeskanzler Olaf Scholz jedenfalls hat in China schon Anlauf
genommen, bei seinem Besuch in Vietnam aber noch weiter Punkte
gesammelt.
Von Dagmar Henn
Erstveröffentlichung am 13.11.2022 auf RT DE
Olaf Scholz hätte es besser wissen müssen. Aber vermutlich hatte er
gehofft, wenn ihn die Chinesen schon nicht lieben, dann wenigstens die
Vietnamesen, schon allein, weil deren Verhältnis untereinander nicht
ganz frei von Komplikationen ist.
Jedenfalls hat er, Pressemeldungen zufolge, in Vietnam erklärt, er
wünsche sich eine „klare Positionierung“ Vietnams gegen Russland. „Es
handelt sich bei dem russischen Angriffskrieg um einen Bruch des
Völkerrechts mit gefährlicher Präzedenzwirkung. Kleine Länder können
nicht mehr sicher sein vor dem Verhalten ihrer größeren, mächtigeren
Nachbarn.“
Er hätte es besser wissen können, weil er alt genug ist, sich daran zu
erinnern, dass es einen Krieg der Vereinigten Staaten gegen Vietnam gab.
Vielleicht erinnert er sich sogar noch daran, dass die Vereinigten
Staaten dieses Land mit einem Gift besprühten, durch das noch heute
unzählige missgebildete Kinder geboren werden, Agent Orange; ein Gift
übrigens, an dessen Herstellung auch der deutsche Chemiekonzern Bayer in
Zusammenarbeit mit Monsanto beteiligt war. Scholz hätte auch wissen
können, dass es nie irgendwelche Entschädigungen der Vereinigten Staaten
an Vietnam gab, und dass Vietnam ebenfalls ein „kleineres Land“ war,
und der vermeintliche Überfall auf ein US-amerikanisches
Patrouillenboot, der sogenannte „Golf von Tonkin“-Zwischenfall, eine
absolute Vortäuschung.
Er hätte auch wissen können, dass das Deutschland, dem bis heute viele
Vietnamesen wohlgesinnt sind, das andere war, das auf der Landkarte
nicht mehr zu finden ist. Es war die DDR, die beispielsweise half, in
Vietnam den Anbau von Kaffee zu entwickeln, der heute eines der
wichtigsten Exportprodukte ist; ein Projekt zum beiderseitigen Vorteil,
dessen Früchte aber für die DDR zu spät kamen. Die Bundesrepublik
hingegen war das Land, aus dem sich die meisten US-Soldaten auf den Weg
nach Vietnam machten.
Aber vermutlich hat Scholz sein Gedächtnis irgendwo auf dem Weg vom Juso
zum Bundeskanzler komplett gelöscht. Dass er keinen Blick für die
globale Entwicklung hat, zeigte sich auch bei seinem Besuch in China,
bei dem er tatsächlich versuchte, die Chinesen zu belehren.
Dabei ergeht es schon US-Präsident Joe Biden zurzeit nicht allzu gut bei
seinen Besuchen. Selbst in Saudi-Arabien zeigte man ihm die kalte
Schulter. Im Internet kursieren Bilder, die Biden und den russischen
Außenminister Sergei Lawrow bei der Ankunft in Kambodscha zeigen sollen;
die Gangway für Lawrow mit einem roten Teppich belegt, die für Biden
nicht. Selbst wenn diese Bilder nicht stimmen sollten – sie
symbolisieren recht deutlich, wie sich die Verhältnisse auf der Welt
augenblicklich verschieben.
Das Handelsblatt ergänzt seine Meldung zu den Äußerungen von Scholz mit
der Aussage, Russland sei der wichtigste Waffenlieferant Vietnams und
sei zudem an der Erschließung vietnamesischer Öl- und Gasfelder
beteiligt. Mal abgesehen davon, dass kein EU-Staat, Deutschland
eingeschlossen, noch an einer solchen Erschließung beteiligt sein
dürfte, weil das dem Klimaglauben widerspricht und daher verboten ist –
auch das ist nur die halbe Wahrheit.
In Wirklichkeit dürfte Scholz es nur der asiatischen Höflichkeit zu
verdanken haben, dass sein vietnamesisches Gegenüber nicht an Ort und
Stelle in lautes, hemmungsloses Lachen ausgebrochen ist. Er wird sich
daran gewöhnen müssen, dass es ihm in vielen weiteren Ländern ebenso
ergehen wird. Und es ist nicht das Wissen darum, dass die
wirtschaftliche Stärke Deutschlands mit einem Zeitzünder versehen wurde,
das dieses Lachen auslöst und sein oberlehrerhaftes Auftreten zur Farce
macht. Es ist Nord Stream.
Vietnam hat einen langen, blutigen Krieg hinter sich, in dem es seine
Souveränität errungen hat. Er liegt zwar bereits bald fünfzig Jahre
zurück, aber seine Spuren zeichnen das Land bis heute. Es ist eine
Sache, irgendwie mit den USA zu kooperieren; das tut Vietnam seit
einiger Zeit, allerdings eher, um ein wenig Distanz zu China zu halten,
als um sich tatsächlich mit dem ehemaligen Feind zu verbünden. Es ist
etwas völlig Anderes, sich vom Vertreter eines Landes Vorhaltungen
machen zu lassen, das auf einen Angriff auf seine Souveränität mit –
nichts – reagiert hat.
Seit der Sprengung von Nord Stream könnte man eigentlich die gesamten
Ausgaben für das Auswärtige Amt einsparen. Welches Land auf diesem
Planeten soll ein Gegenüber ernst nehmen, das sich von einem
vermeintlichen Verbündeten seine Energieversorgung zerschießen lässt und
keinen Mucks dazu sagt, und das freiwillig seine Lebensgrundlage
preisgibt? Es ist egal, ob Scholz oder Baerbock oder Habeck oder Lindner
irgendwo auftauchen, und es ist egal, wohin sie gehen – ein Land, das
seine Souveränität derart preisgegeben hat, hat keine Außenpolitik mehr.
Und jeder auf diesem Globus, der zwei und zwei zusammenzählen kann,
weiß, dass Deutschland auch nichts mehr zu bieten hat. Nicht nur die
industrielle Stärke, auch der Wohlstand beruhten auf der sicheren
Energieversorgung, und selbst wenn es möglich wäre, das gekappte
russische Gas durch US-LNG zu ersetzen – warum sollte man dann mit einem
deutschen Gegenüber sprechen, wenn die USA doch in der Hand haben,
diese Versorgung jederzeit zu kappen? Als in der BRD der Bau von
Atomkraftwerken begann, als die ersten Pipelines nach Russland gelegt
wurden, ging es nur an der Oberfläche darum, nicht mehr von der OPEC
erpressbar zu sein. In Wirklichkeit ging es darum, sich nicht den
Vereinigten Staaten auszuliefern. Vergangene deutsche Regierungen
wussten, dass das Freunde sind, die man sich am besten auf Armeslänge
vom Leib hält, gleich, was offiziell erklärt wurde. Und sei es, weil es
industriell immer wieder zu Konkurrenz kam; berühmtes Beispiel ist der
brasilianische Atommeiler Angra II.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, und wenn
Scholz es nun für nötig hält, weiter so zu tun, als wäre nichts, wird er
das internationale Ansehen des Landes mindestens ebenso beschädigen,
wie es Bundesaußenministerin Annalena Baerbock tut (bei der schon aus
Kompetenzgründen niemand erwarten würde, dass sie Feinheiten wie
Souveränität versteht).
Es mag ja sein, dass sich große Teile der deutschen Öffentlichkeit an
der Nase herumführen lassen, was den Anschlag auf Nord Stream betrifft.
Aber der Rest der Welt hat eigene Zeitungen, weiß genau, was da passiert
ist, und wird daraus die Konsequenz ziehen, dass man bedeutend Zeit und
Energie sparen kann, wenn man gleich mit den USA verhandelt.
Andererseits – eine längere Reihe demütigender Erfahrungen ist Scholz
für sein Schweigen durchaus zu gönnen. Vietnam ist da fast noch viel zu
groß, um die richtige Wirkung zu erzielen. Ein kleinerer
lateinamerikanischer Staat wäre nicht schlecht, oder ein Inselstaat,
Aruba oder Kiribati. Oder Bhutan. Nichts jedenfalls, das die Größe der
Hansestadt Hamburg übersteigt, damit das auch in jenem Teil von Olaf
Scholz ankommt, der sich allein deshalb schon groß und stark fühlt, weil
Deutschland größer ist als der Stadtstaat, aus dem er kommt.
Wie gesagt, er ist alt genug, um sich daran zu erinnern, wieviel Vietnam
seine Souveränität wert war. Wenn er es schon in seiner politischen
Karriere nicht gelernt hat, wann er die Klappe aufreißen müsste (in
jenem Moment, da Biden erklärte, man werde dafür sorgen, dass Nord
Stream 2 nicht in Betrieb ginge), lernt er jetzt vielleicht wenigstens,
wann er sie halten sollte.
Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
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