Dienstag, 30. Juli 2019

KRIEGSVERHINDERER - User ALEX


Opferrente für Traumatisierte?

Am 29.07.2019 um 22:01 schrieb User ALEX:

Angst, beschossen zu werden...“ Unter dieser Überschrift berichteten BERLINER ZEITUNG und BERLINER KURIER über einen Flüchtling, der von Ost nach West wollte und viele Stunden im Schlamm liegend vor den Schüssen der DDR-Grenzer fürchtend doch noch flüchten konnte. Die Angst, entdeckt und beschossen zu werden traumatisierte ihn dermaßen, dass er jetzt noch wegen nachwirkender Traumatisierung eine Opferrente beanspruchen möchte.

Halten wir mal fest: Jedes Opfer, jeder Tote, jeder in Angst und Schrecken Leidende ist ein Opfer zuviel. Überall in der Welt. Aber ich meine, dass dieser Flüchtling (und andere) nach den Gesetzen der DDR wissen musste, worauf er sich mit dem illegalen Grenzübertritt einlässt.

Am 19. März 1945 wurde ich infolge US-amerikanischer Bombenangriffe mit meinen Eltern und drei Geschwistern verschüttet. Die Explosion der Fliegerbombe und die Verschüttung, unsere dramatische Rettung in letzter Minute, die Leichen im Keller und in den Ruinen, sie verfolgen mich noch heute. Ich wüsste keinen Tag, der mich vor der Erinnerung daran in meinem weiteren Leben und der sich für mich daraus ergebenden Entscheidungen unbelastet leben lies .

In unserem Gemeinschaftswerk „EISZEIT-BLÜTEN“, von mehreren Usern verfasst, habe ich darüber geschrieben.
Als bewußt gelebter DDR - Bürger und ihr Soldat und Offizier der NVA käme ich mit all meinen Erinnerungen an diese prägenden Ereignisse und meinen späteren persönlichen und politischen Entscheidungen für ein Leben ohne Krieg und Bomben nie auf den Gedanken, als Traumatisierter eine Opferrente anzustreben.
Nach wie vor verfolgt mich täglich der besagte 19. März 1945 in Plauen in der Bickelstrasse 17 im Schlaf UND bei Tag.

Ich komme davon nicht mehr frei. Opferrente? Die Einvernahme in die BRD bescherte mir eine Strafrente .

Nun bekomme ich zwar unbeschwert die mir (zustehende?) Rente. Ich wüßte aber nicht, bei wem ich wegen meiner in Folge auch meiner Traumatisierung getroffenen Entscheidungen für den bewaffneten Schutz der DDR und das friedliche Leben ihrer Bürger Opferrente beanspruchen sollte. Selbst wenn ich es wüßte . . ., aber man kann ja zumindest mal über die Würdelosigkeit nachdenken ...

Antwort von Harry

Lieber ALEX, wenn zur Zeit die weinerlichen und oberflächlichen Berichte im rbb zwecks einer süßlichen Verdummung - auch am 12.07.2019 in der Abendschau - die Gründe des Geschehens am 13. August 1961 in der Versenkung gelassen werden, jedoch vom Reporter dann das Wort „TEILUNGSWAHNSINN“ fällt, dann ist es alarmierend höchste Zeit, nochmals an die damaligen politischen und militärischen Gründe des „Mauerbaus“ zu erinnern. Es fällt wohl sehr schwer daran zu denken: „Teilungswahnsinn“ geht vor nochmaligem KRIEGSWAHNSINN. (Siehe das Buch „Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben“ von Armeegeneral a. D. Heinz Keßler, Generaloberst a. D. Fritz Streletz, 2011 Verlag Das Neue Berlin, edition ost, Berlin, ISBN 978 3-360-01825-0, 224 Seiten.) H.P.




Sonntag, 28. Juli 2019

User Lotti zum Buch "Die Heimat..."


User Lotti, Mitautorin von „EISZEIT-BLÜTEN“,
sagt ihre Meinung zum Buch „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“ von Wolfgang Bittner:

...Ich komme nur sehr langsam mit dem Bittner voran, der äußeren Umstände wegen, aber ich gebe auch nicht auf, zu lesen und das Gelesene in irgendeiner Form weiterzugeben. Der Autor hat ein sehr gutes Buch geschrieben. Ich kann die Lebensumstände direkt fühlen, riechen, schmecken... Es ist ja unsere Leben gewesen. Vielleicht geht ihm, so gut er die historischen Ereignisse einbezieht, der Historiker ein bisschen zu intensiv über die Feder, mir, mit meiner Geschichtsbegeisterung, ist es so recht. Aber vielleicht mancher Belletristikleser ist vom Nachdenken über die Ereignisse in Einzelheiten überfordert. Es ist nur schade, dass diese guten Bücher im Grunde genommen eine zu kleine Lobby hat, einfach, weil Denken nicht für die Allgemeinheit gewünscht wird, den Regierenden dies suspekt ist. Das ist unerhört schade.

Ein zusätzlicher aktueller Gedanke: Wie einfach hat es doch ein Präsident, der dem Volk, dass im niedrigsten kulturellen Niveau gehalten wurde, das Volk als über allen Völkern stehend darstellen kann und mit dem Willen des so gewonnenen Volkes in der ganzen Welt zündelt. Diese partiellen Erfolge des Trampel, Mauerbau mit Umgehung des normalen demokratischen Weges erreicht, Affären unbeschadet zu überstehen mit eingeschüchterten Richtern. Und das soll die beste Demokratie der Welt sein, sie ist die beste und verabscheuenswürdigste, gegen die Menschen gerichtetste Kapitalherrschaft des 21. Jahrhunderts. Warum sehen das so wenige?

Samstag, 27. Juli 2019

Klima: Für mehr Besonnenheit - Rainer Rupp



Sommerhitze kein Grund zur Klima-Panik


VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 27. JULI 2019

von Rainer Rupp – https://kenfm.de

CO2, Co2, Co2, Wir sind auf dem Weg in den Untergang, nicht erst Übermorgen, sondern jetzt. Wir stehen am Rande des Abgrunds. Die Panik greift um sich. Wir alle müssen Handeln, sofort, um das Klima zu retten. Niemand darf abseits stehen. Verwerfliche Individuen, die sich nicht beteiligen, sind eine akute Gefahr für die Allgemeinheit. Sie müssen an den Pranger gestellt und gesellschaftlich geächtet werden. Sie dürfen keine Artikel mehr schreiben oder Reden halten. Für die Rettung der Welt müssen sie medial neutralisiert werden.

Wie im tiefsten Mittelalter, als griechische Lehrbücher über Mathematik und Physik unter dem Gejohle der Gläubigen als Hexenwerk verbrannt wurden, werden auch heute andere Meinungen über die möglichen Ursachen des Klimawandels nicht mehr toleriert. Damals wurden Gottesleugner von der kirchlichen Inquisition bei lebendigem Leib verbrannt, heute unternehmen die fanatisierten Anhänger der politisch zunehmend mächtigen Anti- CO2-Sekte mit Hilfe geneigter Medien, Politiker und wirtschaftlicher Profiteure alles, um Klimaleugner (wie sich die Sprache gleicht) beruflich und gesellschaftlich zu ächten.

In der Tat haben wir es hier mit einer neuen Religion zu tun. Das Glaubensbekenntnis „CO2, CO2, CO2 ist die alleinige, die größte Todsünde“, wird von den jugendlichen Jüngern und Schwestern der neuen Kind-Göttin Greta jeden Freitag vor allem auf den Straßen Deutschlands mit großer Inbrunst in die Welt posaunt. Ein – vielleicht etwas übereifriger – Bischof hat Greta sogar als neue Heilsbringerin mit Jesus vergleichen (1).

Selbst höchste Würdenträger aus Politik und Gesellschaft, unser Bundespräsident mit eingeschlossen, sind schon zu Greta gepilgert für ein Publikumswirksames, gemeinsames Foto und um sie natürlich um Rat beim CO2-Problem zur Rettung unseres Planeten zu bitten. Guten Rat gibt das gesalbte Kind denn auch gerne. Wenn sie nicht gerade mehr Atomstrom aus CO2 freien Atomkraftwerken fordert besticht die Kind-Göttin in ihrer unendlichen Weisheit mit tiefsinnigen Worten wie „Alles ist möglich“. Das trifft in der Tat auf den Wahnsinn und Aberwitz zu, der heutzutage in unserem Land von einer wachsenden Zahl von Menschen für normal, bzw. für gute Politik gehalten wird.

Auch das Argumentationsmuster der neuen anti-CO2-Sekte gleicht dem der christlichen Religion mit seiner Eschatologie, der Lehre von den letzten Dingen, von der Endzeit, vom Abgrund der Hölle und den Verheißungen des Paradieses. Bei der neuen Sekte heißt der Teufel CO2. Jeder der sich mit diesem Teufel einlässt, trägt dazu bei, dass unser Globus schon bald, sehr bald in der Höllenglut der Sonne zu Asche zerfällt. Daher basteln schon jetzt Mitglieder und Sympathisanten der CO2-Sekte an neuen Gesellschaftsmodellen, wie man z.B. mit einem von der Gestapo entlehnten System von Blockwärtern die ungläubigen Klima-Ketzer identifizieren und öffentlich ächten kann.

Aber die anti-CO2 Sekte wäre nicht so erfolgreich, wenn die Klima-Fanatiker nicht von einflussreichen Kreisen mit Spenden und medialem und politischem Wohlwollen begleitet würden. Denn kaum einem der jungen „Klima-Aktivisten“ dürfte bewusst sein, dass sich hinter dem CO2-Wahn ein gigantisches Geschäft für bestimmte Wirtschaftsbranchen und Finanzkreise versteckt.

Wer erinnert sich eigentlich noch daran, dass die großen Konzerne, die über Jahrzehnte die schärfsten Gegner des Umweltschutzes waren, vor über zehn Jahren plötzlich zu lautstarken Verfechtern der CO2-Reduktion geworden sind. Woher kam der Gesinnungswandel? Hatten die Profithaie und Dividendenjäger der großen Aktiengesellschaften plötzlich ihre soziale Verantwortung entdeckt? Wohl kaum! Oder haben staatliche Hilfs- und Fördermaßnahmen, verbunden mit Steuervergünstigungen den CO2-Umweltschutz zu einem profitablen Geschäft gemacht, das natürlich – wie könnte es auch anders sein – wegen staatlicher Mindereinnahmen auf Kosten der Allgemeinheit ging.

Es geht nicht um Hunderte von Milliarden Euro sondern um Billionen, die in den Industrieländern im Laufe des vergangenen Jahrzehnts über staatlich verordnete Umweltmaßnahmen von den Steuerzahlern in die Taschen der großen Konzerne und anderer Profiteure der Klima-Hysterie geflossen sind.

Man denke da nur an den gigantischen Beschiss mit dem Handel von Verschmutzungsrechten. Zu diesem Schwindel gehört auch die neue CO2-Steuer, die jetzt während der heißen Sommertage noch schnell durchs Parlament gepeitscht werden soll, bevor im Oktober in Berlin womöglich schon der erste Schnee fällt und einige Abgeordnete vom Klima-Wahn abfallen.

Natürlich ist von den Billionen auch wieder etwas Geld zurückgeflossen, an willige Forschungsinstitute und NGOs, sowie an Medienschaffende und andere Meinungsmultiplikatoren. Für CO2 Studien zur Unterstützung der Treibhaustheorie war es kein Problem, Forschungsgelder zu bekommen. Studien über andere möglichen Gründe des Klimawandels, z.B. die Veränderung des Magnetfeldes der Erde, oder auch der Sonne mit entsprechend höheren Sonnenaktivitäten oder die Einflüsse langfristiger, geologischer Zyklen waren und sind dagegen bis heute nicht angesagt. So kam es, dass sich heute Klima-Aktivisten auf Studien von Tausenden von Akademikern berufen können, die alle zum selben, politisch gewünschten und vorfinanzierten Ziel gekommen sind.

Die ganze CO2-Hysterie basiert auf einem Computer-Modell, mit vielen Annahmen, von denen der Großteil bis heute nicht bewiesen ist, bzw. bei denen es sich oft nur um Vermutungen handelt. Der Hauptpfeiler des aktuellen Klima Modells beruht auf der sogenannten AGW Theory (Anthropogenic Global Warming), also der Theorie des Treibhauseffekts. Dieser Effekt entsteht angeblich hauptsächlich als Resultat der Zufuhr von Kohlendioxid (CO2) in die Erdatmosphäre.

Die Theorie des Treibhauseffekts steht schon allein deshalb auf wackligen Füssen, weil sie alle anderen Effekte als mögliche Gründe für den Klimawandel nach dem Prinzip des „ceteris paribus“ weitgehend ausblendet. Und noch viel wackliger wird das kuriose Treibhauskonstrukt, wenn behauptet wird, dass der vom Menschen produzierte Anteil am CO2 Gehalt der Erdatmosphäre der Hauptschuldige für den Klimawandel ist.

Wer nachfragt und recherchiert, dem wird schnell klar, dass es keine physikalischen Beweise für die Theorie gibt, dass sich die Erde aufgrund menschlich verursachter Erhöhungen der Treibhausgase, hauptsächlich Kohlendioxid (CO2), erwärmt. Es gibt nur Klimamodelle, die diese Theorie beweisen sollen! Man recheriert also nicht ergebnisoffen in alle Richtungen, sondern versucht gezielt eine sehr schwammige Theorie zu beweisen. Diese Klimamodelle weisen viele Ungenauigkeiten auf, die die Ergebnisse der Modellrechnungen ungültig machen. Beispielsweise gibt es keine physischen Beweise dafür, dass CO2 überhaupt globale Erwärmung verursacht, sodass das einzige Argument für CO2 als Ursache für die Erwärmung ausschließlich in der Computermodellierung liegt.

Aber auch mit seinem vernünftigen Menschenverstand kann der Laie das Problem ergründen. In seinem „Aufruf zur Besonnenheit: Keine CO2-Steuer“ (2) hat der in Trier lebende Publizist und investigative Journalist Rüdiger Rauls das CO2-Problem in einleuchtenden Zahlen und Verhältnissen wiedergegeben, was jedem Klima-Hysteriker den Wind aus den Segeln nehmen sollte, falls er noch nicht vollkommen von seiner Pseudo-Religion besessen ist.

Nachfolgend ein längeres Zitat aus dem Rauls-Aufruf:

„Aus der Panik, die verbreitet wird, könnte man schließen, dass CO2 einen gewaltigen Anteil an unserer Atemluft ausmacht. In Wirklichkeit beträgt er aber nur 0,04%. Wussten SIE das? Das wissen viele der Klima-Aktivisten selbst nicht, wenn sie darauf angesprochen werden.

Die wenigen, die es wissen, verweisen dann auf den Anstieg der CO2-Emissionen seit dem Beginn der Industrialisierung. Sie schließen daraus, dass dieser Anstieg nur menschengemacht sein könne. (Das soll hier nicht bestritten werden, wenn es denn auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht statt auf Annahmen und Vermutungen.)

Innerhalb von ca. 150 Jahren stieg demnach der CO2-Anteil der Luft von 0,03% auf heute 0,04%. Das sind 33% in 150 Jahren. Das halten Klima-Aktivisten für viel und sehen darin eine Bedrohung. Frage an SIE: „Würden Sie einen Lohnanstieg von 33% in 150 Jahren auch für „viel“ halten?“

Sie sehen: „Viel“ ist ein sehr dehnbarer Begriff und nicht zu trennen von der Sichtweise des Betrachters und seinen Interessen. Denn bei einer Veränderung von 0,03% auf 0,04% innerhalb von 150 Jahren könnte man genauso gut von konstanten Werten sprechen, zumal wenn man bedenkt, dass Temperaturen und die Zusammensetzung der Atmosphäre immer Schwankungen unterlegen haben.

Hinzu kommt, dass ja auch die Natur selbst CO2 produziert durch die Photosynthese der Pflanzen. Es wird nicht nur von ihnen produziert sondern andererseits auch von ihnen aufgenommen. Dieser Vorgang wird in Treibhäusern genutzt. Durch die Zufuhr von CO2 wird die Photosynthese und damit das Wachstum der Pflanzen gefördert. Pflanzen brauchen zu ihrem Wachstum CO2. Sie verbrauchen es und regulieren damit auch seinen Anteil in der Luft. Das müssten eigentlich auch die Klima-Aktivisten wissen, wenn sie im Biologie-Unterricht aufgepasst haben.

Die wenigen, die diese Fakten kennen, verweisen dann aber auf das sogenannte menschengemachte CO2. Was schätzen SIE, wie hoch der Anteil des Menschen an der CO2-Produktion ist? Die Natur selbst produziert 96%, der Mensch nur 4%. Damit beträgt der Anteil des menschengemachten CO2 der Luft 4% von 0,04%. Das sind 0,0016%. Der Anteil Deutschlands daran liegt dann noch einmal bei 3,1%, also etwa 0,0005%. Und dafür sollen wir mit einer CO2-Steuer belastet werden? (Alle hier verwendeten Zahlen sind öffentlich zugänglich, und bezüglich ihrer Richtigkeit bestehen in der Wissenschaft keine Differenzen – anders als beispielsweise in Fragen des Klimawandels.)“

Wenn die Tatsachen also so sind, wieso setzt sich dann nicht eine besonnenere Haltung gegenüber dem CO2-Problem und dem gesamten Thema Klimawandel durch?

Erstens kennen viele Menschen diese Zahlen nicht, weil die Diskussion um das Klima nicht bestimmt ist von Sachlichkeit, sondern von Stimmungsmache und Empörung. Dadurch wird ein Klima der Bevormundung und des Vorwurfs in der Gesellschaft geschaffen. Die Menschen bezichtigen sich gegenseitig eines klimaschädlichen Konsumverhaltens. Jeder versucht, dem anderen Vorschriften zu machen“.


Soweit der Auszug aus dem empfehlenswerten „Aufruf zur Besonnenheit“ von Rüdiger Rauls, der unter Klima-der-Vernunft@web.de kontaktiert werden kann.

Quelle:

https://www.evangelisch.de/inhalte/155887/13-04-2019/bischof-koch-vergleicht-greta-mit-jesus
https://ruedigerraulsblog.wordpress.com/2019/07/23/aufruf-zur-besonnenheit-keine-co2-steuer/





Freitag, 26. Juli 2019

BRD-HEUCHELEI - Rainer Rupp



Berlins verlogene Dialogbereitschaft mit Russland

Die Dialogbereitschaft der Bundesregierung mit Russland wird von Merkel und Co. immer wieder betont. Tatsächlich ist diese Bereitschaft nur gespielt. Sie soll das Volk beruhigen und Berlins hinterhältige Strategie an der Seite der "atlantischen Partner" gegen Moskau verdecken.



von Rainer Rupp

Wegen der angeblichen "Annexion" der Krim halten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union seit 2014 – vor allem auch auf Betreiben Deutschland, Frankreichs und Großbritanniens – Wirtschaftssanktionen gegen Russland aufrecht. Gemeinsam mit den USA ist die offizielle Position der EU und auch der Bundesregierung: Nur wenn Russland die Annexion rückgängig macht, können wir die Sanktionen aufheben.

Um diesen Befürchtungen verschiedener Wirtschaftsbranchen und auch den Sorgen großer Teile der Bevölkerung in Deutschland vor einem Konflikt mit Russland den Wind aus den Segeln zu nehmen, säuseln unsere Politiker seit Ende letzten Jahres zunehmend von ihrer Dialogbereitschaft mit Moskau. Man führe Gespräche, müsse aber in der Sache hart bleiben.

Dieser Beitrag geht der Frage nach, ob es tatsächlich einen ernsthaften Dialog mit Russland gibt oder ob Berlins postulierte "Gesprächsbereitschaft" nur ein Lippenbekenntnis ist? Tatsächlich deutet viel darauf hin, dass es sich bei dem so oft zitierte "Dialog mit Moskau" um eine Hinhaltetaktik zur Beruhigung der Bevölkerung handelt. Das gilt auch für die jüngste, von viel Medien-Tam-Tam begleitete, deutsch-russische "Petersberger Dialog"-Konferenz in der Nähe von Bonn.

Zu Recht sah der ehemalige CDU-Staatsekretär und Kritiker der Berliner Russlandpolitik, Willy Wimmer, in dieser Petersburger Konferenz nichts anderes als eine "der vielen, obskuren Veranstaltungen zur weiteren Vergiftung der Gesprächsatmosphäre zwischen Russland und Deutschland". Als Beweis für diese Aussage Wimmers sollte man sich zum Beispiel das Interview ansehen, das der Sender TV-Nachrichtensender Phönix vor dem Petersberg mit dem grünen Kalten Krieger Ralf Fücks geführt hat. Demnach ist Russland der Gegner unserer liberalen Demokratie, gegen den wir uns nur durch den Aufbau eines glaubwürdigen Abschreckungspotential wehren können, was implizit natürlich neue und mehr Atomwaffen bedeutet.

Unterwerfung statt gleichberechtigter Partnerschaft

Mit dieser Sicht der Dinge dürfte Fücks mit dem Großteil der Anhänger von Kanzlerin Merkels geliebter, aber gefährdeter (neo)liberaler Ordnung in Berlin und ihren Konsorten in Brüssel und Washington übereinstimmen. An einem einvernehmlichen Auskommen mit Russland haben diese Herrschaften kein echtes Interesse. Für die westlichen Regierungen kann Moskau nichts richtigmachen, weil sich weder die Führung im Kreml noch das russische Volk mit der westlichen der Gewinner-nimmt-alles-Weltordnung anfreunden können.

Nur wenn Russland sich auf den Rücken werfen und den NATO-Hyänen den Hals anbieten würde, damit sie das Riesenland wie schon einmal ansatzweise unter Präsident Jelzin nach Belieben ausschlachten könnten, wäre der Westen zufrieden. Offensichtlich ist auch Berlin in führender Position an der langfristig angelegten, westlichen Konfrontationsstrategie gegen Moskau beteiligt. Anders sind die ultimativen Forderungen und Bedingungen der Bundesregierung für ein Ende der Sanktionen gegen Russland nicht zu verstehen.

Nachdem Berlin und die EU seit 5 Jahren mit ihrer ultimativen Forderung "Ohne Rückgabe der Krim kein Ende der Sanktionen" kein bisschen weiter gekommen sind, wäre es an der Zeit zu fragen, wie klug diese Forderung überhaupt ist, die bereits zu einem westlichen Mantra geworden ist. Die Antwort auf diese Frage hat schon Albert Einstein geliefert, nämlich: "Wenn man unter den gleichen Bedingungen immer wieder dasselbe tut, und jedes Mal hofft, dass dabei etwa anderes herauskommt, dann ist das Dummheit!" Das wäre eine absolut korrekte Beschreibung der seit 5 Jahren andauernden EU-Sanktionspolitik unter deutscher Führung, wenn man sich dadurch eine Verhaltensänderung Moskaus erhofft hätte.

Aber sind die Herrschaften in Berlin wirklich so dumm? Sicherlich nicht, denn man kann die Sache auch aus einem ganz anderen Blickwinkel sehen – und dann reflektieren die Sanktionen eine gerissene und hinterhältige Strategie des Westens. Nach dieser Lesart hat der Westen die Sezession der Krim von der Ukraine und deren anschließende Aufnahme in die russische Föderation lediglich als willkommenen Gelegenheit genutzt, um vor der Öffentlichkeit einen lupenreinen moralischen Vorwand zu haben, Russland politisch und wirtschaftlich dauerhaft zu schwächen.

Demnach hatten und haben die Sanktionen gegen Russland nie den Zweck, im Kreml einen sowieso nicht zu erreichenden Politikwechsel zu bewirken. Vielmehr geht es darum, vom hohem moralischen Ross die Drangsalierung des russischen Volkes zu rechtfertigen, was ohne den Krim-Vorwand schwer möglich gewesen wäre. Neben einem Dämpfer des Wirtschaftswachstums und weniger Ressourcen im Staatshaushalt hatten die Sanktionen auch ein geringeres Konsumgüterangebot und stark erhöhte Preise, vor allem auf Westimporte, zur Folge. Das war es, womit der Westen hoffte, Druck auf die Bevölkerung auszuüben und Unzufriedenheit gegen den Kreml zu schüren.

Altbewährte Taktik des Westens

Es wäre bei weitem nicht das erste Mal gewesen, dass der Westen mit dieser Taktik operiert. Auch die Sanktionen gegen die irakische Bevölkerung sollten damals die Leute dazu bringen, Saddam Hussein davonzujagen. Auch im aktuellen Fall des Iran sollen die Sanktionen Unruhe in der Bevölkerung schüren und den Weg für einen Regimewechsel vorbereiten. In diesem Zusammenhang müssen auch die Sanktion gegen Russland gesehen werden. Deshalb sollen sie ja auch ewig dauern. Sanktionen auf ewig sagen auch die Vertreter der Bundesregierung in Berlin, wenn sie die Strafmaßnahmen gegen Russland erst dann aufheben wollen, wenn der Kreml die angebliche "Annexion der Krim" wieder rückgängig gemacht hat. Das aber wird nie geschehen.

Das bringt uns zur nächsten Frage: Wie realistisch ist eigentlich die westliche Forderung nach der Rückgabe der Krim beziehungsweise warum kann der Kreml diese Forderung nicht erfüllen, selbst wenn er wollte?

Westliche Politiker wissen, dass eine Annullierung des Beitritts der Krim zur russischen Föderation bedeuten würde, dass Moskau in einem ungeheuerlichen Akt das Ergebnis der Volksbefragung mit Füßen treten würde, bei dem 95 Prozent der Krim-Bevölkerung in freier und geheimer Wahl ihren Willen zur Zugehörigkeit zu Russischen Föderation erklärt hatten.

Abgesehen von dem Aufschrei der russischen Bevölkerung gegen jeglichen Versuch, die Krim aus der Russischen Föderation zu werfen, müssten das russische Parlament und der russische Föderationsrat einem solchen Unterfangen zustimmen. Wahrscheinlich gäbe es nicht einmal eine einzige Stimme dafür. Denn im Unterschied zum Westen hat man in Russland nicht vergessen, was damals in der Ukraine passiert ist und wovor sich die Menschen auf der Krim so schnell wie möglich in die Arme der Russischen Föderation in Sicherheit bringen wollten.

Tatsächlich sind die Menschen der Krim Flüchtlinge, nur sind sie in diesem Fall nicht mit Koffern und Rücksäcken nach Russland geflohen, sondern sie haben ihre Häuser und ihre ganze Halbinsel mitgebracht. In einer unangefochtenen demokratischen Abstimmung haben sie ihr Votum für die Zugehörigkeit ihrer Krim zu Russland gegeben. Ausgelöst wurde diese Flucht durch die Machtübernahme gewaltextremistischer Nationalisten und faschistischer Russenhasser in der Ukraine. Die hatten 2014 auf dem "Maidan" in der Hauptstadt Kiew die Putschisten gegen die rechtmäßig, demokratisch gewählte Regierung angeführt. Dabei wurden sie von der EU und den USA auf alle erdenkliche Weise unterstützt.

Angesichts des überall demonstrierten Hasses der neuen Machthaber in Kiew gegen alles Russische, sogar gegen die russische Sprache, hatte damals die Bevölkerung der Krim aus Sorge um ihre Zukunft und um die ihrer Kinder der Ukraine den Rücken gekehrt – und hat ihr Land gleich mitgenommen. Vor diesem Hintergrund ist leicht erkennbar, dass die Forderung der Bundesregierung nach einer Rückkehr der Krim in die Ukraine total unrealistisch ist.

Was wäre wenn…Russland die Krim an die Ukraine gegen würde

Aber spielen wir trotzdem mal durch, was passieren würde, wenn Moskau der westlichen Forderung nachkäme. Dann würde die lokale Bevölkerung, die zu über 80 Prozent ethnisch russischer Herkunft ist, den russophoben, faschistischen Milizen und anderen hasserfüllten Gewaltextremisten "zum Fraß" vorgeworfen. Auch mit der Wahl des neuen Präsidenten der Ukraine, Wladimir Selenskij, hat sich an der traurigen Realität im Land nichts geändert. In den so genannten "Machtministerien" in Kiew, im Militär, in den Geheimdiensten und in der Polizei halten gewaltbereite Russenhasser weiterhin die zentralen Positionen besetzt.

Die Faschisten verfügen sogar über beachtliche, von den Amerikaner kriegsmäßig besten ausgerüstete, militärisch organisierte Kampfgruppen, die inzwischen über 5 Jahre Kampferfahrungen gegen die Regimegegner im Donbass haben. Die Gefahren werden von der Bundesregierung als reine Hirngespinste abgetan. Denn weder unsere Politiker in Berlin noch ihre Kampfpresse haben bis heute in der Ukraine einen Faschisten entdeckt, obwohl der damalige bundesdeutsche Außenminister Frank-Walther Steinmeier 2014 in der Deutschen Botschaft in Kiew neben dem Faschistenführer Oleg Tjagnibok für ein gemeinsames, offizielles Foto posierte. Tjagniboks Swoboda betrieb in der Ukraine damals das inzwischen umbenannte Josef Göbbels-Institut, in dem alle faschistischen Klassiker ins Ukrainische übersetzt wurden.

Also angenommen, Moskau würde tatsächlich gegen alle innenpolitischen Widerstände der westlichen Forderung nach einem Abzug von der Krim nachkommen, was würde dann geschehen? So sicher wie das Amen in der Kirche würden als Erste die von Russenhass erfüllten Bataillone der Nazi-Milizen auf der Krim einrücken. Was dann passieren würde, das lässt der 2014 mit unvorstellbarer Grausamkeit durchgeführte Massenmord an Antifaschisten im Gewerkschaftshaus in Odessa nur erahnen.

Damals waren die Demonstranten vor den gewalttätigen Faschisten ins Gewerkschaftshaus geflüchtet. Das wurde von den teils mit Schusswaffen auf die Fliehenden schießenden Verfolgern angezündet. Wer nicht erstickte oder verbrannte, sprang unter dem Gejohle der Mörderbande in Verzweiflung aus den oberen Stockwerken. Wer den Sprung auf das Pflaster mit gebrochenen Gliedern überlebte, wurde anschließend von Baseball schwingenden Nazi-Killern erschlagen. Während der ganzen Zeit sah die ukrainische Polizei dem Morden tatenlos zu, nicht unbedingt, weil sie die blutrünstigen Nazis unterstützte, sondern aus Angst, als mögliche "Russenfreunde" selbst zur Zielscheibe der Nazis zu werden.

Bis heute wurde dieses Massaker von den ukrainischen Behörden nicht verfolgt. Trotz zahlloser Bilder und Videos über die Mordtaten wurde keiner der Killer identifiziert. Niemand wurde zur Verantwortung gezogen. Und die westlichen Medien haben den unpassenden Vorfall im Gedächtnisloch entsorgt.

Laut westlichem Narrativ jedoch besteht in Fall eines russischen Rückzugs von der Krim keine Gefahr für die lokale ethnisch-russische Bevölkerung, denn per Berliner Definition gibt es in der Ukraine gar keine Nazis, sondern höchstens ein paar harmlose Nationalisten. Für die Bevölkerung in Russland ist jedoch klar, was ihre Landsleute auf der Krim nach einem russischen Rückzug zu erwarten hätten. Wer auch immer im Kreml einen solchen Rückzug befehlen würde, er würde von der empörten russischen Bevölkerung davongejagt.

Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die russische Regierung der ultimativen Forderung des Westens nach einem russischen Rückzug von der Krim – bei Strafe ihres eigenen Untergangs – unmöglich nachkommen kann. Und das wissen auch Frau Merkel und Co. Dennoch fordern sie genau das unentwegt. Wenn man aber dem anderen seit 5 Jahren ständig dieselben unmöglich zu erfüllenden Bedingungen stellt, will man dann überhaupt weiter kommen? Trifft auf diese ständig wiederholte Forderung überhaupt der Begriff "Verhandlungen", "Gespräche" oder "Dialog" zu? Oder ist es vielmehr Augenwischerei für die Bevölkerung, dass man sich bemüht, im Dialog mit den Russen zu bleiben.

Diesen Fragen gehe ich in Teil II nach.

RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Mehr zum Thema - "Großmäulig" – Andrej Hunko zu von der Leyens Festhalten an Russland-Sanktionen






Mittwoch, 24. Juli 2019

Kritische Sicht auf Stauffenberg - Bernd Volkmer



Vom Saulus zum Paulus, von Helden und Terroristen

von Bernd Volkmer

So mancher Leser wird meinen, „hat der noch alle Tassen im Schrank“, weil dieser Artikel gegen Tabus verstößt und allgemein anerkannte Kausalitäten in Abrede stellt. Aber es geht um die Betrachtung vorherrschender Doppelmoral, anhand von Helden und Terroristen, nicht nur in der Politik, sondern auch in unserem Alltagsdenken, welches zu einer zunehmenden Polarisierung unserer Gesellschaft führt.

Am 20. Juli 2019 begingen wir, mit großem Pomp, den 75 Jahrestag des Hitler-Attentats durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Bundespräsident Steinmeier hat zum 75. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler den Widerstand gegen das NS-Regime gewürdigt. So sagte er u.a. „Wir alle wissen: Es gab zu wenig Widerstand. Aber es gab die Mutigen, die nicht weggeschaut haben, die Mitmenschlichkeit bewahrt haben, die andere vor Verfolgung geschützt haben und die Naziverbrechen vereitelt haben.“ (> Pressemitteilung) Heute ist klar und ganz selbstverständlich, die Tat war moralisch gerechtfertigt, richtete sie sich doch gegen einen der größten Verbrecher, in der Geschichte der Menschheit.

Nationalsozialismus-D-Day-Reichsadler-Adolf-Hitler-Kritisches-Netzwerk-NSDAP-Nazi-nazism-Third-Reich-Voelkermord-Ruestungsindustrie-Russenfeindlichkeit-Wehrmacht

Diese Einsicht gab es aber nicht zu jeder Zeit. Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg und in der jungen Bundesrepublik galten die „Personen des 20. Juli“ um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Henning von Tresckow, noch als Vaterlandsverräter. Die DDR betrachtete sie als Teil des faschistischen Systems und nicht als Teil des Widerstandes gegen den Faschismus. Ja, die Verschwörer hatten mit einem Bombenattentat gegen den „Führer“ und einem vorbereiteten Putsch einen Umsturz herbeiführen wollen. Dabei ging es ihnen aber nicht darum, den Nationalsozialismus zu beseitigen, sondern den bereits verloren geglaubten Krieg zu beenden, um Deutschland in eine bessere Verhandlungsposition gegenüber den Kriegsgegnern zu bringen.

Die Attentäter waren keine Demokraten

Sowohl von Stauffenberg, als auch von Tresckow und die anderen späteren Verschwörer waren keine Demokraten, sondern einst glühende Verehrer des Nationalsozialismus. Sie alle begrüßten 1933 die Machtergreifung Adolf Hitlers. Von Stauffenberg empfand den Beginn des Zweiten Weltkrieges, den er als Berufssoldat begann, als „Erlösung“. Er wurde in der 1. leichten Division (später 6. Panzer-Division) im Polenfeldzug 1939 eingesetzt. Von hier schrieb er an seine Frau Nina:

„Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu gebrauchen, arbeitsam, willig und genügsam.“ – Claus Schenk Graf von Stauffenberg … [> Wikipedia].

Noch kurz vor dem Attentat, am 1. Juni 1944 wurde von Tresckow mit 43 Jahren zum Generalmajor ernannt. Das also sind die „Helden“, die wir heute als Vorbilder betrachten. Waren sie nicht eigentlich feige Terroristen, die um ihre Zukunft nach einem verlorenen Krieg fürchteten und die Flucht nach vorn antraten?

Ich will keineswegs die verbrecherischen Taten des Nationalsozialismus rechtfertigen, aber Widerstandskämpfer mit unterschiedlicher Herkunft beziehungsweise weltanschaulicher Prägung und Motivation gab es im gesamten Herrschaftsbereich des Nationalsozialismus schon bedeutend früher. Ein Umdenken hinsichtlich der „Personen des 20. Juli“ begann in der Bundesrepublik erst in den 1950er Jahren, vor allem nach dem Remer-Prozess 1952. Ab 1963 wurden öffentliche Gebäude zum Gedenken am 20. Juli beflaggt.

Die geteilte deutsche Sicht auf die Dinge

Vom Saulus zum Paulus, von Helden und Terroristen. In der DDR wurde der antifaschistische Widerstand ausschließlich aus der Sicht der Arbeiterklasse betrachtet. Eine Neubewertung des Hitler-Attentats fand erst Anfang der 1980iger Jahre statt. „Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem 20. Juli war das Kolloquium aus Anlass der Würdigung des 40. Jahrestages des Umsturzversuches, das am 13. Juli 1984 in Ost-Berlin durchgeführt wurde.“

Unsere Sicht rechtfertigt heute einen terroristischen Akt, aus moralischen Gründen. Ich halte diese Betrachtung für nicht ganz unproblematisch, da sie auf dem Grundsatz „Der Zweck heiligt die Mittel“ fußt und letztlich auch Selbstjustiz toleriert. Aus rechtlicher Bewertung wäre somit ein terroristischer Anschlag gerechtfertigt, wenn er sich gegen Verbrecher richtet. Sind es aber nicht gerade islamistische Selbstmordattentäter, die ihre Taten genau damit begründen? Sie bomben im Namen Allahs, gegen die Verbrechen der westlichen Welt und das dadurch verursachte Elend nicht nur in ihren Herkunftsregionen.

Unsere Doppelmoral heißt das eine „gut, lobenswert, vorbildlich“ und verurteilt das andere als „terroristisch, islamistisch und mörderisch“. Eine kritische Auseinandersetzung mit der anderen Seite derselben Medaille, in Bezug auf das Hitler-Attentat, findet nicht mehr statt. Terror darf kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung sein, egal auf welcher Seite und für welchen Zweck. Terror ist kein Instrument einer Demokratie. Die Geschichte hat genügend Beispiele dafür, dass mit friedlichem Protest auch Diktaturen stürzen können, ohne dass nur ein Schuss fällt. Der Herbst 1989 ist dafür ein immer wieder gern angeführter Beleg in der jüngsten deutschen Geschichte.

Bernd Volkmer (. . der Mobilfunk-Guru).

► Quelle: Dieser Artikel wurde erstveröffentlicht am 22. Juli 2019 auf dem Blog QPress.de des Kollegen Wilfried Kahrs >> Artikel. Die Bilder und Grafiken im Artikel sind nicht Bestandteil des Originalartikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, s.u..


Friedlicher Protest?

Wie soll man einen friedlichen Verlauf einer Protestbewegung als revolutionär, also als Fortschritt betrachten, als Erfolg, wenn damit die alte antikommunistische kapitalistische Ordnung einem vom System her friedlichen sozialisierten wie der DDR übergestülpt wird?

Das Ergebnis entspricht einer völligen Umwälzung aller persönlichen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse und ist demzufolge vom Ende her als Konterrevolution zu betrachten, ohne dass die Ostdeutschen je gefragt wurden, ob sie wieder im politischen Sumpf des Kapitalismus landen wollen.

Wäre friedvoller Protest eine verändernde Kraft, den es heute im Jahre 2019 tausendfach in der BRD und in anderen Ländern gibt, dann müssten die Geldeliten schon längst den Schwanz eingezogen und die Großkonzerne, vor allem der Militär-Industrie-Komplex, in Volkseigentum umgewandelt haben. Keiner kann mehr die Augen davor verschließen, dass der Westen mit allen verfügbaren Mitteln die Veränderungen in der DDR forciert, gelenkt und letztendlich frohlockend vereinnahmt hat, eben im Interesse des Großkapitals.

Heute dies auf den „friedlichen Protest“ zu reduzieren bedeutet, der Illusion nachzuhängen, gegenwärtige Konflikte wären durchs Beten für Veränderungen und für den Weltfrieden irgendwie von Nutzen. Das Gegenteil ist der Fall.

► Lesetipp: »Der Osten wird vom Westen verwaltet und beherrscht«

Ein Gespräch mit der Kulturphilosophin, Soziologin, Ethnographin sowie Kuratorin Yana Milev. (eigentlich Jana Elisabeth Milev; *1964 in Leipzig, DDR) über die kulturkoloniale Dominanz der BRD, die Mär von der »Wiedervereinigung« und die Ähnlichkeiten der DDR mit der Schweiz.«

Interview: Frank Schumann in der Tageszeitung junge Welt, 24. Juli 2019, Nr. 169. >> zum Artikel.

Gruß von Harry Popow, Oberstleutnant a.D. Der NVA
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Autor, Blogger, Rezensent, Hobbymaler
http://cleo-schreiber.blogspot.com





Dienstag, 23. Juli 2019

Angst & Machtausübung - Rainer Mausfeld




Die Kluft zwischen demokratischer Rhetorik und kapitalistischer Realität ist gigantisch“



Ein Artikel von: Redaktion


Angst, Macht, Demokratie und Herrschaft: Das sind vier zentrale Begriffe, mit denen sich Rainer Mausfeld als kritischer Beobachter unserer Gesellschaft auseinandersetzt. Um diese Begriffe geht es auch in dem folgenden Interview, das die NachDenkSeiten mit dem emeritierten Professor der Psychologie geführt haben. Mausfeld verdeutlicht, wie sehr Angst als Mittel der Machtausübung in unserem politischen System eine Rolle spielt und wie eine hochgradig destruktive Ideologie – die des „unternehmerischen Selbst“ – unser gesamtes gesellschaftliches Denken bestimmt. Von Marcus Klöckner.
Lesetipp: Rainer Mausfeld: Angst und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien. Westend Verlag. Frankfurt am Main. Juli 2019. 128 Seiten. 14 Euro.

Herr Mausfeld, Sie verknüpfen in Ihrer Arbeit die Begriffe „Angst“ und „Macht“ und schlagen dann den Bogen zur politischen Herrschaft. Wie passt diese Verknüpfung zu einem demokratischen System?

Eigentlich gar nicht. Demokratie geht nämlich nicht nur mit einem Versprechen einer gesellschaftlichen Selbstbestimmung einher, sondern auch mit einem Versprechen einer größtmöglichen Freiheit von gesellschaftlicher Angst. Demokratie bedeutet also den Verzicht auf eine der wirksamsten Herrschaftstechniken überhaupt: der systematischen Erzeugung gesellschaftlicher Angst. Wenn die Machtausübenden hingegen systematisch Ängste erzeugen, blockieren sie eine angemessene gesellschaftliche Urteilsbildung und lähmen die Entschluss- und Handlungsbereitschaft. Durch eine systematische Erzeugung von Ängsten wird der Demokratie die Grundlage entzogen. Demokratie und Herrschaftstechniken der Angsterzeugung sind miteinander unverträglich.


Bevor wir näher darauf eingehen: Was ist Angst aus psychologischer Sicht?

Angst gehört im Spektrum unserer Emotionen zu den ganz grundlegenden Gefühlszuständen. Sie ist eine Bedrohung oder Erschütterung des gesamten Selbst, das heißt, sie umfasst das psychische Erleben ebenso wie den Leib. Da Angst als hochgradig unangenehm erlebt wird, löst sie körperliche und psychische Aktivität zu ihrer Bewältigung aus. Wenn nun aber die äußere angstauslösende Situation so beschaffen ist, dass eine Angstlinderung nicht mehr gelingen kann, bleibt die Angst in der Person gefangen – sie wird zu etwas, das in der Psychologie als neurotische Angst oder Binnenangst bezeichnet wird. Sie kreist gleichsam in der Person, zehrt deren psychische Energien auf, führt zu unangemessenen, neurotischen Bewältigungsversuchen, lähmt die Person, macht sie apathisch und depressiv.

Der renommierte Politologe Franz Neumann, einer der Begründer der Politologie, sah eine zentrale Herrschaftstechnik darin, dass die Machtausübenden versuchen, Realangst in Binnenangst umzuwandeln, um so gesellschaftlichen Widerstand zu paralysieren.


Und Macht?

Das Streben nach Macht gehört zu den grundlegenden Begierden des Menschen. In einer sozialen Gemeinschaft ist Macht mit vielen Vorteilen verbunden, denn sie bedeutet, dass jemand seine Interessen gegen andere durchsetzen kann und andere dem eigenen Willen unterwerfen kann. Leider gehört zu den zentralen Eigenschaften der Beschaffenheit unseres Geistes, dass das menschliche Streben nach Macht nicht – wie bei allen anderen Lebewesen – selbstlimitierend ist, sondern grenzenlos. Das bringt gewaltige Probleme mit sich, die sich nur durch geeignete zivilisatorische Schutzbalken bewältigen lassen. Um diese Schutzbalken geht es gerade in der Leitidee von Demokratie.

Für Wissenschaften, die sich mit dem politisch-gesellschaftlichen Bereich beschäftigen, ist das Konzept der Macht ein Fundamentalbegriff – in gleicher Weise wie das Konzept der Energie für die Physik. Macht ist also das zentrale Konzept der Politikwissenschaften. Und die zivilisatorische Aufgabe, die wir zu leisten haben, liegt gerade darin, Schutzbalken gegen die unersättliche Gier nach Macht und gegen Exzesse der Macht zu errichten.


Nun leben wir in einer Demokratie. Alle Macht liegt bekanntlich beim „Volk“.

Beides sind Bekundungen, die man sehr sorgfältig mit der Realität konfrontieren muss. Dass alle Macht vom Volke ausgeht, ist zunächst nicht mehr als eine rhetorische Formel, die dem Volk die Illusion einer gesellschaftlichen Selbstbestimmung geben soll. Aber in der Tat besteht die Leitidee von Demokratie gerade darin, Macht zu vergesellschaften und sie damit in gewisser Weise aufzuheben beziehungsweise durch geeignete Prozeduren gesellschaftlich einzuhegen. Demokratie bedeutet also, dass jede Form gesellschaftlicher Macht einer demokratischen Legitimation bedarf. Alle Machtstrukturen haben ihre Existenzberechtigung nachzuweisen und sich der Öffentlichkeit gegenüber zu rechtfertigen, sonst sind sie illegitim und somit zu beseitigen.


Die Sache ist also doch etwas komplexer?

Die Kluft zwischen demokratischer Rhetorik und kapitalistischer Realität ist gigantisch. Da die jeweiligen ökonomischen Zentren der Macht naturgemäß kein wirkliches Interesse an einer demokratischen Gesellschaftsform haben, ist die Errichtung einer kapitalistischen Demokratie seit ihren Anfängen darauf angewiesen, die unaufhebbaren Widersprüche zwischen Kapitalismus und Demokratie durch eine geeignete Manipulation der öffentlichen Meinung zu verdecken. Die Errichtung einer kapitalistischen Demokratie und die systematische Entwicklung von Methoden der Steuerung der öffentlichen Meinung gehen historisch also Hand in Hand. Der Siegeszug der Demokratie im vergangenen Jahrhundert wurde nur möglich durch Entwicklung geeigneter Techniken zur Manipulation des öffentlichen Bewusstseins.

Mit der neoliberalen Revolution von oben und der sogenannten Globalisierung, die de facto eine Form des Neokolonialismus der ökonomisch stärksten Nationen ist, haben sich heute die tatsächlichen Zentren der Macht nahezu vollständig gegen eine demokratische Kontrolle und Rechenschaftspflicht abgeschottet. Folglich bedarf es stetig wirksamerer Indoktrinationstechniken, um die Kluft zwischen Rhetorik und Realität zu verdecken.


Was heißt das?

Seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts wurden Manipulationstechniken mit einem gigantischen Aufwand systematisch entwickelt und führten zu einem geradezu explosionsartigen Wachstum von Sozialwissenschaften und Psychologie. Seitdem werden die auf diesem Wege entwickelten Techniken eines Demokratiemanangements in einer Weise fortentwickelt und verfeinert, von der sich die Öffentlichkeit heute kaum noch ein angemessenes Bild machen kann. Vielleicht hilft hierbei ein Vergleich mit der Entwicklung der Unterhaltungsindustrie. Hier lässt sich sehr konkret und sinnlich deutlich machen, wie umfassend und tiefgreifend sich in den letzten hundert Jahren die Möglichkeiten der Unterhaltungsindustrie entwickelt haben. In einer vergleichbaren Größenordnung haben sich in demselben Zeitraum die Techniken zur Manipulation des öffentlichen Bewusstseins entwickelt, nur dass diese Entwicklungen weniger greifbar und augenfällig sind und daher im öffentlichen Bewusstsein praktisch nicht präsent sind. Die gewaltigen Fortschritte derartiger Techniken lassen sich daran ermessen, dass es gelungen ist, den weitverbreiteten Eindruck zu erzeugen, dass wir heute in einer Gesellschaften leben, die weitgehend frei von Propaganda und Indoktrination ist. Das ist sicherlich einer der spektakulärsten Erfolge dieser in vielen Jahrzehnten unter gigantischem finanziellen Aufwand betriebenen Bemühungen um die Entwicklung nahezu unsichtbarer Techniken eines Demokratiemanagements.


Und bei der Herrschaftsausübung kommt der Faktor Angst ins Spiel?

Traditionelle Formen eines Demokratiemanagements fokussierten vor allem auf den Aspekt eines Meinungsmanagements. Da jedoch die Erzeugung von Angst eine der wirkungsvollsten Herrschaftstechniken darstellt, wollen auch in kapitalistischen Demokratien die Machtausübenden nur ungern darauf verzichten. Zumal sich eine systematische Erzeugung von gesellschaftlicher Angst mit zumeist recht einfachen Methoden erreichen lässt und eine sehr viel durchschlagendere Wirkung auf das öffentliche Bewusstsein hat als eine bloße Meinungsmanipulation. Je stärker in kapitalistischen Demokratien autoritäre Tendenzen wieder in den Vordergrund treten, umso wichtiger werden Techniken der systematischen Erzeugung von Angst gegenüber traditionellen Techniken eines Meinungsmanagements.


Was meinen Sie mit „Meinungs- und Demokratiemanagement“?

Alle Techniken, durch die sich gesellschaftliche Einstellungen und Meinungen so beeinflussen lassen, dass die Mehrheit der Bevölkerung bei Wahlen so will, wie sie wollen soll. Das entsprechende Arsenal ist in vielen Jahrzehnten systematisch erprobt und verfeinert worden und in den meisten Fällen kaum noch als Manipulation und Propaganda erkennbar. Dieses Arsenal bildet die Grundlage für den Operationsmodus der Leitmedien. Wie dies im Einzelnen funktioniert, lässt sich, einen ideologisch halbwegs nüchternen Blick vorausgesetzt, täglich in der Tagespresse oder in der Tagesschau studieren; jedenfalls gibt es eigentlich keinen Mangel an erhellendem Seminarmaterial für die Ausbildung von Qualitätsjournalisten an Journalistenschulen.


Könnten Sie die grundlegende Vorgehensweise einer Angsterzeugung an einem Beispiel skizzieren? Wie wird Angst zur Herrschaftstechnik?

Gesellschaftliche Ängste lassen sich auf vielfältige Weise erzeugen. Sie lassen sich auf strukturellem Wege erzeugen, etwa durch eine bestimmte Rechts- und Eigentumsordnung, bei der die Überlebensgrundlage der Nichtbesitzenden vom erfolgreichen Verkauf der eigenen Arbeitskraft an die Besitzenden abhängt. Der Zwang zur Lohnarbeit stellt also einen wesentlichen strukturellen Faktor der Erzeugung gesellschaftlicher Angst dar. Strukturelle Formen der Angsterzeugung sind besonders wirksam, weil es hier keine sichtbaren Täter mehr gibt.

Ein direkterer Weg zur Erzeugung gesellschaftlicher Ängste besteht in der systematischen Verwendung einer Angstrhetorik. In der Regel erfolgt dies durch einen von oben verordneten Kampf gegen ‚das Böse‘, also gegen etwas, das als bedrohlicher Feind deklariert wird und das daher entschlossen zu bekämpfen sei. Dieses Etwas kann so ziemlich alles sein, was sich irgendwie wirksam zur Angsterzeugung nutzen lässt. Prominente gegenwärtige Beispiele sind der Kampf gegen Fake News und gegen – natürlich russische – Desinformation; die besten Satiren schreibt eben die Wirklichkeit selbst.

Das folgenschwerste Beispiel ist der verordnete Kampf gegen den Terror. Bei diesem Kampf geht es um alles Mögliche, nur nicht um einen Kampf gegen den Terror. Er dient der Verschleierung imperialer Interessen, einer gigantischen Umverteilung öffentlicher Mittel in die Kriegs- und Sicherheitsindustrie, dem Abbau historisch mühsam erkämpfter demokratischer Errungenschaften und der Etablierung eines Sicherheits- und Überwachungsstaates. Dieser Kampf ist also, wie in allen Fällen, in denen durch einen von oben verordneten Kampf Ängste geschürt werden, heuchlerisch. Denn Terror ließe sich am besten bekämpfen, wenn die, die diesen Kampf gegen den Terror verordnen, selbst auf ihn verzichten würden.

Der heuchlerische Charakter dieser verordneten Kämpfe gegen vorgebliche Bedrohungen lässt sich auch daran erkennen, dass diese Kämpfe gar nicht erfolgreich sein dürfen, weil ihr Erfolg für die ökonomischen und politischen Zentren der Macht gerade darin liegt, nicht erfolgreich zu sein, damit die Bedrohungen als Mittel der Angsterzeugung erhalten bleiben.


Und weiter?

Da offensichtlich in kapitalistischen Demokratien eine systematische Erzeugung von Angst eine zentrale Herrschaftstechnik darstellt, kann es sich bei ‚kapitalistischen Demokratien‘ nicht um das handeln, was man im Gefolge der Aufklärung unter Demokratie versteht. Damit meine ich: Eine Gesellschaftsform, die darauf zielt, jede Form von Macht demokratisch einzuhegen und dadurch eine größtmögliche Freiheit von gesellschaftlicher Angst zu garantieren.

Wenn also in unseren Gesellschaftsformen Herrschaftstechniken der Angsterzeugung verwendet werden, so zeigt dies, dass es sich hier nicht um Gesellschaftsformen handeln kann, wie sie mit der Leitidee von Demokratie verbunden ist. Ein näherer Blick zeigt denn auch, dass in kapitalistischen Demokratien zentrale Bereiche der Gesellschaft von einer demokratischen Kontrolle ausgeschlossen sind. Demokratie bedeutet ja insbesondere, dass jeder Bürger einen angemessenen Anteil an allen Entscheidungen hat, die das eigene gesellschaftliche Leben betreffen. Diese demokratische Grundbedingung lässt sich jedoch nicht realisieren, wenn Kernbereiche einer Gesellschaft, insbesondere die Wirtschaft, autoritär organisiert sind und keiner demokratischen Kontrolle und keiner gesellschaftlichen Rechenschaftspflicht unterliegen. Dies macht noch einmal deutlich, dass das Konzept einer kapitalistischen Demokratie ein Widerspruch in sich ist, da, wie vielfach in der Fachliteratur aufgezeigt wurde, Demokratie und Industrie- und Finanzkapitalismus aus grundsätzlichen Gründen nicht miteinander verträglich sind. In den neoliberalen Formen des Finanz- und Konzernkapitalismus tritt dies besonders hervor, da hier alle Bereiche der Gesellschaft in autoritärer Weise global entgrenzten ökonomischen Machtstrukturen unterworfen werden.

Sie haben sich viele Gedanken über den Neoliberalismus gemacht und sprechen davon, dass diese Ideologie „systematisch“ Angst in unserer Gesellschaft erzeugt. Wie meinen Sie das?

Die neoliberale Ideologie hat ja historisch viele Wurzeln. Was diese Stränge gemeinsam haben, ist ihre anti-demokratische Haltung. Bei Friedrich Hayek hat diese radikal anti-demokratische Haltung wohl ihren explizitesten Ausdruck gefunden. Da der Neoliberalismus, hinter der Ideologie vom ‚freien Markt‘, vor allem ein Umverteilungsprojekt von unten nach oben ist, überrascht es nicht, dass er grundsätzlich unfähig ist, sich durch Wahlen eine demokratische Legitimation zu verschaffen. Er kann seine Herrschaft nur durch Abbau demokratischer Substanz und die institutionelle und rechtliche Einfügung autoritärer Elemente sichern. Da die Kluft zwischen gesellschaftlicher Realität und demokratischer Rhetorik mittlerweile so groß ist, dass sie zunehmend größeren Teilen der Bevölkerung nicht mehr verborgen bleibt, reichen traditionelle Techniken der Meinungsmanipulation nicht mehr, um die Illusion einer Demokratie aufrechtzuerhalten. Daher hat die systematische Erzeugung von Angst als Mittel zur Stabilisierung von Herrschaft im Neoliberalismus als einer Extremform des Kapitalismus wieder eine ganz zentrale Bedeutung gewonnen. Zugleich wurden im Rahmen der neoliberalen Umgestaltung der Gesellschaft gerade diejenigen gesellschaftlichen Instanzen systematisch geschwächt oder zerstört, die über ein Stiften von Solidargemeinschaft angstreduzierend wirken. Ohne eine systematische Angsterzeugung wäre das neoliberale Projekt nicht durchsetzbar.


Haben Sie Beispiele?

Das prototypische Beispiel neoliberaler Angsterzeugung ist die im Zuge neoliberaler Transformationsprozesse gezielt und planvoll betriebene Prekarisierung von Lohnarbeit.


Gezielt und planvoll?

Prekarisierung ist eine Form gesellschaftlicher Desintegration. Gesellschaftliche Desintegration war und ist eine zentrale Herrschaftstechnik. Unsichere und instabile Beschäftigungsverhältnisse vermindern oder zerstören die kollektive Handlungsfähigkeit und die Organisationsmacht der Beschäftigten und fördern eine soziale Atomisierung. Genau diese Wirkungen sind intendiert, weil sie massiv die Kräfteverhältnisse zu Gunsten der Kapitalbesitzenden verschieben. Prekarisierung ist also nicht einfach ein bedauerlicher Nebeneffekt neoliberaler Transformationsprozesse, sondern eine Herrschaftstechnik und ein Disziplinierungsinstrument. Angsterzeugung durch eine materielle Gefährdung existentieller Lebensgrundlagen ist sicherlich die wirksamste Form einer Herrschaftstechnik. Die dadurch bedingten Unsicherheiten der eigenen Lebensplanung und die permanente soziale Abstiegsbedrohung schließen immer größere Teile der Bevölkerung von einer politisch-gesellschaftlichen Partizipation aus und führen somit zu der gewünschten Entleerung des politischen Raumes. Auch lassen sich diese Ängste nutzen, um gesellschaftliche Veränderungsenergien auf Ablenkziele zu richten. Die Prekarisierung von Lohnarbeit als solche schafft also bereits materielle Lebensbedingungen, die angsterzeugend wirken. Diese Form der Angsterzeugung wird nun auf ideologischem Wege noch einmal verstärkt und abgesichert.


Was bedeutet das? Wie lassen sich die durch unsichere Arbeitsverhältnisse erzeugten Ängste ideologisch verstärken?

Die neoliberale Ideologie enthält zwei Kernkomponenten, die in massiver Weise gesellschaftliche Ängste fördern. Die erste Komponente, die sich als neoliberale Epistemologie bezeichnen lässt, wurde von Friedrich Hayek sehr klar formuliert. Dabei geht es letztlich darum, ob es eine Basis eines Verstehens gesellschaftlicher Vorgänge gibt, auf deren Grundlage wir Gesellschaft gestalten können. Hayek war der Auffassung, dass sich die Komplexitäten einer Gesellschaft grundsätzlich den Möglichkeiten einer menschlichen Rationalität entzögen. Damit seien auch alle Versuche zum Scheitern verurteilt, gesellschaftliche Entwicklungen zu steuern. Der Markt sei der einzige Mechanismus, der in allumfassender und rationaler Weise Informationen integriere und auf diese Weise gesellschaftliche Verhältnisse gestalten könne. Die einzige Form einer zulässigen Steuerung sei es, Hindernisse für ein freies Wirken des Marktes zu beseitigen. Gesellschaftliche Gestaltungsversuche, die durch Gemeinschaftssinn und Solidarität geleitet sind, beruhen nach Hayek auf Irrationalitäten und gefährdeten daher das rationale Wirken des ‚freien Marktes‘.


Anders gesagt: Der Mensch kann die Welt, in der er lebt, nicht gestalten, meint Hayek?

Ja, eine solche Auffassung stellt eine Art Markttheologie dar, die dem Menschen grundsätzlich die Befähigung abspricht, gesellschaftliche Vorgänge verstehen zu können und sie auf der Basis einer gesellschaftlichen Willensbildung gestalten zu können. Dieser Glaube an den Markt behauptet, dass die Wirkkräfte, die unser gesellschaftliches Leben bestimmen, grundsätzlich einer demokratischen Willensbildung entzogen seien. Die Möglichkeiten unserer gesellschaftlichen Lebensplanung und einer gesellschaftlichen Sicherung von menschenwürdigen Lebensbedingungen würden allein durch die naturgesetzlichen Regeln des Marktes bestimmt, denen wir uns zu unterwerfen hätten. Eine solche Ideologie, die unser gesellschaftliches Leben grundsätzlich einer Verstehbarkeit und Gestaltbarkeit entzieht, dient dazu, Abhängigkeits- und Ohnmachtsgefühle in uns auszulösen, also individuell wie kollektiv Angstgefühle auszulösen.

Sie haben angeführt, dass es zwei Komponenten der neoliberalen Ideologie gibt, die Ängste fördern. Warum bedarf es überhaupt einer zweiten Komponente, wenn doch bereits die Markttheologie in der Lage ist, die für Herrschaftszwecke benötigten Angstgefühle auszulösen? Und wie sieht diese zweite Komponente aus?

Die Ideologie der Unverstehbarkeit und der Nicht-Gestaltbarkeit gesellschaftlicher Vorgänge löst Ängste aus, die Resignation und politische Apathie fördern. Der Neoliberalismus zielt jedoch auf mehr. Er möchte die Menschen zu seinen Komplizen machen. Er möchte also erreichen, dass Menschen aktiv zu seiner Stabilität beitragen, zu aktiven Trägern der neoliberalen Ideologie werden und zu ihrer Verbreitung und Festigung beitragen.


Wie lässt sich dies am besten erreichen?

Das neoliberale Projekt hat zum Ziel, alle Bereiche einer Gesellschaft ökonomischen Kriterien von Konkurrenz und Profit zu unterwerfen, also auch diejenigen Bereiche, die zuvor vor einer kapitalistischen Verwertungslogik geschützt waren. Dazu gehören Schulen und das gesamte Ausbildungswesen, das Gesundheitswesen oder die gesellschaftliche Gestaltung des Umgangs mit Gemeingütern. Der Neoliberalismus treibt die Ausdehnung kapitalistischer Verwertungslogik nun zu ihrem Extrempunkt, indem er auch das Individuum selbst einer kapitalistischen Verwertungslogik unterwirft. Er sucht gleichsam einen neuen Menschen zu schaffen, der sich in idealer Weise in die behaupteten Naturgesetzlichkeiten des freien Marktes einfügt.


Was ist das dann für ein Mensch?

Dieser Idealtyp des neoliberalen Menschen wird als „neoliberales Selbst“ oder „unternehmerisches Selbst“ bezeichnet.


Was meinen Sie damit?

In der Ideologie des unternehmerischen Selbst stellen alle sozialen Beziehungen vorrangig Konkurrenzverhältnisse dar. Jeder sei als „Humankapital“ eine Art „Ich-AG“ und müsse sich somit als Unternehmer seiner selbst Kriterien einer Profitmaximierung unterwerfen. Das erfordert, durch unermüdliche Anstrengungen die nötigen Anpassungsleistungen erbringen, um auf dem Markt erfolgreich zu sein. Wer dabei versage, seine Fremdverwertbarkeit für den Markt zu optimieren, müsse sich sein Scheitern selbst zuschreiben. Wer also nach Gehalt und sozialem Status erfolgreich sei, habe diesen Erfolg auch verdient, weil er ja eine erfolgreiche Marktanpassung geleistet habe. Wer nicht erfolgreich sei und zu den gesellschaftlichen Verlierern gehöre, sei zu Recht gescheitert. Denn nur der freie Markt könne, so Hayek, Gerechtigkeit verkörpern. Menschliche Gerechtigkeitsvorstellungen stellten nur Irrationalitäten dar und seien somit als potentielle Marktstörungen anzusehen.

Eine solche Ideologie erzeugt in massiver Weise Ängste vor einem Leistungsversagen. Zumal die für einen Erfolg zu erbringende Leistung durch die Ideologie der rationalen Unverstehbarkeit des Wirkens des Marktes die eigene berufliche Planbarkeit eng begrenzen. Nur wer sich selbst zu einer „flexiblen Persönlichkeit“ umgestaltet und geschmeidig Fremdzwänge in Eigenzwänge umzudeuten versteht, könne unter Konkurrenzbedingungen erfolgreich sein.

Die Ideologie des unternehmerischen Selbst ist ein ebenso wirksamer wie perfider Trick, gesellschaftliche Antagonismen gleichsam nach innen zu verlagern und damit paradoxerweise Selbstausbeutung als höchste Form der Freiheit erscheinen zu lassen. Eine solche Entleerung und Transformation des Selbst zu einem „flexiblen Selbst“ muss zwangsläufig gravierende psychische Beeinträchtigungen mit sich bringen, wie sie sich nicht zuletzt in dem starken Anwachsen von Angststörungen und schweren depressiven Störungen zeigen.


Ein großes Problem scheint zu sein, dass die vorherrschende Ideologie so tief in unser Denken eingeschliffen ist, dass kaum noch ein Denken „outside of the box“ möglich ist, oder?

Die neoliberale Ideologie ist ja sehr viel mehr als nur eine ökonomische Konzeption. Als ökonomische Konzeption beruht sie auf Absurditäten und ist voller Inkohärenzen, so dass sie sich in ihren konkreten Praktiken nach jeder der durch sie hervorgerufenen Krisen gleichsam neu erfinden muss. Dabei zeigt sich jedoch eine atemberaubende Flexibilität, so dass die gegenwärtigen Praktiken des real existierenden Neoliberalismus mit den ursprünglichen Ideen nur noch wenig gemein haben. Was jedoch durch all diese Transformation des Neoliberalismus konstant bleibt, ist sein gleichsam totalitärer Anspruch auf eine konkurrenzförmige Gestaltung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche. Dazu gehört auch die Schaffung eines unternehmerischen Selbst, das in einer sozial atomisierten Gesellschaft nur noch als Konsument eine soziale Identität findet.

Diese Ideologie des unternehmerischen Selbst ist mittlerweile zu einer Art kultureller Basisideologie unserer Gesellschaft geworden. Wie alle Basisideologien hat sie sich damit gleichsam unsichtbar gemacht. Wir bemerken sie kaum noch als Ideologie, sie ist uns zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Unser gesamtes gesellschaftliches Denken ist von ihr bestimmt, unsere Vorstellungen von Kindheit und Erziehung, von Familie und Beziehungen, von psychischen Störungen und Therapie und sogar unsere Vorstellungen von unserer eigenen Person. Schule und der gesamte Ausbildungsbereich sind durch diese Ideologie geprägt und sie hat ihre tiefen Spuren im gesamten Bereich der Kultur hinterlassen.


Wie lässt sich dieser Ideologie im eigenen Denken entgegentreten?

Das eigenständige Denken ist natürlich, wie immer, die wichtigste Waffe zu einer intellektuellen Selbstverteidigung. Dies kann auch dazu beitragen, die gesellschaftlichen Quellen der Angsterzeugung aufzuzeigen und bewusst zu machen, um Gegenstrategien zu ermöglichen. Zugleich muss man sich jedoch klarmachen, dass man dieses Problem nicht auf individualistische Weise verkürzen darf. Eine gesellschaftliche Selbstverteidigung geht über intellektuelle Anstrengungen hinaus und kann nur solidarisch erfolgen. Gesellschaftlich erzeugte Angst lässt sich nicht allein mit eigenem Denken bewältigen, sondern nur durch ein angemessenes gemeinschaftliches Handeln. Also geht es zunächst darum, die vom Neoliberalismus gewünschte Individualisierung systematisch erzeugter Ängste zu überwinden, um wieder Wege zu einer solidarischen Angstbewältigung zu finden.

Wenn jeder lediglich an einer individualisierten Form des Glücks arbeitet und auf diese Weise gesellschaftliche Utopie privatisiert wird, kann die neoliberale Ideologie ihr Werk zur gewünschten Perfektion führen: die Zerstörung von Gemeinschaft und die Zerstörung der Idee von Gemeinschaft. Wenn wir die Idee von Gemeinschaft und Solidarität verlieren, verlieren wir unsere kollektive Handlungsfähigkeit. Damit wäre der Traum der besitzenden Klasse realisiert, nämlich die schrankenlose Macht des ökonomisch Stärkeren. Die in den vergangenen Jahrzehnten erfolgten Zerstörungen sozialer und ökologischer Substanz zeigen, dass dieser Traum der Besitzenden unser aller Alptraum ist.






Donnerstag, 18. Juli 2019

Militarisiertes Europa



Tagesdosis 6.7.2019 – Geburtshelferin eines militarisierten Europas


Ein Kommentar von Hermann Ploppa.

Die Europäische Union bleibt ihrem in Jahrzehnten mühsam erarbeiteten Ruf treu. Als kafkaeske Superbehörde steht sie über den Niederungen nationaler Auseinandersetzungen und setzt selbstherrlich ihre Beschlüsse durch. So auch wieder geschehen mit der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Was hat man nicht alles versprochen: die EU soll demokratischer werden. Transparenter. Näher am Bürger. Der neue Kommissionspräsident der Europäischen Union soll aus den Reihen des Europäischen Parlaments in Straßburg kommen. Die Sozialdemokraten schäumen. Das gildet nicht! Und: diese Querschuss-Kandidatin von der Leyen werden wir nicht wählen! Das Europa-Parlament hat zwar gar nichts zu sagen, muss aber die Vorschläge der EU-Kommission in Brüssel durch Wahl ihrer Wunschkandidaten abnicken. Und da wollen die Sozialdemokraten die Uschi mit Pauken und Trompeten durchfallen lassen. Naja, keine Angst: die Sozis werden auch von der Leyen durchwinken. Neben den Mitgliedern der konservativen Fraktion haben auch die Grünen in Straßburg schon ihr entschiedene „Jein“  zur von der Leyen-Wahl signalisiert. Und es sind gerade die viel geschmähten „Rechtspopulisten“ aus den osteuropäischen Ländern, die den niederländischen sozialdemokratischen EU-Präsidentschaftskandidaten Frans Timmermans ums Verrecken nicht haben wollten, und die nun von der Leyen jauchzend wählen wollen.

Um Klarheiten zu schaffen und der deutschen Verteidigungsministerin logistische Schützenhilfe zu geben, haben ihr die Eurokraten den Status einer „EU-Sonderberaterin“ aus dem Hut gezaubert. Sie hat ab sofort ein eigenes Büro in Brüssel, mit eigenen Mitarbeitern und Sicherheitsleuten, um ihre Wahl quasi vom Feldherrenhügel aus durchdrücken zu können.

Also, wie gehabt: Regieren auf Gutsherrenart. Der französische Präsident Macron begründete seine Unterstützung damit, von der Leyen könne fließend Französisch. Und EU-Ratspräsident Donald Tusk fand für seine Zustimmung zu der Deutschen die dämliche Ausrede: „Schließlich ist Europa eine Frau.“

Warum dieser Schnellschuss? Die EU-Bürokratie ist als Recyclinghof für auf nationaler Ebene gescheiterte Politiker immer wieder beliebt. Genannt seien hier deutscherseits nur Edmund Stoiber und Günther Oettinger. In der Tat ist Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin schon lange reif für die Entlassung. Dass sie noch im Amt ist, verdankt sie der konzertierten Ruhe in den deutschen Mainstream-Medien. Aber das ist nicht der springende Punkt.

Zunächst einmal: Von der Leyen ist die personifizierte Amerikanisierung in der deutschen Politik. Sie steht für eine neue Oligarchie, die sich besonders nach der deutschen Wieder“vereinigung“ geradezu einen dynastischen Anspruch auf Generationen übergreifende Machterhaltung gesichert hat. Ihr Vater Ernst Albrecht begann seine Karriere in der Eurokratie, bevor er unter dubiosen Umständen Ministerpräsident von Niedersachsen wurde. Tochter Ursula macht da weiter, wo der Vater aufgehört hat. Ein ähnlicher Fall wie Birgit Breuel, die als Tochter der Bankierdynastie Münchmeyer in ihrer Eigenschaft als Chefin der Treuhand die Bereicherung ihres Standes vorangetrieben hat. Ein Typus von Politikern, die den Staat und das mühsam erarbeitete Vermögen der deutschen Mitbürger nur noch als Instrumente zur Selbstbereicherung ansehen.

Folglich begann von der Leyen ihre politische Karriere, indem sie als niedersächsische Sozialministerin das Landesblindengeld strich. Das heißt: die Blinden können jetzt aus ihrer kargen Rente alle Kosten selber bezahlen, die ihnen aus der Behinderung zusätzlich entstehen. Als Bundesministerin für Arbeit und Soziales boxte sie die Rente mit 67 durch. In einem Interview mit der Bild-Zeitung erklärte sie ganz human, dass ein Dachdecker nicht mehr unbedingt mit 67 auf Dächern herumkriechen müsse. Er könne ja beim Discounter Regale befüllen.

Im Verteidigungsministerin ist von der Leyen nicht gerade durch Kreativität aufgefallen. Aber sie hat de facto das Verteidigungsministerium privatisiert. Gleich als erste Amtshandlung setzte die Ministerin die Unternehmensberaterin Katrin Suder von der bekannten Firma McKinsey als Staatssekretärin ein. Dann wurden „freihändig“, also ohne die gesetzlich geforderte Ausschreibung, 400 Einzelverträge im Gesamtvolumen von 150 Millionen Euro pro Jahr mit externen Unternehmensberatern abgeschlossen. Diese „Armada“ (so der Spiegel) wurde mit offiziellen amtlichen Kompetenzen ausgestattet und hatte freien Zugang zu Staatsgeheimnissen. Die privaten Wegelagerer genehmigten sich einen Tagessatz von 1.700 Euro. Was den rechtmäßigen Mitarbeitern des Ministeriums sauer aufstieß: das Ministerium macht sich von den externen Beratern abhängig wie der Fixer vom Dealer. Die Externen produzieren Lösungsansätze, die zwangsläufig den Bedarf nach weiteren externen Beratungsleistungen erzeugen. Diese kriminelle Selbstbereicherung ist eigentlich Grund genug, Frau von der Leyen sofort zu entlassen und den von ihr angerichteten Augiasstall im Verteidigungsministerium gründlich auszumisten. Dieser Fall wurde jedoch in der gewohnten Manier von den Medien auf mittlerer Hitze abgekocht und sodann unter allgemeinem resigniertem Achselzucken einfach so hingenommen.

So skurril das womöglich erstmal klingt: Frau von der Leyen ist für den neuen Job als EU-Kommissionspräsidentin die allererste Wahl! Denn sie bringt alle Voraussetzungen mit für die jetzt gerade einsetzende massive Militarisierung der Europäischen Union. Als Ministerin hatte sie zusammen mit dem damaligen Außenminister Sigmar Gabriel das für alle EU-Länder verbindliche PESCO-Abkommen unterzeichnet. PESCO steht für: Permanent Structured Cooperation, also: die permanente strukturierte Zusammenarbeit. Es geht kurz gesagt darum, dass nicht mehr länger jedes EU-Land seine eigene Rüstung betreibt. Von jetzt ab werden Forschung und Entwicklung von Rüstung, ihre Vermarktung und ihre Normierung in enger Zusammenarbeit mit allen EU-Staaten vorgenommen. Wir sind gerade Zeugen des massiven Aufbaus eines europaweiten Militärisch-Industriellen Komplexes nach dem Vorbild der USA. Und es unterliegt keinem Zweifel, dass die Rüstungskonzerne aus Frankreich und Deutschland dabei die Führungsrolle einnehmen werden. Die anderen EU-„Partner“ werden sich fügen müssen, friss‘ Vogel oder stirb. Das liest sich im Spiegel  so:

„An der nötigen Mehrheit für den Start der Pesco-Zusammenarbeit gibt es kaum einen Zweifel. In insgesamt sechs Workshops in Paris, Berlin und Brüssel haben Deutsche und Franzosen das Projekt in den vergangenen Monaten allen anderen EU-Mitgliedern vorgestellt, daher kann sich eigentlich niemand überrumpelt fühlen. Obwohl sie nicht mitmachen wollen, sollen sich nicht mal Briten und Dänen der Notifizierung verweigern, so ist zu hören.“

Während die Euro-Einführung eine Lizenz zum Töten für die mächtigen Banken Deutschlands und Frankreichs ist, so wird PESCO den deutschen und französischen Rüstungskonzernen den Weg ebnen und kleinere Konkurrenten platt machen. Übrigens verpflichten sich die PESCO-Unterzeichner, ihre Rüstungsausgaben kontinuierlich zu steigern. Zudem ist die Installierung einer internationalen Eingreiftruppe geplant, die auch außerhalb der EU tätig werden soll. „Missionen“ mit Kampfelementen gibt es schon in Mali, Bosnien-Herzegowina, Zentralafrika und Somalia. Zunächst zivilistisch gibt man sich jetzt noch im Irak, in Palästina, Libyen, Ukraine und Georgien. Personal und Finanzen (5.5 Milliarden pro Jahr) nehmen sich im Vergleich mit den USA bis jetzt noch bescheiden aus. Das wird sich aber ändern. Im Augenblick wird an einer engen Verzahnung von zivilen und militärischen Einrichtungen gearbeitet. Ein „Schengen-Abkommen des Militärs“ ist eine erste Etappe, also eine die nationalen Grenzen überschreitende Beweglichkeit der neuen europäischen Militärs.

Gewiss wird Ursula von der Leyen in ihrer neuen Funktion als EU-Kommissionspräsidentin genauso wenig kreativ und bestimmend sein wie sie es als Verteidigungsministerin ist. Sie dient auch in Brüssel nur als zivile Galionsfigur, um von den wirklich bestimmenden Kräften der EU-Militarisierung abzulenken. Genau wie auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Wirklichkeit nichts zu melden hat und nur von den tonangebenden Generälen ablenken soll. Auch ist die neue Militärmacht der Europäischen Union kein Versuch, sich nach dem Frust mit US-Präsident Donald Trump von den USA zu emanzipieren. Vielmehr ist die EU-Aufrüstung so konzipiert, dass sie den USA den Rücken freihält für den großen Kampf gegen den gefährlichsten Herausforderer, nämlich die Volksrepublik China. Von der Leyen hat bei ihren Auftritten bei der Münchner Sicherheitskonferenz oder den Bilderbergern oder der Atlantikblücke keinen Zweifel gelassen, dass ihre Loyalität zu den USA eindeutig feststeht.

Hermann Ploppa wird Referent bei der Freidenker Konferenz „Der tiefe Staat“ am 16.11.2019 in Stuttgart sein.

KenFM bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Quelle der Erstveröffentlichung: https://kenfm.de/tagesdosis-6-7-2019-geburtshelferin-eines-militarisierten-europas/

Der Beitrag ist auch auf YouTube verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=2VUxk49lvVc





Mittwoch, 17. Juli 2019

Lobbyhörigkeit



»Einzig Lobbyhörigkeit entscheidet«


Nachricht von Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Gregor Gysi, 17. Juli 2019

Gerade einmal neun Stimmen mehr als die erforderliche absolute Mehrheit erhielt Ursula von der Leyen am Dienstag bei der Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin. 383 von 747 Europaabgeordnete stimmte für die 60-Jährige, 327 Parlamentarier stimmten gegen sie. Damit tritt die bisherige deutsche Verteidigungsministerin zum 1. November die Nachfolge des Luxemburgers Jean-Claude Juncker an.

In der Wahl von der Leyen bestätige sich, "dass in der #EU weder Kompetenz noch Zukunftsvisionen gefragt sind, sondern einzig Lobbyhörigkeit entscheidet", kommentiert Sahra Wagenknecht die Wahl: "Wer von der neuen Kommission Impulse für ein gerechteres Europa erwartet, glaubt auch an den Weihnachtsmann. So wird das nichts, EU."

Dietmar Bartsch wünschte von der Leyen unmittelbar nach der Wahl auf Twitter "Erfolg als EU-Kommissionspräsidentin. Den ist sie den Bürgern schuldig - auch wegen der unglaublichen Menge Porzellan, das die EU-Regierungschefs gerade zerdeppert haben. Am Ende des Tages messen wir sie an ihren Taten".

Als "Taschenspielertrick" kritisiert Gregor Gysi die Nominierung von der Leyens. "Damit wurde die Demokratie verletzt. Die Regierungschefs versuchen immer, aus der EU einen Regierungsföderalismus zu machen, was mir überhaupt nicht gefällt. Da kommen sich die Wählerinnen und Wähler mindestens veralbert vor, um kein schlimmeres Wort zu benutzen", sagte er im NDR.

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Freitag, 12. Juli 2019

13. August - "Teilungswahnsinn?"


Wenn zur Zeit die weinerlichen und oberflächlichen Berichte im rbb, auch heute in der Abendschau, die Gründe des Geschehens am 13. August 1961 in der Versenkung gelassen werden, jedoch dann das Wort „TEILUNGSWAHNSINN“ fällt, dann ist es höchste Zeit, nochmals an die damaligen politischen und militärischen Gründe des „Mauerbaus“ zu erinnern. H.P.




Nachhilfe für Ewiggestrige

"Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben\" / Buchtipp von Harry Popow

Wie nicht anders zu erwarten: Das Buch mit dem Titel \"Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben\" von Armeegeneral a.D. Heinz Keßler und Generaloberst a.D. Fritz Streletz (edition ost, 220 Seiten), wirft gehörig Staub auf. Zerrt es doch ans Licht, was allzu gerne totgeschwiegen wird: Die Schuld des Westens am Kalten Krieg, der ein heißer zu damaliger Zeit zu werden drohte. Und nach der sogenannten Wende fürchten die Kapitaloberen und ihre Marionetten in der Politik nichts so sehr wie ein Dacapo einer echten Alternative zum jetzigen Herrschaftssystem. Das sind sie - die echten Ewiggestrigen, die von einer dringend notwendigen Veränderung des Gesellschaftssystems nicht nur nichts halten, sondern jede Idee zum Besseren für das Wohl der Menschheit mit Füßen treten und jede Idee dahin im Keime ersticken wollen.

Das ist in der krisengeschüttelten Gegenwart nicht verwunderlich, ruft doch selbst so ein gestandener Mann wie der Franzose Stéphane Hessel dazu auf, sich gegen das weltweit agierende Finanzkapital zu erheben, sich zu empören. Ist es doch eine Frage des Überlebens geworden, den nationalen und internationalen Profitjägern, Verdummern, Lügnern, Geschichtsfälschern mit knallharten Tatsachen ins Handwerk zu pfuschen. Deshalb auch dieser Stich ins Wespennest: Die beiden NVA-Militärs schreiben Klartext. Faktenreicher gehts wirklich nicht - endlich ist es da, das sehr gründlich recherchierte, für die Geschichte so wichtige Buch.

Wie viele andere hatte auch ich kürzlich die Freude, es anläßlich der ersten Mitgliederversanmmlung des Traditionsverbandes der NVA e.V. nicht nur schlechthin zu kaufen, sondern es von den Autoren signieren zu lassen: Die 220 Seiten habe ich in nur wenigen Stunden regelrecht \"verschlungen\". Natürlich liest man Bekanntes, Ablauf und Gründe für den Bau der \"Mauer\". Richtig interessant und bisher weitgehend unbekannt sind die in die Tiefe gehenden Passagen, die - weiter ausholend - die Fakten im Zusammenhang betrachten, so zum Beispiel, als bereits im Frühjahr 1945 in der Schweiz mit der Geheimoperation \"Sunrise\" der eigentliche Anstoß für den Kalten Krieg gegeben wurde. Ganz zu schweigen vom Verlauf der internen und offenen Kriegsvorbereitungen nach 1945 gegen die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder. Ich erspare mir hier die zahlreichen und unwiderlegbaren Details der Kausalkette des knallharten Kampfes gegen den Osten anzuführen. Nicht unerwähnt soll sein: Auch dadurch wird der \"Nur-Rührseligkeits-Welle\" mit Tränen der Opfer die Einseitigkeit genommen. Die Reduzierung großer politischer Zusammenhänge aufs Detail, aufs Pars pro toto (Teil fürs Ganze), wie es im Stilistischen heißt - das ist Methode!! (Geht es den Hassern des Fortschritts etwa um die Menschen, um deren Schicksale? Sie werden nur benutzt, denn da spielen ganz andere Dinge eine Rolle und die Heuchelei feiert ihre Triumphe!!)

Es ist nicht nur unverschämt und zeugt von einer Nicht-Gewollten-Wahrheitsfindung, wenn die jetzigen Machthaber samt ihrer Medien zum Beispiel vom Verhöhnen der \"Opfer\" des Mauerbaus faseln. (Jedes Opfer ist immer eins zuviel, aber ohne zusammenhängendes Denken und Analysieren gelangt man nicht zur Wahrheit.) Vergessen sind also die insgesamt etwa 80 Millionen Toten des II. Weltkrieges? Und die 17 Millionen des I.Weltkrieges? Und wenn man die 70 Millionen Opfer dazurechnet, die es bei einer bewaffneten Auseinandersetzung allein in den USA gegeben hätte? (Siehe im Klappentext Kennedys Aussage!!) Ich wage gar nicht die tödliche Leere und Stille im europäischen Raum nach einem großen Knall zu beziffern! Und wer verhöhnt vor allem diese Opfer? Nicht diejenigen, die dem Kriege und deren kapitalherrschaftliche Ursachen endgültig den Garaus machen wollten, sondern jene, die um die Ursachen von weltweiten Konflikten große Bogen machen und alle Schuld auf \"Terroristen\", auf \"Linksradikale\", auf jene lenken wollen, die nicht müde werden - dankenswerterweise - der Welt eine andere, friedvollere Perspektive zu geben. Nicht, weil sie es möchten, sondern weil es längst nach zwölf Uhr ist, den Ewiggestrigen mit Worten und Argumenten, mit Demonstrationen und mit der gesamten breiten Palette der Kunst und Kultur in den Arm zu fallen. Dafür stand auch die DDR ein. Dafür und darum stand die \"Mauer\", von der Kennedy einst sagte, sie sei nicht schön, aber tausendmal besser als Krieg. Möge die neuerliche Mauer zwischen Ost und West, zwischen oben und unten, zwischen Arm und Reich, zwischen Dummköpfen und Sehenden Stück für Stück durchlöchert werden - so wie das die hochbetagten und verdienstvollen beiden NVA-Generäle ihr Leben lang und mit diesem wunderbaren Buch getan haben. Wer heutige gesellschaftliche Widersprüche mißachtet, sie nicht sehen will, macht sich wieder einmal mitschuldig - wie 1933 und danach... Deshalb die nachdrückliche Nachhilfe für Ewiggestrige.

Oberstleutnant a.D. Harry Popow





"Wir und die Russen" - Egon Krenz, Leseprobe



Das vergessene Gespräch


Vorabdruck. Anfang November 1989 traf Egon Krenz in Moskau mit dem sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow zusammen
Von Egon Krenz

Heute erscheint das neue Buch von Egon Krenz »Wir und die Russen. Die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau im Herbst ’89« in der Berliner Edition Ost. Wir dokumentieren im folgenden gekürzt das Kapitel »Ein Treffen, das von Gorbatschow schnell vergessen wurde«. Die Redaktion dankt Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zum Vorabdruck. (jW)

Am 1. November 1989 empfing mich Gorbatschow in Moskau. Fünf Jahre später, Ende 1994, entdeckte ich in einer Berliner Buchhandlung Gorbatschows erstes nach dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik in deutscher Sprache veröffentlichtes Buch.¹ Ich blätterte neugierig darin. Unser Gespräch vom 1. November 1989 fehlte. Warum? Das war für mich so schwer nicht zu erklären. Inzwischen hatte er neue Freunde. Es waren jene, die er mir gegenüber noch 1989 als »Nationalisten« verdammt hatte und vor denen ich mich in Acht nehmen sollte. Um so wichtiger, dass ich den Inhalt des dort ausgesparten Gespräches hier wiedergebe. (…)

Ich telefonierte zunächst mit Freunden in Moskau, um aus erster Hand etwas über die Stimmung im Land zu erfahren. Im eigenen Lande gilt der Prophet bekanntlich wenig. Das schien auch für Gorbatschow zu gelten. Er genoss Achtung in der ganzen westlichen Welt, nicht aber hier. Viele waren der Meinung, dass der Lebensstandard unter Breshnew besser gewesen sei, die Versorgungsmängel wurden Gorbatschow angelastet. Eine meiner Dozentinnen aus Moskauer Studienzeiten meinte ironisch: »Es wird zuviel geredet und zuwenig gearbeitet.« Dieses Pauschalurteil schien mir ungerecht. Früher wurden die Mängel oft nur unter den Teppich gekehrt. Gorbatschows Politik machte sie öffentlich.

Der Bruderkuss



Gorbatschow empfing mich am 1. November 1989 nicht im Kreml, sondern in seinem Arbeitszimmer im Hause des Zentralkomitees. Er wollte damit unterstreichen, dass wir als Generalsekretäre der führenden Parteien unserer Länder zusammentrafen. Die Führung durch die Arbeiterklasse und ihre marxistisch-leninistische Partei war sowohl in der DDR als auch in der Sowjetunion noch Verfassungsgrundsatz. Gorbatschow wollte damals nicht daran rütteln lassen, obwohl oder vielleicht gerade, weil er wusste, wie kontrovers dieses Thema in der DDR bereits diskutiert wurde.

Demonstrativ kam Gorbatschow vor laufenden Kameras auf mich zu, umarmte und begrüßte mich mit Bruderkuss. Einige aus meiner Begleitung meinten noch am selben Tag, dies sei der Judaskuss gewesen! Waren sie gehässig oder weitsichtig? Wussten sie einfach mehr? Ich kann es auch heute nicht mit Gewissheit sagen. Damals jedenfalls glaubte ich, keinen Grund zu haben, Michail Gorbatschow zu misstrauen. (…)

Als wir uns, noch in Anwesenheit vieler Journalisten, an den langen Verhandlungstisch seines Arbeitszimmers setzten, erwähnte ich beiläufig, dass ich am frühen Morgen in der Prawda die Losungen der KPdSU zum 72. Jahrestag der Oktoberrevolution gelesen habe. Ich sagte ihm, mich freue, dass darin auch die Gemeinschaft der sozialistischen Staaten positiv vorkäme.

Gorbatschow nahm das sofort als Stichwort auf. Man dürfe dem politischen Gegner nicht gestatten, einen Keil zwischen die sozialistischen Länder zu treiben. Bündnistreue sei angesagt. Er nannte die Behauptungen im Westen, man könne die Sowjetunion von ihren Verbündeten trennen, »ausgesprochenen Unsinn«. Es müsse alles für die Einheit der sozialistischen Staatengemeinschaft getan werden.

Angesichts der Situation in Polen und Ungarn schien mir diese Feststellung reichlich vereinfacht. Gorbatschow meinte jedoch, dass sich seriöse Politiker in der ganzen Welt darüber klar seien, dass eine Destabilisierung in Osteuropa unübersehbare Folgen für ganz Europa hätte. »Wir müssen den Politikern des Westens widersprechen, wenn sie behaupten, dass 1789 eine Linie ihren Anfang nimmt, die zu den heutigen prosperierenden und demokratischen Staaten Westeuropas geführt hat, während im Oktober 1917 eine Entwicklung einsetzte, die der Menschheit nur Ungemach gebracht habe.«

Wenn Gorbatschow philosophierte, war er in seinem Element. »Natürlich werden wir die ideologischen Gegner widerlegen. Der Sozialismus hat der Welt schon viel gegeben. Doch seine Hauptleistungen stehen erst bevor. Die Vorzüge der neuen Ordnung können jedoch nicht mit noch so einleuchtenden Argumenten, sondern müssen mit realen Taten nachgewiesen werden.«

Leidenschaftlich argumentierte er gegen jene, die den Weg seit dem Roten Oktober als geschichtlichen Irrtum bezeichneten. Einen Weg zurück zum Kapitalismus würden die sowjetischen Kommunisten nicht zulassen (…).

Obwohl ich wusste, dass der sowjetische Botschafter in Berlin mehrmals täglich Berichte über die Lage in der DDR nach Moskau schickte, die auch auf Gorbatschows Tisch landeten, wollte der an jenem 1. November 1989 von mir im Detail wissen, wie sich die Dinge in der DDR entwickelten.

Ich schilderte ihm die Auseinandersetzungen, die der Absetzung Honeckers vorausgegangen waren, sprach über die Situation im Politbüro, unsere wirtschaftliche Lage, die Beziehungen zur Bundesrepublik, informierte über beabsichtigte Veränderungen in der DDR-Führung und dass ich Weisung erteilt hätte, jeden Schusswaffengebrauch an der Staatsgrenze zu unterlassen, ausgenommen, wenn Leben und Gesundheit der Grenzsoldaten bedroht würden.

Dann sprachen wir über die in Berlin für den 4. November geplante Demonstration. Das Politbüro habe entschieden, sagte ich, die Parteimitglieder Berlins aufzurufen, sich an der Kundgebung zu beteiligen. Unter den 17 Rednern würden auch Günter Schabowski und zwei weitere zuverlässige Genossen sein. Auf diese Weise bliebe die politische Opposition nicht unter sich. Die SED-Führung sei entschlossen, politische Probleme mit politischen Mitteln zu lösen. Demonstrationen seien legal, gegen Demonstranten werde keine Polizei eingesetzt. Eine Kriminalisierung politischer Demonstranten werde es in der DDR nicht mehr geben.

Gorbatschow nahm dies mit sichtlicher Zustimmung auf. »Antisozialistische und kriminelle Elemente sind die eine Seite. Aber insgesamt kann man das Volk nicht als Feind betrachten. Wenn es sich gegen die Politik auflehnt, muss man überlegen, was an der Politik zu ändern ist, damit sie den Interessen des Volkes und dem Sozialismus entspricht.«

Ich spürte aber, dass Gorbatschow fürchtete, die Demonstrationen und Kundgebungen in der DDR könnten eine eigene Dynamik entwickeln. Falsche Losungen und antisozialistische Kräfte könnten an Einfluss gewinnen. »Das wäre ein großes Unglück. Es könnte dadurch eine ausweglose Lage entstehen.« Auch diese Sorge teilten wir, denn die DDR lag nach wie vor an der Frontlinie zwischen Warschauer Vertrag und NATO. Jede Instabilität würde unabsehbare Folgen für den Frieden haben.

Differenzen mit Honecker



Er hege keinen Groll gegen Honecker, sagte Gorbatschow. Es sei nur schade, dass er die notwendigen Veränderungen vor drei, vier Jahren nicht selbst eingeleitet habe. Dies hätte zum Höhepunkt seines politischen Lebens werden können. Schließlich habe die DDR unter Honeckers Führung sehr viel erreicht. In den letzten Jahren wären allerdings gewisse negative Veränderungen nicht mehr zu übersehen gewesen. Erich Honecker habe sich offensichtlich für die Nummer eins im Sozialismus, wenn nicht sogar in der Welt gehalten. Sein Realitätsverlust sei groß gewesen.

Ich sagte, dass mich diese Entwicklung aufgrund meiner persönlichen Beziehungen zu ihm sehr betroffen gemacht habe. Gorbatschow schaute mich prüfend an. »Darauf baut der Westen gewisse Spekulationen auf. Du solltest keine Furcht davor haben. Schließlich sind wir alle Kinder unserer Vorgänger.«

Wollte er mir damit zu verstehen geben, dass man zu seiner Vergangenheit stehen sollte oder es besser ließe, es zu thematisieren, weil es etwas Normales sei? Es war mir nicht klar, was er damit sagen wollte.

Gorbatschow erinnerte sich, wie seine Differenzen mit Honecker begannen. »Für uns war immer klar, dass die DDR ohne die ökonomische Hilfe der UdSSR nicht lebensfähig ist«, meinte er. »Gleichzeitig haben wir uns immer gefragt, warum die Sowjetunion in so aufdringlicher Weise von Erich Honecker mit den Erfolgen der DDR traktiert wurde. Dies war besonders schwer zu ertragen, weil wir die wirkliche Lage kannten. Einmal habe ich versucht, mit Erich über die Verschuldung eures Landes zu sprechen. Er hat dies schroff zurückgewiesen, da es seiner Auffassung nach keine Verschuldung der DDR gäbe.« Gorbatschow suchte nach treffenden Worten. »Genosse Honecker hat sich offensichtlich als Retter des Vaterlandes gefühlt. Die ganze Entwicklung ist ein großes persönliches Drama für ihn. Da er jedoch eine hohe Funktion innehatte, wurde daraus ein großes politisches Drama.«

Er selbst habe sich dennoch bis zum Schluss um ein gutes menschliches Verhältnis zu Honecker bemüht. Dies sei nicht leicht gewesen, weil er dessen Aussprüche und seine wirkliche Meinung kannte. Wenn ein Führer versuche, seine Position um jeden Preis zu halten und nur noch Zustimmung von seiner Umgebung erwarte, entstünden zwangsläufig Probleme. Er habe jedoch Honeckers Widersprüchlichkeit toleriert, weil es wichtigere Dinge gab. Die Sowjetunion habe gegenüber der DDR immer größte Zurückhaltung geübt, weil man keine Missstimmung in den Beziehungen habe aufkommen lassen wollen. Man habe Geduld bewiesen, weil die SED und die ganze Gesellschaft auf revolutionäre Veränderungen erst vorbereitet werden mussten.

»Erich war blind, hat sich nur auf Günter Mittag gestützt, dich und Willi Stoph ausgeschaltet und entsprechend isoliert regiert. Das musste schiefgehen. Insbesondere Willi Stoph tut mir leid, weil er von Honecker in den letzten Jahren erniedrigt worden ist«, konstatierte Gorbatschow.

Ich konnte diesen Standpunkt gut verstehen. Ministerpräsident Willi Stoph hatte Erich Honecker immer wieder auf die kritische ökonomische Situation hingewiesen. Als langjähriges Politbüromitglied kannte er ihn offensichtlich am besten. Schon 1971 hatte er Honeckers Wahl zum Parteichef nur unter der Bedingung zugestimmt, dass dieser die Kollektivität des Zentralkomitees achten und sich um ökonomische Sachkenntnis bemühen würde. Als Honecker seine Machtposition jedoch gefestigt hatte, wurde Stoph Schritt für Schritt kaltgestellt. Gleichzeitig trat Mittag immer stärker in den Vordergrund.

In der Sowjetunion wurde diese Entwicklung mit Unbehagen verfolgt, weil Stoph als sehr enger Freund Moskaus galt. Gorbatschow bestätigte dies. »Ich schätze Willi sehr. Er war in den vergangenen Jahren in einer schwierigen Situation. Dennoch bewahrte er seine Würde, als er von Mittag förmlich an die Wand gespielt wurde. In entscheidenden Situationen hat er eine prinzipielle Position bezogen.« Als wolle er mich mahnen, nicht die alten Fehler zu wiederholen, sagte er: »Egon, wirf nicht alle alten Genossen in einen Topf! Vielleicht sollte Willi auch im neuen Politbüro verbleiben. Wir haben gesehen, wie Erich Honecker das Politbüro immer mehr erweiterte, um in diesem großen Gremium einen Genossen gegen den anderen ausspielen zu können.«

Ich sei bemüht, würdige Lösungen für das Ausscheiden langjähriger Führungsmitglieder zu finden, und erzählte Gorbatschow, dass Erich Mielke unmittelbar nach meiner Wahl zum Generalsekretär zu mir gekommen sei und um seine Entlastung von allen Partei- und Staatsämtern gebeten habe. Er sagte, dass er sich schon viele Jahre mit dem Gedanken trage, den Weg für Jüngere freizumachen, aber geblieben sei, um seinen persönlichen Einfluss geltend zu machen, damit die Beziehungen zur Bundesrepublik nicht zu eng und die zur Sowjetunion nicht zu locker werden würden.

Gorbatschow zeigte sich informiert und berief sich auf sein gutes Verhältnis zu Mielke. Dieser war bei seinem 80. Geburtstag 1987 zum fünften Mal mit dem Leninorden – der höchsten Auszeichnung der Sowjetunion – geehrt worden. Und Gorbatschow hatte Mielke im Sommer 1988 zu einer geheimen Visite im Kreml empfangen, ohne dass zuvor Honecker darüber informiert worden war. Im SED-Politbüro hatte es über dieses Treffen entgegen allen Gepflogenheiten auch keinen Bericht gegeben.

Gorbatschow kommentierte meine Bemerkung über Mielkes Angebot nach meiner Wahl: »Genosse Mielke wollte mit seinem Rücktrittsgesuch als alter Kommunist anderen ein Signal geben. Er hat dir so die Möglichkeit gegeben, Kaderfragen von den inhaltlichen Fragen der Erneuerung zu trennen.«

Ökonomische Sorgen



Gorbatschow nannte Polen und Ungarn, meinte aber auch die DDR, als er sagte: »Die Sowjetunion kann ökonomisch wenig tun. Es ist absurd anzunehmen, die Sowjetunion könne 40 Millionen Polen aushalten. Die Ursachen liegen bereits bei Gierek, der Kredite in Höhe von 48 Milliarden Dollar aufnahm. Nunmehr haben die polnischen Genossen bereits 52 Milliarden zurückgezahlt und immer noch 49 Milliarden Schulden. Im Januar 1987 erhielt Genosse Kádár ein Ultimatum vom Internationalen Währungsfonds, in dem zahlreiche Forderungen gestellt wurden, bei deren Nichterfüllung mit der Einstellung der Kredite gedroht wurde.«

Gorbatschows Aussage deutete ich so, dass ich erstens mit ökonomischer Hilfe aus der Sowjetunion nicht würde rechnen können, und zweitens die Finger vom IWF lassen sollte. Polens und Ungarns innenpolitische Schwierigkeiten wurzelten in der Abhängigkeit vom Internationalen Währungsfonds, der an die Vergabe von Krediten innenpolitische Maßnahmen knüpfte. Damit bestimmte der IWF faktisch über diese Länder.

Gorbatschow sicherte mir aber zumindest zu, dass die Sowjetunion ihre Verpflichtungen bei der Lieferung von Rohstoffen voll erfüllen werde. Das gelte für den nächsten Fünfjahrplan 1991–1995. Gleichzeitig mahnte er: »Wichtig ist die Fortführung der prinzipiellen Politik gegenüber der BRD. Es muss vermieden werden, dass die BRD über die bekannten Mechanismen Druck auf die DDR ausüben kann.«

In Abstimmung mit dem Politbüro sollte ich in »allgemeiner Form« offenlegen, dass die DDR in den letzten Jahren über ihre Verhältnisse gelebt habe. Mir könne man für die dadurch entstandene Situation die Schuld nicht anlasten.

Ich nutzte das Gespräch, um Gorbatschow nach der sogenannten deutschen Frage und der Sicht Moskaus darauf zu befragen. Gerüchteweise war in den letzten Jahren immer wieder gestreut worden, die Sowjetunion strebe die deutsche Einheit an, was besonders Honeckers Misstrauen hervorgerufen hatte. Ich fragte also direkt: »Welchen Platz räumt die Sowjetunion beiden deutschen Staaten im gesamteuropäischen Haus ein?«

Gorbatschow tat, als habe er meine Frage nicht verstanden.

Ich ergänzte: »Die DDR ist ein Ergebnis des Zweiten Weltkrieges und des nachfolgenden Kalten Krieges, also auch euer Kind. Es ist für uns wichtig zu wissen, ob ihr weiter zu eurer Vaterschaft steht?«

Ob damals ernst gemeint oder schon Täuschung, ist schwer zu sagen. Gorbatschow erklärte: »Nach den Völkern der Sowjetunion ist uns das Volk der DDR das liebste.«

Im weiteren informierte er mich über ein Gespräch zwischen ZK-Sekretär Alexander Jakowlew, seinem engen Berater, und Zbigniew Brzez­inski, dem ehemaligen Sicherheitsberater mehrerer US-Präsidenten. Die beiden hätten diskutiert, ob eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten vorstellbar sei. Brzezinski habe gesagt: unvorstellbar. Für ihn wäre die Einheit Deutschlands der Zusammenbruch der Sicherheitsarchitektur in Europa.

Gespräche mit Margaret Thatcher, François Mitterrand, aber auch mit Wojciech Jaruzelski und Giulio Andreotti hätten ihm, Gorbatschow, bewusst gemacht, dass auch sie die in der Nachkriegszeit entstandene Realität einschließlich der Existenz zweier deutscher Staaten zu erhalten wünschten. Die Frage nach der Einheit Deutschlands sei für alle explosiv. Er fragte rhetorisch: »Weißt du auch warum?« und gab die Antwort: »Niemand kann sich die deutsche Einheit vorstellen, solange die NATO und der Warschauer Vertrag existieren.« Und niemand wolle eine Auflösung von Warschauer Vertrag und NATO.

Auch ein Ausscheiden Polens und Ungarns aus dem Warschauer Vertrag sei kein Thema. Das Gleichgewicht in Europa dürfe nicht gestört werden, weil niemand die Folgen für die Welt abschätzen könne. Auch die USA bezögen bisher eine ähnliche Haltung. In letzter Zeit gebe es allerdings einige Nuancen, die man noch untersuchen müsse.

An dieser Stelle meldete sich Gorbatschows Berater Georgi Ch. Schachnasarow zu Wort. »Diese Nuancen sind doch wohl mehr für das breite Publikum bestimmt«, erklärte er.

Sein Einwurf machte mich hellhörig. Ausgerechnet bei diesem Thema hielt es der Berater für opportun, seinen Chef zu unterbrechen. Ich musste an Honeckers Misstrauen denken. Als Ronald Reagan 1987 jenseits des Brandenburger Tores von Gorbatschow gefordert hatte, das Tor zu öffnen und die Mauer niederzureißen, war Honecker der Meinung, Reagan hätte dies nie so gesagt, wenn er nicht gewusst hätte, dass Gorbatschow ähnliches dachte. (…)

Keine Wiedervereinigung



Der erste Mann im Kreml jedenfalls erklärte nun am 1. November 1989 mir gegenüber, es sei für die sozialistischen Länder am besten zu betonen, dass die gegenwärtige Lage ein Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung sei. Natürlich ließe sich nicht ignorieren, dass zwischen beiden deutschen Staaten mannigfaltige menschliche Kontakte bestünden. Diese müsse man aber unter Kontrolle halten und steuern. Die sowjetische Seite sei bereit, sich mit der DDR über einige politische Korrekturen abzustimmen, die sich daraus ergäben. Gorbatschow ließ über das Ziel dieser Abstimmung keinen Zweifel: Es komme darauf an, die Beziehungen im Dreieck DDR – BRD – UdSSR besser zu koordinieren. (…)

Gorbatschow fuhr fort, dass die Sowjetunion auch bemüht sei, die BRD enger an sich zu binden. Dies werde auch der DDR helfen. Die Bundesrepublik scheine bereit, mit der UdSSR und der DDR zusammenzuarbeiten. Zugleich erwarte sie aber, dass die Sowjetunion bei einer möglichen Vereinigung Deutschlands Hilfestellung leiste. Sie betone immer wieder, dass der Schlüssel für die Vereinigung in der Sowjetunion liege. »Dies sagen auch die Amerikaner. Für sie ist das die bequemste Ausrede. Sie sprechen gegenüber der BRD von ihrer Unterstützung für die Wiedervereinigung, verweisen aber stets auf die Schlüsselrolle Moskaus. Mit diesem Unsinn soll Moskau der Schwarze Peter zugeschoben werden. Zugleich dürfen wir nicht übersehen, dass die USA nicht erfreut sind, wenn es zu einer Annäherung zwischen Bonn und Moskau auf ökonomischem und politischem Gebiet kommt.«

Für die DDR sei Vorsicht geboten, damit der ideologische Gegner nicht in eine Position komme, die er gegen uns ausnutzen könnte. »Die DDR«, so Gorbatschow, »muss bei ihren Beziehungen zur BRD darauf achten, nicht in die Umarmung dieses Staates zu geraten«. Dies lasse sich vermeiden, wenn die DDR mit vielen anderen Ländern, nicht nur mit der BRD, zusammenarbeite.

Gorbatschows Monolog erschien mir wie ein Vortrag in Sachen Dialektik. Einerseits sollten wir mit der Bundesrepublik kooperieren, zumindest dort, wo es sich nicht vermeiden ließe. Andererseits hätten wir immer zu berücksichtigen, dass die Sowjetunion mit am Tisch säße. Deren Interessen lagen offenkundig zwar mehr bei den Amerikanern, es schien jedoch zulässig, wenn man die beiden deutschen Staaten dabei nutzen konnte.

Der KPdSU-Generalsekretär blieb beim Thema. Wenn die Tendenz der Annäherung in Europa mehrere Jahrzehnte lang anhalte und sich die Integrationsprozesse unabhängig von den Gesellschaftssystemen entwickelten, dann könne sich die Frage der Einheit Deutschlands eines Tages stellen. Diese Frage sei allerdings nicht aktuell.

»Die Einheit Deutschlands steht nicht auf der Tagesordnung. Darüber hat sich die Sowjetunion mit ihren früheren Partnern aus der Zeit der Antihitlerkoalition geeinigt.« Gorbatschows Resümee: »Genosse Krenz, übermittle dies bitte den Genossen des SED-Politbüros.«

Ich bohrte weiter, um auf meine Frage nach dem Platz der deutschen Staaten im gesamteuropäischen Haus, von dem Gorbatschow seit Jahren sprach, eine verbindliche Antwort zu erhalten. Man spreche heute viel von den allgemein-menschlichen Werten. Dies werfe auch die Frage nach den allgemein-deutschen Werten auf. Wie werde sich das Grenzregime des Warschauer Paktes zum Westen entwickeln? Dies stehe im unmittelbaren Zusammenhang mit der Berliner Mauer. Ich sagte: »Die DDR befindet sich in der komplizierten Situation, diese Dinge verteidigen zu müssen, obwohl sie nicht mehr in die Zeit passen.«

Gorbatschow gab mir recht. Man müsse vieles neu durchdenken. »Wenn die DDR nicht die Formel dafür findet, die es ermöglicht, dass die Menschen ihre Verwandten besuchen können, dann ist das für die Gesellschaft der DDR ein sehr unbefriedigender Zustand. Die DDR wird neue Ultimaten gestellt bekommen. Sie muss jedoch die Initiative in der Hand haben. Wir in der Sowjetunion sind bereit, mit euch gemeinsam solche Fragen zu beraten. Es ist aber an der Zeit, auf Kanzler Kohl stärkeren Druck auszuüben. In den Regierungsparteien gibt es Leute, die Kohl loswerden wollen. Er hat jedoch auf das Pferd des Nationalismus gesetzt. In der BRD wird mit diesem Thema wild spekuliert.« (…)

Nach vier Stunden Gespräch setzte Gorbatschow zum Schlusswort an.

»Dein Besuch, Genosse Krenz, so kurz nach deiner Wahl, ist außerordentlich notwendig für die gegenseitige Abstimmung am Beginn einer neuen Etappe unserer Zusammenarbeit. Es geht darum, gemeinsam zu demonstrieren, dass wir zusammenstehen, dass die Entwicklung in der Sowjetunion der DDR sehr nahe ist und umgekehrt. Dies ist wichtig auch für die anderen sozialistischen Länder und für die ganze Welt. Auch in der Bundesrepublik Deutschland wird man sich dafür interessieren, worüber sich Gorbatschow und Krenz abgestimmt haben.« (…)

Der Inhalt der Gespräche und der vertrauensvolle Umgang miteinander ließen mich an eine gute Zukunft und an einen Neuanfang glauben. Ein Ende der DDR? Angesichts des Schulterschlusses mit der Sowjetunion war das für mich ausgeschlossen.

Anmerkung:

1 Michail Gorbatschow: Gipfelgespräche. Geheime Protokolle aus meiner Amtszeit. Berlin 1994